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05.02.2009 um 23:24 Uhr
Englisches Maurerhandwerk
Wenn Ihr in dieser Saison regelmäßig Spiele der Premier League verfolgt habt, dann ist es Euch vielleicht auch aufgefallen: Wie häufig die Partien der englischen Topteams zu totalem Einbahnstraßenfussball geworden sind. Und wie selten dabei klare Siege herausspringen.

In der Tat denke ich oft an Handball, wenn ich mal wieder mit ansehe, wie sich Chelsea gegen Middlesbrough abmüht, Manchester United gegen Sunderland keine Lücken findet oder Arsenal gegen West Ham sogar Probleme hat, Torchancen zu erspielen. Und der FC Liverpool macht es nicht besser. Ich sage nur 0:0 zu Hause gegen Stoke City, Fulham und West Ham.

Nun kann man eins ganz sicher nicht behaupten. Nämlich dass dabei attraktiver Fußball entstehen würde. Ein Team steht nur hinten drin, wagt sich vielleicht einmal alle 15 Minuten über die Mittellinie und hofft darauf, per Standardsituation aus Versehen mal das Tor zu treffen.

Nun gut, werden manche jetzt sagen, bei übermächtigen Gegnern defensiv aufzutreten, das ist schon immer die Waffe der kleinen Teams gewesen. Und das stimmt ja auch. Trotzdem hat die Mauerei in der Premier League in dieser Saison zwei neue Dimensionen bekommen, die mir Sorgen machen.

Vor zwei Wochen war der FC Everton zum Merseyside-Derby beim FC Liverpool zu Gast. Es war das Spiel Zweiter (Liverpool) gegen Sechster (Everton). Und was tat der Sechste? Er mauerte 90 Minuten lang, tat kaum etwas nach vorne und machte trotzdem ein Tor. Genau, nach einer Standardsituation. Was sagt es eigentlich über die Liga, wenn sich schon der Sechste nicht mehr zutraut, beim Tabellenzweiten in einem offen geführten Spiel Punkte zu holen.

Die Antwort gibt Jimmy Bullard von Hull City heute im „Kicker". Er sagt: Die ersten vier bilden eine Miniliga. Ganz Recht hat er ja nicht. Denn in dieser Saison sind es ja nicht die „Top Four", sondern die „Top Five". Weil Aston Villa oben mitmischt. Und der ganze Rest ist eben genau das: Nur der Rest. Eine andere Welt. Und deshalb müssen alle anderen gegen die Topteams auf totale Defensive setzen. Weil es sonst die Hucke voll gibt.

Wobei, halt – ein kleines gallisches Dorf leistet Widerstand und versucht auf Teufel-komm-raus auch gegen die Großen mitzuspielen. Na gut, das Dorf heißt Birmingham und ist relativ groß geraten, aber Aufsteiger West Bromwich Albion versucht munter, auch gegen die Topteams richtig Fußball zu spielen. Schauen wir doch mal nach, wie das ausging: 0:1 (Arsenal), 0:4 (Man Utd.), 0:3 (Liverpool), 0:3 (Chelsea), 0:2 (Chelsea), 0:5 (Man Utd.). Immerhin verlor man gegen Aston Villa zwei Mal „nur" mit 1:2. Das bedeutet ein Torverhältnis von 2: 22 in 8 Spielen. Macht wenig Mut, oder?

Deshalb mauern also die anderen: Weil es ihre Erfolgschancen erhöht. Aber neu ist, wie gut sie das machen. Wer bei den großen Vier punkten will, der zieht neun Feldspieler an den eigenen Strafraum zurück. Der eine Stürmer ist dafür zuständig, Befreiungsschlägen hinterher zu laufen und ab und zu mal einen Pass zu empfangen. Dann versucht er den Ball lange genug zu halten, bis die Kollegen nachgerückt sind. Doch bevor es so weit kommt, hat ihn schon wieder jemand das Leder abgejagt.

Rund um den eigenen Strafraum werden dann keine zwei Verteidigungsketten mehr gebildet. Gott bewahre, dann könnte ja ein Mittelfeldspieler zwischen diesen Linien einen Ball bekommen. Nein, wenn es sein muss, dann verteidigen die zentralen Mittelfeldspieler direkt neben den Innenverteidigern. Und wenn der Ball auf dem Flügel ist, dann rückt nicht der Außenverteidiger ganz raus, sondern der offensive Mittelfeldspieler und verteidigt an der eigenen Strafraumkante. Würde der FC Bayern so spielen, dann würden Schweinsteiger und Ribéry diesen Job übernehmen. Okay, das kann man sich jetzt nicht so gut vorstellen. Jedenfalls hat das angreifende Team keinen Platz auf dem Flügel. Beim Dribbling kommt man vielleicht am ersten Verteidiger vorbei, der zweite wartet aber direkt dahinter. Beide versperren auch die Passwege so, dass ein Hinterlaufen ebenso aussichtslos ist wie ein Doppelpass.

Also wandert der Ball in die Mitte zurück, wo sich die Angreifer einer Wand aus Verteidigern gegenüber sehen. Im Rücken der Abwehr gibt es keinen Platz, weil sie so tief steht. Durchkombinieren ist unmöglich, weil die Verteidigung so eng steht, dass immer noch einer den Fuß dazwischen bringt. Bleiben Schüsse aus der Distanz. Viel Glück dabei.

