01.06.2008 um 16:35 Uhr
Dumm kickt gut
Die armen Fußballer. Da müssen sie sich seit Jahren gefallen lassen, vom Rest der Nation mitleidig belächelt zu werden, weil es ihnen angeblich an Intelligenz mangelt. Bücher mit Sammlungen von Fußballersprüchen gibt es mittlerweile so viele, dass eigentlich schon niemand mehr darüber lachen kann. Und die Jungs haben es ja auch schwer, kaum kommen sie völlig abgekämpft und emotional immer noch auf hundertzehn vom Platz, schon steht da einer und hält ihnen ein Mikrophon unter die Nase. Kein Wunder, dass dabei ab und an Blödsinn herauskommt.
Einige sind zugegeben auch selbst schuld. Nehmen wir doch den Mittelfeld-Experten Olaf Thon im Kicker EM-Vorschauheft. Da schreibt er nämlich: "Meine erste Wunschformation wäre: Frings und Ballack auf der Doppelsechs sowie zwei offensive Mittelfeldspieler: Schweinsteiger könnte eher über links kommen, Podolski alle Freiheiten hinter den Spitzen genießen." Was er uns verschweigt ist, wer in dieser "Wunschformation" auf der rechten Seite spielen soll. Mein Vorschlag: Einfach das rechte Felddrittel vor dem Spiel vom Schiedsrichterassistenten absperren lassen.
Nun hat Olaf Thon ja noch zu einer Zeit Fußball gespielt, als Trainer ihren Verteidigern folgende berühmte Anweisung mit auf den Weg gaben: "Du spielst gegen XY und bleibst bei ihm, egal wo er hingeht. Geht er aufs Klo, dann gehst du mit." Sollte eigentlich jeder verstehen, sogar ein Fußballer. Bei einem Jugendspiel im American Football (wo nach den praktisch gleichen Prinzipien wie beim Fußball Mann- oder Raumdeckung gespielt wird) habe ich allerdings einmal erlebt, dass auch diese Anweisung missverstanden werden kann. Ein Verteidiger folgte nach genau der obigen Anweisung seines Trainers nämlich seinem Kontrahenten noch bis an die gegnerische Seitenlinie und stellte sich neben ihn.
Nun, schwierige Fälle gibt es immer wieder. Allerdings kann sich ein Fußballer heute alles eher leisten als geistige Unbeweglichkeit. Im Raumdeckungssystem, das z.B. unsere Nationalmannschaft spielt, ist ständige Aufmerksamkeit und hundertprozentige Konzentration unverzichtbar. Das Ganze funktioniert nämlich so: Ist der Gegner im Ballbesitz, dann verteidigt das gesamte Team im Block. Stürmer und Verteidiger stehen im Idealfall nicht mehr als 30 Meter auseinander. An den Seiten wird eingerückt, immer in Richtung des Ballführenden. Dieses Gebilde schiebt sich nun also kreuz- und quer über den Platz. Dabei ist es unverzichtbar, dass alle Spieler permanent aufpassen, wo sich der Ball, die Mitspieler und die Gegner befinden. Schaltet nur einer ab, dann hat der Gegner eine Lücke, die er attackieren kann.
Und genau da passieren auch die Fehler. Nehmen wir das Tor für Serbien im Testspiel gegen Deutschland. Da stand die Verteidigung weit aufgerückt etwa 35 Meter vor ihrem Tor und ließ zwischen ihrer Verteidigungslinie und dem eigenen Strafraum circa 20 Meter Platz. Kein Problem, wenn der Gegner Ballbesitz in der Mitte der eigenen Hälfte hat. Dann kann er die Viererkette mit einem hohen Ball attackieren. Aber der ist lange in der Luft und schwer zu timen. Mit großer Wahrscheinlichkeit gerät er zu flach, dann kann er herausgeköpft werden. Fliegt er über die Viererkette, dann wird er vermutlich vom Torwart abgefangen. Und kommt er tatsächlich zwischen Viererkette und Torwart perfekt in den Lauf eines (nicht abseits stehenden) Angreifers, dann muss der den hohen Ball erst einmal verarbeiten und kann dabei gestört werden, wenn er sich die kleinste technische Unsicherheit leistet. Erfolgschancen: fast null.
