18.03.2010 um 14:10 Uhr
Der lange Weg zur Normalität
Es ist mal wieder Paralympics-Zeit und damit eine Phase, in der die Scheinheiligkeit unter dem Deckmantel der Political Correctness fröhliche Urstände feiert. Eine Feststellung, die mindestens genauso politisch inkorrekt ist wie jedwede kritische Betrachtung der Behindertenspiele. Als jemand, der selbst behindert ist, besitzt man allerdings das Privileg, seine Meinung ganz unverblümt äußern zu können, ohne gleich in den Verdacht mangelnder Political Correctness zu geraten. Und genau dieses Privileg will ich mir an dieser Stelle zu Nutze machen.
Wenn man über Behindertensport spricht, beginnt man für gewöhnlich mit der Respektsbezeugung gegenüber den Athleten. Man lobt den bewundernswerten Sieg über Krankheit und Behinderung, kokettiert mit atemlosem Staunen und verfällt zumeist in eine Art ehrfürchtige Starre, wenn man mit devoten Attributen die psychische Kraft des Akteurs zu würdigen versucht.
Genau hier fängt das Problem aber bereits an. Denn die sportliche Leistung wird reflexartig in Beziehung zum individuellen Schicksal des Sportlers gesetzt. Kein Bericht kommt ohne Kurzabriss der jeweiligen Leidensgeschichte des Athleten aus. Die sportliche Leistung verkommt dabei schnell zum bloßen Vehikel für mitleidserregende Behindertenportraits.
Dabei erscheint es im Grunde genommen ja nur angemessen und geradezu respektvoll zu sein, den Sportler eben nicht nur als austauschbaren Leistungserbringer zu betrachten. Ähnliches mögen auch nichtbehinderte Sportler verlangen, wenn sie mehr Respekt für ihre Person einfordern. Andererseits manifestiert sich hier aber gerade der grundsätzliche und – aus heutiger Sicht – unüberwindbare Unterschied zwischen Behindertensport und den Leistungen Nichtbehinderter. Während man bei den einen wohlwollend über Misserfolge hinwegsieht, zählt bei den anderen nur das, "was hinten rauskommt".
Um nicht missverstanden zu werden: Die Leistungen der Aktiven bei den Paralympics verdienen große Anerkennung. Und gerade mir als Körperbehindertem, der selbst nicht in vergleichbarer Weise sportlich aktiv ist, nötigt es enormen Respekt ab, zu sehen, mit welch beispielgebender Energie behinderte Leistungssportler persönliche Rückschläge überwinden, um immer wieder neue Höchstleistungen abzuliefern. Umgekehrt gilt aber doch: Je stärker man sich in braven Demutsbekundungen verliert, desto verklärter wird der Blick auf den Sport an sich, der auch immer eine kritische Perspektive umfassen muss.
Denn es kann kein Zweifel bestehen: Kritik ist im Behindertensport nahezu tabuisiert. Ohne Kritik wird es aber niemals Normalität geben. Der Behindertensport wird so nie über den Status des verhätschelten Kindes hinauskommen. Ihm werden, aus Gründen menschlichen Respekts, auch in Zukunft Anerkennung und Aufmerksamkeit geschenkt. Wirklich ernst genommen im Sinne eines harten und leistungsorientierten Wettkampfs wird er aber nicht. Das ist die Realität, die man so offen ansprechen muss, auch wenn es dem einen oder anderen Athleten vielleicht weh tun mag.
Wer den Realitäten ins Auge sieht, wird auch an einer anderen unangenehmen Wahrheit nicht vorbeikommen: Behindertensport bietet in aller Regel eben nicht die gleiche Attraktivität wie der Leistungssport Nichtbehinderter. Das liegt allerdings weniger an der aufgrund des Handicaps geminderten Leistungsfähigkeit der Athleten. Andernfalls dürften Damenwettbewerbe auch niemals auf die gleiche Zuschauerresonanz treffen wie die entsprechenden Herrenveranstaltungen. Was, wie die Beispiele Biathlon oder Leichtathletik belegen, aber eben nicht zwangsläufig der Fall ist.
