Da sind sie wieder, die Mahnenden und Warnenden, die Keller-Verachtenden und Unkenrufenden. Die Pokalpleite gegen Dresden hat sie alle wieder aus ihren Verstecken gelockt, in die sie sich zurückgezogen hatten, nachdem Schalke zum Ende der vergangenen Saison den direkten Einzug in die Gruppenphase der Champions League klar machte und Jens Keller viele kritische Stimmen zum Verstummen brachte. Eine geradezu paradiesische Ruhe senkte sich mit dem Saisonende über das Berger Feld, und Schalke konnte wieder einmal eine Saisonvorbereitung mit Ruhe und Muße angehen - ohne Transferdiskussionen oder Wechselspielchen, ohne Trainerdebatte oder Vorstandsquerelen, wie es in den letzten Jahren so oft der Fall war.
Und diese Vorbereitung war reichlich ereignisarm, denn Schalke verpflichtete weder irgendwelche Topstars noch gab es erwähnenswerte Skandale oder Geschichten. Die wenigen Neuverpflichtungen standen entweder schon länger fest (Sam, Giefer) oder fielen in die Kategorie "passabler Griff" (Choupo-Mouting), sorgten aber weder im Umfeld noch in den Medien für erhöhten Blutdruck. Dies erledigten dann schon eher die Testspielpleiten und die wenig ansehnlichen Spielpräsentationen des selbsternannten Anwärters auf die Champions League-Plätze. Und - wie sollte es auch anders sein - es gibt einmal mehr einen Mann, der bereits vor dem ersten Ligaspiel unter Druck steht wie wohl kaum ein anderer: Jens Keller.
Wasch mich, aber mach mich nicht nass!
Beim "Kabinengespräch", einer mittlerweile festen Einrichtung, bei der sich Manager Horst Heldt direkt den Fragen einiger Fans stellt, gab es von Heldt nur wenig Auskunft zur Situation des gebürtigen Stuttgarters, der seit Winter 2012 das Trainerzepter auf Schalke schwingt. In der "Reviersport" war dazu aus seinem Mund kürzlich lediglich zu lesen, dass man sich zu gegebener Zeit "erklären" würde. Immer noch halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass Thomas Tuchel längst als Kellers Nachfolger feststehen würde. Nach dem Ende der vergangenen Saison habe ich lang und breit darüber nachgedacht, warum Keller auf Schalke keine Lobby hat, und warum seine Wahrnehmung insgesamt einfach so unglaublich negativ ist - zumal dies intern ganz anders zu sein scheint, wenn man den Verantwortlichen Glauben schenkt.
Kritikpunkt 1: das fehlende Konzept. Heldt erklärte dazu beim Kabinengespräch, dass es eine entsprechende philosophische Grundausrichtung für die Jugendtrainer gebe, dass dabei aber die Förderung von Kreativität und Flexibilität im Vordergrund stünden, nicht aber ein starres System. Keller hingegen hat auch nach anderthalb Jahren noch keine eigene Spielidee implementiert. Es gibt immer mal wieder eine wachsweiche Ankündigung, vom ständig gespielten 4-2-3-1 abzuweichen oder sich "taktische Kniffe" offen zu halten. Nur finden diese taktischen Kniffe eben einfach nicht statt, und die Flexibilität zeigt die Mannschaft auch nicht. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Keller sich - wie schon in der letzten Saison - auf Einzelaktionen und Geniestreiche der wenigen Extraklasse-Kicker in seinem Team (Draxler, Boateng, Meyer) verlässt.
Dabei verkennt er, dass die gegnerischen Abwehrreihen in diesem Jahr mit wesentlich weniger Gleichmut an die Verteidigung seiner Nachwuchsstars herangehen werden. Das beste Beispiel hierfür lieferte das Pokalspiel in Dresden, bei dem Max Meyer derart aus dem Spiel genommen wurde, dass er nach fünfzig Minuten wie ein begossener Pudel vom Platz trottete, weil er sich aus der Manndeckung schlichtweg nicht befreien konnte.
Keller hat der Mannschaft keine taktische oder spielintelligente Finesse einimpfen können. Es fehlen Kreativität, Flexibilität und vor allem Geschwindigkeit, die im Falle des Fehlens der ersten beiden dann zum Zuge kommt. Der schwarz-gelbe Erzfeind hat etwa mit den überfallartigen Attacken gute Erfahrungen gemacht, und Klopp aus der Not eine Tugend. Diese Art von Schlitzohrigkeit und Realismus geht Keller ab; er scheint davon überzeugt zu sein, dass seine träge Art, Fußball spielen zu lassen, für den erneuten Einzug in die Königsklasse reicht.
