Prolog / Don't call it a Clásico
Bisweilen gibt es Kritik am Begriff "Deutscher Clásico". Auch ich mag ihn eigentlich nicht. Aber wer heute zwanzig Jahre alt ist, hat nur vier Mal einen anderen Meister erlebt als BVB oder FCB. Wie soll man das Gigantentreffen sonst nennen? DB hat dieses Schienenunternehmen aus Berlin patentiert. "Deutsches Derby" in Anlehnung an Inter gegen Juventus? Eher nicht. #BVBFCB schreibt sich in Fließtexten so schlecht. Ich bin für Vorschläge offen. Bis dahin bleibe ich bei der Parallele zum Duell der Königlichen mit den sezessionistischen Katalanen.
Zum 18. Geburtstag der schwarz-gelb-roten Rivalität gab es für den BVB und den Rekordmeister das erste rein deutsche Endspiel in der Königsklasse (https://www.spox.com/myspox/blogdetail/Historico,195391.html). Mehr geht nicht? Wär doch traurig, wenn nach der Volljährigkeit nichts mehr käme. Jupp Heynckes hat ein halbes Jahrhundert nach der persönlichen Achtzehn noch die Champions League gewonnen. Und es gibt diese kleinen Momente zu entdecken. Histörchen. Auch in der Pubertät. Episoden aus dem Unterholz einer Scheinwerferlichtbeziehung. Die im Schatten sieht man nicht.
Die Ruhe vor dem 2:1
Wie Pedanterie die Fußball-Welt veränderte
Es ist neben dem WM-Finale das größte Spiel der Welt. UEFA Champions League Finale. Bayern. Dortmund. 25.05.2013. Größer wird es aus Sicht des Michel nicht. In großen Spielen entscheiden aber oft Kleinigkeiten. Manchmal sogar Kleinlichkeiten. Wie oft hat sich jeder Fußballfan schon erregt, wenn die eigene Lieblingstruppe einen Freistoß ausführt, um das unterbrochene Spiel mit Tempo fortzusetzen, der Schiedsrichter aber zurückpfeift, weil er noch eine Viertelumdrehung pro Minute auf dem Ball erkannt haben will? Der Ball muss ruhen. Da gibt es kein Pardon. Wäre ja noch schöner.
Das gilt an irgendeinem semi-bedeutsamen Bundesliga-Spieltag genauso wie in der schicksalhaften 89. Minute in Wembley. Nicola Rizzoli gibt einen Freistoß für Jerome Boateng, den - wie pflegt Jürgen Klopp zu sagen - nicht jeder Unparteiische gibt. Irgendwo im Mittelfeld. Der Ball flippert ein bisschen durch die Londoner Abendluft. Ein Moment des Innehaltens. Ein Moment, in dem sich wohl beide Mannschaften nicht ganz sicher sind, ob 30 Minuten Extra-Nervenkitzel nicht doch besser wären als das Risiko des Sekundentodes innerhalb der 90 Minuten. Javi Martinez plagen solche Zweifel nicht. Kein Wunder, das Finale dahoam hat er allenfalls im Fernsehen gesehen.
Der spanische Neuzugang kickt das noch minimal rollende Spielgerät also wenig inspiriert in Richtung linke Außenbahn. Aber nicht mit dem deutschen Beamten im Körper eines italienischen Unparteiischen. Rizzoli hustet in die Pfeife, Ball zurück an den Mittelkreis. Jerome Boateng kreiert das Stillleben "Kunststoffkugel auf englischem Grün", nimmt ein paar Schritte Anlauf und drischt die Kugel an die Dortmunder Strafraumgrenze. Ribérys Hacke, Robbens Moment der Erlösung, bayerischer Freudentaumel. Hätte Martinez kurz auf den Ball getreten, wer weiß: vielleicht würde man heute die Namen Valencia oder Juventus nennen, wenn man nach historischen Parallelen der Saison 2012/2013 des FC Bayern sucht. Vielleicht hätten die Dortmunder Mannschaften von 1997 und 2013 etwa 20 kg Silber mehr gemeinsam.
Kleine Gemeinheiten erhalten die Freundschaft
Unbekannter Teilnehmer oder warum Kloppo nicht Air Bäron ist
Hat Uli Hoeneß dem BVB zu alter Größe verholfen? Nein, es soll nicht wieder um den leidigen, angeblichen Kredit aus dem Jahr 2005 gehen. Der Bayern-Präsident will Jürgen Klopp aus einer fixen Zusage an den deutschen Rekordmeister entlassen haben. Damals. Also man munkelt, dass Hoeneß das will. Eine Quelle lässt sich nicht finden.