Das Problem des Behindertensports ist vielmehr struktureller Natur. Die Vielzahl der schwer zu klassifizierenden körperlichen Einschränkungen erfordert ein mitunter kompliziertes System aus Schadensklassen und Differenzierungen. So kann es, wie bei einem der Slalomläufe bei diesen Paralympics, zu dem kuriosen Fall kommen, dass ein Läufer als Zeitschnellster gleichwohl nicht zum Sieger gekürt wird – wegen spezieller Zeitgutschriften für andere Athleten. Darunter leidet die Transparenz – und damit letztlich auch die Attraktivität des Sports.
Andererseits will man dem individuellen Leistungsvermögen der Sportler aber so genau wie möglich Rechnung tragen. Die größte Herausforderung des Behindertensports dürfte denn auch in genau diesem Spagat zwischen Leistungsgerechtigkeit und Attraktivitätssteigerung liegen. Man darf gespannt sein, ob man diese Problematik irgendwann wird befriedigend lösen können.
Zuletzt noch ein letzter Gedankenanstoß aus der Sicht eines Behinderten: Vielleicht ist es manchmal besser, sich nicht zu sehr in das persönliche Schicksal des Einzelnen vertiefen zu wollen. So löblich es auch sein mag, sich auf die Lebensgeschichte eines Menschen einzulassen, so wenig dürfte es doch gelingen, den jeweiligen Lebensweg nachempfinden und bewerten zu können. Wahrscheinlich ist das eben auch gar nicht erforderlich.
Im Sinne der von allen Seiten angestrebten Normalität ist es vielmehr angesagt, einfach mal nur das zu bewerten, was man sieht, ohne notorisch das "Wie" und "Warum" hinterfragen zu wollen. Denn dies macht alles nur noch komplizierter. Und der Behindertensport ist von sich aus schon kompliziert genug.
Wenn man über Behindertensport spricht, beginnt man für gewöhnlich mit der Respektsbezeugung gegenüber den Athleten. Man lobt den bewundernswerten Sieg über Krankheit und Behinderung, kokettiert mit atemlosem Staunen und verfällt zumeist in eine Art ehrfürchtige Starre, wenn man mit devoten Attributen die psychische Kraft des Akteurs zu würdigen versucht.
Genau hier fängt das Problem aber bereits an. Denn die sportliche Leistung wird reflexartig in Beziehung zum individuellen Schicksal des Sportlers gesetzt. Kein Bericht kommt ohne Kurzabriss der jeweiligen Leidensgeschichte des Athleten aus. Die sportliche Leistung verkommt dabei schnell zum bloßen Vehikel für mitleidserregende Behindertenportraits.
Dabei erscheint es im Grunde genommen ja nur angemessen und geradezu respektvoll zu sein, den Sportler eben nicht nur als austauschbaren Leistungserbringer zu betrachten. Ähnliches mögen auch nichtbehinderte Sportler verlangen, wenn sie mehr Respekt für ihre Person einfordern. Andererseits manifestiert sich hier aber gerade der grundsätzliche und – aus heutiger Sicht – unüberwindbare Unterschied zwischen Behindertensport und den Leistungen Nichtbehinderter. Während man bei den einen wohlwollend über Misserfolge hinwegsieht, zählt bei den anderen nur das, "was hinten rauskommt".
Um nicht missverstanden zu werden: Die Leistungen der Aktiven bei den Paralympics verdienen große Anerkennung. Und gerade mir als Körperbehindertem, der selbst nicht in vergleichbarer Weise sportlich aktiv ist, nötigt es enormen Respekt ab, zu sehen, mit welch beispielgebender Energie behinderte Leistungssportler persönliche Rückschläge überwinden, um immer wieder neue Höchstleistungen abzuliefern. Umgekehrt gilt aber doch: Je stärker man sich in braven Demutsbekundungen verliert, desto verklärter wird der Blick auf den Sport an sich, der auch immer eine kritische Perspektive umfassen muss.
Denn es kann kein Zweifel bestehen: Kritik ist im Behindertensport nahezu tabuisiert. Ohne Kritik wird es aber niemals Normalität geben. Der Behindertensport wird so nie über den Status des verhätschelten Kindes hinauskommen. Ihm werden, aus Gründen menschlichen Respekts, auch in Zukunft Anerkennung und Aufmerksamkeit geschenkt. Wirklich ernst genommen im Sinne eines harten und leistungsorientierten Wettkampfs wird er aber nicht. Das ist die Realität, die man so offen ansprechen muss, auch wenn es dem einen oder anderen Athleten vielleicht weh tun mag.
