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15.09.2011 um 13:39 Uhr
Extrem! Teil 2
Die letzte Verlagerung, die ich beschreiben will ist vermutlich auch die perfideste.

Jede Ultraszene macht irgendwann das durch, was jedem Bundesligaclub irgendwann bevorsteht. Einen Umbruch. Die Älteren, die in der Regel inoffiziell (offiziell sind Ultrabewegungen meist basisdemokratisch organisiert) das Sagen haben scheiden irgendwann aus, Jüngere kommen nach. Und die, die dann schon länger dabei sind und dabei bleiben gewinnen an Einfluss auf ihr Mitstreiter. Und bringen folglich auch das ihnen innewohnende Gedankengut ein, welches, oft aus Unwissen oder aus einer Situation heraus von den restlichen Mitgliedern übernommen wird. Selbstverständlich geht so etwas nicht von einem Tag auf den anderen und es schlägt auch keiner auf einem Meeting vor "wir schneiden uns jetzt alle eine Glatze, tragen Bomberjacken und sind gegen Ausländer. Das wäre zum einen zu offensichtlich und zum anderen schlicht zu plump, um erfolgreich zu sein. Vielmehr ist das Ganze ein schleichender Prozess, frei nach dem Motto "steter Tropfen höhlt den Stein."
Beispiel gefällig?
Man stelle sich nur vor, ein Spieler, zufällig dunkelhäutig, spielt die eigene Abwehr ein ums andere Mal schwindlig und hat sein Torekonto schon auf 2 gestellt, während der eigene Verein einen Kompass braucht, um die Mittellinie zu finden. Besagter Spieler ist bei den Anhängern des unterlegenen Vereins in diesem Moment nicht gerade der Held des Tages. Sobald der nun wieder an den Ball kommt, wandeln sich die allseits bekannten Pfiffe eben mal in Affenrufe um oder es fällt im Mikrokosmos des Fanblocks des öfteren die Aussage "der scheiß Bimbo/Neger" Jeder wird nachvollziehen können, dass derlei Aussagen in den oben beschriebenen Momenten auf fruchtbaren Boden fallen können und es oft genug auch tun. Und so verfestigt sich über einen gewissen Zeitraum die Verhaltensweise, nicht mehr den Scheiß Gegner, sondern eben den Scheiß Neger, Scheiß Bimbo, Scheiß Jugo, Scheiß Schlitzauge zu sehen. Und nach einiger Zeit dröhnt ein "Zyklon B für den FC" (Leverkusen gegen Köln im Dezember 2010, aber auch in vielen anderen Stadien vertreten) durchs Stadion.
Hand in Hand mit einer solchen Wesenveränderung geht in der Regel ein Boykott bzw. ein Austritt aus bestehenden Fanverbindungen und -aktionen/projekten, um sich selbst den Anstrich der Outlaws zu geben, eine Einstellung, die noch mehr zusammenschweißen soll. Wir gegen den Rest der Welt. Und schon hat man eine Ultragruppierung, die ins rechte Spektrum abgedriftet ist.

Was wird dagegen getan?

Die gute Nachricht, mittlerweile hat das Thema den Weg auf die Agenda des DFB und der Vereine gefunden und wird offensiv angegangen. Das war aber leider nicht immer so.

Zwar hat der DFB schon um die Jahrtausendwende einen Anti-Rassismus-Paragraphen in die Stadionordnungen der Bundesligisten schreiben lassen, doch hat dies kaum jemand mitbekommen, der nicht des Öfteren mit der Stadionordnung befasst ist. Denn anstatt sich offensiv in einer Pressekampagne zu äußern verschickte man klammheimlich Briefe an die Vereine, in denen man sie auch noch anhielt, keine allzu große Geschichte daraus zu machen. Zu groß waren wohl die Bedenken um den eigenen Ruf, wenn man mit der Schaffung einer solchen Regelung ja quasi zugeben würde, dass es in Deutschland ein solches Problem gibt. Augen zu und durch hieß die Devise.

Doch spätestens seit der WM 2006 im eigenen Land konnte und wollte man diese Strategie nicht mehr weiter verfolgen. Als im Zuge dieses Ereignisses auf einmal "No-Go-Areas" ausgewiesen wurden und die NPD mit dem allseits bekannten WM-Planer ihren Pflock in den Boden schlug wurde deutlich, durch ignorieren kann man dieser Problematik weder Herr werden noch sie eindämmen.

