Thomas Hitzlsperger hat mitgeteilt, dass er homosexuell ist. Es war eines DER Themen der Winterpause. Schon am ersten Satz habe ich lange gedoktert. Denn schon die Bezeichnung des ZEIT-Interviews als "Bekenntnis" ist politisch inkorrekt, wie ich lernte. Man bekennt seine Schuld oder einen Fehler, aber nicht seine sexuelle Identität. Kein Grund zur Scham, also kein Grund, etwas zu bekennen. Ich hoffe, ich habe es mit der Einleitung Theo Zwanziger Recht machen können.
Seitdem erlebt man die amerikanisiert polarisierte Debatte. Die einen finden das Outing mutig und kriegen sich kaum noch ein vor Lob und Zustimmung, die anderen blamieren ihr virtuelles Ich bei Facebook und Co. mit der Aneinanderreihung homophober Kraftausdrücke. Dazwischen gibt es nichts. Nachdenklichkeit kommt kaum noch vor.
Ja, aber...
...ist eine diskreditierte Position zur Homosexualität, überhaupt allen Reizthemen. Man kennt das. "Ich bin kein Antisemit, aber...:". "Ich habe gar nichts gegen Ausländer, aber...". Solche Sätze sind in der Tat kontaminiert. Denn in aller Regel konterkariert bei denen, die sie aussprechen, der zweite Halbsatz die rein deklaratorische Behauptung der ersten Teilsentenz.
Der neueste Hit ist "Ich habe nichts gegen Schwule, aber...". Man muss einen Satz nur so anfangen und der Homophobie-Geigermeter schlägt aus. Ich sage es trotzdem: "Ich habe nichts gegen Schwule" Punkt. Kein Komma. Kein Aber. Nirgends. Ich habe nicht nur nichts gegen sie oder Homosexualität an sich. Sie sollen heiraten, Kinder adoptieren. Zum ersten Mal bin ich mit Claudia Roth einer Meinung: sie werden schon sehen, was sie davon haben. Jeder wie er mag. Und alles Gute, Thomas Hitzlsperger.
Schön dass wir drüber geredet haben
Nur muss der Toleranzfuror Grenzen haben. Finde ich. Ich weiß gar nicht, wie viele social-media-Einträge ich lesen durfte (und ich bin nur sporadisch dort unterwegs), in denen das Outing des Ex-Nationalspielers mit gespielter Empörung beleuchtet wurde. Tenor: dass wir überhaupt drüber reden müssen. Gott, sind wir rückständig. Aha. Wenn es so normal ist, einfach mal die Fresse halten (Dieter Nuhr voice). Ich tweete ja auch nicht, dass die Erde keine Scheibe ist.
Bietet der DFB Unterstützung auf dem weiteren Weg an, schallt es ihm entgegen, Hitzlsperger sei nicht krank. Obwohl man sich leicht ausmalen kann, was auf den Mann nach seinem öffentlichen "Bekenntnis" einstürzt. Gut gemeint ist halt immer noch das Gegenteil von gut gemacht.
Spekuliert Felix Magath, TH habe sich in seiner Zeit in Wolfsburg wohlmöglich auch aufgrund einer seelischen Belastung nicht durchsetzen können, ist alles zu Ende. in bekannt verschwurbeltem Sprech wird konstatiert, Magath reduziere seinen ehemaligen Schützling auf seine sexuelle Identität. Hitzlsperger sei eben verletzt gewesen. Bei einem Heterosexuellen wäre das gar kein Thema. Man darf zwar annehmen, dass sich Hitzlsperger als Teil eines testosterongesteuerten Geschäfts, in dem "schwul" regelmäßig als Schimpfwort die Lippen tausender Zuschauer verlässt, mit den Zweifeln über seine Sexualität und den öffentlichen Umgang damit gequält hat. Aber gut gemeint...
In einem Blog durfte ich neulich lesen, dass es nun schon verwerflich ist, auch nur zu betonen, dass man persönlich mit homosexuellen Praktiken nichts anfangen könne. Schon da beginne Diskriminierung. Dieses persönliche Bekenntnis sei nur Symptom tiefsitzender gesamtgesellschaftlicher Ressentiments.