Das Problem: Die Serben hatten den Ball nicht in ihrer eigenen Hälfte, sondern in der deutschen und liefen (relativ) ungestört auf die deutsche Abwehrkette zu. Aus dieser Position ist es ein leichtes, einen flachen, gut getimten Pass hinter die deutschen Verteidiger zu legen, in den ein Stürmer mit Schwung hineinlaufen kann und dann frei vor dem Tor steht. Genau so machten es die Serben. Der Ball wurde vorbei an Christoph Metzelder gespielt, der mit dem Rücken zum eigenen Tor stand. Der Angreifer dagegen stand mit dem Gesicht zu Lehmann. In diesem Moment hatte Metzelder keine Chance mehr, das Laufduell zu gewinnen.
Und so sagte er auch nach dem Spiel: "Der Gegentreffer war mein Fehler. Da habe ich eine falsche Entscheidung getroffen." Und der Fehler war nicht, sich zu spät umzudrehen, oder nicht schnell genug zu laufen. Nein, Metzelder hätte die Spielsituation früher erkennen müssen. Er hätte realisieren sollen, dass die Serben seiner Viererkette zu nahe gekommen waren und deshalb das Kommando zum Rückzug geben müssen. Damit hätte man den Raum zwischen Viererkette und Torwart verringert und den Pass in die Tiefe verhindert. Mit anderen Worten: Metzelder hat keinen physischen Fehler gemacht, sondern einen geistigen.
Besonders besorgniserregend ist das eigentlich nicht. Schließlich hat die deutsche Nationalelf im WM-Eröffnungsspiel gegen Costa Rica denselben Fehler sogar mehrfach gemacht und danach mühelos abgestellt. Ganz sicher führt eine (zu Turnierbeginn vermutlich) bessere physische Verfassung auch dazu, dass weniger solcher Konzentrationsfehler passieren. Aber eins zeigt diese Situation ganz klar: Heutzutage wird Fußball zu einem großen Teil im und mit dem Kopf entschieden. Da ist kein Platz mehr für Dummerchen.
Bis bald,
Andreas
Einige sind zugegeben auch selbst schuld. Nehmen wir doch den Mittelfeld-Experten Olaf Thon im Kicker EM-Vorschauheft. Da schreibt er nämlich: "Meine erste Wunschformation wäre: Frings und Ballack auf der Doppelsechs sowie zwei offensive Mittelfeldspieler: Schweinsteiger könnte eher über links kommen, Podolski alle Freiheiten hinter den Spitzen genießen." Was er uns verschweigt ist, wer in dieser "Wunschformation" auf der rechten Seite spielen soll. Mein Vorschlag: Einfach das rechte Felddrittel vor dem Spiel vom Schiedsrichterassistenten absperren lassen.
Nun hat Olaf Thon ja noch zu einer Zeit Fußball gespielt, als Trainer ihren Verteidigern folgende berühmte Anweisung mit auf den Weg gaben: "Du spielst gegen XY und bleibst bei ihm, egal wo er hingeht. Geht er aufs Klo, dann gehst du mit." Sollte eigentlich jeder verstehen, sogar ein Fußballer. Bei einem Jugendspiel im American Football (wo nach den praktisch gleichen Prinzipien wie beim Fußball Mann- oder Raumdeckung gespielt wird) habe ich allerdings einmal erlebt, dass auch diese Anweisung missverstanden werden kann. Ein Verteidiger folgte nach genau der obigen Anweisung seines Trainers nämlich seinem Kontrahenten noch bis an die gegnerische Seitenlinie und stellte sich neben ihn.
Nun, schwierige Fälle gibt es immer wieder. Allerdings kann sich ein Fußballer heute alles eher leisten als geistige Unbeweglichkeit. Im Raumdeckungssystem, das z.B. unsere Nationalmannschaft spielt, ist ständige Aufmerksamkeit und hundertprozentige Konzentration unverzichtbar. Das Ganze funktioniert nämlich so: Ist der Gegner im Ballbesitz, dann verteidigt das gesamte Team im Block. Stürmer und Verteidiger stehen im Idealfall nicht mehr als 30 Meter auseinander. An den Seiten wird eingerückt, immer in Richtung des Ballführenden. Dieses Gebilde schiebt sich nun also kreuz- und quer über den Platz. Dabei ist es unverzichtbar, dass alle Spieler permanent aufpassen, wo sich der Ball, die Mitspieler und die Gegner befinden. Schaltet nur einer ab, dann hat der Gegner eine Lücke, die er attackieren kann.
