19.02.2009 um 14:51 Uhr
Die Revolution wurde verschoben
Jürgen Klinsmann ist beim FC Bayern München angetreten, um das Flaggschiff des deutschen Fußballs zu verändern. Die zuletzt nur noch national erfolgreichen Münchener sollten vom deutschen ex-Nationaltrainer auf Vordermann gebracht und international wieder konkurrenzfähig gemacht werden. Nichts weniger als eine Fußball-Revolution war uns angekündigt worden.
Und es gab gute fußballerische Gründe für Klinsmanns Verpflichtung. Den Bayern waren nämlich in den letzten Jahren international mehrmals böse die Grenzen aufgezeigt worden. Im eigenen Land stellte die FCB-Abwehr in der Vorsaison einen neuen Rekord für die wenigsten Gegentore in einer Saison auf. Im UEFA Cup setzte es in St. Petersburg vier und in Getafe drei Gegentore. In Getafe! Es musste etwas geschehen. Und Klinsmann war der Richtige. Vielleicht ist er das ja auch weiterhin. Aber nach acht Monaten Fußball unter Klinsmann muss man eins festhalten: Die Revolution hat nicht stattgefunden.
Um mit den Veränderungen im europäischen Spitzenfußball Schritt zu halten, müssen viele Klubs in Deutschland zwei Entwicklungsschritte machen. Erstens: Das mannschaftstaktische Defensivverhalten muss verbessert werden. Zu lange haben wir uns in Deutschland an Individualisten ergötzt, die nach vorne zaubern, aber sich defensiv darauf verlassen, dass die anderen die Arbeit verrichten. Das ist heute nicht mehr zeitgemäß. Nicht umsonst hat Kevin-Prince Boateng seine Zeit in England neulich sinngemäß so zusammengefasst: Als Mittelfeldspieler aus der Bundesliga müsse man in der Premier League erst einmal lernen, defensiv zu denken. Wer es nicht glaubt: Die technische Kommission des DFB hat die Spiele der Fußball-EM im vergangenen Sommer analysiert. Und festgestellt, dass es im ganzen Turnier keinen einzigen Spieler gab, der von Defensivaufgaben befreit war.
Zweitens: Hat man die Abwehr gestärkt, dann gilt es, das eigene Offensivspiel aus dieser verbesserten Defensive zu fördern. Zum Beispiel durch schnelles Umschalten nach gegnerischen Ballverlusten, die man durch kompaktes Abwehrverhalten selbst erzeugt hat. So wird die Defensive zum ersten Schritt im Angriffsspiel. Und dann muss es schnell und direkt nach vorne gehen.
Nehmen wir mal das Beispiel Hertha BSC Berlin. Die dümpelten im Mittelfeld herum, bevor sie im vergangenen Sommer Lucien Favre verpflichteten. Und der machte sich daran, die komplette Mannschaft umzukrempeln. Die Hertha heute hat mit dem Team vor zwei Jahren kaum mehr als den Vereinsnamen gemein. Favre machte mit seiner Mannschaft Entwicklungsschritt Nummer eins: Das Stärken der eigenen Defensive. Wer dabei nicht mitzog, der musste gehen. Und gehen mussten viele. Mittlerweile ist dieser Teil der Operation gelungen. Die Berliner stehen defensiv gut und kassieren wenig Gegentore. Und produzieren dabei gerade genug Offensive, um erfolgreich zu sein. Schön anzuschauen ist das nicht immer (wie Fans der Hertha vermutlich offen zugeben werden), aber es funktioniert. Und den zweiten Schritt in der Entwicklung versucht man dann in der nächsten Saison.
Auch der FC Bayern hätte diesen Entwicklungsschritt in dieser Saison machen sollen. Aber wenn ich mir die Bayern anschaue, dann stelle ich fest: Auf dem Platz hat sich kaum etwas geändert. Das zentrale Mittelfeld ist mit einem ex-Flügelspieler (Zé Roberto) und einem Mann besetzt, den man früher als „Achter" bezeichnet hätte (Van Bommel). Ein echter Defensivspezialist ist nicht darunter. Und Ribéry auf links macht defensiv kaum mehr als bis kurz hinter die Mittellinie zurückzutraben und von dort Phillip Lahm zuzuschauen, wie er sich oft mehrerer Gegenspieler erwehren muss. „Kompakt verteidigen" sieht anders aus.
