27.01.2010 um 14:04 Uhr
Nicht reformierbar
"Menschen ändern sich nicht!" Diesen Satz haben wir alle schon unzählige Male gehört. Manche von uns glauben vielleicht, er sei zutreffend. Der Gedanke dahinter ist klar: Wer einmal klaut, klaut immer wieder. Wer ein Alkoholproblem hat, kommt davon nie mehr los. Spielsucht, Untreue, Lug, Betrug, alles unheilbar. Ich glaube das nicht. Vor allem, weil "Menschen ändern sich nie" das Totschlagargument aller Erzkonservativen ist, damit man Menschen mit Problemen gar nicht helfen muss. Sie haben es ja eh nicht verdient. Nun, einige von Euch, die in den vergangenen Jahren hier regelmäßig mitlesen, haben es vielleicht schon gemerkt: Zu den Erzkonservativen zähle ich mich nicht. Auch wenn ich langsam alt genug dafür wäre.
Manche Menschen machen es einem aber auch nicht leicht, bei seinen Überzeugungen zu bleiben. Brett Favre zum Beispiel. Der mittlerweile 40-Jährige Quarterback der Minnesota Vikings, der nach bewundernswerter Leistung am Sonntag einen verheerenden Fehler machte und seinem Team damit die Siegchance vermasselte. Kurz vor Schluss hatten die Vikings beim Spielstand von 28:28 den Ball tief genug in die gegnerische Hälfte bewegt um ihrem Kicker eine realistische Chance auf ein Field Goal zu geben. Nach einer albernen Strafe vor dem dritten Versuch war die Distanz aber zu groß geworden, ein paar Meter mussten noch her. Also entschied Vikings-Cheftrainer Brad Childress, seinen Quarterback Brett Favre auf ein Rollout nach rechts zu schicken.
Die Maßgabe: Wenn Du keinen Pass werfen kannst, weil Deine Receiver alle gedeckt sind, dann lauf' selbst, wir brauchen ja nur etwa 5 Meter Raumgewinn. Favre sprintet also nach rechts, hat auf den ersten Blick keinen freien Mitspieler, um einen Pass zu werfen. Dafür aber ganz viel grünen Kunstrasen vor sich, um selbst den benötigten Raumgewinn zu machen. Trotz der Knöchelverletzung, die sich der Vikings-Spielmacher vorher zugezogen hatte. Favre läuft also, doch kurz bevor er die Anspiellinie überquert, entscheidet er sich im letzten Moment, einen Pass zurück in die Feldmitte zu werfen, wo er seinen Lieblingsreceiver Sidney Rice entdeckt hat. Gegen die eigene Laufrichtung zurück in die Mitte zu werfen, ist eine Kardinalssünde für einen Quarterback, weil das Risiko, dass der Gegner den Ball abfängt, extrem hoch ist. Und weil das so eine Kardinalssünde ist, wird sie schon den jüngsten Spielmachern in der High School ausgetrieben.
Favre offenbar nicht. Sein Pass landet in den Armen eines Gegners, die New Orleans Saints übernehmen den Ball. Die Vikings haben keine Gelegenheit, das Spiel per Field Goal zu entscheiden und müssen mit ansehen, wie der Gegner in der folgenden Verlängerung den Ball bekommt und quer über das Feld marschiert. Und die Partie (natürlich per Field Goal) gewinnt.
