Immer, wenn es auf Schalke so richtig "drunter und drüber" geht, fällt der Satz "Datt iss wieder mein Schalke", denn die Königsblauen schaffen es mit schöner Regelmäßigkeit, alles das, was sie sich mit ihrer Hände Arbeit vorne aufbauen, mit dem Hintern wieder umzureißen. Sozusagen sinnbildlich für eine Schalker Tugend war der Auftritt am Wochenende in Sinsheim, als man gegen die TSG Hoffenheim eine exzellente erste Hälfte mit traumhaften Toren, sicherem Abwehrverhalten und strukturiertem Offensivspiel anbot, ehe man dann in Halbzeit zwo mit stümperhafter Hühnerhaufendefensive, gelangweiltem Anrennen und ständigem Gepenne im Umschaltspiel demonstrierte, warum der S04 tabellarisch dort steht, wo er steht.
Menschen sind manchmal ziemlich unangenehme Zeitgenossen. Das gilt besonders dann, wenn sie einen Sündenbock suchen, dem sie die Schuld für die momentane Misere in die Schuhe schieben können - frei nach dem Grundsatz, dass man einfach nur jemanden finden muss, der schuld ist, um sich selber wieder gut zu fühlen. "Ich bin okay, du bist nicht okay", so lernen es die Psychologen in der Skriptanalyse. Ein wichtiger Mosaikstein, wenn man die "Knappen" und ihre Situation verstehen will.
REICHT DAS?
Ich persönlich maße mir nicht an, die Arbeit von Jens Keller fachlich zu beurteilen. Dafür fehlen mir sowohl die theoretischen als auch die praktischen Hintergründe, weil ich schlichtweg kein Bundesligaprofi bin. Im Jugendbereich jedenfalls hat er gute Arbeit geleistet, also wird er wohl ein guter Fußballlehrer sein. Reicht das aber, um einen Bundesligaverein, einen Champions League-Teilnehmer, einen der medial um vom Umfeld her schwierigeren Clubs in der deutschen Eliteklasse zu betreuen?
Clemens Tönnies gehört zu den größten Unsympathen im Umfeld der Schalker. Ein großmäuliger Fleischproduzent, der osteuropäische Leiharbeiter zu Hungerlöhnen und unter unmenschlichen Bedingungen für sich malochen lässt und gleichzeitig noch mit dem angeblich so tollen Verhältnis zu Russlands "lupenreinem Demokraten" Wladimir Putin prahlt. Letztlich hält er sich nur im Amt, weil er mit seinem vielen Geld dem Verein wohl mehr als einmal den sprichwörtlichen Arsch gerettet haben dürfte. Reicht das aber, um als Aufsichtsratsvorsitzender den S04 mit seinen mehr als hunderttausend Mitgliedern in die Zukunft zu führen?
Der Vorstand des Vereins ist mit Peter Peters, Alexander Jobst und Horst Heldt durchaus mit fachlich guten Personen besetzt. Peters ist gut vernetzt und durch seine DFL-Tätigkeit und den journalistischen Hintergrund als Finanzvorstand eine bessere Wahl als viele seiner Vorgänger. Jobst lernt so langsam, dass ein Fußballverein mehr Seele hat als irgendein börsennotiertes Unternehmen. Und Heldt laviert sich mit Selbstironie, Witz und klugem Management besser durch seinen Job, als ihm das der Großteil der Schalker wohl zugetraut hätte. Reicht das aber, um aus dem Chaosverein eine dauerhafte Spitzenadresse im deutschen Fußball zu machen?
Die "Denkpause" für Jermaine Jones nach dem Spiel gegen Hoffenheim ist eine Maßnahme des Trainerteams. Man kann darüber sicherlich geteilter Meinung sein - einige sprechen von der Rolle eines Sündenbocks, andere fordern eine ähnliche Denkpause für Marco Höger, wiederum andere freuen sich darüber, dass Jones endlich mal einen "zwischen die Hörner" bekommt, weil sie den vermeintlichen Freibrief für den "Mann fürs Grobe" nicht verstehen können. Reicht das aber, um die Arbeit gegen den Ball zu verbessern, das Defensivspiel zu stabilisieren, die gesamte Situation der Mannschaft zu verbessern?
