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07.09.2011 um 16:04 Uhr
Parallelwelten
Markus Miller, Ersatztorwart von Hannover 96, hat sich aus der Deckung gewagt und gemeinsam mit seinem Verein die Öffentlichkeit darüber informiert, dass er unter einer psychischen Belastung leidet.
Tauscht man den Namen zu Beginn des Satzes gegen Robert Enke aus und streicht nach dem Komma das "Ersatz", erhält man einen Vorgang, den man sich im Nachhinein gewünscht hätte, da so ein Mensch und sein Umfeld ggf. vor einer großen Tragödie bewahrt worden wären.

Damit hat es sich aber auch schon mit möglichen Parallelen zwischen den beiden Menschen. Mehr dazu später.
Enke litt unter Depressionen. Das ist eine leider allzu oft bagatellisierte, in Wirklichkeit auffressende und zerstörerische Krankheit, die nicht selten im (Frei-)Tod endet. Ein Aufschrei ging durch Deutschland, als die verblüfften Menschen feststellen mussten, dass nicht nur Gaga-Leute psychisch krank sein können, sondern sogar stark wirkende, robuste Sportler!

Was wurde nicht alles versprochen, in der Folgezeit. Sensibilisierung war das Modewort. Die großen Boulevardzeitungen versprachen, nicht mehr allzu abfällig über Spieler zu berichten, um damit wenigstens eine Druckquelle, die psychisches Leid verursachen kann, auszuschließen. Gebracht hat es leider wenig. Eine Studie zeigte kürzlich sogar, dass die mediale Berichterstattung seit Enkes Tod eher an Grobheit noch zugenommen hat. Ob das nun wirklich so ist, darüber kann man streiten. Nur: Eine Sensibilisierung hat wahrlich nicht stattgefunden.

In Wirklichkeit ist es doch so, dass weiter mit dem Finger auf Andere gezeigt wird und bis auf überschaubare Ausnahmen kaum jemand wirklich der Aufforderung Folge leistete, offen und transparent mit psychischen Belastungen umzugehen.

Nun hat sich also Miller aus der Deckung gewagt. Hat sich dazu bekannt (die Formulierung des Sich-Bekennens ist bewusst gewählt), dass er unter dem Burnout-Syndrom leidet und sich nun in Behandlung begibt.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass ich Miller vor dem Hintergrund der immer noch schwierigen gesellschaftlichen Situation für diesen Schritt wirklich bewundere. Er ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass es funktionieren kann. Dass man auch ohne Häme (die bislang noch nicht wirklich aufgetreten ist) auch öffentlich mit einer psychischen Belastung umgehen kann.

Leider ist es nur so, dass nicht alle derart souverän mit diesem Schritt umgehen. Und der Fehler beginnt in meinen Augen dabei bereits bei der Pressemitteilung des Vereins. Dort heißt es: "Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen, die Hannover 96 vor knapp zwei Jahren im Zuge der Tragödie um Robert Enke gemacht hat, erhält Markus Miller die volle Unterstützung des gesamten Klubs".
An dieser Stelle sei die Frage erlaubt, was das eine mit dem anderen zu tun hat? Wäre Miller suspendiert worden, hätte es Enke nicht gegeben? Zudem wird hier unnötigerweise ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen gezogen.

Und damit kommen wir zu der angesprochenen, unpassenden Parallelität:
Erstens sind zwei menschliche Schicksale und somit Krankheits- und/oder Störungsverläufe niemals miteinander vergleichbar, da das jeweilige Ausmaß für Außenstehende schwierig bis unmöglich einzuschätzen ist und vor allem, da das jeweilige Umfeld eine große Rolle für mögliche Krankheitsentwicklungen und auch Heilungsverläufe spielt.
Zudem ging es zweitens bei Enke um die Krankheit Depression, während Miller (so zumindest die Verlautbarung) unter mentaler Erschöpfung bzw. Burnout leidet. Letzteres ist nicht als Krankheit definiert und wird als Zustand bezeichnet. Was das Ganze nicht angenehmer oder weniger gefährlich macht, zumal Burnout teilweise ähnliche Symptome wie Depression mit sich bringen und auch in der Depression oder im schlimmsten Fall ebenfalls im Suizid münden kann. Dennoch muss man hier präzise sein. Ich habe keine Lust, hier die konkreten Unterschiede aufzulisten, aber wer daran Interesse hat, der findet zahlreiche Abhandlungen, die die Differenzierungen deutlich machen.

