12.11.2009 um 17:29 Uhr
Eintracht München im Zwiespalt
Das berüchtigte Lahm-Interview in der „Süddeutschen Zeitung" liegt ja nun schon einige Tage zurück. Zeit, das Thema langsam zu vergessen? Nö, warum denn? Schließlich hat Bayern-Manager Uli Hoeneß das Ganze selbst wieder aufgewärmt und in der „Zeit" in Bausch und Bogen sämtliche Vorwürfe vom Tisch gewischt. Dumm nur, dass so ziemlich der komplette Rest der Menschheit der Meinung war, dass Lahm inhaltlich zumindest teilweise Recht hatte. Der Verdacht liegt nahe, dass Hoeneß diesen PR-Krieg nicht gewinnen kann.
Die Vereinsführung des FC Bayern München scheint gefangen zwischen den Erfolgen der Vergangenheit und der notwendigen Weiterentwicklung, um auch in Zukunft noch erfolgreich zu sein. Und dieses „sich im Erfolg weiter verändern" ist nun einmal das Schwerste überhaupt und nicht nur im Fußball. Der einfachere und leichter vermittelbare Weg ist schließlich, die Erfolgsrezepte der Vergangenheit zu wiederholen. Hat ja immer funktioniert. Und beim FC Bayern hat folgende Methode jahrelang gegriffen: Das Beste aus der Bundesliga aufkaufen (und somit auch die nationale Konkurrenz schwächen), und das Team durch ein bis zwei internationale Topspieler verstärken.
Aber die Welt hat sich verändert und man tut sich schwer, diese Veränderung mitzumachen. Die finanzielle Explosion gerade in Spitze der Premier League hat aus dem einstigen europäischen Spitzenklub Bayern München ein Team aus der gehobenen internationalen Mittelklasse gemacht. Sozusagen ein Eintracht Frankfurt der Champions League. Was kein Grund ist, sich zu schämen. Dummerweise ist es aber nicht kompatibel mit dem Selbstverständnis des Klubs.
Nun könnte man geduldig abwarten bis die Finanzblase platzt (was aber vielleicht nicht passieren wird). Und zufrieden sein damit, in der Champions League einigermaßen regelmäßig das Viertelfinale zu erreichen. Aber man will ja Titel holen und scheitert an diesem Ziel. Doch das liegt nicht nur an der finanziellen Seite des Geschäfts. Auch der Fußball selbst hat sich verändert. Und auch da hinken die Münchner hinterher.
Bayern ist gefangen irgendwo zwischen dem Heldenfußball der Vergangenheit und der Erkenntnis, dass man heutzutage ohne Taktik nicht mehr weit kommt. Heldenfußball, das ist der Begriff den der frühere Freiburger Trainer Volker Finke einst geprägt hat, für den typisch deutschen Spielstil, bei dem die Qualität des Einzelspielers den Unterschied über Sieg oder Niederlage ausmachte. Finkes Freiburger Systemfußball war das Gegenmodell: Ein individuell schwächer besetzter Gegner treibt den besser bestückten Gegner mit guter Organisation zur Verzweifelung. So ähnlich, wie es Bordeaux neulich mit den Bayern gemacht hat.
Das Verrückte dabei ist: Die Verantwortlichen des FC Bayern haben die Zeichen der Zeit ja durchaus erkannt. St. Petersburg im UEFA-Cup und Barcelona in der Champions League waren aber auch schwer zu ignorieren. Uli Hoeneß telefonierte (wie man hört) durchaus regelmäßig zum Meinungsaustausch mit Volker Finke. Bevor Klinsmann verpflichtet wurde stand mit Jürgen Klopp ein Systemtrainer ganz oben auf der Kandidatenliste der Bayern. Und sowohl Klinsmann als auch Van Gaal wurden verpflichtet, um den Klub taktisch weiter zu bringen. Über den Erfolg lässt sich streiten, aber: Die Notwendigkeit ist erkannt worden.
Nur: Bevor die Bayern in der Vorsaison gegen Systemtrainer Ralf Rangnick und die TSG Hoffenheim spielten, polterte Hoeneß: „Nicht die bessere Taktik entscheidet Spiele. Sondern die besseren Spieler. Und die haben wir." Und sofort musste man fragen: „Ist das schon Schizophrenie? Kann man so krass das Gegenteil von dem erzählen, was man tut? Und das ist genau der Zwiespalt, in dem der FC Bayern immer noch festsitzt.
Beispiel: Als es bei den Bayern unter Taktiker und Fußballlehrer Van Gaal nicht gleich lief, griff Uli Hoeneß noch einmal in die Tasche und verpflichtete Arjen Robben. Ein Super-Fußballer, kein Frage. Ein echter Held eben. Nur stopfte er keine (durchaus vorhandene) Kaderlücke und zu den Gaal’schen Versuchen, bei Bayern ein 4-4-2 mit Raute zu spielen passte der gelernte Flügelstürmer erst recht nicht. Und genau da treffen dann auch zwei Vorwürfe von Philipp Lahm ins Mark. Erstens: Die Bayern kaufen wild gute (Helden-) Fußballer ohne zu wissen, wo sie überhaupt spielen sollen. Denn zweitens: Es fehlt eine Spielphilosophie.
