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Von: Broich
17.10.2014 | 3379 Aufrufe | 3 Kommentare | 9 Bewertungen Ø 9.0
Eishockey
Do you believe in miracles?
Olympia 1980: David gegen Goliath - Sportgeschichte von politischer Dimension

Natürlich war früher nicht alles besser. Natürlich ist der Sport heute keineswegs vom Kommerz kontaminiert, wie nostalgische Romantiker behaupten. Natürlich schreibt er auch heute noch unfassbare Geschichten und ist nicht weniger packend als vor 20, 30 oder 40 Jahren. Und doch ereignete sich 1980 eine Geschichte, die so heute nicht mehr stattfinden könnte. Ein modernes David gegen Goliath. Der Stoff, aus dem Helden sind. Fernab von der heutigen Professionalisierung und den NHL-Elite-Rostern der Nationalteams, ging ein Amateurteam aus blutjungen Collegespielern bei den olympischen Winterspielen an den Start. Ohne die geringsten Siegeschancen und im Schatten der übermächtigen Sowjetunion startete das Team von Herb Brooks in Lake Placid, um am Ende sensationell zu triumphieren und Sportgeschichte zu schreiben.

"Wir werden nicht das beste Team sein, aber das fitteste!"

Herb "Herbie" Brooks war kein netter Mann. Arrogant und empathielos beschreiben ihn Weggefährten. Er konnte seine Mitmenschen unter der Gürtellinie treffen und hatte als Trainer für Zimperlichkeiten keinen Nerv. Der Mann, zu dem er später in der medialen Betrachtung und somit im kulturellen und stets patriotischen Gedächtnis der Amerikaner wurde, war er nicht. Kein Gentleman, der große Gesten beherrschte und vor allem als Mensch überzeugte. Brooks war eher ein von Ehrgeiz zerfressener Pedant, der keine Fehler erlaubte und bereit war, für seinen Traum alles zu opfern.

Brooks wurde gegen den expliziten Willen einiger Komitee-Mitglieder und nur weil beide Wunschkandidaten den wenig reizvoll erscheinenden Job abgesagt hatten, im Sommer 1979 Coach des Olympiateams der Vereinigten Staaten von Amerika. Es waren für die Winterspiele nur Amateure zugelassen, der erfolgreiche College-Coach Brooks sollte in einem halben Jahr aus einem College-Haufen ein Team formen, das eine Blamage wie 1976, als man gegen die Tschechoslowakei unter die Räder gekommen war, im eigenen Land um jeden Preis verhindern sollte. Walter Bush, der 1964 Brooks Trainer gewesen war, setzte sich stark für seinen Freund ein und bewegte die US-Funktionäre dazu, viel Geld in Hand zu nehmen, um Brooks Pläne zu verwirklichen. Brooks war 1960 beim Gewinn der Goldmedaille der letzte Spieler gewesen, der aus dem Aufgebot gestrichen worden war, 64 und 68 reichte es nicht zu Edelmetall seit dem wollte er bei Olympia ganz oben stehen.

Ende Juli berief Brooks 68 Spieler nach Colorado, die sich zehn Tage lang in verschiedenen Übungen und Spielformen beweisen durften, ehe 26 in den vorläufigen Olympia-Roster berufen wurden. Brooks überließ bei der Auswahl nichts dem Zufall. Er lud extra die Coaches der folgenden Teams ein: University of Wisconsin, Harvard, University of New Hampshire, Colorado College and Boston University. Gemeinsam bildeten sie einen Expertenstab unterstellten mehrseitige Portfolios über jeden der Spieler, der sogar psychologische Komponenten enthielt. Am Ende stand das Team und Brooks hatte einige Spieler berufen, die er zuletzt an der University of Minnesota trainiert hatte und bestens kannte.