Und zeitlich passt es auch nicht zusammen. Die selbstauferlegte conditio sine qua non dafür, dass Klopp überhaupt für die Bayern verfügbar gewesen wäre, war der Nichtaufstieg des FSV Mainz im Jahre des Herrn 2008. Der stand erst im Mai fest. Jürgen Klinsmann war schon im Januar desselben Jahres vorgestellt worden. Hätte es eine verbindliche Zusage des Jürgen K an den FCB gegeben, sie hätte irgendwann zwischen dem "Fußball ist keine Mathematik"-Monat a. k. a. November 2007 und Januar 2008 erfolgen und zurückgenommen werden müssen. Schnee im August dürfte wahrscheinlicher sein.
Jürgen Klopp aber wird immer wieder danach gefragt, wie das damals war. Die fernmündliche Unterhaltung streitet er nicht ab. "Er hatte Glück, dass ich überhaupt rangegangen bin", feixt Klopp gerne. Statt des Namens "Hoeneß", dessen Nummer er nicht hatte, tauchte der vielzitierte unbekannte Teilnehmer auf dem Display auf. Er ging dann doch ran. Der Inhalt der Konversation bleibt geheim. Und gerade das regt die Phantasie wohl an. Wäre Klopp an die Isar statt ins Ruhrgebiet gewechselt, die jüngere deutsche Fußballgeschichte wäre wohl anders gelaufen. Die Bayern hätten sich wohlmöglich die Buddhas, die Gladiolen erspart, aber auch das Heynckes-Comeback verpasst. Sammer wäre vielleicht noch DFB-Sportdirektor. Die Bayern hätten vielleicht nie Martinez verpflichtet und Rizzoli hätte den Spanier nie zurückgepfiffen...
Lob sei (von) Dir, Dr. Gott
Fair Play Preis an Herne West und Bauern München
Wenn der Dortmunder Präsident Bayern München und Schalke 04 für die unglaublich faire Mitentscheidung der Meisterschaft dankt, dann ist Jahrmarkt im Himmel. Oder Dortmund ist zum ersten Mal seit 32 Jahren deutscher Meister. Was stimmungsmäßig kaum einen Unterschied macht.
Minute 25:25 ff.
Was war passiert? Fast-Meister Bremen hatte anno 1995 am 32. Spieltag in Gelsenkirchen und am 34.Spieltag im altehrwürdigen Olympiastadion 0 Punkte geholt. Was genau einer zu wenig war, um das Dortmunder Martyrium auf 33 Jahre auszudehnen. Danke. Bitte. Gern geschehen.
Pacta sunt servanda
Zwei Herren, ein Meister
Winter 2001. Das neue Millenium war angebrochen. Unsere westlichen Nachbarn berauschten sich an einem algerisch-stämmigen Zauberer auf dem Höhepunkt seiner Karriere. In Deutschland waren Talente rar gesät. Und wenn es sie bei Topvereinen gab, hatte man sie nicht ausgebildet, sondern zugekauft. Sie trugen exotische Namen wie Rosicky oder Santa Cruz, aber mangels deutschen Passes nie den Adler über dem Herzen. In diesen Zeiten entstand um fast jeden Indigogermanen dieseits der 25 Jahre ein Wettbieten zwischen BVB und FCB. So auch um Sebastian Kehl.
Etwa zu Zeiten, als Bastian Schweinsteiger seiner "Cousine" eine nächtliche Führung durch das Rehazentrum mit Entmüdungsbecken an der Säbener Straße gab, galt der Schlaks aus der Jugendschule an der Dreisam als die deutsche Zukunft auf der Sechs. In diesen Zeiten der taktischen Unterbelichtung in Deutschland sprach man noch von defensiven Mittelfeldspielern. Vielleicht war damals in Dortmund mehr Geld zu verdienen, vielleicht war die sportliche Perspektive ausschlaggebend, vielleicht waren Namen wie Sternkopf noch präsent. Jedenfalls unterschrieb Kehl trotz angeblicher Zusage beim Rekordmeister schließlich in Dortmund. Hoeneß gab sich zwar geschlagen, wollte aber eine Entschuldigung. Anders als Klopp Jahre später räumte Kehl schließlich ein, er habe sich "davon überzeugt, dass Bayern München davon ausgehen konnte, dass eine Zusage zu einem Wechsel nach München besteht". Klingt verdächtig nach Michael-Meier-Geschwurbel. Für Bayern München sei die Sache damit "abschließend erledigt", ließ man wissen. Klingt verdächtig nach...
Schaut man sich die persönlichen Briefköpfe von Spielern an, die um die Jahrhundertwende nach München kamen und bis heute dort sind, konnte man lange meinen, Kehl habe mit Zitronen gehandelt. Doch während Stars wie Koller, Amoroso oder Ewerthon längst im Wandervogelschwarm verschwunden waren, führte Kehl die Westfalen neun Jahre nach 2002 wieder als Kapitän zur Meisterschaft.