Aber: Selbst wenn nun Miller und Enke unter dem "gleichen" Krankheitsbild leiden würden/gelitten hätten: Ich kann und will nicht nachvollziehen, wie man das Einzelschicksal von Miller ernsthaft durch Quervergleiche mit Enke übergehen und im selben Moment schon wieder vergessen kann!
Zack! Steht die doch viel interessantere Parallelität von Zufällen im Fokus! Im Sinne von: Torhüter von H96 haben alle einen an der Klatsche! Ist das Trikot schuld? Wie schrieb die "Welt" so schön: "Hannover 96 wird vom Enke-Trauma eingeholt". Meine Frage dazu: Wer ist schon Miller? Muss man den in der Überschrift etwa erwähnen?
Und so wird im exemplarisch genannten Welt-Artikel einfach mal die These in den Raum gestellt:

"Seine (Kinds, Anm. vom don) Versuche, das Schicksal eines erkrankten Ersatztorhüters mit dem eines verstorbenen Nationaltorhüters nicht in Zusammenhang zu bringen, waren ehrenwert. Aber natürlich plagen Hannover jetzt wieder Erinnerungen an Robert Enke, der sich im November 2009 von Depressionen geplagt das Leben genommen hatte. Miller leidet nach Angaben seiner Ärzte nicht an Depressionen, gehört als Reservist zwischen den Pfosten aber zu den unmittelbaren Nachfolgern des schmerzlich vermissten Enke". Aha. Na, dann.

Ich habe gestern einige Artikel zu diesem Thema gelesen und meistens wurde mir aus demselben Grund schlecht. Was schön wäre: Wie wäre es, wenn wir alle Miller wünschen, aus diesem Tal gut und gesund wieder herauszukommen? Und wie wäre es weiter, wenn wir zwar durch dieses "Outing" daran erinnert würden, dass wir uns nach der Enke-Tragödie geschworen haben, nie wieder Spieler (und Menschen?) mit Dreck zu bewerfen, dennoch eine künstliche Herstellung von tritratrullala-Zusammenhängen einfach sein lassen? Und uns vielleicht sachlich der Zerbrechlichkeit der menschlichen Psyche nähern, ganz ohne Showbiz-Sensations-Reflexe? Das Thema muss angesprochen werden, aber bitte fallbezogen und mit Respekt und Würde.
Aufrufe: 13431 | Kommentare: 67 | Bewertungen: 46 | Erstellt:07.09.2011
ø 9.1
KOMMENTARE
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Rodnox
07.09.2011 | 19:03 Uhr
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Rodnox : 
07.09.2011 | 19:03 Uhr
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Rodnox : 
Er hatte vorherl PDF gehabt, sein Karriereende wurde aber durch CFS eingeläutet.

Interview mit ihm, in der er die Krankheit beschreibt.
http://www.welt.de/print-welt/article473900/Ich_habe_den_Teufelskreis_durchbrochen.html
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UliFan
MODERATOR
07.09.2011 | 19:41 Uhr
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UliFan : 
07.09.2011 | 19:41 Uhr
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UliFan : 
Das ist ein ganz toller Blog.

Ich hab selber einen Fall von Depression im erweiterten Familienkreis. Ich krieg das meiste (zum Glück muss ich sagen) nur am Rande mit aber das ist schon verdammt übel.

Einen Fehler möchte ich Hannover wegen der Presseerklärung nicht unterstellen. Ich denke da wird versucht so sensibel wie möglich mit dem Thema umzugehen, aber der Verweis auf Enke ist angesichts dessen was auch der Verein mitgemacht hat für mich verständlich.
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donluka
07.09.2011 | 20:06 Uhr
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donluka : 
07.09.2011 | 20:06 Uhr
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donluka : 
@UliFan/Rodox: Ja, ich möchte das H96 ausdrücklich auch nicht vorwerfen. Also nicht im Sinne eines bewussten Fehlers. Ich glaube eher, dass es ungeschickt war, weil es die Medien automatisch auf diesen Vergleich lenkt.