QUO VADIS...?
Es ist wohl wie immer auf Schalke: jede Menge Baustellen und kaum Zeit, um die Lücken zu schließen. Eine vernünftige, nachhaltige Planung hat man auf Schalke noch nie gemacht, weil man sie noch nie hat machen MÜSSEN. So kocht man wie immer in seinem eigenen Saft, flickschustert hier und da, entlässt vielleicht mal einen Trainer oder Manager, nur um nach kurzer Zeit wieder vor der gleichen Problematik zu stehen. Vor allem fehlt es aber an der Ehrlichkeit, sich selbst seine eigenen Fehler einzugestehen. Das jedenfalls ist im Fußballgeschäft ja nun auch keine Selbstverständlichkeit. Der "Männersport" ist in erster Linie auch ein "Männergeschäft", in dem keine Schwächen, keine Unzulänglichkeiten geduldet werden. Fehler werden nicht toleriert. Schwule gibt es nicht. Und wer jammert, ist ein Mädchen.
Wo setzt man also den Hebel an? Ich gucke den "Doppelpass" zugegebenermaßen sehr selten. Meine Frau spricht immer davon, dass das ja auch langweilig wäre - "diese Runde mit den alten Männern, die Bier trinken" (Originalzitat) hatte allerdings am vergangenen Samstag eine interessante Diskussion zu bieten, in deren Verlauf Ralf Rangnick und Thomas Strunz übereinkamen, dass das Spiel gegen den Ball Schalkes größtes Manko sei. Ich erinnere mich noch gut daran, was die Mannschaft unter Rangnicks Ägide gut machte. Das so genannte "Spiel gegen den Ball" gehörte dazu. Das allerdings ist die ureigenste Aufgabe des Trainers, und insofern ist es kaum nachzuvollziehen, dass Jens Keller dies nicht in den Fokus seiner Arbeit stellt.
Ich persönlich habe lange darüber sinniert, was ich von Jens Keller halten soll. Wie schon beschrieben, kann ich mir kein fachliches Urteil bilden - dafür aber ein persönliches. Ich finde, dass ihm das nötige Format fehlt, um Schalke zu trainieren - der Biss, die Härte, die Lautstärke, die Chuzpe, einfach mal auf den Tisch zu hauen und auch mal die nötigen Worte zu finden, um eine formbare Mannschaft (und nichts anderes ist das auf Schalke) zu steuern. Mit Kevin-Prince Boateng, Klaas-Jan Huntelaar und Benedikt Höwedes hat er Führungsspieler in allen Mannschaftsteilen, dazu unbestritten vorhandene Qualität im Kader, um ganz woanders mitzuspielen. Entweder findet Keller einen Weg, um die guten Voraussetzungen zu nutzen, die sich ihm bieten - oder es gibt (mal wieder) Paukenschläge.
Oder - und das wäre meine liebste Lösung - der S04 nimmt sich die Zeit, um sich in Ruhe einmal hinzusetzen und sich selbst ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen. Und DANN vernünftige und zukunftsträchtige Maßnahmen ergreifen. Damit es nicht wieder "mit der heißen Nadel gestrickte" Kurzschlussreaktionen geben muss, die allen Fans nur noch den viel zu oft gehörten Satz entlocken: "Datt iss wieder mein Schalke!"
[...] Ralf Rangnick und Thomas Strunz übereinkamen, dass das Spiel gegen den Ball Schalkes größtes Manko sei. Ich erinnere mich noch gut daran, was die Mannschaft unter Rangnicks Ägide gut machte. Das so genannte "Spiel gegen den Ball" gehörte dazu. [...]
Und Rangnick hat natürlich Recht. Und Keller auch, deswegen ist Jones ja auch aus dem Kader geflogen. Weil der nicht "gegen den Ball" kann.
Hat Rangnick aber schon vor 2 Jahren erkannt!!