Wer den Realitäten ins Auge sieht, wird auch an einer anderen unangenehmen Wahrheit nicht vorbeikommen: Behindertensport bietet in aller Regel eben nicht die gleiche Attraktivität wie der Leistungssport Nichtbehinderter. Das liegt allerdings weniger an der aufgrund des Handicaps geminderten Leistungsfähigkeit der Athleten. Andernfalls dürften Damenwettbewerbe auch niemals auf die gleiche Zuschauerresonanz treffen wie die entsprechenden Herrenveranstaltungen. Was, wie die Beispiele Biathlon oder Leichtathletik belegen, aber eben nicht zwangsläufig der Fall ist.
Das Problem des Behindertensports ist vielmehr struktureller Natur. Die Vielzahl der schwer zu klassifizierenden körperlichen Einschränkungen erfordert ein mitunter kompliziertes System aus Schadensklassen und Differenzierungen. So kann es, wie bei einem der Slalomläufe bei diesen Paralympics, zu dem kuriosen Fall kommen, dass ein Läufer als Zeitschnellster gleichwohl nicht zum Sieger gekürt wird – wegen spezieller Zeitgutschriften für andere Athleten. Darunter leidet die Transparenz – und damit letztlich auch die Attraktivität des Sports.
Andererseits will man dem individuellen Leistungsvermögen der Sportler aber so genau wie möglich Rechnung tragen. Die größte Herausforderung des Behindertensports dürfte denn auch in genau diesem Spagat zwischen Leistungsgerechtigkeit und Attraktivitätssteigerung liegen. Man darf gespannt sein, ob man diese Problematik irgendwann wird befriedigend lösen können.
Zuletzt noch ein letzter Gedankenanstoß aus der Sicht eines Behinderten: Vielleicht ist es manchmal besser, sich nicht zu sehr in das persönliche Schicksal des Einzelnen vertiefen zu wollen. So löblich es auch sein mag, sich auf die Lebensgeschichte eines Menschen einzulassen, so wenig dürfte es doch gelingen, den jeweiligen Lebensweg nachempfinden und bewerten zu können. Wahrscheinlich ist das eben auch gar nicht erforderlich.
Im Sinne der von allen Seiten angestrebten Normalität ist es vielmehr angesagt, einfach mal nur das zu bewerten, was man sieht, ohne notorisch das "Wie" und "Warum" hinterfragen zu wollen. Denn dies macht alles nur noch komplizierter. Und der Behindertensport ist von sich aus schon kompliziert genug.
Aufrufe: 4507 | Kommentare: 26 | Bewertungen: 29 | Erstellt:18.03.2010
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KOMMENTARE
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18.03.2010 | 14:40 Uhr
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Voegi :
@ midgetin der tat ist nur ein frommer wunsch. aber genau darum geht es ja: die wahrheit auszusprechen und sich keinen illusionen hinzugeben. es in dem sinne vielleicht der unendlich lange weg zu normalität.
wenn überhaupt, dann kann man diese normalität aber nur durch offenheit und aufrichtigkeit herstellen. genau das ist mein anliegen.
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18.03.2010 | 14:42 Uhr
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midget :
und das erkennt man und von daher sagte ich ja:toller blog. ich würde ja kritisieren wenn es was zu kritisieren gäbe.
ich habe ausnahmsweise deine intention mal verstanden ;)
auch wenn du jetzt wieder denkst ich will was von dir!
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18.03.2010 | 14:44 Uhr
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La_Pulga :
"Vielleicht ist es manchmal besser, sich nicht zu sehr in das persönliche Schicksal des Einzelnen vertiefen zu wollen."Word! Wenn man sich Behindertensport oder andere Sportarten ansieht, dann guckt man doch wegen den Leistungen die erbracht werden, der Sportart oder auch des Entertainments...
