Viel wurde über Lahms kleinen Unterschied diskutiert und geschrieben. Und es wird weiterhin noch viel diskutiert und geschrieben werden. Soviel, dass es sich kaum noch lohnt dazu in noch einem weiteren Blog Stellung zu beziehen.
Deshalb will ich nun knapp an Lahm vorbeiziehen und den Bogen von der zweitwichtigsten zur wichtigsten Person des deutschen Fußballs schlage: zum Joachim Löw.

Viele haben es vermutet, nun ist es praktisch offiziell. Oliver Bierhoff kündigte am Donnerstag zwar an, ein Gespräch mit Löw, Lahm und Mannschaftsrat über den Umgang mit Mannschaftsinterna zu führen, dennoch sei es zu „keinem Zeitpunkt ein Thema [gewesen], Philipp als Kapitän abzusetzen".

Obwohl Schwabe war ich noch nie ein Löw Fan und werde wohl nie einer werden.
Keine Frage, sportlich sehr erfolgreich, auch wenn die deutsche Nationalmannschaft (von WM Achtel- und Viertelfinale mal abgesehen) seit der Weltmeisterschaft im eigenen Lande kaum noch zu begeistern wusste.
Jedoch gab es viel zu oft irgendwelche Entscheidungen, die einen faden Beigeschmack hinterließen, bzw. die ich persönlich für schlichtweg falsch halte.

Doch fangen wir mal von vorne an:
Klinsmann bootete kurz vor der WM 2006 Kuranyi aufgrund dessen äußerst, sagen wir mal durchschnittlicher Saison zuvor. Natürlich ziemlich überraschend, dennoch für die meisten bei rationaler Betrachtung nachvollziehbar. Auch Löw wartete vor der EM 2008 mit einer Überraschung auf. Ein Timo Hildebrand war nicht im Kader. Einer, der davor ewig der Kronprinz von Kahn und Lehmann darstellte, einer der die valencianische Legende Cañizares aus dem Tor verdrängte, der maßgeblichen Anteil hatte, dass deren Chaos Saison nicht in der totalen Katastrophe, dem Abstieg aus der Primera Division endete. Sportliche Gründe waren hier deutlich schwerer zu finden, vor allem wenn man seine Galapartien wie die gegen Barca beachtete.

Zwar nicht gerade ein tolles Ereignis, dennoch noch ok, vor allem wenn man bedenkt, was in nächster Zeit noch so alles geschehen wird.

Angeblich wollte Torsten Frings, jahrelang gemeinsam mit Ballack wichtigster Führer der Nationalmannschaft und ein verdienter Spieler plante nach der EM 08 seine Karriere in der DFB-Elf zu beenden. Löw überredete ihn, noch mind. 2 Jahre dran zu hängen, da er noch mit ihm plane und er weiter eine wichtige Rolle spielen werde. Im Januar 2010 und nach einer öffentlichen Schlammschlacht beendet der Jogi dann die Karriere des Torsten Frings auf Länderspielebene auf die wohl unschönste Art die es im Fußball gibt, statt ihm in einem seiner größten Momente als Vize-Europameister freiwillig die Segel streichen zu lassen.

Nun noch einmal zurück zu Kuranyi. Nach der WM im eigenen Lande blühte er noch einmal richtig auf, traf in Gelsenkirchen wie am Fließband und schaffte auch das Comeback in der Nationalmannschaft. Als ihm im Oktober 2008 nach einer Nichtberücksichtigung für den Spielkader die Sicherungen durchbrennen und er das Qualifikationsspiel gegen Russland einfach verlässt, wird er von Löw aus der Nationalmannschaft rausgeworfen. Auch wenn ihm „menschlich" vor der WM 2010 verziehen wird, so ist aus sportlichen Gründen dennoch kein Platz für den zweitbesten deutschen Torjäger 09/10 und Kuranyi verschwindet in der fußballerischen Versenkung.

Erneut ein kleiner Sprung in den April 2009. Nach einer Diskussion ohrfeigt Lukas Podolski seinen Kapitän für alle sichtbar mitten auf dem Platz. Der Capitano habe ihn in Halbzeit eins nicht richtig angespielt und sein taktisches Verhalten kritisiert. Von einer jämmerlich kleinen Geldstrafe zog die Aktion keinerlei Konsequenzen nach sich.
Kurz vor der WM in Südafrika verletzte sich dann unser Kapitän. Michael Ballack wurde aufgrund eines Fouls von Boateng seiner letzten großen Chance auf einen internationalen Titel beraubt. Also bekam Phillip Lahm die Binde, um uns zu Ruhm und Glorie am Kap der Guten Hoffnung zu führen. Vor dem Halbfinale fällt diesem auf einmal ein, er würde die Binde ja ganz gerne behalten. Als der verletzte Platzhirsch um seinen Posten kämpfte und der kleine Außenverteidiger weiterhin darauf beharrte die Binde zu behalten, war vom Bundestrainer für sehr lange Zeit kein Wort mehr zu hören. Um eine klare öffentliche Aussage drückte er sich sogar bis Juni 2011. Dann teilte er öffentlich mit, dass Ballack, der angeblich Ende März persönlich darüber informiert wurde, keine Zukunft mehr im DFB-Team habe und somit Lahm definitiv der Sieger im Kampf um die Binde bleibt.

Und nun verunglimpft der neue offizielle Capitano in seinem Buch nahezu alle Trainer die Lahm bisher hatte, sowie deren Methoden und plaudert desweiteren trotz eines bestehenden Ehrenkodexes Mannschaftsinterna aus. Konsequenzen wird es keine geben.

Löw will keine klassischen Führungsspieler mehr, er setzt auf eine flachere Hierarchie. Alle Spieler seien gleich, alle sollen Verantwortung übernehmen, das Team soll zusammen arbeiten und siegen. Doch ganz offensichtlich sind einige gleicher. Und hier liegt der große Unterschied. Ein Kuranyi wird für seine Flucht suspendiert. Podolski für eine handgreifliche Attacke gegen das eigene Team lediglich ermahnt. Frings und Ballack werden hinterrücks abgesägt und der Chance auf ein würdiges und verdientes Ende für ihre Laufbahn beraubt, da sie leeren Versprechen folgten bzw. Verletzungspech hatten. Lahm nutzt seine Machtposition gnadenlos aus, bricht trotz Vorbildfunktion offen mit moralischen Prinzipien wie Loyalität und Vertrauen und muss noch nicht einmal ansatzweise um eine schon auf schmutzige Art und Weise „erarbeitete" Kapitänsbinde fürchten.

Der feine Unterschied liegt also in der sportlichen Notwendigkeit, und der große Unterschied liegt in der Art der Bestrafung für verschieden schwere Vergehen, sowie in dem gigantischen Spalt zwischen (moralischem) Anspruch und Wirklichkeit.