Wenn das Mittelfeld die Gegenspieler laufen lässt, dann sieht die Abwehr schlecht aus. Kein Wunder: Statistisch gesehen gewinnen die besten Spieler etwa 70 Prozent ihrer Zweikämpfe. Das sind fast immer Innenverteidiger, weil es bei denen zum „Zweikampf gewinnen" schon ausreicht, dem Gegner den Ball wegzuspitzeln. Ein Offensivspieler muss dagegen einen Gegner umdribbeln, um einen gewonnenen Zweikampf zu verbuchen. 70 Prozent heißt aber auch, dass die besten Verteidiger fast ein Drittel ihrer Zweikämpfe verlieren. Müssen sie zu viele davon bestreiten, dann gibt es Gegentore.
Deshalb soll das Mittelfeld als Schutzschild vor der Abwehr fungieren. Muss ein Offensiver zwei Gegner umspielen statt einem, dann sinken seine Chancen rapide. Da ist Fußball eben nur Mathematik auf ganz niedrigem Niveau. Und oft genug reicht es ja schon, wenn die Mittelfeldspieler vor der Abwehr durch ihre bloße Anwesenheit dem Gegner Passwege zustellen. Prompt hat es die Viererkette deutlich leichter. All das funktioniert natürlich nicht, wenn Ribéry an der Mittellinie nur den interessierten Beobachter gibt.
Warum aber gelang es Favre in Berlin, die Defensivarbeit seiner Truppe zu verbessern, während Klinsmann in München anscheinend aufgegeben hat? Nun, Favre übernahm eine bestenfalls mäßig erfolgreiche Truppe mit wenigen Stars. Da kann man wesentlich leichter eine Komplettoperation am Kader unternehmen als beim amtierenden Meister. Wo vorher kein Erfolg war, ist die Bereitschaft zur Veränderung größer. Und wer nicht mitzieht, der muss eben gehen.
Man stelle sich so etwas in München vor. Das käme einem nationalen Notstand gleich. Klinsmanns Versuche, die Spielweise der Mannschaft zu Saisonbeginn zu verändern, wurden von den Spielern nicht angenommen. Denn als amtierender Meister hatte man ja Erfolg gehabt. Und schon war die Bereitschaft zur Veränderung nicht da. Und jetzt betreibe ich mal ein bisschen Ferndiagnose: Die Ergebnisse stimmten nicht, also hat vermutlich der Manager dem Trainer geraten, weniger forsch auf Umstellungen zu drängen. Zu viele schlechte Ergebnisse hätten nämlich alle Saisonziele in Frage gestellt und einen unvergleichlichen Wirbel in den Medien heraufbeschworen. Die Revolution wurde also verschoben, mit dem Resultat, dass sich auf dem Platz bei Bayern wenig verändert hat und die Spieler gönnerhaft konstatierten, dass der Trainer ja noch jung sei und vielleicht zu viel gewollt habe.
Der Wandel muss trotzdem kommen. Nun eben in kleinen Schritten. Beispiel: Im Sommer wird der defensiv starke Tymoshchuk kommen und Van Bommel wohl gehen. Aber aktuell ist der FC Bayern für die entscheidende Phase im internationalen Wettbewerb ungefähr so gut gerüstet wie in der Vorsaison. Und das kann nur bedeuten: Gegen Sporting Lissabon reicht es vielleicht noch, aber danach braucht man schon viel Losglück. Denn gegen die europäische Elite wird der FC Bayern auch in dieser Saison keine Chance haben, weil die Defensivmängel gnadenlos aufgedeckt werden. Die Revolution in München wurde verschoben, um den kurzfristigen (nationalen) Erfolg nicht zu gefährden. International hat der FC Bayern so aber ein Jahr verschleudert.
Bis bald,
Andreas
Und es gab gute fußballerische Gründe für Klinsmanns Verpflichtung. Den Bayern waren nämlich in den letzten Jahren international mehrmals böse die Grenzen aufgezeigt worden. Im eigenen Land stellte die FCB-Abwehr in der Vorsaison einen neuen Rekord für die wenigsten Gegentore in einer Saison auf. Im UEFA Cup setzte es in St. Petersburg vier und in Getafe drei Gegentore. In Getafe! Es musste etwas geschehen. Und Klinsmann war der Richtige. Vielleicht ist er das ja auch weiterhin. Aber nach acht Monaten Fußball unter Klinsmann muss man eins festhalten: Die Revolution hat nicht stattgefunden.
