Real Madrid hat es endlich geschafft. Trotz Millionen-Ausgaben und einer Reihe von Star-Trainern hat es zwölf Jahre gedauert: das Erreichen des Champions League Finales. Die 00er Jahre sollten nach dem Sieg 2002 ein goldenes Zeitalter werden, mit zwei großen Transfer-Wellen schuf Perez kostspielige Rahmenbedingungen, um eine ähnliche Dominanz zu kreieren wie in den 50ern mit Puskas und Gento.
Wechselnde Philosophien, verschiedene Trainer und differente Ideen der Gestaltung des gemeinsamen Weges konterkarierten den gewünschten Erfolg in der Königsklasse. Jetzt, 2014, haben die Königlichen endlich wieder den Finaleinzug vollbracht und zeigen dabei das Grundgerüst eines jeden Erfolges: Identität. Der Architekt der Mannschaft, die das erreicht hat, was den Elite-Kadern in den Jahren zuvor nicht gelang, ist Carlo Ancelotti, der es durch den Sieg im innerstädtischen Finale gegen Atletico endgültig in den Olymp der Trainer-Legenden schaffen kann. Der italienische Taktiker hat Mourinhos Defensivstrukturen verfeinert und sie als Fundament für eine Ausrichtung gemacht, die kürzlich den FC Bayern eindrucksvoll in seine Schranken verwiesen hat.
Elementar sind dabei die Umschulung eines Argentiniers, ein kleiner Kroate und jenes Charakteristikum, mit dem man das Real Madrid 2014 noch in Jahren verbinden wird: Konterfußball in Perfektion.
Neu-Justierung der Mourinho-Ausrichtung
Auf dem Papier läuft Real in einem 4-3-3 auf. Ramos organisiert in der Viererkette den technisch versierten Aufbau und streut schnelle Anspiele auf die Außen und Diagonalbälle ein. Nebenmann Pepe ist der Mann fürs Grobe. Der Portugiese ist trotz unkonventioneller Methoden ein wichtiger Baustein in Ancelottis Idee des Konterns. Denn oft ist es der beinharte Innenverteidiger, der aufgrund seiner Zweikampfstärke den Gegenstoß einleitet. Beide Außenverteidiger schieben konsequent nach vorne. Nicht selten befinden sie sich bei Kontern auf gleicher Höhe wie Benzema oder Ronaldo.
Zentrum der madrilenischen Taktik ist aber eines der spannendsten taktischen Konstrukte der Gegenwart: Das Dreiergespann im Mittelfeld.
Unter Mou spielte an der Seite des Strategen Alonso mit Sami Khedira ein Box-to-Box-Player mit hohem Laufpensum. Die Rollen waren klar abgesteckt, vor dem Gespann spielten mit Ronaldo, Özil und di Maria drei Akteure, deren Kernkompetenzen wahrlich nicht in der Defensive lagen, wie das Halbfinal-Hinspiel gegen den BVB schmerzlich verdeutlichte - Stellschrauben, die Ancelotti neu justiert hat. Trotz des Isco-Transfers, der als designierter Özil-Erbe, Gesicht des neuen Madrids werden sollte, spielt Real ohne Zehner. Stattdessen hat Ancelotti seinem Strategen Alonso zwei Spieler an die Seite gestellt, die in dieser Funktion vor der Saison wahrlich nicht zu erwarten waren.
Di Marias Transformation
Links in der Zentrale spielt Angel di Maria. Der Argentinier deutete in den letzten Jahren an, dass er das Rüstzeug zum Weltklasse-Spieler hat. Auf der rechten Außenbahn wirbelte er teils spektakulär. Einzig Konstanz und die im modernen Fußball jedem Spieler zugehörigen Defensiv-Aufgaben waren mangelhaft. In seiner neuen Rolle widerlegt er diese beiden Kritikpunkte an seinem Spiel eindrucksvoll. Mit einer bis dato noch nicht gekannten Spielintelligenz manifestiert er den Prototypen eines modernen Mittelfeldspielers. Er ist extrem gedankenschnell, schließt intuitiv Lücken und besitzt sowohl offensiv, als auch defensiv einen hohen individuellen Wert, ohne das taktische Gesamtgefüge aus den Augen zu verlieren. Die Transformation des Argentiniers vom ballverliebten Flügelstürmer zum reifen Achter mit optimaler Dosierung seiner Dribblings und klarer Raumdeutung verlief derart rasant, dass man Ancelotti durchaus als taktischen Riesen zelebrieren darf.
