Es ist manchmal nicht so ganz einfach, zu seinem Lieblingsverein zu stehen. Etwa, wenn sich die eigenen Fangruppierungen danebenbenehmen, der Klub eine derbe Klatsche abholt oder wegen sportlicher Talfahrten in der Tabelle schlecht da steht. Köln, Hamburg oder Dortmund sind aktuelle Beispiele. Ich hingegen genieße seit geraumer Zeit schon eine geradezu verstörende Ruhe rund um meinen Verein. Seit Roberto di Matteo das Zepter auf Schalke schwingt, ist es mit dem Offensivfeuerwerk aus, das noch unter Jens Keller und in di Matteos Anfangszeit im Berger Feld oft für anerkennendes Raunen sorgte. Die vielgerühmte Dreierkette, garniert mit defensiven Außenspielern auch gern als Fünfer-Catenaccio installiert, sorgt mit Hilfe der Mittelfeldarbeitsbienen dafür, dass der Schalker Schnapper zwischen den Pfosten meist auf zwischenzeitliche Aufwärmübungen angewiesen ist, um während der Wintermonate nicht dort festzufrieren.
Gerechtfertigt wird das königsblaue Mauerwerk häufig mit der Verletzungsmisere, und tatsächlich liest sich ein Blick auf die Schalker Versehrtenliste auf der sich unter anderem Julian Draxler, Jefferson Farfán, Klaas-Jan Huntelaar und Leon Goretzka befinden oder befanden wie eine Zusammenfassung der besten offensiven und kreativen Spieler, die in Gelsenkirchen unter Vertrag stehen. Wenn das nicht zieht, verweist man auch gern auf den Afrika-Cup, der dem formstarken Eric-Maxim Choupo-Moting den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen weggezogen zu haben scheint, die lange Verletzungsmisere von Kevin-Prince Boateng oder das jugendliche Alter von Dribbelfanatiker Max Meyer. Und so kommt es, dass die 0:2-Pleite auf eigenem Terrain gegen die Galaktischen aus der spanischen Landeshauptstadt bei einigen Funktionären und Spielern noch nicht einmal für Unbehagen sorgt man habe Werbung für Schalke 04 gemacht, blökte Schalkes Aufsichtsratslautsprecher Clemens Tönnies in die Mikrofone.
Mut zur Lücke oder Lücke beim Mut?
Der Schweizer BLICK-Sportchef Andreas Böni etwa kritisierte in der Experten-Runde bei sky, dass man doch bitteschön hätte sehen müssen, dass Real ins Land des Weltmeisters gereist sei. Davon sei aber wenig zu sehen gewesen. Und in der Tat reihte sich dieser Champions League-Auftritt meiner Knappen in die lange Reihe mutloser Darbietungen gegen europäische Spitzenteams ein, die seit einigen Jahren Usus geworden sind in der Sportanlage in der Nähe der Kurt-Schumacher-Straße. Es folgten zudem die immer gleichen Floskeln vielleicht habe etwas der Mut gefehlt, man hätte sich mehr hinauswagen müssen, um mehr zu erreichen, man habe aber gut verteidigt. Nur eben nicht gut genug, um ein Unentschieden gegen Real Madrid zu ermauern, nicht mutig genug, um nach dem Rückstand dem hungrigen Publikum zu demonstrieren, dass man bedingungslos den Sieg will.
Aber wozu eigentlich siegen? Ich werde den Eindruck mittlerweile nicht mehr los, dass die Spieler auf Schalke und mit ihnen auch die Funktionäre satt sind. Satt, weil ihnen der Erfolg gar nicht fehlt. Sie haben doch reichlich Erfolg. Champions League-Teilnahme im letzten Jahr, vielleicht auch wieder in diesem Jahr. Also ein Spitzenplatz in der Bundesliga, und auf europäischem Niveau immerhin die Gruppenphase überstanden. Ausverkauftes Stadion, riesige Fanchoreographien, tolle Verkaufszahlen beim Merchandising und bei den Pay-TV-Zuschauern, Sonnenkönig Tönnies und Generalfeldmarschall Heldt mit regelmäßiger Medienpräsenz. Ist doch was! Kann man sich doch auch mal drüber freuen! Oder nicht?