Brooks plante gemeinsam mit seinem Stab ein monatelanges Training, das perfekt geplant und durchorganisiert war. Er scheuchte seine Akteure und stählte sie in Konditionseinheiten und Krafttraining bis an ihre Grenzen. Zudem kreierte er ein neues Eishockey, das an den Stil der Sowjets angelehnt war. In langen Videoanalysen und in Gesprächen mit anderen Coaches injizierte er seinem Team eine Taktik, die auf Disziplin, Positionswechseln, Raumverteidigung und Kompaktheit fußte. Diese vier Säulen auf dem Fundament einer perfekten Fitness und sollten die Geheimwaffe der US-Boys gegen überragende Skaternationen wie die Sowjetunion oder Schweden werden. Ganz nach Brooks Credo, bei Olympia nicht das beste Team, aber sicherlich das fitteste zu sein.

The Clash of Cultures

Das legendäre Team bestand vor allem aus zwei rivalisierenden Seiten, deren Rivalität Brian Cox später als Clash of Cultures bezeichnete. Da war der Osten mit 14 Spielern, die alle in Wisconsin oder Minnesota spielten. Der Westblock bestand aus neun Spielern, die in Boston Eishockey spielten. Das an Feindschaft grenzende Verhältnis der beiden Lager war 1976 im NCAA-Halbfinale zwischen Minnesota und Boston eskaliert, als das Spiel nach einer Massenschlägerei für 30 Minuten unterbrochen wurde. Fünf Spieler des Olympia-Rosters standen damals auf dem Eis. Die Aufgabe diese beiden Seiten zu einem Team zu einen war die Herkulesaufgabe von Herb Brooks und der Schlüssel zum Erfolg. Die Spieler sollen mich so hassen, dass sie vergessen sich gegenseitig zu hassen, sagte er und trat auch deshalb so unbarmherzig auf. So schickte er seine Spieler nach einem 3:3 gegen Norwegen noch einmal für 45 Minuten aufs Eis und ließ sie Linienläufe skaten, bis sich einige Spieler übergaben.

Der Drahtseilakt gelang ihm und er schaffte es eine Einheit, das Team USA zu erschaffen. Er sagte später, das Jahr 1980 sei sein einsamstes als Hockey-Coch gewesen, da er als Tyrann habe auftreten müssen, um so die Fäden, die sein Team ausmachten zusammen halten zu können. Die Spieler dankten es ihm mit bedingungsloser Aufopferung, Kapitän Mike Eruzione erkannte später: Ich bin mir sicher, dass er uns alle geliebt hat. Wir haben es damals nur nicht erkannt.

Es war eine Ehre für Herb spielen zu dürfen. Seine große Stärke war, dass er uns Spieler zu Taten motivieren konnte, zu denen wie geglaubt hatten, niemals fähig zu sein. Mit ihm war nicht zu spaßen aber man respektierte ihn und seine Idee des Spiels. Wir glaubten ihm jedes Wort in der Kabine.

George McPhee, Bis 2014 General Manager der Washington Capitals

Das Team der Goldgewinner war eine Einheit, die auf dem Eis als Team auftrat. Dennoch waren einige seiner Protagonisten herausragend. Im Tor stand Jim Craig, ein 22-jähriger mit brillanten Reflexen und gutem Auge. Der Torwart war von Brooks in den Kader berufen worden, ohne das er beim Ausscheidungscamp dabei gewesen war. Der Trainer der Boston University, für die Craig bis 79 gespielt hatte, war dafür persönlich bei Brooks vorstellig geworden. Seine Mutter war kurz vor dem Turnier gestorben, das Bild wie Craig in die amerikanische Flagge gehüllt seinen Vater in die Arme schließt, gab dem Triumph ein sensibles Gesicht die Amerikaner kennen das Bild noch heute. Kapitän und Säule des Teams war Mike Eruzione. Als einer der Älteren im Team war er Brooks rechte Hand und ein sehr intelligenter Eishockeyspieler. Nach 1980 beendete er seine Karriere. Weitere Schlüsselspieler waren Torjäger Mark Johnson, Techniker Rob Mc Clanahan, Ken Morrow, Jack O'Callahan und der legendäre spätere NHL-Verteidiger Mark Ramsey.

