23.06.2008 um 13:01 Uhr
Elfmeterschiessen: Weg damit!
Heute will ich mich bei euch mal so richtig unbeliebt machen. Das klappt ja ohnehin manchmal schon ganz gut und ist auch völlig okay so, schließlich wäre ja irgendetwas faul, wenn alle immer meiner Meinung wären. Aber diesmal schlage ich richtig zu: Es geht es um eine heilige Kuh im Fußball. Ich werde das Verbotene tun und einen Sepp Blatter machen. Ich schlage eine Regeländerung vor. Ich fordere nämlich: Weg mit dem Elfmeterschiessen.
Historisch gesehen ist das Elfmeterschiessen ohnehin kein Grundpfeiler der Fußballwelt. Schließlich wurde es erst in den sechziger Jahren eingeführt, als Ersatz für den Münzwurf, der bis dahin Spiele entscheiden musste, die nach Verlängerung immer noch unentschieden standen. Ganz früher hat man einfach immer so lange gespielt, bis die Entscheidung gefallen war. Leider klappte das nicht immer. Beispiel: Das Finale um die deutsche Meisterschaft 1922 zwischen dem 1. FC Nürnberg und dem Hamburger SV. Da stand es nämlich nach über drei Stunden Spielzeit 2:2 unentschieden, als die Partie wegen der einbrechenden Dunkelheit abgebrochen werden musste. Im Wiederholungsspiel ging es dann mit 1:1 in die Verlängerung und gespielt wurde, bis den Nürnbergern wegen Verletzungen und Platzverweisen die Spieler ausgingen. Spielstand: immer noch 1:1. Monate später wurde der HSV vom DFB zum deutschen Meister erklärt, verzichtete aber auf den Titel. Weshalb es bis heute keinen deutschen Meister 1922 gibt.
Nach diesem Ausflug in die Geschichte nun also zurück in die Gegenwart. Oder die jüngste Vergangenheit. Reden wir doch einmal über die EM-Viertelfinals. Wir sind uns, glaube ich, schnell einig, das beste Spiel war das eine, das nicht in die Verlängerung ging, nämlich Portugal gegen Deutschland. In den drei anderen Partien regierte die Vorsicht, die Angst vor dem Verlieren. Ausnahme: Russland. Die sind wohl noch so jung, dass sie noch keine Angst kennen. Ansonsten gilt leider: Der Fußballer an sich scheint K.O.-Spiele nicht als Chance zu begreifen, etwas zu gewinnen, sondern nur als Gefahr, etwas zu verlieren. Die Null muss stehen, bis zum bitteren Ende.
Besonders schlimm: Der amtierende Weltmeister Italien. Das muss man sich mal überlegen: Erste Torchance gegen Spanien nach 60 Minuten. Ansonsten: nur nicht verlieren! Eigentlich eine Frechheit gegenüber den Fans. Aber warum geht eine (bekanntermaßen fußballerisch durchaus fähige) Mannschaft wie Italien mit einer solchen Einstellung in ein EM-Viertelfinale? Ich denke, es gibt zwei Gründe. Erstens: Mit Andrea Pirlo fehlte wegen Gelbsperre der italienische Spielgestalter. Zweitens: Spanien ist personell hervorragend besetzt, um einiges besser als die Italiener. Schließlich kann Spanien einen Cesc Fabregas als Einwechselspieler benutzen. Vermutlich haben sich die Italiener ausgerechnet, dass sie in einem offenen Spiel gegen Spanien verlieren würden und deshalb ihre Angsthasentaktik gewählt. Denn im Spiel standen die Chancen nicht Fifty/Fifty, im Elfmeterschiessen aber schon. Und da hat man dann mit Buffon auch noch einen Weltklassekeeper, der in vergleichbaren Situationen schon oft geglänzt hat und die Chancen sogar auf über 50 Prozent erhöht. So ist Italien schließlich Weltmeister geworden. Und genau weil das Elfmeterschiessen Mannschaften ein solches Schlupfloch bietet, muss es weg.
Alles gut und schön, werdet ihr nun sagen, aber wenn wir das Elfmeterschiessen abschaffen, was machen wir stattdessen? Wieder eine Münze werfen? Nein. Wir spielen einfach bis zum bitteren Ende. Einer muss gewinnen, aus dem Spiel heraus. Und damit sich 1922 nicht wiederholt, führen wir eine klitzekleine Zusatzregel ein: In der Verlängerung muss jede Mannschaft alle fünf Minuten zwei Spieler vom Feld nehmen. Also: fünf Minuten elf gegen elf, dann neun gegen neun, sieben gegen sieben, fünf gegen fünf und bei drei gegen drei ist dann Schluss mit dem Rausnehmen. So wird gespielt, bis ein Tor fällt. Nicht, dass es je so weit käme. Denn schon mit sieben gegen sieben kann man einfach nicht mehr nur verteidigen. Es ist unmöglich, alle Räume effektiv zuzustellen, Tore fallen fast zwangsläufig. Und das Beste dabei: Die fußballerisch beste Mannschaft hat bei mehr Platz auf dem Feld bessere Chancen auf den Sieg. Aber auch der Gegner muss versuchen, aus dem Spiel heraus zu treffen. Und schon ergibt die Feiglingsvariante der Italiener (und zahlloser anderer Mannschaften in der Geschichte des Fußballs) keinen Sinn mehr.