Platz ist auf dem anderen Flügel. Dummerweise ist es nicht leicht, dorthin zu passen. Da muss der Ball hoch gespielt werden, ist also bei der Annahme nicht leicht zu kontrollieren. Bis der Stürmer den Ball hat, hat sich das komplette Abwehrgebilde rüber geschoben. Und das Spiel beginnt von vorne. Hohe Flanke, ja, das kann man versuchen. Vorausgesetzt, man hat einen kopfballstarken Stürmer, der sich auch mal gegen drei oder vier Verteidiger durchsetzen kann. Also eher nicht.

Die Verteidiger sind also mittlerweile so gut geworden, dass sie auch den besten Mannschaften der Welt (und dazu gehören die Topteams aus England ohne Frage) komplett das Wasser abgraben können. Und so suchen die Herren Benitez, Ferguson, Wenger und Scolari händeringend nach Lösungen gegen mauernde Kontrahenten. Gefunden hat sie noch keiner in dieser Saison.

Die Qualität dieser Defensivarbeit ist ja durchaus bewundernswert. Eins ist aber auch klar: Wie fast überall im Leben ist zerstören einfacher als kreieren. Deshalb will ich es mit der Bewunderung auch nicht übertreiben. Historisch gesehen war so etwas ohnehin nie vorgesehen. Als 1863 die Fußballregeln festgeschrieben wurden, hat man sich eben auf elf Spieler pro Team geeinigt. Vorher war da alles möglich. Im Rugby (mit dem Fußball vorher ja noch eins war) spielen in zwei verschiedenen Varianten zum Beispiel 13 bzw. 15 Spieler pro Team. Das hätte im Fußball auch passieren können. Jedenfalls gab es in den ersten taktischen Variationen gar keine festen Torhüter und danach spielten Teams mit neun Stürmern und einem Verteidiger. Mauern – so etwas wäre den Herren gar nicht in den Sinn gekommen. Ganz davon abgesehen, dass man damals zum Spaß spielte und niemand konditionell in der Lage gewesen wäre, die Laufarbeit für so ein Defensivkonzept zu verrichten.

Heute geht das aber und es produziert leider oft langweiligen Fußball. Am Samstag kommentiere ich zum Beispiel Chelsea gegen Hull City. Und weiß schon ziemlich sicher, was mich erwartet. Handball auf dem Fußballplatz eben. Was könnte das Ganze ändern: Nun, die Mauerkönige müssten regelmäßig verlieren. Dann würden sie sich etwas anderes einfallen lassen. Jedenfalls tue ich mir schwer, den Außenseitern die Daumen zu drücken, wenn sie nur destruktiv spielen. Denn Mauern muss bestraft werden, damit der Fußball attraktiv bleibt. Oder man müsste eine Passivitätsregel einführen. Wer pro Halbzeit nicht mindestens drei Mal auf das gegnerische Tor schießt, der wird disqualifiziert. Okay, war ein Scherz.

Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 11123 | Kommentare: 43 | Bewertungen: 26 | Erstellt:05.02.2009
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KOMMENTARE
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BayernLiverpool
06.02.2009 | 22:00 Uhr
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06.02.2009 | 22:00 Uhr
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Super Blog! Leider geht die attraktivität durch diese Mauerei verloren, aber was sollen die kleinen denn machen?
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löwengraetscher85
06.02.2009 | 23:11 Uhr
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06.02.2009 | 23:11 Uhr
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jeden spieltag gibt es in der premiere league 10 partien, davon sind max. 4 partien an denen die big4 beteiligt sind.

es ist natürlich etwas "unfair" diese spiele als regel für die ganze liga zu nehmen, was im übrigen der blogger gar nicht gemacht hat. ich kann die gegner von United (die anderen schaue ich nicht allzu regelmäßig) schon verstehen. in den letzten 2 jahren wurden sie von ronaldo&rooney&tevez&co sowas von ausgekontert, die wussten gar nimmer wo vorne und hinten ist.

trotzdem ein gelungener blog, er beschreibt eher die zustände anstatt irgendetwas groß anzuprangern. keiner sagt zudem, daß des jetzt die nächsten jahre so läuft. diese saison ist es grad extrem, es gibt wieder torreichere zeiten
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xxlhonk
05.03.2009 | 15:52 Uhr
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xxlhonk : 
05.03.2009 | 15:52 Uhr
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xxlhonk : 
Ich habe den Blog leider erst jetzt gesehen.
Aber in gewohnter Manier trägst Du deine Gedanken mit direktem und gekonntem Kurzpassspiel vor und nutzt auch die Chancen.
Sprich:
Du bringst es voll auf den Punkt.
Und da ich dieses hilflose angerenne auch nicht mehr sehen kann, verzicjte ich seit ein paar Monaten auf die sonst üblichen Spiele bei Premiere.
Statdessen nutze ich die freie Zeit und gehe lieber zum Handball, denn da fallen viel mehr Tore...
Nein, die Handball-Nummer stimmt nicht.
Aber ich nutze die freuie Zeit und meine Familie freuts
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