Chirurg Modric
Noch wichtiger für den Erfolg der Madrilenen als die Umschulung di Marias ist der zweite Achter, der die rechte Seite von Alonso bekleidet: Luka Modric, der in aktueller Form der wohl beste Mittelfeldspieler der Welt. Dass der Kroate als Zehner eine Welt-Karriere hinlegen würde, war bei seinem Können früh absehbar. Dann setzte Mourinho ihn als Sechser ein, eine Position, die er bei Zagreb auf deutlich niedrigerem Niveau bereits gespielt hatte. Er machte seine Sache auch in Spanien gut, dennoch war sein Spiel von der Bürde der Doppelsechs merklich gehemmt, zu sehr beschnitt die Rolle seine Fähigkeiten als kreativer Offensiv-Stratege, zu sehr forderte sie ihn als klassischen Staubsauger. Etwas, das in seinem Repertoire eigentlich nicht mehr als eine Nebenerscheinung seiner Klasse ist. In seiner neuen Rolle geht er voll auf, sie kreiert die für das vollständige Abrufen seines Könnens unbedingt notwendige Balance zwischen reinem Zehner und reinem Abräumer. Modric zieht mit intelligenten Pässen die Fäden, besticht durch Ballsicherheit und Pressingresistenz und zeigt sich trotz seines nicht unbedingt robust anmutenden Körpers als unangenehmer und zäher Zweikämpfer.
Offensive: Vollstrecker par excellence
Hinzu kommt ein Attribut, das alle Protagonisten des Dreiergespanns trotz sonst sehr unterschiedlicher Spielweise, vereint: Die Passqualität. Denn gerade bei Kontern ist diese elementar. Rollt ein Real-Konter, zerschneidet das Trio die gegnerische Raumdeckung mit chirurgischer Präzision, ohne dabei an Tempo oder an Raumgewinn einzubüßen etwas, das bei Bayern seit Wochen schmerzlich vermisst wird. Komplettiert wird das Trio wie bereits erwähnt von Alonso. Mit einer überragenden Raumaufteilung und Antizipation bildet er das Herz der drei Bindeglieder zwischen Offensive und Defensive, während Modric das Hirn und di Maria eine spannende Mixtur aus Lunge und Seele ist. Für die innerhalb von Sekunden vorgetragenen Attacken von Real braucht es selbstverständlich auch Akteure, welche die Pässe veredeln können. Da sind Bale und Ronaldo Idealbesetzungen. Schnelligkeit, Abschlussstärke und individuelle Klasse machen die beiden zum gefährlichsten Duo in puncto Konterfußball der Welt. Benzema komplettiert die Abteilung Attacke als Speerspitze. Der Franzose verkörpert einen seltenen Typus. Er ist ein technisch starker Stürmer mit gutem Auge, der trotzdem auch gegen Weltklasse-Verteidiger als Wandspieler höchstes Niveau erreicht. Er spielt bei Kontern schnörkellose Pässe und ist als Abschlussspieler eine Klasse für sich. Seine Kritiker, die 2013 sowohl ihm, als auch Higuain die nötige Klasse für einen Champions League Sieg abgesprochen hatten, straft er in dieser Spielzeit Lügen.
Asymmetrie als taktisches Meisterstück
Das Zentrum der Real-Taktik ist die eigene Defensiv-Leistung. Ronaldo und Bale laufen die gegnerischen Außenverteidiger an, während Benzema die Räume zwischen Viererkette und Sechsern verdichtet. Die drei Mittelfeldspieler wandeln am Rande der taktischen Perfektion, situativ pressen sie und sorgen für saubere Ballgewinne ohne Fouls, der Startschuss für den Konter.
