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Von: KEMPERboyd
27.06.2013 | 8888 Aufrufe | 22 Kommentare | 19 Bewertungen Ø 7.2
Peter Scholl-Latour und Eintracht Braunschweig
Herrschaft des Geldes
Ist VW schlimmer als Red Bull?

Die Kopfzeile ist nicht die Einleitung zu einer rührseligen Geschichte über die intensive Verbindung eines Greises mit dem auferstandenen Traditionsverein, dem er in seiner Jugend verfallen war. Kein Henry Kissinger, kein Greuther Fürth, nirgends. Zwischen dem Verein aus einer Residenz Heinrichs des Löwen und dem Welterklärer gibt es meines Wissens keine Verbindung außer der in meinem Kopf. In kurzer Folge sah ich jüngst ein mehrere Jahre altes Interview mit dem polyglotten Journalisten und ein "geleaktes" Foto der neuen Eintracht-Spielkleidung.



Der knapp 90-jährige warnte anhand des Beispiels der damaligen, heuschreckigen Übernahme von ProSieben-SAT 1 vor einer Plutokratie, also einer entarteten Herrschaft des Reichtums oder noch kürzer der (wenigen) Reichen.



Beim Blick auf das neue Trikot des Meisters von 1967 fiel mir nicht nur der neue Ausrüster ins Auge, sondern auch der neue Sponsor. Es leuchtet einem förmlich deutlich abgesetzt von dem gelben Trikot ein silbernes S entgegen, das Logo des Autobauers SEAT. Die Firma gehört mehrheitlich VW. Ich konnte mich dem Gedanken nicht entziehen, dass auch im deutschen Fußball eine Plutokratie droht. Oder haben wir sie längst?



Die Plutokratie war bereits den alten Griechen als Unterform der Oligarchie bekannt. Über Oligarchen, vorwiegend aus Russland und dem nahen Osten, wird im Fußball seit Jahren leidenschaftlich gestritten. Die solide deutsche Bundesliga hält sich viel darauf zugute, dass sie sich den Finanzspritzen aus zweifelhaften Milliardärsvermögen durch die 50+1-Regel de facto konsequent verweigert. Umso mehr Argwohn schlägt Modellen wie in Hoffenheim oder Leipzig entgegen, denen man wohl nicht ganz zu Unrecht unterstellt, die Regeln über das Verbot bestimmenden Einflusses von Investoren auf Vereine zu unterlaufen. Was immer man davon hält: sind solche Einzelfälle wirklich das Problem? Ich meine: nein!



Abramowitsch und Winterkorn Brüder im Geiste?

VW ist einer der nur zwei Profiteure von den offiziellen Ausnahmen von der 50+1-Regel. DFB und DFL deklarierten den VfL Wolfsburg zum historisch gewachsenen Werksclub und ließen eine Mehrheitsbeteiligung des Autobauers an der 2001 gegründeten VfL Wolfsburg Spielbetriebs-GmbH zu. Mittlerweile ist die Profiabteilung des VfL eine hundertprozentige Tochter des Konzerns. Dass diese Ausnahme wettbewerbsverzerrend wirkt, ist hinlänglich bekannt und schlimm genug. Viel schlimmer aber ist, dass sich der Milliardenkonzern auch jenseits von Wolfsburg ungehindert Einfluss auf andere Vereine verschaffen darf.



So gehören der VW-Tochter Audi knapp 10 % der Anteile an der FC Bayern AG. Audi-Boss Stadler und Volkswagen-Chef Martin Winterkorn sitzen zudem im Aufsichtsrat beim deutschen Rekordmeister. Die vormals Horch genannte Kfz-Schmiede aus Ingolstadt sponsert seit Jahren das örtliche Kunstgebilde FC Ingolstadt 04. In dessen Aufsichtsrat wiederum tummeln sich ein aktueller und ein ehemaliger Audi-Vorstand sowie der aktuelle Justiziar der Firma. Ihre Spiele tragen die "Schanzer" passender Weise im Audi-Park aus. Ganz nebenbei ist Audi "Business Team Partner" der TSG Hoffenheim und "Exklusivpartner" von Hertha BSC.



Die 75-prozentige VW-Tochter MAN fuhr beide Champions-League-Finalisten in die Tiefgarage unter der Wiege des Fußballs und ist mit den beiden deutschen Top-Clubs verpartnert. Jetzt wird das Sponsoring mit der VW-Tochter SEAT bei Eintracht Braunschweig also noch breiter aufgestellt.