Dann und nur dann, wenn man den Mannschaften das Elfmeterschiessen als taktische Variante nimmt, geht man auf Nummer sicher, dass keiner der Beteiligten auf eine derartige Entscheidung spekuliert. Und dann müssen wir Fans nicht mehr 120 langweilige Minuten auf fünf Minuten Hochspannung warten. Und der Fußball ist gezwungen, wieder offensiver zu werden. Das Elfmeterschiessen war, vor fast 50 Jahren, eine gute Erfindung, um eine sportlichere Entscheidung als den Münzwurf herbei zu führen. Den Zweck hat es erfüllt. Heute wird es von Trainern als taktische Variante missbraucht und produziert langweiligen Fußball. Deshalb muss es weg.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 8200 | Kommentare: 69 | Bewertungen: 20 | Erstellt:23.06.2008
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KOMMENTARE
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24.06.2008 | 12:32 Uhr
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Ste :
Klasse Idee, in der 115.Minute beginnt der erste Trainer, sich auf das Kräftemessen einzustellen und trainiert gegen die Ersatzspieler auf der Bank. Nach dem Abpfiff wird ein Tisch in den Mittelkreis getragen, beide Trainer setzen sich und losgeht es. Und die Schweiz müsste so auf das entscheidende Tor spielen, es sei denn, wir unterschätzen Kuhns Muskelkraft.
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24.06.2008 | 12:48 Uhr
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Ich wär für einen Kompromiss! Ab der Verlängerung würde ich 2 Spieler vom Platz schicken (pro Mannschaft natürlich), und bei Gleichstand am Schluss, trotzdem Elfer schiessen lassen.
Es wär doch interessant zu sehen wie sich die Spieler/Trainer darauf einstellen. Wen nehme ich vom Platz, Verteidiger, Stürmer und/oder einen von den Außen? Wie lasse ich taktisch spielen?
Dann käme es nicht nur auf die letzten körperlichen Reserven an, sondern auch die geistigen Reserven.
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24.06.2008 | 13:07 Uhr
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Poda : @AndreasRenner
Bei allem Respekt, aber "Wo bitte sind die Gegenargumente?" ist ein wenig schwach. Ich kann ja auch vorschlagen, dass man in der Verlängerung den Ball auch mal in die Hand nehmen darf wenn es dem Torerfolg dient. Wo sind da die Gegenargumente?? Schon klar, weil es eben Fußball ist. Aber Fußball ist es halt auch, dass 11 gegen 11 spielen. Letztlich schlägst du ja keine Alternative für das Elfmeterschießen vor, sondern eine Alternative für's Fußballspielen, die das Elfmeterschießen entbehrlich macht. Und eine Alternative für Fußball ist nunmal nicht gewünscht. Du kannst die Leute ja auch nicht argumentativ davon überzeugen, dass Handball ein viel besserer Sport ist, weil da mehr Tore fallen. Ist halt Geschmackssache, da bedarf es keiner "Gegenargumente" und der Geschmack votiert halt eher für Fußball...
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24.06.2008 | 13:49 Uhr
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AndreasRenner : @säftsäck, @poda
Säftsäck, genau den Kompromiss darf es für mich nicht geben. Auch mit 9 gegen 9 kann man mauern und sich zum Elfmeterschiessen durchhangeln. Und das darf nicht sein. Recht hast du, wenn Du sagst, es wäre interessant, wie die Trainer darauf reagieren. Wen nehmen sie als Erstes raus? Offensive oder defensive Spieler?
Poda, hä? Verstehe ich Dich richtig? Du meinst 7 gegen 7 ist kein Fußball mehr? Hallenfußball, Beachsoccer, alles kein Fußball mehr? Mal ehrlich, mein Vorschlag ist doch viel mehr "Fußball" als Elfmeterschiessen. Du würdest doch an den Regeln gar nichts ändern, sondern nur nicht mit 11 gegen 11 spielen. "Sanfter" kann eine Regeländerung doch gar nicht sein!
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24.06.2008 | 14:01 Uhr
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Poda :
Ja Du verstehst mich richtig. Die Frage ist doch Folgende: Wenn es mit 7 vs. 7 das gleiche Spiel ist, nur schöner oder sonstwas, warum votierst Du dann nicht dafür, direkt mit dieser Anzahl anzufangen??Wenn ich dich richtig verstanden habe, stört dich ja nicht in erster Linie das Elfmeterschießen als solches, sondern die 120 Minuten davor! Dann wäre es doch Konsequent, direkt zu sagen 7 vs. 7. Warum erst nach 90 Minuten? Denn irgendwann würden Dir die 90 wie 120 Minuten vorkommen. Entweder man mag das Spiel oder eben nicht, man kann Änderungen machen, wann diese jedoch zu tiefgreifend sind und somit das Wesen des Spiels verändern, bleibt jedem selbst überlassen.
