05.06.2008 um 00:16 Uhr
Deutschland wird Europameister..
Der offizielle Titel dieses Blogs lautet übrigens: Deutschland wird Europameister (aber nur vielleicht)
Tja, nun ist es also soweit. Die EM steht vor der Tür und jeder gibt seine Prognose ab. Fast 50 Prozent der Deutschen glauben an den Europameistertitel. Also bin jetzt auch ich an der Reihe mit einer Prognose. Das Problem dabei: Ich weiß nicht, wer Europameister wird und das mit dem Glauben ist so eine Sache.
Eine Erfahrung habe ich in meinem Job schon frühzeitig gemacht: Nämlich dass man immer weniger "glaubt", wenn man sich intensiv mit einer Sache befasst. Vorstellen, ja vorstellen kann ich mir viel. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Deutschland das Spiel gegen Polen nicht gewinnt. Ist gar nicht so schwer, ich sage nur "letzte WM" und "93. Minute". Und ich kann mir auch vorstellen, dass Deutschland gegen Kroatien baden geht. Hatten wir schließlich auch schon einmal und der Sieg der Kroaten in Wembley sollte jedem Warnung genug sein, diesen Gegner nicht zu unterschätzen. Und Österreich…na gut, da hört es dann doch auf. Schließlich hat Deutschland gerade erst gegen Österreich gespielt und sich alle Mühe gegeben, die Partie zu verlieren. Und dann doch 3:0 gewonnen.
Eins steht jedenfalls fest: Andere Mannschaften haben bessere Einzelspieler. Keine revolutionäre Erkenntnis, die gab es in dieser Woche auch schon aus dem deutschen Lager. Man muss sich nur einmal anschauen, wenn Frankreich und Spanien so ins Rennen schicken. Auch Portugal, Italien und die Niederlande stehen personell sicher nicht schlechter da als Deutschland. Aber die besten Einzelspieler ergeben nicht unbedingt die beste Mannschaft. Ganz besonders nicht, wenn es sich um Nationalteams handelt, die zwangsläufig nicht so viel Zeit miteinander verbringen können und deshalb auch nicht so eingespielt sind wie die besten Klubmannschaften.
Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die anderen keine besseren Trainer haben als die Deutschen. Früher galt ja im deutschen Lager oft die Regel: Bloß nichts verändern. Die Erfolgsrezepte der Vergangenheit wurden so lange wiedergekäut, bis die Ergebnisse (WM 94, WM 98) jedem vor Augen führten, dass eine Veränderung unumgänglich ist. Und trotzdem hat es eine ganze Weile gedauert, bis der Groschen auch beim DFB gefallen war. Heute wird jede Möglichkeit, die Mannschaft zu verbessern, vom Trainerstab auch genutzt und nichts mit dem Argument "Moderner Quatsch, brauchen wir nicht" weg gewischt. Löw hat seine Philosophie und sein System und das Ganze passt auch zum Spielermaterial.
Bei den Franzosen bin ich mir da zum Beispiel nicht so sicher. Raymond Domenech hat möglicherweise die talentierteste Truppe der EM. In der Offensive stehen ihm unter anderem Ribéry, Benzema, Henry, Anelka oder Malouda zur Verfügung. Da liegt es doch auf der Hand, dass der Trainer auf Defensive setzt, oder? Unglaublich, dass sich die Franzosen schwer tun, Tore zu erzielen. In den Niederlanden versucht Trainer Marco Van Basten eine Abkehr von "totalen Fußball" der seit Johan Cruyff das Markenzeichen des holländischen Spiels war. Doch die Umstellung verläuft alles andere als reibungslos. Viele Probleme der anderen Teilnehmer erscheinen also selbst gemacht.
Und die deutschen Probleme? Fast kommt es mir wie eine Schallplatte mit Sprung vor (die älteren unter Euch werden sich noch an Schallplatten erinnern). Wieder ein großes Turnier, wieder diskutieren wir vorher über die Torhüter und die Abwehr. Zugegeben, die Themenlage hat sich bei den Torhütern im Vergleich zur WM verändert, aber die Abwehr macht jetzt die gleichen Fehler wie damals. Und sie wird sie vermutlich genauso wie 2006 in den Griff bekommen. Gedanken würde ich mir über etwas ganz anderes machen. Über das offensive Mittelfeld nämlich. Da wo, die Personaldecke am dünnsten und das Leistungsgefälle am größten ist fehlen uns Bernd Schneider und Bastian Schweinsteiger. Zumindest der Schweinsteiger von vor zwei Jahren. Sein Nachfolger hat leider nach schwacher Saison beim FC Bayern seine Formkrise ins Nationalteam hinübergerettet. Im deutschen System (ohne Spieler auf der Zehnerposition) ist Kreativität von den offensiven Außenpositionen jedoch leider eine Grundvoraussetzung. Vielleicht ist Podolski links ja tatsächlich eine gute Variante, aber nur vorausgesetzt, er verrichtet auch seine Defensivarbeit.