Und genau da passieren auch die Fehler. Nehmen wir das Tor für Serbien im Testspiel gegen Deutschland. Da stand die Verteidigung weit aufgerückt etwa 35 Meter vor ihrem Tor und ließ zwischen ihrer Verteidigungslinie und dem eigenen Strafraum circa 20 Meter Platz. Kein Problem, wenn der Gegner Ballbesitz in der Mitte der eigenen Hälfte hat. Dann kann er die Viererkette mit einem hohen Ball attackieren. Aber der ist lange in der Luft und schwer zu timen. Mit großer Wahrscheinlichkeit gerät er zu flach, dann kann er herausgeköpft werden. Fliegt er über die Viererkette, dann wird er vermutlich vom Torwart abgefangen. Und kommt er tatsächlich zwischen Viererkette und Torwart perfekt in den Lauf eines (nicht abseits stehenden) Angreifers, dann muss der den hohen Ball erst einmal verarbeiten und kann dabei gestört werden, wenn er sich die kleinste technische Unsicherheit leistet. Erfolgschancen: fast null.
Das Problem: Die Serben hatten den Ball nicht in ihrer eigenen Hälfte, sondern in der deutschen und liefen (relativ) ungestört auf die deutsche Abwehrkette zu. Aus dieser Position ist es ein leichtes, einen flachen, gut getimten Pass hinter die deutschen Verteidiger zu legen, in den ein Stürmer mit Schwung hineinlaufen kann und dann frei vor dem Tor steht. Genau so machten es die Serben. Der Ball wurde vorbei an Christoph Metzelder gespielt, der mit dem Rücken zum eigenen Tor stand. Der Angreifer dagegen stand mit dem Gesicht zu Lehmann. In diesem Moment hatte Metzelder keine Chance mehr, das Laufduell zu gewinnen.
Und so sagte er auch nach dem Spiel: "Der Gegentreffer war mein Fehler. Da habe ich eine falsche Entscheidung getroffen." Und der Fehler war nicht, sich zu spät umzudrehen, oder nicht schnell genug zu laufen. Nein, Metzelder hätte die Spielsituation früher erkennen müssen. Er hätte realisieren sollen, dass die Serben seiner Viererkette zu nahe gekommen waren und deshalb das Kommando zum Rückzug geben müssen. Damit hätte man den Raum zwischen Viererkette und Torwart verringert und den Pass in die Tiefe verhindert. Mit anderen Worten: Metzelder hat keinen physischen Fehler gemacht, sondern einen geistigen.
Besonders besorgniserregend ist das eigentlich nicht. Schließlich hat die deutsche Nationalelf im WM-Eröffnungsspiel gegen Costa Rica denselben Fehler sogar mehrfach gemacht und danach mühelos abgestellt. Ganz sicher führt eine (zu Turnierbeginn vermutlich) bessere physische Verfassung auch dazu, dass weniger solcher Konzentrationsfehler passieren. Aber eins zeigt diese Situation ganz klar: Heutzutage wird Fußball zu einem großen Teil im und mit dem Kopf entschieden. Da ist kein Platz mehr für Dummerchen.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 6148 | Kommentare: 22 | Bewertungen: 15 | Erstellt:01.06.2008
ø 7.9
KOMMENTARE
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03.06.2008 | 17:20 Uhr
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Essien : Andreas Renner
Letzte Wortmeldung von mir, ich würde es mir wünschen wenn Jogi Löw ein erfahrenen Innenverteidiger hätte der schon um die 30 Jahre alt ist dann würde die Abwehr stabiler sein.
Ich weiß wie man früher mit Libero gespielt hat und sage nochmals nur in RICHTUNG LIBERO.
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Nun ist es Dein gutes Recht, auf einen Libero im deutschen Team zu hoffen. Jogi Löw wird allerdings eher tot umfallen, bevor er einen installiert.