Und: Nein, Beachsoccer ist für mich auf gar keinen Fall vergleichbar mit "normalem" Fußball 11 vs. 11!!!
ps: @Rarehero (vor 3 Seiten oder so): Willst Du damit sagen, dass immer die bessere Mannschaft gewinnen würde?? Na das wär natürlich ne Katastrophe... ;)
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24.06.2008 | 15:31 Uhr
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Rarehero : @Poda
Definiere "besser". Ist die Mannschaft besser, die besser nach vorne spielen kann? Ist die Mannschaft besser, die disziplinierter spielt? Ist die Mannschaft besser, die zunächst über eine starke defensive kommt? Ist "Hacke-Trick-Tralala" besser als eine geschlossene Mannschaftsleistung? Oder ist die Mannschaft besser, die das bessere Gesamtpaket hat?Die genannten Lösungen würden meiner Meinung nach die spielstarken Mannschaften zu sehr bevorteilen und die Chancen von Mannschaften, die in erster Linie Disziplin, Defensive und Kampf zum Erfolg kommen, zu sehr mindern. Es ist ja nicht so, dass die Banachteiligung erst in der Verlängerung zum tragen käme. Um diese Verlängerung zu vermeiden, müssten auch die Mannschaften, die offensiv nicht so stark sind, ein Spiel spielen, dass sie nicht beherschen und das vielleicht gegen einen Gegner , der ein Meister des Offensivfussballs ist. Stell dir vor, die Türkei müsste gegen die Russen so spielen wie die Russen, um eine Verlängerung, in der sie auf jeden Fall den Kürzeren ziehen, zu vermeiden. Das geht kaum. Die Möglichkeit, über eine diziplinierte Defensive und gezielten Kontern zum Erfolg zu kommen, bestünde nicht mehr.
Ich finde Elfmeterschiessen auch nicht immer toll. Bei Spielen wie Italien gegen Spanien komme ich immer wieder ins Grübeln. Aber diese Lösung ist immer noch besser als die Alternativen. Die Lösung erlaubt allen Mannschaften, mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, ins Spiel zu kommen. Das ist nicht immer schön, sorgt aber auch für viele Überraschungen, die meiner Meinung nach den Fußball bereichern. Ich möchte nicht erleben, dass Mannschaften wie Brasilien, Argentinien oder Spanien und Portugal die Titel unter sich ausmachen, weil die anderen Mannschaften unter dem Zwang, Offensivfussball spielen zu müssen, fast immer mit den Kürzeren ziehen.
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24.06.2008 | 16:06 Uhr
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Poda : @Rarehero
Rhetorisch nicht schlecht, muss man zugeben, aber so leicht lass ich mich nicht ins Bockshornjagen... ;)Du schreibst in deinem Post, dass dir die Vorschläge nicht gefallen, weil es dann keine Aussenseitersiege mehr gäbe. Und Außenseiter ist doch wohl derjenige (darin sind wir uns doch hoffentlich einig), der im Vorhinein als der Schlechtere eingestuft wird. Und dabei kann ja vollkommen außenvor bleiben, was draunter zu verstehen ist. Und das Ziel des Spiels bleibt ja das gleiche, man mus weiter ein Tor mehr erzielen als der Gegner, vollkommen egal, wie man dieses Ergebnis erreicht. Griechenland hat meines Wissens nach kein Spiel durch Elfmeterschießen gewonnen 2004, also erübrigt sich diese Argument meiner Ansicht nach.
Und wenn dein Argument ist, dass es wünschenswert ist, dass Teams gar nicht darauf aus sein müssen, ein Tor mehr als der Gegner zu schießen, dann muss ich leider sagen: MÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖP!
PS: Das alles nur so am Rande, eigentlich bin ich ja für Elfmeterschießen! ;)
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24.06.2008 | 16:12 Uhr
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kaiser_franck07 : @AndreasRenner
Also langsam musst dich doch irgendwie selber hinterfragen ob deine Aussagen noch Sinn machen.So sympathisch wie du mir bist, aber sei mal ganz ehrlich:
Ein 7 gegen 7 oder ein 9 gegen 9 auf das normal Fussballfeld ist doch komplett fehl am Platze?!
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24.06.2008 | 16:28 Uhr
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Berni12 :
am Besten spieln wir in der Verlängerung mit zwei Bällen dann fallen auch zwangsläfig Tore.
Zudem werden wie Riesery schon gesagt hat die Tore vergrößert und jedes Team muss 2 SPieler abgeben.
Wär das nicht was?
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Armdrücken Köbi Kuhn gegen Fathim Terim.
Dann haben wir in Zukunft nur noch total die Kolosse als Trainer