Aber selbst wenn alle Stricke reißen, es gibt da ja noch unseren größten Trumpf. Das Losglück nämlich. Jetzt mal im Ernst. Wir müssten uns doch eigentlich schämen, oder? Mit Österreich, Kroatien und Polen haben wir (schon fast traditionell) die auf dem Papier leichteste Gruppe erwischt. Aber damit noch nicht genug. Zusammen mit Gruppe A bilden wir eine Hälfte des Tableaus, und die stellt einen der beiden Finalisten. In Gruppe A spielen: Schweiz, Tschechien, Portugal und die Türkei. Allesamt respektable Gegner, keine Frage. Aber in der anderen Tableauhälfte stehen Italien, Frankreich, die Niederlande und Spanien. Keinen dieser Gegner bekommt das deutsche Team vor dem Finale zu sehen. Wen auch immer wir bestechen mussten, um eine derart günstige Auslosung zu bekommen, wir haben es offensichtlich gründlich gemacht.
Trotzdem: Gewonnen haben wir noch nichts. Und eine Prognose bleibt schwer bis unmöglich. Wer die Europameisterschaften 1992 (zur Erinnerung: Sieger Dänemark) und 2004 (sicher noch präsent: Sieger Griechenland) miterlebt hat. kann sich doch heute kaum hinstellen und im Brustton der Überzeugung verkünden: Deutschland wird Europameister. Das waren schließlich zwei Fußballwunder, die wirklich niemand vorhergesagt hatte. Passiert also offenbar ziemlich oft, mit diesen Wundern im Fußball. Und deshalb lege ich mich nach langem Hin- und Herüberlegen fest auf: Deutschland hat eine Chance. Nicht mehr, aber immerhin auch nicht weniger.
Bis bald,
Andreas
Tja, nun ist es also soweit. Die EM steht vor der Tür und jeder gibt seine Prognose ab. Fast 50 Prozent der Deutschen glauben an den Europameistertitel. Also bin jetzt auch ich an der Reihe mit einer Prognose. Das Problem dabei: Ich weiß nicht, wer Europameister wird und das mit dem Glauben ist so eine Sache.
Eine Erfahrung habe ich in meinem Job schon frühzeitig gemacht: Nämlich dass man immer weniger "glaubt", wenn man sich intensiv mit einer Sache befasst. Vorstellen, ja vorstellen kann ich mir viel. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Deutschland das Spiel gegen Polen nicht gewinnt. Ist gar nicht so schwer, ich sage nur "letzte WM" und "93. Minute". Und ich kann mir auch vorstellen, dass Deutschland gegen Kroatien baden geht. Hatten wir schließlich auch schon einmal und der Sieg der Kroaten in Wembley sollte jedem Warnung genug sein, diesen Gegner nicht zu unterschätzen. Und Österreich…na gut, da hört es dann doch auf. Schließlich hat Deutschland gerade erst gegen Österreich gespielt und sich alle Mühe gegeben, die Partie zu verlieren. Und dann doch 3:0 gewonnen.
Eins steht jedenfalls fest: Andere Mannschaften haben bessere Einzelspieler. Keine revolutionäre Erkenntnis, die gab es in dieser Woche auch schon aus dem deutschen Lager. Man muss sich nur einmal anschauen, wenn Frankreich und Spanien so ins Rennen schicken. Auch Portugal, Italien und die Niederlande stehen personell sicher nicht schlechter da als Deutschland. Aber die besten Einzelspieler ergeben nicht unbedingt die beste Mannschaft. Ganz besonders nicht, wenn es sich um Nationalteams handelt, die zwangsläufig nicht so viel Zeit miteinander verbringen können und deshalb auch nicht so eingespielt sind wie die besten Klubmannschaften.
Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die anderen keine besseren Trainer haben als die Deutschen. Früher galt ja im deutschen Lager oft die Regel: Bloß nichts verändern. Die Erfolgsrezepte der Vergangenheit wurden so lange wiedergekäut, bis die Ergebnisse (WM 94, WM 98) jedem vor Augen führten, dass eine Veränderung unumgänglich ist. Und trotzdem hat es eine ganze Weile gedauert, bis der Groschen auch beim DFB gefallen war. Heute wird jede Möglichkeit, die Mannschaft zu verbessern, vom Trainerstab auch genutzt und nichts mit dem Argument "Moderner Quatsch, brauchen wir nicht" weg gewischt. Löw hat seine Philosophie und sein System und das Ganze passt auch zum Spielermaterial.
