Ich will jetzt nicht in tiefe philosophische Diskussionen ausbrechen, obgleich mich meine akademische Ausbildung dazu befähigen würde. Aber in den letzten Tagen war oft die Rede vom Glück der Türken und vor allem, dass dieses ja nun langsam aufgebraucht sei. Sicher hat nicht nur das Glück die Türken ins Halbfinale geführt. Doch hat Fußball im Gegensatz zu Schach eben auch einen gewissen Glückanteil.
Abergläubig bin ich ja generell nicht. Was Fußball angeht schon. Mir sind dort z.B. Konstellationen wichtig. Irgendwann wird ein Elfmeter (nehmen wir z.B. alle Strafstöße der EM) unweigerlich verschossen. Und die Türkei kann auch nicht beliebig viele Spiele in Folge drehen. Dass man Pech hat, wenn man nun auch gerade gegen die Mannschaft kickt, der man ja das größte Kämperherz - und zwar traditionell und permanent - zuordnet, erwähnte ich ja neulich schon.
Dass ich aber dermaßen ruhig das Match Deutschland - Türkei verfolgen konnte, hätte ich selbst nicht für möglich gehalten.
Ja, ich prognostizierte dem Barkeeper, der sich für dieses Event mal vertreten ließ und das Pub Viewing ohne Kollateralaufgaben erleben wollte, dass die Türkei nicht zu unterschätzen sei und sie in Führung gehen wird, es insgesamt dadurch knapp werde. Und als dann angepfiffen war, fiel mir auf, dass ich mir ein frühes Tor der Türken förmlich wünschte.
Natürlich konnte ich das nur, weil ich überzeugt von unserer Mannschaft war. Überzeugt, dass sie das nicht umwerfen wird. Und wenige Minuten nach dem Rückstand hatte derjenige, dessen Trikot ich schon seit 2004 zu solchen Anlässen trage, bereits ausgeglichen.
Überrascht war ich nur durch Sentürks Ausgleich kurz vor Schluss. Doch er überzeugte mich um so mehr, dass wir am Ende siegen. Und dass Lahm das selbst in den Fuß nahm, gibt dem ganzen eine besonders charmante Note, ist er ja in meinen Augen der beste der Deutschen bei dieser EM.
Achso, überrascht war ich auch durch den Bildausfall. Und es wurde deutlich, dass Kommentator Rethy entweder nie Radio-Kommentator war, oder das schon ewig her ist.
Schlimm war zudem, dass dann das Bild zeitweise vom Schweizer Fernsehen kam und so Rethy durch komplizierte technische Zusammenhänge - die ich natürlich erklären könnte, euch aber erspare - zu schnell war. Nicht im Sinne von zu schnell sprechend - sondern im Sinne von zu früh dran - was aber auch wenig mit seinen antizipatorischen Talenten zu tun hat.
Die Nachberichterstattung hab ich mir erspart. Ich wette aber,
-der Kaiser hat "selten ein so [bitte passendes Attribut einsetzen] Spiel einer deutschen Nationalmannschaft gesehen" (demenziellen bedingt?)
-die Drei von der Seebühne haben gefeixt
-die Stimmung der Public Viewings wurde hochgelobt
-Ausschreitungen gab es auch.
Ich möchte noch erwähnen, dass ich mir zwischendurch Mehmet Scholl - aber auf dem Feld, nicht neben Beckmann - gewünscht hätte und da der nicht vorhanden war, Odonkor (für Poldi, Schweini dann auf links). Und dass ich ein wenig bedauere, dass Borowski sich noch nicht zeigen konnte, wofür es im Finale wohl zu spät ist. Genauso für eine Ablösung Lehmanns, der beim zweiten Gegentor knieenderweise so bescheuert aussah, dass ich mir das gerne einrahmen würde - vorausgesetzt, seine Leistung im Finale wird unser EM-Projekt nicht noch torpedieren.