Das das dann im Fernsehen nicht ohne die persönlichen Hintergrundberichten geht, finde ich ehrlich gesagt auch ein wenig Schade, wobei ich sagen muss, dass ich mir die Paralympics im Prinzip ohnehin nicht anschaue, auch weil ich einfach nicht durchblicke.
Auf jeden Fall ein hervorragend kritischer Blog, ist dir gut gelungen!
@midget: Stimmt genau und das ist auch das Problem von solchen Shows wie DSDS, deswegen könnte ich keine Pizza essen während ich mir das angucke... Die käme mir wieder hoch, wenn die Leute da bei ihrem ersten Auftritt schon rumheulen aber ohne irgendwas zu können weiterkommen.
Nur letztendlich interessiert keinen, wer da Hartz IV empfängt und wessen Opa gestorben ist, deswegen bleibt auch jedesmal der Erflog aus!
Wo wir wieder bei den Paralympics wären, die Leistungen müssen bewertet werden wie sie sind und ohne Drumherum...
Doch ist das wohl absolut unrealistisch und wird nie passieren!
PS: RTL ist ein Dreckssender
PPS: 10 Punkte, Voegi!
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18.03.2010 | 14:45 Uhr
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Rheodred :
Klasse Blog!
Hatte schon das ein oder andere Mal ähnliche Gedanken -nicht sooo differenziert- und mich dagegen entschieden, darüber zu schreiben.
Ich war/bin der Meinung, dass es mir als Mneschen ohne Behinderung nicht zusteht.
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18.03.2010 | 14:48 Uhr
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La_Pulga :
@Rheodred: Versteh ich nicht, wieso sollte es mir nicht zustehen, über den Behindertensport zu urteilen oder zu diskutieren?!
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18.03.2010 | 14:53 Uhr
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midget :
@LaPulgaganz genau so sehe ich das auch! im bezug auf dieses dsds gedöns, hab das auch nur ins spiel gebracht weil ich vor kurzem einen kommentar im KStA darüber gelesen habe.
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18.03.2010 | 14:58 Uhr
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La_Pulga :
@midget: Ja, aber das passt als Übertragung tatsächlich ganz gut, denke ich..."KSTA", musste ich erstmal googlen, kannte ich gar nicht
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18.03.2010 | 15:00 Uhr
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xxlhonk :
Einfach nur Klasse.Und damit Normalität.
Bei Dir.
Und genau dieses "einfach normal" das Thema behandeln, ist es, was wünschenswert aber leider kein Standard in den Medien ist.
Ich sehe mir die Paralympics abends gerne an.
Aus sportlichen Gründen.
ich finde es mega, was dort an Leistungen gezeigt wird.
Mega.
Auch ohne, dass ich die "Geschichte" hinter der Geschichte kenne.
oder gar kennen muss.
Es sind einfach tolle sportliche Leistungen von Menschen.
Menschen, die vllt. körperlich nicht 100% der Norm entsprechen, die aber dennoch ihr Leben meistern.
Als wäre es das normalste von Der Welt.
und das ist es auch.
Für die Sportler, ihre Betreuer, Angehörigen und Freunde.
Und auch für mich als Zuschauer.
Und deshalb zolle ich den Sportler, wie allen anderen auch, meinen höchsten Respekt.
Stark, Voegi, ganz stark!
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Statistik
das thema ist aber in meinen augen ziemlich schwierig, zumindest was die transparenz angeht, da ja wie du schon sagtest mit zeitgutschriften etc. hantiert wird.
was den blick aufs wesentliche angeht, so liegt es doch in unserer gesellschaft, dass man die story hinter der story gerne beleuchtet und so teilweise stars geboren werden. die gesellschaft lechzt nach sensationen.
warum schauen die meisten zuschauer DSDS anstatt Raabs Oslo Show? weil der sender RTL, respektive Herr Bohlen, gerne kids nimmt, die eine story zu erzählen haben. Sei es dass die eltern schwer krank sind oder jemand aus dem knast kommt. das thrillt! das nervt!
von daher finde ich deinen ansatz ganz genau richtig, leider bleibt es ein frommer wunsch.
top blog, ganz großer voegi, in meinen augen!
ich mag das, wenn du etwas persönlicher wirst und nicht den LL roboter gibst.
sensationell, mein highlight am heutigen sonnigen donnerstag.