Zu Recht merken viele an, dass „Philosophie" gerade im Zusammenhang mit Fußball ein großes Wort ist. Sagen wir also „Spielidee" dazu. Man könnte es auch ganz anders formulieren: Es schadet nie, wenn man einen Plan hat. Und dazu gehört, das System des Trainers zu kennen und dann passende Spieler zu verpflichten. Macht die Auswahl übrigens sogar leichter, aber das nur am Rande. Was im Umkehrschluss heißt, dass man nicht mehrfach im Jahr den Trainer wechselt und wenn doch, dass man jemand findet, dessen Spielidee sich nicht total von seinem Vorgänger unterscheidet. Sonst analysiert der Neue nämlich seinen Kader, stellt fest, dass er 30% der Spieler für sein System nicht gebrauchen kann und geht auf Einkaufstour. Das wird teuer! Besonders dann, wenn man ihn nach 7 Monaten feuert und den nächsten Coach mit anderer Spielidee verpflichtet.
Nun kommt also Hoeneß und erklärt uns, dass eine Mannschaft ja in der Lage sein müsste, mehrere Systeme zu beherrschen. Auch wenn es Menschen gibt, die das ganz anders sehen, kann man diese Auffassung vertreten. Allerdings sind Systeme und Formationen nicht alle untereinander gleich kompatibel. Ein Beispiel: Angenommen, der FC Bayern entscheidet sich für ein 4-3-3 als Grundlage. Dann kann man mit den nahen Verwandten 4-2-3-1, 4-1-4-1 und anderen Versionen des 4-5-1 so ziemlich jede Variante von totaler Offensive bis zu Mauerfußball abdecken. Mit geringen taktischen Veränderungen und je nach Geschmack und gegnerischem Personal.
Dagegen passt das 4-3-3 gar nicht zum 4-4-2 mit Raute. Das eine System (4-3-3) ist nämlich auf Flügelspiel ausgelegt, bei der Raute läuft das Spiel eher durch die Mitte. Und deshalb verändern sich zwischen diesen beiden Formationen die Aufgaben fast aller Spieler (eigentlich bis auf Innenverteidiger und Torwart) grundlegend. Natürlich ist es nicht vollkommen unmöglich, diese beiden Systeme einzutrainieren. Von einem Team im Umbruch, wie dem FC Bayern, ist es allerdings viel verlangt.
Ich vermute, Van Gaals taktische Wechselspiele gehen darauf zurück, dass er verzweifelt irgendein System sucht, mit dem die Mannschaft funktioniert. Eins hat er gefunden: 4-3-3 mit Robben rechts und Ribéry links. Dann fielen aber beide verletzt aus und vorbei war es mit der Herrlichkeit. Denn Flügelstürmer hat der FC Bayern sonst nämlich keine. Und das gehört zu einem gut zusammengestellten Kader auch dazu: Dass Positionen doppelt besetzt sind und nicht jede Verletzung einen Systemwechsel erfordert. Diese Art von sinnvolle Kaderzusammenstellung hat der FC Bayern verpasst.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 16053 | Kommentare: 47 | Bewertungen: 62 | Erstellt:12.11.2009
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KOMMENTARE
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14.11.2009 | 03:31 Uhr
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Torny : @mike
ohne dir zu nahe treten zu wollen, aber so recht stimmt das nicht. man hat damals einen systemwechsel vollzogen.von einer art raute mit dem "10er" ballack - hin zu einer art flachen 6 ... und das sehr erfolgreich. man ist immerhin 07/08 meister geworden mit großem abstand (10 punkte auf bremen) und außerdem ist man pokalsieger geworden. von einem umbruch zu reden ist absolut übertrieben.
ich seh das ähnlich wie andreas, begonnen hat der umbruch mit dem trainerwechsel hin zu jürgen klinsmann. denn eine rückkehr zu hitzfeld ist defintiv kein umbruch - im gegenteil: alte strategie = alter erfolg.
wie dem auch sei, wichtig ist, dass mit ribery und robben bald diejenigen zurückkommen die van gaal's 4-3-3 ermöglichen. und nach möglichkeit sollte der kader halt in naher zukunft so aussehen, dass man auf diesen positionen quantitativ besser besetzt ist wenn mal solche leute ausfallen, so dass man eben nicht auf ein system zurückgreifen muss, für das man jetzt eigentlich nicht das personal hat - wie im moment.