Ich bekenne nur, das ist mir zu verquast. Wer männlich und heterosexuell ist, kann persönlich die Vorstellung mit einem anderen Mann Sex zu haben, abstoßend finden. Wie man Naturkaviar (ob hetero- oder homosexuell) und SM (wie vor) widerwärtig finden kann. Das ist nicht, schon gar nicht zwingend, Ausfluss tiefsitzender Ressentiments gegen Sadomasochisten. Es ist eine Frage persönlicher Vorlieben. Jeder, wie er mag. Oder nicht?
Er hat Dusche gesagt
Nur eins bringt noch mehr virtuellen Applaus als die Betonung, dass man über etwas redet, über das man eigentlich gar nicht reden sollte. Die Beschimpfung derer, die es doch tun und von der über-aufgeklärten Linie der Liberalitätspolizei abweichen.
Sagte also Jens Lehmann bei Sky90, das Outing eines aktiven Spielers wäre schwierig, man müsse ja jeden Tag zusammen in die Rudelnasszelle. Ach Du lieber Gott! Was für eine reaktionäre Gehirnamöbe unser Sommermärchen-Gaucho-Bezwinger ist. Hätten wir das gewusst. Pfui.
Auch wenn man ihm anmerkt, dass er das selbst anders sieht: Jens Lehmann war nie ein großer Rhetor. Deshalb kann man seine ungeschickten bis missverständlichen Formulierungen beherzt auseinandernehmen. Und er war noch nie einer zum Liebhaben. Insofern eignet er sich gut als Verbal-Punchingball. Die Gemeinde will Blut sehen. Journalisten von Magazinen für Fußballkultur und andere Wächter über die guten Sitten liefern es. Es kann nicht mehr lange dauern, bis sich Lehmann entschuldigt.
Ich bin weit davon entfernt, die in solchen Fällen nicht selten anzutreffende Verteidigungslinie zu beschreiten, der Ex-Nationaltorhüter habe nur ausgesprochen, was viele denken. Es mag ja sein, dass nicht wenige "Schwuchteln"denken, wenn sie zwei sich küssende Männer sehen. Deshalb ist der, der es ausspricht, aber kein Held der Meinungsfreiheit.
Es gibt kein Recht auf Beleidigung. Und man darf Lehmann borniert nennen, wenn man das will. Aber der generell nachhallende, hier auch gar nicht angemessene Schlachtruf "Keine Toleranz der Intoleranz" geht zu weit. Das ist Tugendterror durch die Hintertür.
Ich gebe mal des Teufels Advokaten, wenn ich frage: hat Lehmann eigentlich in der Sache etwas unwiderleglich Falsches gesagt? Es fällt relativ leicht, das "Duschen-Argument" vom Tisch zu wischen, indem man behauptet, wer so daherrede, nähre das Klischee vom promiskuitiven Schwulen, der die Hände nicht bei sich behalten könne. Vielleicht glaubt auch Lehmann an das Zerrbild vom grundsätzlich sexbesessenen Homosexuellen. Vielleicht ist Lehmann nur verklemmt. Man kann niemandem in den Kopf schauen. Aber mir ist das zu einfach.
Man muss Schwule nicht für generell krankhaft triebgesteuert halten, um sich als Mann mit einem homosexuellen Mann in der Dusche unwohl zu fühlen. Bei diesem ist schlicht und ergreifend potentiell sexuelles Interesse vorhanden, das von heterosexuellen Männern nicht erwidert wird. Ob jemand promiskuitiv, monogam oder zölibatär lebt, ist in diesem Zusammenhang völlig unerheblich. Warum trennt man wohl die Duschen von Frauen und Männern in jedem Freibad? Wohl kaum weil man meint, Frauen oder Männer könnten generell nicht die Finger bei sich behalten.
Man kann das natürlich auch anders sehen. Man kann mich jetzt fragen: was kommt als nächstes? Duschen nur für Homosexuelle? Nachweis der sexuellen Identität auf dem Personalausweis? Es ist ein schwieriges Thema. Aber nicht jeder, der nicht in den allgemeinen Chorus "...und das ist auch gut so" einstimmt, ist deshalb gleich homophob. Und nicht jeder, der sich ungeschickt ausdrückt oder Vorbehalte geltend macht, hält Homosexualität für eine heilbare Krankheit, deren häufigstes Symptom ungezügelte Sexsucht ist.
