09.06.2012 um 13:25 Uhr
Ihr wollt unsere Liebe nicht
Where did it all go wrong, Portugal?
Ihr könntet wie die Iren sein, Portugal. Sympathisch in ihrem Scheitern, in Europa nicht nur bei Gastwirten beliebt. Das Finale von 2004 wäre euer Handspiel von Henry – ein moralischer Sieg, der allen zeigt: Die Portugiesen, die haben auch schon viel Pech gehabt. Die Portugiesen, die hätten den Erfolg einfach mal verdient.
Ihr seid eine Fußballnation mit perfekten Voraussetzungen: Der Underdog neben dem großen Bruder Spanien, der sich einfach nicht hat unterkriegen lassen. Spanien hat drei Millionen aktive Fußballspieler, ihr eine halbe Million. Eure Qualifikationsergebnisse in den ersten dreißig Jahren eurer Nationalmannschaft schwanken zwischen „mit ganzer Leidenschaft erkämpft" (3:2 gegen die DDR, 2:1 gegen Jugoslawien 1960) und „grotesk schlecht" (0:9 gegen Spanien und Österreich, 1934 und 1954). Ihr habt so viel einstecken müssen, wurdet von Spanien so oft demontiert, hämisch zerlegt von dieser destruktiven Verschiebungsmaschine, die Spanien einst war.
Und dann kam Eusebio. 1966 war eure Geburtsstunde in Europa. Beim Turnier im Mutterland des Fußballs habt ihr Brasilien aus dem Turnier genommen, gegen Nordkorea lagt ihr schon 0:3 hinten, bis der erste wirkliche Magier in euren Reihen aufdrehte, den Ball zu seinem Privatbesitz erklärte und vier Tore machte. Endstand: 5:3, Halbfinale gegen England. In einem Turnier mit Geoff Hurst, Franz Beckenbauer, Helmut Haller und Uwe Seeler wurde Torschützenkönig: Eusebio.
Überhaupt, Eusebio!
365 Spiele für Benfica Lissabon. 383 Tore.
In den Sechzigern wart ihr auf einmal da und Europa war froh. Fünf Siege nacheinander im Europapokal der Landesmeister von Real Madrid machten das Teilnehmerfeld lächerlich. Dann kam Benfica und beendete den Spuk. Dann kam Eusebio. Zusammen mit di Stefano, Puskas, Charlton und Pele Teil jener ersten Generation von Massenstars, die den Ball in ihren Dienst stellten, ihn sich alleine so gefügig machten, dass kein System mehr darauf eine Antwort hatte. Eusebio und seine Brüder im Geiste drehten den Kollektivtugendpredigern eine Nase und zeigten eine berauschend hingebungsvolle Alternative zu Spielsystemen, in denen Manndeckung das Höchstmaß an Individualismus war. Neben Brasilien `58 war auch Portugal `66 ein Signal für eine neue Zeit im Fußball. Ihr wart einer der Steigbügelhalter für jene Beckenbauer und Netzer, die sich auf einmal lösen durften aus dem Korsett der Deckungsarbeit und dem Torwart einen zweiten Individualisten auf dem Feld entgegenstellten.
Vielleicht war es das, Portugal. Als sich später die Liberos auf beiden Seiten aufhoben, der Fußball brutaler und zerstörerischer wurde, die Försters, Buchwalds und Gentiles den Spielmachern ihr Werkzeug entzogen, sie so lange hetzten, bis auch die größten Artisten den Ballkontakt scheuten, da habt ihr ihn weiter gesucht, euren neuen Eusebio. Den einen, der euch zurückbringt in Turniere, stellvertretend für euch zaubert im Flutlicht der Weltmeisterschaften. Vielleicht war es das, Portugal. Ihr habt ihn nicht spüren wollen, diesen neuen Ruf nach Kollektiven. Vielleicht hat jener von den Belgiern 1980 perfekt choreografierte Fallstrick namens Abseitsfalle auch euch ins Leere laufen lassen.
Ihr habt Ausschau gehalten und Luis Figo gefunden. Diesen Spieler, der in seinem Blick immer den Designer-Anzug trug, wenn die Teamkameraden in Ballonseide um ihn herumschwirrten. Dessen Pässe zwar nicht den „Geist der Utopie" atmeten, aber immerhin eine Seltsame Systematik der Anarchie aufzeigten: Schnittstellen wurden geöffnet, wo vorher keine waren. Dem der Ball aber zu teuer war, den er zu lange halten wollte. Zur Perfektion brachte die sezierenden Pässe nicht euer Figo, sondern sein Mitspieler bei Real Madrid, Zinedine Zidane.