Ganz nebenbei ist VW selbst laut Eigenbezeichnung der Vereine noch "Premiumpartner" des FC Schalke 04, "Top-Sponsor" von Werder Bremen und "Exklusivpartner" von Hannover 96. Darüber hinaus gibt es gemessen am Gesamtvolumen vermutlich zu vernachlässigende Partnerschaften wie zum Beispiel mit Zweitligist Greuther Fürth.



Das alles reicht aber noch nicht. Zur Krönung ist VW seit vergangener Saison auch noch Premiumpartner des DFB-Pokals und erscheint auf dem linken Ärmel der Trikots aller 64 teilnehmenden Mannschaften.



Mal ganz davon abgesehen, dass die Autobauer dann auch noch zig Werbespots bei den "objektiven" Berichterstattern von Sky schalten, Sponsor des noch objektiveren "aktuellen sportstudios" sind und Töchter wie Audi in ganzseitigen Anzeigen in Tageszeitungen dem Triple-Sieger 2013 gratulieren.



Wie sagte der Außenstaatssekretär in sensationell simplizistischer Diktion mit Bezug auf die Türkei zuletzt: "Das geht so nicht."



Wo ist das Problem?

Drei Dinge vorweg: anders als manche Oligarchen hat VW sein Geld wohl weitgehend legal verdient. Dass sich große Firmen im Sportsponsoring engagieren, ist an sich auch nicht anrüchig. Auch Mehrfachsponsoring ist keine Exklusividee aus Wolfsburg. Zu bestaunen bei den Dauerfastpleitiers aus Rüsselsheim (u. a. Dortmund, Düsseldorf, Leverkusen), dem magentafarbenen Telekommunikationsriesen (u. a. FC Bayern, VfB Stuttgart) oder dem amerikanischen Zuckerbrausehersteller (praktisch überall). Aber OPEL besitzt nicht die Mehrheitsanteile an einem Konkurrenten seiner Partner, die Deutsche Telekom ist nicht (mehr) Namenssponsor eines Wettbewerbs, in dem ihre Partner antreten. Und die Vorstände von Coca-Cola oder deren Tochterfirmen bevölkern nicht Aufsichtsgremien von mehreren Bundes- und Zweitligisten gleichzeitig.



Die Konzentration von direktem und indirektem Einfluss muss Grenzen haben. Ich neige nicht zu Verschwörungstheorien. Deshalb glaube ich auch nicht, dass Herr Winterkorn mit den Großkopferten des FC Bayern und des VfL Wolfsburg vor dem Pokalhalbfinale 2013 zwischen den beiden Vereinen konspiriert und den Sieger im vorhinein festlegt hat, um dem Sponsoring auf verschiedenen Ebenen größtmögliche Wirkung zu verschaffen. Ich fürchte auch nicht, dass am 34. Spieltag der kommenden Saison der Audi "Team Business Partner" Hoffenheim zufällig gegen die womöglich noch im Abstiegskampf stehende, SEAT-gesponsorte Braunschweiger Eintracht verlieren und ihr den Klassenerhalt ermöglichen wird.



Aber ein Geschmäckle bleibt.



Viel wichtiger ist auch, dass die tatsächlich den Geschäftemachern obliegenden Entscheidungen kontaminiert werden. Wer garantiert, dass der teilweise Audi gehörende FC Bayern nicht Jugendspieler zu vergünstigten Konditionen an den FC Ingolstadt ausleiht? Wie kann man sicher sein, dass der VfL Wolfsburg marktgerechte Preise für Spieler von Werder Bremen, Schalke 04 oder Hannover 96 zahlt? Solche Konflikte sind auch nicht nur theoretischer Natur.



Im Juni 2012 saß Uli Hoeneß vor dem Fernseher und guckte die EM. Der kroatische Stürmer Mario Mandzukic tat es ihm spontan an und sollte verpflichtet werden. Als Ablöse wurden ca. 13 Mio. Euro aufgerufen. Investitionen dieser Größenordnung müssen beim FC Bayern durch den Aufsichtsrat genehmigt werden. Dort mit Sitz und Stimme vertreten ist mit Martin Winterkorn der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, bei dessen Tochtergesellschaft VfL Wolfsburg GmbH Mandzukic einen laufenden Vertrag besaß.