Die Sbornaja der 70er - die beste Mannschaft aller Zeiten außerhalb der NHL

Der kalte Krieg tobte und Amerika hatte bereits einen Boykott der im Sommer 80 stattfindenden olympischen Spiele in Moskau angekündigt. Sportlich überragte das Team der 70er alles. Die Stars waren Torhüter-Ikone Wladislaw Tretjak, der in Lake Placid sein persönliches Waterloo erlebte, Kapitän und Superstar Boris Michailow und Verteidiger Fetissow. Fast alle Sowjets spielten bei ZSKA Moskau und bildeten das wohl beste Team aller Zeiten außerhalb der NHL. Offiziell waren sie als Amateure gelistet und durften deshalb an den Spielen teilnehmen, in der Realität trainierten sie fünf Mal in der Woche und spielten unter Trainer Tichonow das bis dato modernsten und entwickelste Eishockey. Die Dominanz bündelte die New York Times vor dem Turnier in einem Satz: Das Eis muss schmelzen oder sonst ein Wunder muss geschehen, damit die Sbornaja in Lake Placid nicht zum sechsten Mal in den letzten sieben Jahren die Goldmedaille holt.

Wenige Wochen vor Olympia begann die sowjetische Intervention in Afghanistan, was den Spielen einen politisch brisanten Anstrich verlieh. Brooks hatte dieser Tatsache ungeachtet drei Tage vor Olympia eine letzte Generalprobe angesetzt gegen die Sowjetunion. Die Staaten verloren mit 10:3 und die Medien zerrissen das Team. In der Vorrunde ging es für die US-Boys unter anderem gegen Schweden und die Tschechoslowakei, zwei starke Teams, nicht wenige prophezeiten ein Vorrunden-Aus des Gastgebers. Gegen das Drei-Kronen-Team gelang spät der 2:2-Ausgleich und gegen die Tschechoslowaken spielte man berauschendes Hockey und siegte mit 7:3, was im ganzen Land ein Feuer der Begeisterung entfachte. Nach zwei weiteren Siegen ging es in die Finalrunde gegen Finnland und die Sbornaja. Gleich das Auftaktspiel fand gegen die Sowjets statt. Das Team erhielt Briefe, in denen dazu aufgefordert wurde, die kommunistischen Arschlöcher platt zu machen oder den kleinen kalten Krieg zu gewinnen. Und das ganze Land fieberte auf das Spiel hin wie auf ein Finale. Dabei wurde das Spiel mit fünf Stunden Verschiebung übertragen absurd: Während in Lake Placid schon längst gefeiert wurde, saß die Nation gebannt vor dem Fernseher.

Der Stoff, aus dem Helden sind

Sekunden vor dem Ende des ersten Drittels führten die dominierenden Russen nach Toren von Krutow und Makarow bei einem Anschlusstreffer von Buzz Schneider mit 2:1. Es hätte schon 5:1 stehen können, doch Craig hielt Weltklasse und sein Team im Spiel. Mark Johnson verwertete einen Nachschuss eine Sekunde vor der Sirene zum 2:2. Das zweite Drittel startete mit einer kleinen Sensation. Tichonow ließ Tretjak, den besten Torhüter der Welt auf der Bank und brachten Myshkin. Tretjak bezeichnete diese Maßnahme später als schwärzesten Moment seiner Laufbahn und auch Tichonow gab zu einen Fehler gemacht zu haben. Dennoch stand es vor dem finalen Drittel 3:2 für die Sowjets, Malzew hatte den schier unbezwingbaren Craig dann doch überwunden. Jener Craig, bisher bester Mann auf dem Eis ging nach einem Bodycheck zu Boden, macht aber trotz großer Schmerzen weiter. Der Stoff aus dem Helden sind.

Das dritte Drittel verwandelte dann die Arena in ein Tollhaus und machte eine ganze Nation stolz, das dritte Drittel ist einer der größten Momente amerikanischer Sportgeschichte. Johnson und Eruzione persönlich sorgten für die 4:3-Führung, bei der es blieb. Obwohl die USA noch nicht Olympiasieger war, gingen die Menschen zu 1000en auf die Straßen und nicht wenige Firmen gaben ihren Angestellten frei. "Elf Sekunden, noch zehn Sekunden, der Countdown geht jetzt richtig los! Morrow vor auf Silk. Fünf Sekunden noch in diesem Spiel! Noch vier! Glauben Sie an Wunder? Ja! Unglaublich!" - die Worte des ABC-Kommentators Al Michael erzeugen noch heute Gänsehaut!