Lehmann hat darüber hinaus angedeutet, der Ex-Nationalspieler habe wenig hilfreicher Weise seine Intimsphäre zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht. Das ist in gewisser Weise sicherlich scheinheilig. Man mag sich das öffentliche Echo kaum ausmalen, Hitzlsperger hätte seine sexuelle Orientierung nicht mitgeteilt und wäre von irgendeinem Klatschmagazin oder einem Leserreporter Händchen haltend mit einem Mann "erwischt" worden. Wer in der Öffentlichkeit steht - und das tun auch ehemalige Nationalspieler selbstredend - muss sich verstecken, wenn er selbstbestimmt homosexuell leben will. Allein um Enthüllungsgeschichten, die den Namen nicht verdienen, zu verhindern. Der einzige Ausweg ist das vorbeugende "Bekenntnis". So behält man die Schlagzeilen zumindest ein Stück weit in der eigenen Hand.
Das ist mit einem heterosexuellen Sportler nicht vergleichbar. Hier werden zwar zur Nachrichtensteuerung bisweilen Beziehungen mit anderen (Halb-)Prominenten veröffentlicht, um im Weiteren die Privatsphäre zu schützen (zuletzt Kevin Trapp); aber die andersgeschlechtliche sexuelle Orientierung an sich muss nicht bekannt werden. Die Paarung von Männlein und Weiblein, so sehr die Prominenz die Phantasie beflügeln mag, ist nicht mit der soziokulturell fundierten Missachtung belegt wie die gleichgeschlechtliche Lebensweise.
Nur: es kann einen schon das Gefühl beschleichen, die mutigen Bekenner heischten nach Applaus für das Publizieren einer zutiefst persönlichen Angelegenheit. Und der Applaus kommt ja auch. Die Meinungsäußerungen sind zahllos, die in der öffentlichen Zurschaustellung einer persönlichen sexuellen Vorliebe gleich einen gesamtgesellschaftlichen Quantensprung erkennen wollen. Und diese Meinung muss man nun wirklich nicht teilen, ohne gleich der Homophobie verdächtig zu werden.
"Ich teile Ihre Meinung nicht, ich werde aber bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen, dass Sie Ihre Meinung frei äußern können." Voltaire
Ein bisschen weniger Heuchelei und ja Toleranz gegenüber Andersdenkenden wäre hilfreich. In beide Richtungen und auch wenn der Andersdenkende auf den Namen Jens Lehmann hört. Nicht alle skeptischen oder nachdenklichen Äußerungen sind automatisch Ausfluss von homophoben Ressentiments und dumpfen Vorurteilen. Es gibt kein Recht auf Beleidigung, geschweige denn Gewaltanwendung. Vielleicht gibt es noch nicht einmal ein Recht auf Borniertheit. Aber es gibt das Recht darauf, die uneingeschränkte Heldenverehrung des Thomas H. nicht zu teilen. Dieses Recht hat Jens Lehmann wahrgenommen. Man kann darüber anders denken als er. Aber es gibt so wenig ein Recht, Lehmann deshalb als "Idioten", "Arschloch" und "Wi***er" zu bezeichnen wie es ein Recht gibt, Thomas Hitzsperger "Schwuchtel" zu nennen.
Separate but equal? Und:
"Natürlich wollen die meisten heterosexuellen Männer nicht neben einem Schwulen duschen!"
Man Leute, warum ist denn bei euch alles so furchtbar kompliziert? Merkt ihr nicht, dass - auch wenn gut gemeint - durch genau diese Sprüche überhaupt erst der Vollhorst im Dorfclub auf die Idee kommt, Duschräume seien für Schwule potentielle Rudelbums-Darkrooms? Warum nicht einfach mal mit gutem Beispiel vorangehen und sagen: Hey, und selbst wenn der Typ dich kurz abcheckt (ertappt, weil man in der Sauna auch immer auf die Mädels schielt?), davon wird einem der Schniedel ganz bestimmt nicht abfallen. Ich gebe gerne zu, dass das am Anfang eine ungewohnte Situation ist, selber so erlebt. Aber irgendwie muss "Normalität" (oder das Gefühl von Normalität) ja mal entstehen. Vielleicht muss da einfach mal jeder ein bisschen über den eigenen Schatten springen. Ein bisschen Gleichberechtigung geht nicht. Entweder ganz oder gar nicht.
Wenn dieses Gefühl wirklich vorhanden sein sollte, wäre es dann jedoch mal eine interessante Reflektionsaufgabe woher diese irrationale Angst kommt.