Bei den Franzosen bin ich mir da zum Beispiel nicht so sicher. Raymond Domenech hat möglicherweise die talentierteste Truppe der EM. In der Offensive stehen ihm unter anderem Ribéry, Benzema, Henry, Anelka oder Malouda zur Verfügung. Da liegt es doch auf der Hand, dass der Trainer auf Defensive setzt, oder? Unglaublich, dass sich die Franzosen schwer tun, Tore zu erzielen. In den Niederlanden versucht Trainer Marco Van Basten eine Abkehr von "totalen Fußball" der seit Johan Cruyff das Markenzeichen des holländischen Spiels war. Doch die Umstellung verläuft alles andere als reibungslos. Viele Probleme der anderen Teilnehmer erscheinen also selbst gemacht.
Und die deutschen Probleme? Fast kommt es mir wie eine Schallplatte mit Sprung vor (die älteren unter Euch werden sich noch an Schallplatten erinnern). Wieder ein großes Turnier, wieder diskutieren wir vorher über die Torhüter und die Abwehr. Zugegeben, die Themenlage hat sich bei den Torhütern im Vergleich zur WM verändert, aber die Abwehr macht jetzt die gleichen Fehler wie damals. Und sie wird sie vermutlich genauso wie 2006 in den Griff bekommen. Gedanken würde ich mir über etwas ganz anderes machen. Über das offensive Mittelfeld nämlich. Da wo, die Personaldecke am dünnsten und das Leistungsgefälle am größten ist fehlen uns Bernd Schneider und Bastian Schweinsteiger. Zumindest der Schweinsteiger von vor zwei Jahren. Sein Nachfolger hat leider nach schwacher Saison beim FC Bayern seine Formkrise ins Nationalteam hinübergerettet. Im deutschen System (ohne Spieler auf der Zehnerposition) ist Kreativität von den offensiven Außenpositionen jedoch leider eine Grundvoraussetzung. Vielleicht ist Podolski links ja tatsächlich eine gute Variante, aber nur vorausgesetzt, er verrichtet auch seine Defensivarbeit.
Aber selbst wenn alle Stricke reißen, es gibt da ja noch unseren größten Trumpf. Das Losglück nämlich. Jetzt mal im Ernst. Wir müssten uns doch eigentlich schämen, oder? Mit Österreich, Kroatien und Polen haben wir (schon fast traditionell) die auf dem Papier leichteste Gruppe erwischt. Aber damit noch nicht genug. Zusammen mit Gruppe A bilden wir eine Hälfte des Tableaus, und die stellt einen der beiden Finalisten. In Gruppe A spielen: Schweiz, Tschechien, Portugal und die Türkei. Allesamt respektable Gegner, keine Frage. Aber in der anderen Tableauhälfte stehen Italien, Frankreich, die Niederlande und Spanien. Keinen dieser Gegner bekommt das deutsche Team vor dem Finale zu sehen. Wen auch immer wir bestechen mussten, um eine derart günstige Auslosung zu bekommen, wir haben es offensichtlich gründlich gemacht.
Trotzdem: Gewonnen haben wir noch nichts. Und eine Prognose bleibt schwer bis unmöglich. Wer die Europameisterschaften 1992 (zur Erinnerung: Sieger Dänemark) und 2004 (sicher noch präsent: Sieger Griechenland) miterlebt hat. kann sich doch heute kaum hinstellen und im Brustton der Überzeugung verkünden: Deutschland wird Europameister. Das waren schließlich zwei Fußballwunder, die wirklich niemand vorhergesagt hatte. Passiert also offenbar ziemlich oft, mit diesen Wundern im Fußball. Und deshalb lege ich mich nach langem Hin- und Herüberlegen fest auf: Deutschland hat eine Chance. Nicht mehr, aber immerhin auch nicht weniger.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 4389 | Kommentare: 12 | Bewertungen: 8 | Erstellt:05.06.2008
ø 7.5
KOMMENTARE
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06.06.2008 | 01:08 Uhr
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thewho : @ katalane 19
Komisch, genau das ist es was ich bei jedem Turnier über die Spanier sageHab übrigens mit meiner Aussage über Spanien seit ich lebe immer Recht gehabt.
Wie siehts mit deiner aus?
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Ich bleibe dabei. In der "Todesgruppe C" wird es eine überraschung geben. Es werden nicht nur einer, sondern gleich zwei Topfavoriten ausscheiden - nämlich Italien und Frankreich. Die Rumänen werden sich, für viele überraschend, für das Viertelfinale qualifizieren. Die werden nämlich gnadenlos unterschätzt.
Im übrigen hat Löw insgesamt eine sehr variable Mannschaft beisammen, mit der er taktisch exzellente Möglichkeiten hat. Lassen wir uns da einfach mal überraschen. Ich denke, die deutsche Mannschaft wird durchaus, auch aufgrund der günstigen Auslosung, ein gewichtiges Wort um den Titel mitreden.