Brett Favre ist ein Quarterback, der seinen Platz in der Hall of Fame des Football sicher hat. Er hat nach seinem Debüt für die Green Bay Packers 1992 fast im Alleingang (Okay, das ist etwas übertrieben. Aber nicht sehr) dafür gesorgt dass die Packers eine schier endlose Spirale der Erfolglosigkeit überwinden konnten. Er gab einem Team Hoffnung, dass diese Hoffnung fast schon verloren hatte. Mit Green Bay holte Favre einen Super Bowl in die kleinste NFL-Stadt und erreichte das Finale noch ein weiteres Mal. Seine "Toughness" ist unbestritten, der Mann spielte immer, egal wie angeschlagen er war (auch wenn das vorübergehend zu einer Schmerzmittel-Abhängigkeit führte). Favres Wurfkraft ist legendär, seine Freude am Spiel ebenso. Jeder Gegner spricht von ihm mit dem höchsten Respekt und mittlerweile hält er auch jede Menge NFL-Rekorde. Auch wenn das, realistisch betrachtet, natürlich vor allem auf zwei Fakten zurückzuführen ist. Erstens, Favre kam genau zu dem Zeitpunkt in die NFL, als sich der Fokus von Laufspiel auf Passspiel verschob. Und zweitens, er hat schlicht und einfach auch länger gespielt als die meisten anderen.
Weshalb er auch den Rekord für die meisten Interceptions hält. Aber nicht nur deshalb. Denn Favres größte Stärken, seine Spielfreude und seine Wurfkraft führten eben auch zu Fehlern. Favre wurde früh bekannt als einer, dem kein Risiko zu groß ist, weil er sich jeden Pass zutraut. Zur Not auch einen, bei dem der Ball erst durch drei Verteidiger durch muss, bevor er bei seinem eigenen Mann landet. Sein erster Trainer, Mike Holmgren, schaffte es, Favre diese Tendenz einigermaßen auszutreiben. Seit Holmgren Green Bay verließ, verfiel Favre wieder in alte Verhaltensmuster. Es ist kaum ein Zufall, dass Favre seinen Super Bowl-Titel unter dem Trainer Holmgren gewann.
Besonders schlimm allerdings, dass ihm in den letzten Jahren die unbegreiflichsten Fehler in den wichtigsten Spielen unterliefen. Am 11. Januar 2004 warf Favre im Divisional Playoff-Spiel gegen die Philadelphia Eagles in der Verlängerung einen unerklärlichen Pass in die Dreifachdeckung, der vom Gegner bis an die 34-Yard-Linie der Packers getragen wurde. Kurz danach gewannen die Eagles das Spiel. Am 20. Januar 2008 im Halbfinale gegen die New York Giants feuerte Favre in der Verlängerung an der eigenen 28 der Packers den Ball direkt zum Gegner. Die Giants bedankten sich per Field Goal und holten anschließend gar den Super Bowl nach New York.
Nach seinem Wechsel zu den Minnesota Vikings vor dieser Saison schien Favre allerdings seinen inneren Brett unter Kontrolle zu haben. Sicher, kühl und effizient führte er sein neues Team in die Playoffs. Nur 7 Interceptions waren für ihn ein historischer Minuswert. In keiner anderen Saison hatte der Quarterback-Methusalem seltener als 13 Mal zum Gegner geworfen. Und alle dachten (und schrieben es auch): Er hat sein Interception-Problem überwunden! Er hat kapiert, dass man manche Fehler einfach nicht machen darf! Brett Favre hat sich geändert! Und dann kam das Spiel am Sonntag.
Zugegeben, in all diesen Spielen waren Favres Fehler natürlich nicht der einzige Grund für die Niederlagen seiner Teams. Wir wollen nicht vergessen, dass es Favres Mitspieler waren, die den in der zweiten Halbzeit harmlosen Saints mit einem Regenschauer an Fumbles ermöglichten, im Spiel zu bleiben. Doch in allen drei Fällen gilt: Favres Fehler war spielentscheidend, weil anschließend nicht mehr gut zu machen.
Und genau deshalb wird Brett Favre auch als ein fantastischer Quarterback in die Geschichte des Football eingehen, der allerdings in den entscheidenden Momenten zu oft die Nerven verlor. In einem Atemzug mit den ganz Großen seiner Zunft, die dann am besten spielten, wenn es eng wurde (Joe Montana!) darf man ihn nicht nennen.
Und ich muss meine Einstellung zum Thema "Können sich Menschen ändern?" überdenken. Vielleicht stimmen ja folgende Schlussfolgerungen: Menschen können sich ändern. Brett Favre allerdings nicht.