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14.11.2009 | 11:06 Uhr
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danderl : gut, aber ein zwei einwände hab
hallo andreras,guter blog, finde es gut, daß man sachlich seine meinug kund tut, aber in zwei dingen muß ich dir "leider" widersprechen:
bayern hat mit dem kauf v. ribery damals sehr wohl auf ein system mit flügelstürmern/offensiven mittelfeldspeilern gesetzt, nur hat man das dann nicht kontinuierlich weiter verfolgt und gleich im nächsten jahr den passenden part auf der rechten seite gesucht, man war befriedigt, weil man das double gewonnen hat etc., aber das reicht beim fcb halt einfach nicht und fliegt einem nach einem jahr dann ohne titel sofort wieder um die ohren...
und das 442 ist m.m.n. auch gar nicht so weit vom 433 entfernt, wie man immer so gerne sagt, es ist halt eine auslegngssacxhe, denn das 442 mit ribery auf links und schweine/altintop auf rechts mit zwei stürmern (wobei da ja auch einer eher hängend war!) fast geau so aufgestellt wie das nun praktizierte 433 mit robben auf rechts und ribery auf links mit eben nur einem mittelstürmer!
ich bevorzuge nach wie vor das 4-4-2 und zwar mir rib und rob (und ja, wir brauchen adäquaten ersatz für die beiden, wenn sie wie jetzt ausfallen, müller ist ja schon gut, aber da muß mind. noch ein GUTER her!) und zwei stürmern (egal welche, die halt treffen ), dann hat man m.e. das wohl beste system für den derzeitigen kader und die gewünschte philosophie/system!
der fcb hat es halt immer wieder versäumt nach erfolgreichen jahren(und die waren die letzten 10 jahre wohl zur genüge vorhanden) nachzulegen personell, das ist der einzige vorwurf den man denen wirklich machen kann, denn dann mußten sie irgendwelche "schnellschüsse" machen, die natürlich dann bei mässigem erfolg kritisiert werden!
gebt dem systemtrainer vg zeit, mindestens EINE ganze saison, ohne wenn und aber (außer man würde kurz vor dem abstieg stehen , dann gibt sich das und lieber uli, kauft nun systematisch und kontinuierlich bei den schwachstellen in abwehr, mittelfeld und angriff ein dann wird das schon!!
ein wahrer fcb-fan
danderl
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14.11.2009 | 11:20 Uhr
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Außerdem: Top von Sky, dass bei der CL von 16 Begegnungen nur noch 4! mit deutschem Kommentator ausstatten......Premium-PayTV vom Feinsten!
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14.11.2009 | 14:12 Uhr
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Dr_D :
Guter Blog, auch wenn, wie schon einige geschrieben haben, nicht viel Neues drin steht.
Sobald die Bayern Spitze mal von Ihrem hohen Ross runterkommt und den Tatsachen ins Auge schaut wird sich dort was tun. Wenn nicht, wird es weitergehen wie in der letzten beiden Jahren, was für mich heisst der Anschluss an die Spitze wird auch national verloren.
Van Gall ist leider im Ganzen die ärmste Sau. Er soll ein System reinbringen, aber weiss wohl bis jetzt nicht welches...
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14.11.2009 | 14:49 Uhr
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AndreasRenner : @danderl, @vicente81
Danderl, Du verwechselst hier gerade 4-4-2 mit Raute und die "Flache Vier", mit zwei zentralen defensiven und zwei offensiven Außen im Mittelfeld. Wenn Dich der Unterschied interessiert: Ich habe zu diesem Thema am Ende unserer Themenwoche Taktik einen Text geschrieben. Den müsste man noch finden, wenn auch nicht in meinem Blog. Vicente, auch früher wurden die meisten CL-Spiele nur im Originalkommentar gesendet und auf Deutsch nur in der Konferenz. Das ist nichts Neues.
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14.11.2009 | 16:19 Uhr
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Dreumex :
Ich finde dieser Blog glänzt mit Fachwissen, das Thema sehr sachlich angegangen.Lässt sich sehr gut lesen, Hintergründe toll erklärt.
Eine kritische Sicht auf den FC Bayern, ohne jedoch Bayern-Feindlich zu wirken.
Höchstnote!
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"Na ja, der Umbruch in der Vorsaison wurde ja (ob berechtigt oder nicht sei dahin gestellt) mit Klinsmanns Entlassung beendet. Deshalb ging es mit Van Gaal wieder von vorne los. Also sind die Bayern seit 12 Saisonwochen im Umbruch. "
Ohne Dir zu nahe treten zu wollen: Besonders ausgiebig beschäftigst Du Dich nicht mit dem FCB und dessen sportlichen Situation, oder?
Sonst wäre Dir nicht entgangen, dass der der "Umbruch" bereits seit 2007 andauert- genauer gesagt, seit dem Abgang von Zé und Ballack.
Klar wurde das Ganze mal etwas interessanter gemacht, indem viel Geld in Ribéry und Toni investiert wurde, aber eine klare Linie vermisst man seitdem- leider.
Die Fehler, die zur Zeit angesprochen werden, passieren also schon länger...