If you loose this game...

Das Wunder wurde dann vollendet, Finnland wurde nach neuerlichem Rückstand mit 4:2 bezwungen und die Tränen schossen nur so hervor. Bei Spielern, Fans. Brooks hatte sein Team mit den legendären Worten "If you loose this game, you'll take it to your fucking grave!" aufgeweckt und den Startschuss für eine neuerliche Aufholjagd gegeben. Die Helden des Triumphs feierten auf dem Eis den großen Triumph, der mehr war als ein rein sportlicher Erfolg, während oben Al Michael brüllte: "The impossible dream comes true!". Einer fehlte in den Jubeltrauben und Menschenmengen jedoch: Herb Brooks.

"Ich beobachtete meinen Vater als der Countdown lief. Er war ganz ruhig, fast stoisch. Und dann: 5, 4, 3, 2, 1... Boom. Er riss die Arme nach oben und verließ dann die Trainerbank. Er rannte in die Kabine, während seine Spieler einen der größten Triumphe der Sportgeschichte feierten." Brooks ließ seinen Spielern die Bühne, vom Moment des Sieges gibt es nur ein Foto von ihm von hinten. In Der Kabine genoss er still seinen Sieg, er war der Architekt der Sensation. Er schloss die Augen, während draußen ein Jubel-Orkan tobte, und dachte an 1960, als er kurz vor dem Turnier gestrichen wurde und so den Gewinn der Goldmedaille von zu Hause aus ansehen hatte müssen. Jetzt, 20 Jahre später, war er am Ziel.

"Ihr dürft keine gewöhnlichen Männer sein. Gewöhnliche Männer landen nirgendwo! Ihr müsst außergewöhnlich sein, wenn ihr Außergewöhnliches schaffen wollt!"

Herb Brooks

Herb Brooks trainierte später NHL-Teams, Frankreich und Davos. 2002 gewann er mit den USA noch einmal Silber. Er ist Mitglied der Hall of Fame und zwei Stadien sind nach ihm benannt. Er ist eine Eishockey-Legende, der den Menschen einen großen Traum verwirklichte und mit einem zusammen gewürfelten Team Olympiasieger wurde. David gegen Goliath. Stoff, den die Amerikaner lieben und den der Sport so wunderschön schreibt.

2003 verlor er die Kontrolle über seinen Wagen und wurde 30 Meter aus seinem Auto geschleudert. Auf seiner Beerdigung sprach sein Kapitän Mike Eruzione. "Hier bin ich, 48 Jahre alt", sagte er langsam und schaute dann zum Himmel. "Ich kann nur raten, was da oben vor sich geht, aber ich bin mir sicher, Herbie spricht zu Gott: Ich mag den Stil deines Teams nicht wir werden ein paar Änderungen vornehmen müssen."

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KOMMENTARE
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nurderbvb
19.10.2014 | 18:27 Uhr
3
0
nurderbvb : 
19.10.2014 | 18:27 Uhr
0
nurderbvb : 
Ein unfassbares Spiel hab es damals live verfolgt. Die Russen galten als unschlagbar zu jener Zeit. Grandios wie sich die USA den Sieg mit unbändigem Willen erkämpft hat.
Jim Craig der Teufelskerl hat sensationell gehalten!!!
3
bignax
20.10.2014 | 10:21 Uhr
1
0
bignax : 
20.10.2014 | 10:21 Uhr
0
bignax : 
Brillanter Blog. Sehr schön die Hintergründe dar gestellt und toll geschrieben. Das ganze war mit unbekannt. Danke dafür.
1
Five_hole
24.10.2014 | 13:27 Uhr
2
0
Five_hole : 
24.10.2014 | 13:27 Uhr
0
Five_hole : 
Sehr cooler Blog über die vielleicht größte Sportsensation der Geschichte
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