Manche Menschen machen es einem aber auch nicht leicht, bei seinen Überzeugungen zu bleiben. Brett Favre zum Beispiel. Der mittlerweile 40-Jährige Quarterback der Minnesota Vikings, der nach bewundernswerter Leistung am Sonntag einen verheerenden Fehler machte und seinem Team damit die Siegchance vermasselte. Kurz vor Schluss hatten die Vikings beim Spielstand von 28:28 den Ball tief genug in die gegnerische Hälfte bewegt um ihrem Kicker eine realistische Chance auf ein Field Goal zu geben. Nach einer albernen Strafe vor dem dritten Versuch war die Distanz aber zu groß geworden, ein paar Meter mussten noch her. Also entschied Vikings-Cheftrainer Brad Childress, seinen Quarterback Brett Favre auf ein Rollout nach rechts zu schicken.
Die Maßgabe: Wenn Du keinen Pass werfen kannst, weil Deine Receiver alle gedeckt sind, dann lauf' selbst, wir brauchen ja nur etwa 5 Meter Raumgewinn. Favre sprintet also nach rechts, hat auf den ersten Blick keinen freien Mitspieler, um einen Pass zu werfen. Dafür aber ganz viel grünen Kunstrasen vor sich, um selbst den benötigten Raumgewinn zu machen. Trotz der Knöchelverletzung, die sich der Vikings-Spielmacher vorher zugezogen hatte. Favre läuft also, doch kurz bevor er die Anspiellinie überquert, entscheidet er sich im letzten Moment, einen Pass zurück in die Feldmitte zu werfen, wo er seinen Lieblingsreceiver Sidney Rice entdeckt hat. Gegen die eigene Laufrichtung zurück in die Mitte zu werfen, ist eine Kardinalssünde für einen Quarterback, weil das Risiko, dass der Gegner den Ball abfängt, extrem hoch ist. Und weil das so eine Kardinalssünde ist, wird sie schon den jüngsten Spielmachern in der High School ausgetrieben.
Favre offenbar nicht. Sein Pass landet in den Armen eines Gegners, die New Orleans Saints übernehmen den Ball. Die Vikings haben keine Gelegenheit, das Spiel per Field Goal zu entscheiden und müssen mit ansehen, wie der Gegner in der folgenden Verlängerung den Ball bekommt und quer über das Feld marschiert. Und die Partie (natürlich per Field Goal) gewinnt.
Brett Favre ist ein Quarterback, der seinen Platz in der Hall of Fame des Football sicher hat. Er hat nach seinem Debüt für die Green Bay Packers 1992 fast im Alleingang (Okay, das ist etwas übertrieben. Aber nicht sehr) dafür gesorgt dass die Packers eine schier endlose Spirale der Erfolglosigkeit überwinden konnten. Er gab einem Team Hoffnung, dass diese Hoffnung fast schon verloren hatte. Mit Green Bay holte Favre einen Super Bowl in die kleinste NFL-Stadt und erreichte das Finale noch ein weiteres Mal. Seine "Toughness" ist unbestritten, der Mann spielte immer, egal wie angeschlagen er war (auch wenn das vorübergehend zu einer Schmerzmittel-Abhängigkeit führte). Favres Wurfkraft ist legendär, seine Freude am Spiel ebenso. Jeder Gegner spricht von ihm mit dem höchsten Respekt und mittlerweile hält er auch jede Menge NFL-Rekorde. Auch wenn das, realistisch betrachtet, natürlich vor allem auf zwei Fakten zurückzuführen ist. Erstens, Favre kam genau zu dem Zeitpunkt in die NFL, als sich der Fokus von Laufspiel auf Passspiel verschob. Und zweitens, er hat schlicht und einfach auch länger gespielt als die meisten anderen.