Der Transfer ist - soweit bekannt - ohne größere Schwierigkeiten über die Bühne gegangen. Was aber wäre gewesen, wenn die Geschäftsführungen des VfL Wolfsburg und des FC Bayern einen Transfer unter Marktwert verhandelt hätten? Stimmt Winterkorn als Aufsichtsrat der Bayern dann dagegen, schadet er dem Rekordmeister, stimmt er dafür, verliert eine Tochter des Unternehmens, dem er vorsteht, ein Asset ohne angemessene Kompensation. Der mögliche Interessenkonflikt ist offensichtlich. Es gilt, den Anschein zu vermeiden.



Die Lösung ist einfach

Die DFL ist gefragt, solche Konstellationen von vorne herein zu verhindern. Die Regularien müssen dahingehend verändert werden, dass solche Mehrfachbeteiligungen- bzw. Kontrollen ausgeschlossen werden.



Im völlig durchkommerzialisierten US-Sport ist das selbstverständlich. In der NBA darf jedes Unternehmen und jeder Privatinvestor beispielsweise nur an einer franchise beteiligt sein. Jedem Eigentümer ist es verboten, auch nur minimale Anteile an einem Wettbewerber zu halten oder diesen (mit) zu kontrollieren.



Mehrfachsponsoring muss nicht gänzlich verboten werden, aber es ist sicherzustellen, dass ein Unternehmen, seine Tochterfirmen und deren Repräsentanten nicht in mehreren konkurrierenden Vereinen Funktionen in der Geschäftsführung und den Aufsichtsräten ausüben.



Die Prediger der ungehemmten wirtschaftlichen Freiheit werden entgegenhalten, dann werden VW und seine Tochterfirmen ausländische Top-Clubs sponsern oder übernehmen. Ich sage: das ist ggf. der Preis für die Vermeidung der Fußball-Plutokratie. Das Geld der russischen Oligarchen lehnt die Bundesliga auch ab und es hat nicht geschadet. Und auf Sicht sind ein paar verlorene Sponsor- und Beteiligungsmillionen nicht so teuer wie der ungute Ruch der Manipulation.

KOMMENTARE
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BlackMagic
02.07.2013 | 22:13 Uhr
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BlackMagic : 
02.07.2013 | 22:13 Uhr
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BlackMagic : 
manitoba lass es sein und halt dich zurück, du blamierst dich ja gerade bis auf die Knochen so wie du vorgeführt wirst
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BS_Lionheart
04.07.2013 | 09:43 Uhr
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BS_Lionheart : Braunschweig
04.07.2013 | 09:43 Uhr
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BS_Lionheart : Braunschweig
Abgesehen davon, dass ich viele deiner Argumente teile und den Denkanstoß für gut halte, ein paar Anmerkungen zu Eintracht Braunschweig.

In den letzten Jahren war der Trikotsponsor die VW Bank deren Sitz in BS ist (außerdem befindet sich hier noch eine Produktionsstätte der AG). Sie hat das frühere Engagement der VW Sportförderung teilweise abgelöst und dem Vernehmen nach etwa 500 T Euro für die 2.-Ligabrust bezahlt, also einen durchaus mittelmäßigen Betrag. Es ist zumindest öffentlich nie aufgefallen, dass die Bank in irgendeiner Form versucht hat Einfluss auf die Vereins- oder Geschäftsführung zu nehmen.

Der Vertrag mit der Bank hätte auch für die 1. Liga gegolten, allerdings zu wohl vergleichsweise geringen Konditionen. VW soll dem BTSV eine Vertragsauflösung angeboten haben, falls sich ein anderer, zahlungskräftigerer Sponsor finden sollte, gleichzeitig aber eine andere VW-Marke für mehr Geld angeboten haben. Das Ende ist bekannt, es wurde SEAT.

Heute wurde eine weitere Zusammenarbeit mit VW verkündet, die in Fankreisen sehr positiv aufgenommen wird. Wie in der Vergangenheit (damals waren es 5 Banken/Versicherungen für 300 T Euro pro Jahr) hat VW für 2 Jahre die Namensrechte am Stadion gekauft....und nennt es EINTRACHT - Stadion.

Klingt alles positiv und ist es auch, wenn es bei der bisherigen Konzernpolitik bleibt, also kein erkennbarer Einfluss durch den Konzern genommen wird. Dennoch wird in Fankreisen das Engagement kritisch gesehen. Viele Gründe dafür findet man in deinem Blog. Hinzu kommt noch, dass BS von denen, die sich nicht weiter mit der Materie beschäftigen, in einen Topf mit WOB geworfen wird. Sicher ist die Eintracht auch ein Teil des Marketingkonzeptes der VWAG, aber hier werden keine zusätzlichen Mittel für Dutzende von Spielern ausgegeben, unsere Ansprüche sind andere.

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