Um mit den Veränderungen im europäischen Spitzenfußball Schritt zu halten, müssen viele Klubs in Deutschland zwei Entwicklungsschritte machen. Erstens: Das mannschaftstaktische Defensivverhalten muss verbessert werden. Zu lange haben wir uns in Deutschland an Individualisten ergötzt, die nach vorne zaubern, aber sich defensiv darauf verlassen, dass die anderen die Arbeit verrichten. Das ist heute nicht mehr zeitgemäß. Nicht umsonst hat Kevin-Prince Boateng seine Zeit in England neulich sinngemäß so zusammengefasst: Als Mittelfeldspieler aus der Bundesliga müsse man in der Premier League erst einmal lernen, defensiv zu denken. Wer es nicht glaubt: Die technische Kommission des DFB hat die Spiele der Fußball-EM im vergangenen Sommer analysiert. Und festgestellt, dass es im ganzen Turnier keinen einzigen Spieler gab, der von Defensivaufgaben befreit war.
Zweitens: Hat man die Abwehr gestärkt, dann gilt es, das eigene Offensivspiel aus dieser verbesserten Defensive zu fördern. Zum Beispiel durch schnelles Umschalten nach gegnerischen Ballverlusten, die man durch kompaktes Abwehrverhalten selbst erzeugt hat. So wird die Defensive zum ersten Schritt im Angriffsspiel. Und dann muss es schnell und direkt nach vorne gehen.
Nehmen wir mal das Beispiel Hertha BSC Berlin. Die dümpelten im Mittelfeld herum, bevor sie im vergangenen Sommer Lucien Favre verpflichteten. Und der machte sich daran, die komplette Mannschaft umzukrempeln. Die Hertha heute hat mit dem Team vor zwei Jahren kaum mehr als den Vereinsnamen gemein. Favre machte mit seiner Mannschaft Entwicklungsschritt Nummer eins: Das Stärken der eigenen Defensive. Wer dabei nicht mitzog, der musste gehen. Und gehen mussten viele. Mittlerweile ist dieser Teil der Operation gelungen. Die Berliner stehen defensiv gut und kassieren wenig Gegentore. Und produzieren dabei gerade genug Offensive, um erfolgreich zu sein. Schön anzuschauen ist das nicht immer (wie Fans der Hertha vermutlich offen zugeben werden), aber es funktioniert. Und den zweiten Schritt in der Entwicklung versucht man dann in der nächsten Saison.
Auch der FC Bayern hätte diesen Entwicklungsschritt in dieser Saison machen sollen. Aber wenn ich mir die Bayern anschaue, dann stelle ich fest: Auf dem Platz hat sich kaum etwas geändert. Das zentrale Mittelfeld ist mit einem ex-Flügelspieler (Zé Roberto) und einem Mann besetzt, den man früher als „Achter" bezeichnet hätte (Van Bommel). Ein echter Defensivspezialist ist nicht darunter. Und Ribéry auf links macht defensiv kaum mehr als bis kurz hinter die Mittellinie zurückzutraben und von dort Phillip Lahm zuzuschauen, wie er sich oft mehrerer Gegenspieler erwehren muss. „Kompakt verteidigen" sieht anders aus.
Wenn das Mittelfeld die Gegenspieler laufen lässt, dann sieht die Abwehr schlecht aus. Kein Wunder: Statistisch gesehen gewinnen die besten Spieler etwa 70 Prozent ihrer Zweikämpfe. Das sind fast immer Innenverteidiger, weil es bei denen zum „Zweikampf gewinnen" schon ausreicht, dem Gegner den Ball wegzuspitzeln. Ein Offensivspieler muss dagegen einen Gegner umdribbeln, um einen gewonnenen Zweikampf zu verbuchen. 70 Prozent heißt aber auch, dass die besten Verteidiger fast ein Drittel ihrer Zweikämpfe verlieren. Müssen sie zu viele davon bestreiten, dann gibt es Gegentore.
Deshalb soll das Mittelfeld als Schutzschild vor der Abwehr fungieren. Muss ein Offensiver zwei Gegner umspielen statt einem, dann sinken seine Chancen rapide. Da ist Fußball eben nur Mathematik auf ganz niedrigem Niveau. Und oft genug reicht es ja schon, wenn die Mittelfeldspieler vor der Abwehr durch ihre bloße Anwesenheit dem Gegner Passwege zustellen. Prompt hat es die Viererkette deutlich leichter. All das funktioniert natürlich nicht, wenn Ribéry an der Mittellinie nur den interessierten Beobachter gibt.