Alte Zeiten vs. moderner Fußball
Vielleicht bin ich ja auch undankbar. Ich, der noch zu Zweitligazeiten in Meppen in mein matschiges Fischbrötchen gebissen hat, der noch den Geruch vom Erbsensuppenwagen hinter der Haupttribüne im Parkstadion kennt selbst ich habe angesichts des gelackten Arenatempels und der mehrfachen Qualifikation für die ganz großen europäischen Fleischtöpfe mittlerweile Blut geleckt. Ich will auch mal jubeln können, weil mein Verein etwas Großes erreicht hat. Schalke hat den zweitgrößten Etat der Liga, hat die zweitmeisten Fans im Land nach den dominierenden Münchenern. So wie es früher möglich gewesen ist, auch mit viel weniger Geld und viel weniger Wirtschaftskraft etwas zu erreichen (Pokalsiege, UEFA-Cup, Ligapokale), so muss es doch auch heute möglich sein, mit ganz viel Geld und ganz viel Wirtschaftskraft ebenfalls mal wieder einen Pott oder sogar eine Schale nach Gelsenkirchen zu bekommen.
So oder ganz ähnlich sieht die Stimmungslage mittlerweile bei ziemlich vielen Schalkern aus, die einerseits Geduld mit den Eigengewächsen haben, andererseits aber auch den Anspruch entwickelt haben, dass die Entwicklung des Vereins angesichts der riesigen finanziellen und infrastrukturellen Ressourcen, die er zur Verfügung hat, mehr daraus machen muss. Immer wieder ist von der Wohlfühloase die Rede, die sich mit der sportlichen Ambition zu beißen scheint. Da lässt sich ein Roman Neustädter im Übrigen nicht zum ersten Mal etwa mit den Worten zitieren, die Mannschaft müsse wieder geiler auf Tore werden. Da lach ich mir doch gemeinsam mit Thomas Doll den Arsch ab, denn was bitte ist das berufliche Ziel einer Profi-Fußballmannschaft, wenn nicht das Erzielen von Toren?!
Geld und Derby
Und jetzt, direkt vor dem Derby, das in diesem Jahr (einmal mehr) unter denkbar schlechten Vorzeichen für uns Königsblaue stattfindet, haut Fleischklops-Clemens noch mal einen in der Springer-Sportgazette raus und philosophiert darüber, dass doch die Mitglieder mit einem zusätzlichen Tausender pro Nase den Verein auf einen Schlag schuldenfrei bekämen. Allmachtsphantasien des Rheda-Wiedenbrücker Magnats, um das Einsteigen von Investoren zu verhindern? Oder die mentale Vorbereitung auf das ganz große Geldausgeben, womöglich mit dem Dauerrekonvaleszenten Sami Khedira im Fokus, der auf Schalke noch mal die ganz große Kohle abgreifen könnte?
Ich finde, dass Schalke keinen Khedira und auch sonst keine überbezahlten, satten und verletzungsanfälligen Profis braucht, die außer einem guten Namen keinen Mehrwert für den Verein bringen. Etwas Fortune bei der Auswahl potenzieller Neuzugänge würde schon sehr dabei helfen, das Vertrauen in die Vereinsführung, das ihr das Umfeld schon seit langer Zeit entgegenbringt, zu stärken. Dazu gehört auch, dass diejenigen, deren Gesundheitszustand zumindest Zweifel daran zulässt, dass sie für das Profigeschäft noch geeignet sind (Boateng, Kirchhoff, Khedira), auf Schalke entweder abgegeben oder gar nicht erst verpflichtet werden. Dazu gehört es aber auch, jungen Spielern klar zu machen, dass es ohne harte Arbeit an sich selbst nicht geht, und dass man erst einmal Leistung abzuliefern hat, bevor man die Klappe aufreißt Beispiele für charakterliche Schwierigkeiten gab es bei den Knappen in den letzten Jahren genug, und zwar auch bei den ansonsten hochgelobten Nachwuchsspielern.
Wohin der Weg führen kann, wenn man geschickt und mit Glück Transfers abwickelt, sieht man nicht nur bei den ungeliebten Nachbarn am östlichen Ruhrgebietsrand, sondern auch bei anderen Bundesligisten, die mit Fleiß, Kreativität und Verve in die Phalanx der wenigen reichen Klubs eingedrungen sind (Augsburg, Gladbach).