Unser Bestes von Persil
50+1-Regel mal anders
Weidenfeller (5) Metzelder (6) Brzenska (6) Wörns (5) Dede (5,5) Kehl (5) Kruska (6) Kringe (5) Smolarek (6) Ricken (6) Koller (5). So benotete der boulevardesker Umtriebe weitgehend unverdächtige Kicker die Dortmunder Leistung am 19.02.2005. In München. 0:5 lautete das Endergebnis. Die mitgereisten Fans mögen traurig gewesen sein. Ansonsten feierte Dortmund. Hurra wir leben noch. Am Abend vorher hatte der Dortmunder Geschäftsführer einen Zahlungsaufschub der nervösen Gläubiger erhalten. Im Jahr 96 des Bestehens war der BVB damit gerade so der Insolvenz von der Schippe gesprungen.
Zu sagen, Dortmund sei damals arm wie eine Kirchenmaus gewesen, hieße, die Lage schön zu färben. Kirchenmäuse brauchen zumindest kein Waschmittel. Ein Bundesligaclub, dessen Angestellte jedes Wochenende gelbe Oberteile mit Grasflecken besudeln, schon. Da in der Woche vor dem Gastspiel im Zeltstadion selbst für eine Packung Reiniger die Barmittel nicht mehr reichten, streckte Watzke die benötigten ca. 50 Euro aus der Privatschatulle vor. Ein Schelm, wer da "Investor!" ruft.
Bestia negra-amarilla
Wenn einer eine Reise tut...
...dann kann er was erzählen. Es gab Zeiten, da wollte der bajuwarische Vorstandsberater Punkte für demnächst 60 Cent in die Pfalz verschicken. Ganz so schlimm ist es für den Rekordmeister in der Festung früher bekannt als Westfalen-Stadion zwar noch nicht. Und die Bayern werden wohl auch am Freitag in den Flieger steigen, um zu sehen, ob es am Samstag nicht doch was zu erben gibt in Dortmund. Aber statistisch gesehen könnte man auch in die Poststelle gehen.
Wembley und das Pokalspiel 2013 nimmt den Bayern niemand mehr. Die 13:14 Tore in den letzten zehn Liga-Jahren sehen aus bayerischer Sicht gar nicht so übel aus, werden aber von jenem 5:1 geschönt, das Louis van Gaals Wirbelsäule beanspruchte. In der letzten Dekade nahmen die Roten ganze zwei Mal alle Punkte aus Westfalen mit. Bedenkt man, dass man den BVB erst seit 2010 wieder Spitzenmannschaft nennen darf, gewinnt das Wort "Angstgegner" neue Aktualität. Viermal waren Flasche und Punktekonto bei der Abreise leer. Zuletzt verweigerte der BVB dem FCB in der Liga sechsmal am Stück den Dreier. Von den 91 Punkten des letzten Rekordjahres gab es nur zwei gegen die schwarz-gelbe Pressingbestie. The trend is your friend? Nicht wirklich.
Seit jenem Jubelsprung von Franck Ribéry im Herbst 2009 gab es nichts als Leid für nach Dortmund mitgereiste bayerische Schlachtenbummler. Anekdoten wie Sahins Freistoß-Gemälde, Lewandowskis Hacke, Robbens Todeslupfer aus zwei Metern über die Latte oder Rafinhas Hände, Arme und Ellenbogen in den Gesichtern aller möglichen Dortmunder Gegenspieler sind ein garantierter Stimmungskiller für jeden Rekordmeister-Anhänger. Aber davon vielleicht mehr beim nächsten Mal...
Epilog / Aufruf
Achtzehn Jahre Rivalität. #BVBFCB ist erwachsen. Benehmt Euch so. Würdig. Keine Pyros, keine Grüße an österreichische Jahrhundertverbrecher, keine Gewalt, kein Hass. Keine Eskimo-Küsse zwischen Feuerkopf und Harry Potter. Keine Verbalföns in des Gegners Gesicht. Wenns irgendwie geht, keine Platzverweise. Die Welt wird zugucken. Denkt daran. Erster gegen Zweiter. Champions-League-Sieger gegen Champions-League-Sieger der Herzen. Spitzenspiel. Mehr Spitzenspiel geht nicht. Liefert uns einen Klassiker, der nicht Clásico heißen darf. Ein Spiel für die Ewigkeit am besten. Auf dass die Anekdoten niemals ausgehen. Auf dass die Geschichte fortgeschrieben wird. Historico eben.
"Freude am Lesen"
Klare 10 Punkte!
Hat Spaß gemacht es zu lesen auch wenn vielleicht noch etwas mehr drin war.
9 Punkte von mir!