Warum aber gelang es Favre in Berlin, die Defensivarbeit seiner Truppe zu verbessern, während Klinsmann in München anscheinend aufgegeben hat? Nun, Favre übernahm eine bestenfalls mäßig erfolgreiche Truppe mit wenigen Stars. Da kann man wesentlich leichter eine Komplettoperation am Kader unternehmen als beim amtierenden Meister. Wo vorher kein Erfolg war, ist die Bereitschaft zur Veränderung größer. Und wer nicht mitzieht, der muss eben gehen.
Man stelle sich so etwas in München vor. Das käme einem nationalen Notstand gleich. Klinsmanns Versuche, die Spielweise der Mannschaft zu Saisonbeginn zu verändern, wurden von den Spielern nicht angenommen. Denn als amtierender Meister hatte man ja Erfolg gehabt. Und schon war die Bereitschaft zur Veränderung nicht da. Und jetzt betreibe ich mal ein bisschen Ferndiagnose: Die Ergebnisse stimmten nicht, also hat vermutlich der Manager dem Trainer geraten, weniger forsch auf Umstellungen zu drängen. Zu viele schlechte Ergebnisse hätten nämlich alle Saisonziele in Frage gestellt und einen unvergleichlichen Wirbel in den Medien heraufbeschworen. Die Revolution wurde also verschoben, mit dem Resultat, dass sich auf dem Platz bei Bayern wenig verändert hat und die Spieler gönnerhaft konstatierten, dass der Trainer ja noch jung sei und vielleicht zu viel gewollt habe.
Der Wandel muss trotzdem kommen. Nun eben in kleinen Schritten. Beispiel: Im Sommer wird der defensiv starke Tymoshchuk kommen und Van Bommel wohl gehen. Aber aktuell ist der FC Bayern für die entscheidende Phase im internationalen Wettbewerb ungefähr so gut gerüstet wie in der Vorsaison. Und das kann nur bedeuten: Gegen Sporting Lissabon reicht es vielleicht noch, aber danach braucht man schon viel Losglück. Denn gegen die europäische Elite wird der FC Bayern auch in dieser Saison keine Chance haben, weil die Defensivmängel gnadenlos aufgedeckt werden. Die Revolution in München wurde verschoben, um den kurzfristigen (nationalen) Erfolg nicht zu gefährden. International hat der FC Bayern so aber ein Jahr verschleudert.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 12254 | Kommentare: 37 | Bewertungen: 35 | Erstellt:19.02.2009
ø 9.7
KOMMENTARE
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20.02.2009 | 14:33 Uhr
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LU_Town :
@schnipo: Ich denke der Spruch passt trotzdem nicht. Finde auch den Spruch "Angriff ist die Beste Verteidigung" unpassend!
Angreiffen ja, aber kontrolliert, kein kopfloser Angriff und nach vorne stürmen, denn dann gehst du unter, vor allem gegen starke Teams, die diese Fehler gnadenlos ausnutzen! Finde also beide Sprüche unpassend, jedem das seine
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21.02.2009 | 17:12 Uhr
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22.02.2009 | 04:00 Uhr
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Red_7 : xxlhonk
Also meinen Segen für den UEFA Cup habt ihr. Allerdings wird das noch ein langer Weg. 0
22.02.2009 | 18:37 Uhr
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BayernMunich : ich
weiß nicht, ob klinsmann das genauso sieht, mit difendsive stärkenist dch nicht so ganz logisch, klinsmann hatte immer gemeint, die offensive verbessern zu müssen, nie , die eh schon recht starke defensive zu verbsesern
die ggtore im uefa cup nimmt doch keiner ernst, das war einfach uefa cup, so hart das klingt.
und wer zweifelt, dass bayern gg sporting weiterkommt, der tut mir schon sehr leid, es geht da auch viel um überheblichkeit. grundsätzlich find ich den blog aber auch gut, nur der punkt, dass klingsamnn die defensive zunächst stärken wollte, scheint mir völlig aus der luft gegriffen zu sein. hätte er es wollen,würde es heute wol besser aussehen.
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Statistik
National kann man davon ausgehen, dass die Bayern die Meisterschaft holen, sollten aber in der CL. Kracher wie Barca oder Manchester U. kommen sieht es schon düster aus.
Man braucht sich nur im letzten Jahr die K.O.-Spiele anschauen wie viele Tore die Abwehrreihen zugelassen haben.