Julian Draxler ist Fußballprofi. Einfach nur ein Fußballprofi, einer unter vielen. Trotzdem gilt er vielen Schalkern als Identifikationsfigur für ihren Verein, unter anderem auch deshalb, weil er im letzten Sommer einige besser dotierte Angebote ausgeschlagen hat, um sich bei "seinem" Verein weiter zu entwickeln. Er scheint außerdem zu der lernfähigen Sorte Profi zu gehören, der Fehler, die Vorgänger wie Manuel Neuer gemacht haben, nicht wiederholt - so vermeidet er etwa, Zukunftsversprechen bezüglich irgendwelcher Vereinswechsel abzugeben und spricht außerdem Klartext, wenn es darum geht, dass er einmal bei einem Weltverein wie Real Madrid oder Manchester United spielen möchte. Ich persönlich finde das angenehm erfrischend und ehrlich für einen Profi, der in einem emotional schwierigen Umfeld zurechtkommen will. Und Schalke ist so ein emotional schwieriges Umfeld - gerade vor dem Spiel bei PAOK Saloniki.
PAOK ist für die Königsblauen entgegen aller Erwartungen nicht nur ein sportlicher Prüfstein, sondern wird auch zu einem Charaktertest für die verunsicherten Knappen, die in allen bisherigen Pflichtspielen den Erwartungen hinterhergelaufen sind. Zum Saisonauftakt ein achtzigminütiger Ausfall gegen den Fünftligisten aus Nöttingen, danach das verkorkste Heimdebüt gegen den HSV, in dem man nur mit viel Glück noch ein Unentschieden holte, das Katastrophenhinspiel gegen PAOK und zuletzt die "rotzfreche" (Zitat Draxler) erste Halbzeit gegen Hannover 96 - der Baum brennt nach nur drei Spieltagen schon wieder ganz ordentlich in Gelsenkirchen. Und schon kommen sie aus den Löchern, die Analytiker, die meinen, in jedem Schalker Vereinsteil Probleme ausmachen zu können. Die aktuelle Analyse von Jean-Julien Beer im kicker liest sich wie eine Abrechnung mit einer verflossenen Liebe: der Trainer ohne Ahnung, der Vorstand ohne Ahnung, der Aufsichtsrat ohne Ahnung.
Wie üblich auf Schalke gibt es keine Grauzonen - vor dem Saisonstart war die Stimmung euphorisch. Die Abgänge waren mehr als kompensiert: Agent 09 wurde durch einen weiteren Ex-Dortmunder ersetzt, Maricas Abgang mit der Verpflichtung von Adam Szalai mehr als wettgemacht, und mit Leon Goretzka und Christian Clemens kamen gleich zwei hoffnungsvolle Jungtalente ans Berger Feld. Nach mittlerweile vier Pflichtspielen ist die Euphorie nicht nur weg, sondern ins glatte Gegenteil umgeschlagen. Die vollmundigen Ankündigungen von Jones und Matip, dass man doch um die Meisterschaft mitspielen wolle, sind kleinlauten Rückrudereien gewichen - so kritisiert Jones mittlerweile das Schalker Umfeld, das angeblich zu kritisch mit der Mannschaft und ihrer Entwicklung umgehe. Wie naiv muss ein Spieler eigentlich sein, der schon jahrelang auf Schalke tätig ist, um nach einer solchen Ankündigung und einem solchen Saisonstart eine derartig dumme Analyse der Situation zu vollziehen? Statt sich an die eigene Nase zu fassen und die eigene Leistung kritisch zu hinterfragen (die im Übrigen in Jones Fall nicht gerade für Jubelstürme sorgt), werden Umfeld und Fanszene beschuldigt. Auch das ist aber typisch Schalke: es wird immer ein Schuldiger gesucht, der möglichst weit weg von der eigenen Position angesiedelt sein sollte.
Zurück zu dem wichtigen Spiel gegen PAOK: Horst Heldt lässt sich mit "Wir fahren da hin, schlagen die und putzen uns den Mund ab" zitieren. Zumindest an dieser Aussage wird sich auch Heldt messen lassen müssen, wenn er die nächsten Wochen in verhältnismäßiger Ruhe verbringen möchte, ohne dass andauernd über seinen Cheftrainer oder seinen eigenen Job diskutiert wird. Davon hängen nicht nur die Transferaktivitäten rund um Valentin Stocker ab, sondern auch die Perspektive einer Mannschaft, bei der nicht nur Julian Draxler, sondern viele aus dem Schalker Umfeld Verstärkungsbedarf in allen Mannschaftsteilen sehen.