Ihr habt Ausschau gehalten und Cristiano Ronaldo gefunden. Jenen Spieler, der Mimik und Gestik zum Teil seiner Inszenierung macht. Im Spurt die Brust herausgestreckt, beim Torjubel jeder Muskel des täglich trainierten Oberkörpers angespannt, kein Fallen nach dem Foul ohne den verzweifelten Blick zum Unparteiischen. Cristiano Ronaldo hatte auch seinen Steigbügelhalter. Doch während David Beckham für seine Freistöße berühmt ist, ist es Ronaldo für das Ritual davor.
Vielleicht ist es das, warum ihr uns nicht sympathisch sein könnt. Wir entdecken gerade erst wieder den Reiz einer Mannschaft mit begnadeten Einzelspielern. Und wir haben gleich viele davon. Eure Faszination am Superstar war uns aber zu lange suspekt. Es nervt den Deutschen, wenn es den Portugiesen nicht nervt, dass sein wichtigster Spieler nur bei Sonnenschein und Kameras in der Nähe in einen Defensivzweikampf geht. Denn wir haben gelernt, dass es nur anders geht. Als Mannschaft. Wir versuchen das neue Spanien zu sein. Vermutlich können wir euch deswegen nicht lieben. Wir gehen den anderen Weg und unserer muss der richtige sein.
Ihr hättet Irland sein können. Aber dafür nehmt ihr das Spiel wahrscheinlich zu ernst. Euer Problem: Das tun wir auch. Wird Zeit, dass jemand dieses Conceicao-Ding vergessen macht.
Ihr könntet wie die Iren sein, Portugal. Sympathisch in ihrem Scheitern, in Europa nicht nur bei Gastwirten beliebt. Das Finale von 2004 wäre euer Handspiel von Henry – ein moralischer Sieg, der allen zeigt: Die Portugiesen, die haben auch schon viel Pech gehabt. Die Portugiesen, die hätten den Erfolg einfach mal verdient.
Ihr seid eine Fußballnation mit perfekten Voraussetzungen: Der Underdog neben dem großen Bruder Spanien, der sich einfach nicht hat unterkriegen lassen. Spanien hat drei Millionen aktive Fußballspieler, ihr eine halbe Million. Eure Qualifikationsergebnisse in den ersten dreißig Jahren eurer Nationalmannschaft schwanken zwischen „mit ganzer Leidenschaft erkämpft" (3:2 gegen die DDR, 2:1 gegen Jugoslawien 1960) und „grotesk schlecht" (0:9 gegen Spanien und Österreich, 1934 und 1954). Ihr habt so viel einstecken müssen, wurdet von Spanien so oft demontiert, hämisch zerlegt von dieser destruktiven Verschiebungsmaschine, die Spanien einst war.
Und dann kam Eusebio. 1966 war eure Geburtsstunde in Europa. Beim Turnier im Mutterland des Fußballs habt ihr Brasilien aus dem Turnier genommen, gegen Nordkorea lagt ihr schon 0:3 hinten, bis der erste wirkliche Magier in euren Reihen aufdrehte, den Ball zu seinem Privatbesitz erklärte und vier Tore machte. Endstand: 5:3, Halbfinale gegen England. In einem Turnier mit Geoff Hurst, Franz Beckenbauer, Helmut Haller und Uwe Seeler wurde Torschützenkönig: Eusebio.
Überhaupt, Eusebio!
365 Spiele für Benfica Lissabon. 383 Tore.
In den Sechzigern wart ihr auf einmal da und Europa war froh. Fünf Siege nacheinander im Europapokal der Landesmeister von Real Madrid machten das Teilnehmerfeld lächerlich. Dann kam Benfica und beendete den Spuk. Dann kam Eusebio. Zusammen mit di Stefano, Puskas, Charlton und Pele Teil jener ersten Generation von Massenstars, die den Ball in ihren Dienst stellten, ihn sich alleine so gefügig machten, dass kein System mehr darauf eine Antwort hatte. Eusebio und seine Brüder im Geiste drehten den Kollektivtugendpredigern eine Nase und zeigten eine berauschend hingebungsvolle Alternative zu Spielsystemen, in denen Manndeckung das Höchstmaß an Individualismus war. Neben Brasilien `58 war auch Portugal `66 ein Signal für eine neue Zeit im Fußball. Ihr wart einer der Steigbügelhalter für jene Beckenbauer und Netzer, die sich auf einmal lösen durften aus dem Korsett der Deckungsarbeit und dem Torwart einen zweiten Individualisten auf dem Feld entgegenstellten.