Ich bin nicht der Meinung das Schreibstil und Ausdruck des Autors hier an die Community angepasst werden muss. Denn die, die das nicht lesen können werden sich auch mit dem Inhalt nur in einer ON/OFF Funktion ihres unmittelbaren Umfelds auseinandersetzen.
Zu dem Thema selbst....die Normalität wird hier wohl noch 1-2 Generationen brauchen. Denkt man an die sexuelle Revolution Ende der 60. Jahre des vorigen Jahrhunderts und dem heutigen, gelebt toleranten Umgang damit ist das die Zeitspanne die dafür angesetzt werden muss.
Bisher war die Debatte ja eher die, dass der schwule Mitspieler in der Profi Mannschaft bekannt war (in irgendeinem Artikel hat ein Befragter erwähnt, dass sich die Mitspieler auch nach dem Partner etc. erkunden würden), aber dies gegenüber den Fans verheimlicht wurde.
Ich glaube dieses Testosteron- gesteuerte Machodenken sieht man eher auf dem Bolzplatz als in der ersten Liga. Die aktuelle Generation von Profispielern ist doch in den Sportakademien groß geworden, hatte 30 Schulstunden in der Woche und einen generell höheren Bildungsstandard als die allermeisten Fans. Natürlich ist das kein Persilschein für eine vorurteilsfreie Denk- und Lebensweise, aber ohne jetzt eine Quelle zur Hand zu haben: Klar ist Toleranz an die Bildungsfrage gekoppelt.
Werden die Fans ungerechtfertigter Weise bevormundet, oder ist das Verhalten richtig, weil sie noch nicht reif sind für diese Wahrheiten?
Dieses seltsame Duschproblem ist sicherlich keines, was man pauschal diskutieren kann. Immerhin ist der schwule Fußballspieler nicht in erster Linie schwul, sondern eine Person, mit all ihren Stärken und Schwächen sowie ein Mitspieler. Ich vermute mal es gibt in Deutschland bei einigen Sportarten und in einigen Vereinen, wenn es nicht anders möglich ist, auch gemischte Duschen, in denen Männer und Frauen eines sagen wir mal Rönradvereins gemeinsam duschen können. Und weil sich alle untereinander kennen ist das kein Problem.
Die 11Freunde könnte sowas gebrauchen, wenn sie nicht zum albernen Studenten-Blättchen verkommen will! Aber auf Spox...das war nun nicht zu erwarten...!!
Eins wird bei dir sehr deutlich: Die Behauptung, da wäre kein Problem, das die Spieler daran hindert sich zu outen, sorgt für eine Zementierung der Verhältnisse. Wer also einfach proklamiert, wir seien doch seit den 68ern alle bekehrt und liberal, verhindert die notwendige Debatte.
Weder die homophoben Fans, noch die empörte Öffentlichkeit können das Problem lösen. Meiner Meinung nach bietet gerade das Lehmann-Statement einen guten Ansatz, der mir erst in deinem Artikel klar geworden ist:
Natürlich wollen die meisten heterosexuellen Männer nicht neben einem Schwulen duschen! Deshalb brauchen wir aber keine getrennten Duschen im Freibad, man sieht es einem fremden Schwulen ja nicht an. Aber in Fußball-Vereinen herrscht noch eine sehr konservative Sicht des Begriffs der "Mannschaft" (Gemeinschafts-Duschen, Doppelzimmer etc...). Ich habe schwule Freunde, und das ist deshalb kein Problem, weil keine künstliche Intimität zwischen uns geschaffen wird. In Profi-Clubs (und natürlich auch beim Dorf-Verein) wird diese aber ausdrücklich gefördert.
Deshalb: Wenn man sich in den Vereinen mit den Problemen befasst und Bedingungen schafft, unter denen hetero- und homosexuelle Spieler ein entspanntes und trotzdem persönliches Verhältnis haben können (an Trennwänden in der Dusche wird es ja wohl nicht Scheitern!), wäre ein ganz wichtiger Schritt gemacht.
Wenn, sagen wir mal, ein Kevin Großkreutz nach einem Tor einen als schwul bekannten Mitspieler umarmen würde, müssten einige Kandidaten auf der Süd sich mal eben ihr Weltbild grade rücken (hab mal meinen Verein als Beispiel genommen, ist aber beliebig übertragbar).
Nochmal Kompliment, Sportjournalismus geht auch gut.