Auch bei gegnerischem Pressing besitzen die Akteure Madrids genug Klasse und Sicherheit um sich aus brenzligen Situationen zu befreien und dann die Überzahl zu nutzen. Pepe nutzt zuweilen auch das Stilmittel des Befreiungsschlages. Was wie ein in blinder Verzweiflung ausgeführter Vorgang anmutet, ist nicht selten eine bewusst gesetzte Aktion, um deutlich weiter vorne im Spielfeld einen Ballverlust zu erzwingen.
Ein interessanter Aspekt der Taktik ist die Asymmetrie bei Real. Ich habe weiter oben bewusst geschrieben, auf dem Papier ließe Ancelotti ein 4-3-3 spielen. In der Realität sieht das ein wenig anders aus: Da mutet die Formation eher wie ein spezielles 4-4-2 an. Benzema agiert dabei als intelligenter und platzschaffender Stürmer, während ihm links Ronaldo assistiert, der oft den Weg in die Spitze sucht und sein Spiel als Mix aus Außenbahnspieler und Stürmer interpretiert. Bale dagegen setzt seine defensiven Fähigkeiten öfter und effektiver als Ronaldo ein und steht deutlich tiefer als sein Pendant. Diese Rolle des Walisers war im Rückspiel in München ein eminent wichtiger Faktor für das Begrenzen von Alabas Offensivdrang. Auch die drei Mittelfeld-Spieler agieren asymmetrisch. Di Maria schiebt in den Raum in Ronaldos Rücken und besetzt klug die linke Spielhälfte, ohne dabei sein Wirken als Zentral-Spieler zu vernachlässigen. Alonso setzt die durch die Asymmetrie in Gang gesetzte individual-taktische Kettenreaktion fort und postiert sich etwas links vom Zentrum, um wiederum di Maria zu stützen und das Fundament der Rolle des Argentiniers zu bilden. Modric dagegen bleibt weitgehend im Korsett des zentralen Mittelfeldspielers, das ironischerweise eine befreiende Wirkung auf das Spiel des Kroaten hat.
Muss man dem System Reals einen Überbegriff verleihen, würde folgender es wohl am besten charakterisieren: Asymmetrische Mixform aus 4-4-3 und 4-4-2.
Diese taktische Spielform hat vor allem zwei große Vorteile: Erstens die drastisch erhöhte Unberechenbarkeit, die die Möglichkeit des Variierens der Systeme automatisch hervorruft. Und zweitens das Entziehen des gegnerischen Zugriffes. Stellt sich der Kontrahent auf Ronaldo als Halbstürmer ein, weicht dieser auf den linken Flügel aus, und wird Modric ab der Mittellinie vom gegnerischen Sechser beschattet, lässt dieser sich tief fallen, um von dort mit makellosem Passspiel die hochwertige Ballzirkulation in Gang zu setzen.
Auf dem Weg in die Geschichtsbücher
Real Madrid 2014 ist ein Team, das genau die richtige Abstimmung zwischen taktischen Vorgaben und dem Einbringen der individuellen Fertigkeiten des Einzelnen in diese vollbringt - ein schmaler Grat, auf dem zu wandeln die Leistung eines Toptrainers ist.
Wie man die Königsklasse gewinnt, weiß Ancelotti bestens, 2003 und 2007 gewann er sie mit dem AC Mailand. 2014 will er mit seinem persönlichen Hattrick die Durststrecke Reals beenden und sich in den Geschichtsbüchern verewigen. Unter der Oberfläche des Triumphes stünde dann seine klare Handschrift, die Madrid eine spielerische Identität verliehen hat und einen Spielstil auf ein Niveau am Rande der Perfektion gehievt hat: Den Konterfußball einer Weltklasse-Mannschaft.
Und der Blog ist natürlich sehr stark, was Real dieses Jahr international spielt, ist großes Kino.
Hut ab der er sich so gut weiter entwickelt hat!