Und so entschied man sich für den längst überfälligen Strategiewechsel hin zu einer offensiven Gangart.

Als einer der ersten Vereine verbot Hannover 96 sämtliche als szenetypisch bekannte Kleidung (Thor Steinar, Consdaple) im Stadion, weitere Vereine zogen kurz darauf nach.

Der BVB rief eigens ein eigenes Fanprojekt mit dem Namen "Abpfiff gegen Rechts" ins Leben, um zum einen seine Mitglieder für die lange ignorierte Problematik zu sensibilisieren und zum anderen den rechten Bewegungen den Nährboden zu entziehen. So werden regelmäßig Veranstaltungen und Aktionen für kulturelle Vielfalt und respektvolles, friedliches Miteinander abgehalten. Als am 3. September eine Demonstration von Rechtsextremen in Dortmund angemeldet war, entschloss man sich beim BVB in Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund zu einer Gegenveranstaltung beim nächsten Heimspiel (am 20.8.2011) der Schwarz-Gelben, um ein deutliches Zeichen zu setzen.



Der DFB setzt auf intensive Aufklärung. So werden seit einiger Zeit spezielle Schulungen und Fortbildungen für Fanbeauftragte und Fanbetreuer angeboten, um diesen dabei zu helfen die oben beschriebenen Entwicklungen zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.

Und auch die Fans selbst sind nicht untätig. Vom BAFF (Bündnis aktiver Fußballfans) wurde die Aktion "Tatort Stadion" ins Leben gerufen, deren Hauptbetätigung die gleichnamige Wanderausstellung ist. In dieser werden die, auch oben beschriebenen, Versuche der rechten Szene, die Fanszene zu unterwandern dokumentiert und einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Der sonst so auf heimliches und stilles Vorgehen bedachten rechten Szene damit doch ein Stück öffentliches Licht zukommen gelassen.

Fazit

Alles in allem kann der Kampf gegen Rechts in der Fanszene damit auf einen einfachen Nenner gebracht werden. Aufklärung und aktive Gegenarbeit. All diese Maßnahmen sind richtig und wichtig und es ist gut, dass dies mittlerweile auch von Seiten des DFB und der Vereine erkannt wurde und konsequent umgesetzt wird.
Doch allein dadurch wird dieses Problem, das nun einmal da ist, nicht wieder in der Versenkung verschwinden. Entscheidend ist vielmehr, dass in einem Fanblock, in einem Stadion nicht mehr eine schweigende Mehrheit von einer kampf- und lautstarken Minderheit in Geiselhaft genommen wird, sondern dass diese schweigende Mehrheit endlich ihr Potential erkennt und den hier beschriebenen Entwicklungen entschieden entgegen tritt.
Viele Beispiele, von der Ablehnung von Homophobie bis hin zu einer Gesprächsbasis in Sachen Pyrotechnik haben gezeigt, dass eine aktive und funktionierende Selbstkontrolle im Fanblock das beste Mittel ist, um Auswüchsen jeder Art das Wasser abzugraben. Doch eine funktionierende Selbstkontrolle setzt voraus, dass die Mehrheit im Block ihren Einfluss zum einen erkennt und zum anderen auch wahrnimmt. Aktionen und Aufklärung von Seiten der Vereine, des BAFF und des DFB können dabei lediglich Anstoß und Inspiration sein, die Umsetzung liegt bei den Fans allein. Das ist ihre Aufgabe, die müssen sie annehmen. Und sie werden sie auch bestehen.

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Aufrufe: 19780 | Kommentare: 108 | Bewertungen: 85 | Erstellt:15.09.2011
ø 9.1
KOMMENTARE
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xxlhonk
15.09.2011 | 14:02 Uhr
1
-17
xxlhonk : 
15.09.2011 | 14:02 Uhr
-17
xxlhonk : 
Blogpokal und Baileygegen Bailey?
Stark!
Habe beide gelesen und bewerte jetzt schon mal, nicht erst in der Jury.
Teil 1 fand ich herausragend und sehr überzeugend weil auch sehr schön mit Beispielen belegt.
Klarer 10er.