Weshalb er auch den Rekord für die meisten Interceptions hält. Aber nicht nur deshalb. Denn Favres größte Stärken, seine Spielfreude und seine Wurfkraft führten eben auch zu Fehlern. Favre wurde früh bekannt als einer, dem kein Risiko zu groß ist, weil er sich jeden Pass zutraut. Zur Not auch einen, bei dem der Ball erst durch drei Verteidiger durch muss, bevor er bei seinem eigenen Mann landet. Sein erster Trainer, Mike Holmgren, schaffte es, Favre diese Tendenz einigermaßen auszutreiben. Seit Holmgren Green Bay verließ, verfiel Favre wieder in alte Verhaltensmuster. Es ist kaum ein Zufall, dass Favre seinen Super Bowl-Titel unter dem Trainer Holmgren gewann.
Besonders schlimm allerdings, dass ihm in den letzten Jahren die unbegreiflichsten Fehler in den wichtigsten Spielen unterliefen. Am 11. Januar 2004 warf Favre im Divisional Playoff-Spiel gegen die Philadelphia Eagles in der Verlängerung einen unerklärlichen Pass in die Dreifachdeckung, der vom Gegner bis an die 34-Yard-Linie der Packers getragen wurde. Kurz danach gewannen die Eagles das Spiel. Am 20. Januar 2008 im Halbfinale gegen die New York Giants feuerte Favre in der Verlängerung an der eigenen 28 der Packers den Ball direkt zum Gegner. Die Giants bedankten sich per Field Goal und holten anschließend gar den Super Bowl nach New York.
Nach seinem Wechsel zu den Minnesota Vikings vor dieser Saison schien Favre allerdings seinen inneren Brett unter Kontrolle zu haben. Sicher, kühl und effizient führte er sein neues Team in die Playoffs. Nur 7 Interceptions waren für ihn ein historischer Minuswert. In keiner anderen Saison hatte der Quarterback-Methusalem seltener als 13 Mal zum Gegner geworfen. Und alle dachten (und schrieben es auch): Er hat sein Interception-Problem überwunden! Er hat kapiert, dass man manche Fehler einfach nicht machen darf! Brett Favre hat sich geändert! Und dann kam das Spiel am Sonntag.
Zugegeben, in all diesen Spielen waren Favres Fehler natürlich nicht der einzige Grund für die Niederlagen seiner Teams. Wir wollen nicht vergessen, dass es Favres Mitspieler waren, die den in der zweiten Halbzeit harmlosen Saints mit einem Regenschauer an Fumbles ermöglichten, im Spiel zu bleiben. Doch in allen drei Fällen gilt: Favres Fehler war spielentscheidend, weil anschließend nicht mehr gut zu machen.
Und genau deshalb wird Brett Favre auch als ein fantastischer Quarterback in die Geschichte des Football eingehen, der allerdings in den entscheidenden Momenten zu oft die Nerven verlor. In einem Atemzug mit den ganz Großen seiner Zunft, die dann am besten spielten, wenn es eng wurde (Joe Montana!) darf man ihn nicht nennen.
Und ich muss meine Einstellung zum Thema "Können sich Menschen ändern?" überdenken. Vielleicht stimmen ja folgende Schlussfolgerungen: Menschen können sich ändern. Brett Favre allerdings nicht.
Aufrufe: 4811 | Kommentare: 12 | Bewertungen: 16 | Erstellt:27.01.2010
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KOMMENTARE
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29.01.2010 | 17:40 Uhr
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BOD :
Ich kenn mich zwar mit Football überhaupt nicht aus, doch diese Charakterisierung von Brett Favre könnte fast genauso gut auf den neuseeländischen Rugbyspieler Carlos Spencer zu treffen.Entweder man liebt solche Spieler, oder hasst sie.
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Unterstreicht vor allem, das es egal welche Qualität auf dem Platz steht auch immer auf das Coaching ankommt. Und das war von den Viks definitiv schlechter...
Aber mal ehrlich. Viele haben geschrieben, dass Favre mit so einer INT nicht abtreten könnte. Aber eine klassischeren Favre als im NFC CG kann ich mir nicht vorstellen.
Ein Wurf charaktarisierend wie kein zweiter...