Vielleicht war es das, Portugal. Als sich später die Liberos auf beiden Seiten aufhoben, der Fußball brutaler und zerstörerischer wurde, die Försters, Buchwalds und Gentiles den Spielmachern ihr Werkzeug entzogen, sie so lange hetzten, bis auch die größten Artisten den Ballkontakt scheuten, da habt ihr ihn weiter gesucht, euren neuen Eusebio. Den einen, der euch zurückbringt in Turniere, stellvertretend für euch zaubert im Flutlicht der Weltmeisterschaften. Vielleicht war es das, Portugal. Ihr habt ihn nicht spüren wollen, diesen neuen Ruf nach Kollektiven. Vielleicht hat jener von den Belgiern 1980 perfekt choreografierte Fallstrick namens Abseitsfalle auch euch ins Leere laufen lassen.
Ihr habt Ausschau gehalten und Luis Figo gefunden. Diesen Spieler, der in seinem Blick immer den Designer-Anzug trug, wenn die Teamkameraden in Ballonseide um ihn herumschwirrten. Dessen Pässe zwar nicht den „Geist der Utopie" atmeten, aber immerhin eine Seltsame Systematik der Anarchie aufzeigten: Schnittstellen wurden geöffnet, wo vorher keine waren. Dem der Ball aber zu teuer war, den er zu lange halten wollte. Zur Perfektion brachte die sezierenden Pässe nicht euer Figo, sondern sein Mitspieler bei Real Madrid, Zinedine Zidane.
Ihr habt Ausschau gehalten und Cristiano Ronaldo gefunden. Jenen Spieler, der Mimik und Gestik zum Teil seiner Inszenierung macht. Im Spurt die Brust herausgestreckt, beim Torjubel jeder Muskel des täglich trainierten Oberkörpers angespannt, kein Fallen nach dem Foul ohne den verzweifelten Blick zum Unparteiischen. Cristiano Ronaldo hatte auch seinen Steigbügelhalter. Doch während David Beckham für seine Freistöße berühmt ist, ist es Ronaldo für das Ritual davor.
Vielleicht ist es das, warum ihr uns nicht sympathisch sein könnt. Wir entdecken gerade erst wieder den Reiz einer Mannschaft mit begnadeten Einzelspielern. Und wir haben gleich viele davon. Eure Faszination am Superstar war uns aber zu lange suspekt. Es nervt den Deutschen, wenn es den Portugiesen nicht nervt, dass sein wichtigster Spieler nur bei Sonnenschein und Kameras in der Nähe in einen Defensivzweikampf geht. Denn wir haben gelernt, dass es nur anders geht. Als Mannschaft. Wir versuchen das neue Spanien zu sein. Vermutlich können wir euch deswegen nicht lieben. Wir gehen den anderen Weg und unserer muss der richtige sein.
Ihr hättet Irland sein können. Aber dafür nehmt ihr das Spiel wahrscheinlich zu ernst. Euer Problem: Das tun wir auch. Wird Zeit, dass jemand dieses Conceicao-Ding vergessen macht.
Aufrufe: 5938 | Kommentare: 4 | Bewertungen: 7 | Erstellt:09.06.2012
ø 10.0
KOMMENTARE
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09.06.2012 | 14:15 Uhr
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09.06.2012 | 14:19 Uhr
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Ist doch Schnee von gestern. Ich erinnere an 2006 und 2008! Und der anschließende weinerliche Blick von Ronaldo. Köstlich!
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10.06.2012 | 11:13 Uhr
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Dr_D :
Vorherragend, der Blog.Die bezeichnest CR7 als Schönwetterspieler? Und das obwohl er in England war. Stark. Und ganz genau meine Meinung.
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Statistik
und dazu noch ein guter !!