Kritikpunkt 2: fehlende Fairness im Umgang. Nein, Schalkes Vorbereitung war nicht von überzeugenden Spielen geprägt, sondern von mittelprächtigen bis schlechten Spielen, in denen die einzelnen Akteure oft genug ihre Unzulänglichkeiten präsentieren durften. Allen voran gelang Letzteres dem Kollegen Felipe Santana, der nicht nur hie und da patzte, sondern auch im ersten Pflichtspiel gegen Dresden nachhaltig unter Beweis stellte, warum er in der Schalker Startformation schlichtweg nichts zu suchen hat. Auch Kevin-Prince Boateng hatte mehr Schatten als Licht in seinen Testspielen anzubieten, und dennoch durfte auch er von Anfang an im Flutlichtspiel auflaufen. Dafür saß der junge, motivierte und gut ausgebildete Kaan Ayhan 90 Minuten auf der Bank, obwohl er in der Vorbereitung durch vergleichsweise gute Leistungen als Rechtsverteidiger auf sich aufmerksam gemacht hatte.
Das Vertrauen in die Qualität der eigenen Jugendspieler wird immer wieder von verschiedener Seite (Tönnies, Heldt) laut propagiert, doch wenn der Trainer besagte Jugendspieler dann eben nicht zum Einsatz bringt, verpufft nicht nur die gute Außenwirkung, sondern auch die Motivation dieser Nachwuchsspieler. Da muss man sich dann auch noch mal auf der Zunge zergehen lassen, dass eben diese Jungs dem Trainer in der vergangenen Saison den Arbeitsplatz gerettet haben.
Kritikpunkt 3: die schlechte Außendarstellung. Kellers Mienenspiel hat sich nur marginal verändert, sondern beinhaltet häufig noch den gleichen, traurigen Basset-Hound-Blick und die hängenden Mundwinkel, wegen denen er schon im letzten Jahr fortlaufend unter den Beschuss von Medien und Umfeld geraten ist. Auch seine Körpersprache und sein Verhalten in den Interviews zeugen nicht davon, dass er die vielen Ratschläge aus dem Verein und seinem Umfeld beherzigt hätte - vielmehr ist er während des Spiels wenig präsent an der Seitenlinie. Die Reaktionen nach dem Spiel zeugen außerdem davon, dass er mit dem augenscheinlich bestehenden Druck nicht besonders gut umgehen kann. Von fünf oder sechs "Totalausfällen" zu sprechen, somit die halbe Mannschaft, deckt sich nicht mit seiner Entscheidung, erst nach 52 Minuten den ersten Wechsel vorzunehmen. Ausgewechselt wurde dann zunächst Max Meyer, der mit seinen 18 Jahren das Spiel der Knappen gestalten sollte, und dann Sidney Sam, der an diesem Tag keine Bindung zum Spiel fand. Ohne Zweifel waren dies zwei der Totalausfälle, die Keller nach dem Spiel medial an den Pranger stellte. Da wünscht man sich als Spieler wohl, dass man selber nie einen schlechten Tag hat, wenn man schon nach einem schlechten Spiel so durch den Kakao gezogen wird.
Ausblick auf die "Krise von außen"
Einer der Totalausfälle war sicher auch Roman Neustädter, dessen Lethargie und Schläfrigkeit in Spielaufbau und Passspiel wohl mehr als einem Schalker die Zornesröte ins Gesicht getrieben haben dürfte. Dieser ließ sich jetzt zu der Bemerkung hinreißen, eine Krise käme "immer von außen". Ein erschreckendes Statement, suggeriert es doch, dass die interne Analyse dergestalt ausgefallen sein könnte, dass die eigenen Farben keine Schuld tragen, und äußere Einflüsse für die schlechte Stimmung verantwortlich sind.
Neustädter selbst, der für etliche Ballverluste im Spiel verantwortlich zeichnete, weil er entweder schlichtweg nicht mitdachte, schlief oder schlampig abspielte, gehört zu den bevorzugten Spielern Kellers. Oder er weiß von einer Leiche im Keller des Cheftrainers anders ist das fortlaufende Aufbieten Neustädters kaum zu erklären, wenn man sich die Alternativen für diese Position im Kader anschaut (Höger, Sobottka, Kirchhoff, Ayhan). Reißt Keller das Ruder nicht mit einem deutlichen Sieg in Hannover und einem mindestens achtbaren Ergebnis im folgenden Heimspiel gegen München herum, dürfte die Trainerdiskussion rund um den Ernst-Kuzorra-Weg wieder so richtig Fahrt aufnehmen. Dass mit Thomas Tuchel schon ein potenzieller Nachfolger bereit steht, ist im Schalker Umfeld mittlerweile mehr als nur ein bloßes Gerücht. Ein Trainer mit Konzept, mit Feuer und Leidenschaft... Dinge, die mir bei Keller fehlen. Umso gespannter bin ich nun, wie sich die Mannschaft in Hannover präsentiert, und ob es danach (so wie im letzten Jahr) lediglich Panikkäufe oder tatsächlich einen Führungswechsel gibt.
Keller wird seit Jahren heruntergemacht, schafft es aber immer wieder. Die Spieler stehen hinter ihm, im Gegensatz zu den "Fans".
Edit: Seit Jahren ist übertrieben, aber seitdem er eben die Verantwortung hat.