Teil 2 war aber deutlicher am Thema.
Und sehr extrem.
Und sehr auf den Punkt.
Hier auch ein 10er.

Und für die Fleissarbeit ziehe ich dir aber 18 Punkte ab, denn wer will schon ZWeiteiler im BP lesen?
Das macht dann, in der Summe, 2 Punkte
Für jeden 1en.
Womit ich bei meiner neuen Standartbewertung wäre


Ganz großes Kino, Bailey.
Ganz groß.
1
Sanna
15.09.2011 | 14:13 Uhr
6
-1
Sanna : 
15.09.2011 | 14:13 Uhr
-1
Sanna : 
Puh, heftiges Thema! Schon sicher nicht so leicht darüber zu schreiben wie über anderes, aber auch das gehört (leider) zum Fußball nach wie vor dazu... Du schreibst konkret, bringst Beispiele und zeigst, dass das auch bei Vereinen dazu gehört, von denen man selbiges nicht gerade annehmen würde. Gerade auch für die Recherche glatte 10 Punkte
6
Adrian_Mutu
15.09.2011 | 14:13 Uhr
5
-1
15.09.2011 | 14:13 Uhr
-1
Klasse Blog. Vor allem ein Thema was auch mich sehr beschäftigt.
Leider wird es nie möglich sein, diese rechtsradikalen Hohlköpfe komplett aus dem Stadion zu vertreiben, aber Aktionen wie "Zeig Rassismus die Rote Karte" finde ich einen guten Anfang, aber es sollte generell mehr gegen solche Menschen unternommen werden.
Generell gilt, dass im Fußballstadion keinerlei Politik betrieben werden sollte, speziell um durch diesen Volkssport mit Hinterweltler-Propaganda auf seine extremen idiotischen Weltanschauungen aufmerksam zu machen.

5
Meischder
15.09.2011 | 14:18 Uhr
3
-1
Meischder : 
15.09.2011 | 14:18 Uhr
-1
Meischder : 
Alles wurde schon gesagt

Gut, besser, Bailey!!! Klare 10 Punkte

Kleiner Rechtschreibfehler (2. Teil oben nach dem Zitat in fetten Buchstaben heißt es Stadien, nicht Stadion )
3
taneu
15.09.2011 | 14:21 Uhr
5
-1
taneu : 
15.09.2011 | 14:21 Uhr
-1
taneu : 
WOW. Wahnsinn der Blog. Mehr kann ich im Moment nicht dazu sagen.
5
UliFan
MODERATOR
15.09.2011 | 15:59 Uhr
2
-1
UliFan : 
15.09.2011 | 15:59 Uhr
-1
UliFan : 
Ganz starker Zweiteiler über ein schwieriges Thema

V.a der 2.Teil ist dermaßen detailliert beschrieben dass man meinen könnte du hast direkte "Untergrund"- Recherche betrieben.

Und schön dass du mal wieder was geschrieben hast. Ist immer eine Freude deine Blogs zu lesen

20 P
2
Bailey
MODERATOR
15.09.2011 | 16:08 Uhr
0
-1
Bailey : 
15.09.2011 | 16:08 Uhr
-1
Bailey : 
@Uli

Nun, in gewisser Weise hab ich das auch
0
UliFan
MODERATOR
15.09.2011 | 16:12 Uhr
0
-1
UliFan : @ Bailey
15.09.2011 | 16:12 Uhr
-1
UliFan : @ Bailey
Wie das?
0
Bailey
MODERATOR
15.09.2011 | 16:21 Uhr
0
-1
Bailey : 
15.09.2011 | 16:21 Uhr
-1
Bailey : 
@Uli

0
Rodnox
15.09.2011 | 17:51 Uhr
2
0
Rodnox : 
15.09.2011 | 17:51 Uhr
0
Rodnox : 
Phantastische Arbeit. Komplett richtig.

Würde mir aber wünschen, dass auch positive Beispiele auch dem Osten aufgezeigt werden.

In Chemnitz zum Beispiel gibt es seit 2 Jahren gezielte Stadionverbote nach Videoauswertung. So hat man es da geschafft, dass dererlei Ausschreitungen eine seltene Ausnahme geworden sind.


PS.: Lübeck liegt im Osten? Oder gings nur um ein Beispiel?
2
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