Und: @Rodox: Ob es nun eindeutige Parallelen gibt oder nur durch Nachdruck: Hat es Miller nicht verdient, dass er separat betrachtet wird? Und ist es nicht eine weitere Stigmatisierung, wenn alle psychischen Probleme in einen Topf geworfen werden? Das ist es, was mich stört. Wir sollten uns Miller widmen und einem sachlichen und sensiblen Umgang mit dem Thema und nicht einem besonders spektakulärem Vergleich.
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midget
07.09.2011 | 20:18 Uhr
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midget : 
07.09.2011 | 20:18 Uhr
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midget : 
kann mich da nur voegi anschließen!
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GildeBahlsenH96
07.09.2011 | 20:18 Uhr
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07.09.2011 | 20:18 Uhr
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Also ich als Hannoveraner sehe ehrlich gesagt keine parallelen zu Enke.
Enke war On-Top in seiner Karriere und hatte trotzdem große Selbstzweifel.
Miller hat glaube ich eher damit zu kämpfen, dass er daran zweifelt, ob das was er macht noch einen relevanten Sinn und Zweck für ihn hat. Da ja jeder Profi immer das Ziel hat am Samstag auf dem Feld zu stehen und deshalb Tag täglich trainiert. Miller spielt nun schon seit einiger Zeit nicht mehr Samstags und geht dennoch zum Training. Wurde geholt, um den Konkurenzkampf mit Fromlowitz anzuheitzen und war für mich auch der bessere der beiden. Und plötzlich ist die Nummer 3 im Tor vor ihm in der Rangliste, obwohl Fromlowitz weg ist und Miller wohl schon Hoffnungen hatte die Nummer 1 in Hannover zu werden. Und Zieler ist jetzt auch noch so gut, dass er die Nummer 3 im Nationalteam ist, also wird auf absehbarer Zeit sich nichts ändern für Miller.
Und das bei solch einer Situation gewisse Selbstzweifel aufkommen, ob man das alles noch brauch und ob man zum Training geht, nur um am ende des Monats das Gehalt abzuholen und nicht an den Wochenenden zu spielen, ist finde ich verständlich. Also aus meiner Sicht ganz verständlich, dass Miller am Burnout-Syndrom erkrankt ist.
Hoffentlich besiegt er dieses Burnout-Syndrom in den nächsten 8 Wochen in der Klinik und kommt gestärkt zurück. Und wenn nicht, dann hoffe ich für ihn, dass er in seiner weiteren Karriere und Privatleben viel Erfolg haben wird.
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Rodnox
07.09.2011 | 20:25 Uhr
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Rodnox : @donluka
07.09.2011 | 20:25 Uhr
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Rodnox : @donluka
Ob Millner es verdient hat separat behandelt zu werden .... hmmm.

Ich weiss nicht, was du genau unter separat (oder separater) verstehst. Ich war bisher schon der Meinung, dass er die volle Aufmerksamkeit der Clubverantwortlichen hat.

Ich glaube es gibt keinen perfekten Weg um die Situation zu meistern.

Hätte man die Kausa Enke komplett außen vor gelassen, wären wieder andere hervorgesprungen und hätten sich beschwert: "Enke haben sie schon vergessen oder?".

Ist ne schwierige Situation.

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midget
07.09.2011 | 20:25 Uhr
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midget : 
07.09.2011 | 20:25 Uhr
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midget : 
vielleicht hilft das, um Parallelen zu erkennen:
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,784828,00.html

... und um zu erkennen, dass die generation magath das auch noch nicht ganz gerafft hat!
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Rodnox
07.09.2011 | 20:33 Uhr
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Rodnox : @Gilde
07.09.2011 | 20:33 Uhr
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Rodnox : @Gilde
[...Enke war On-Top in seiner Karriere und hatte trotzdem große Selbstzweifel....]

Ouhh, vorsicht hier. Zweifel sind eine rationelle Wahrnehmung, die Deppresive meist nur sekundär erleben. Logische Tatsachen, erscheinen nicht wahr.




PS.: Ich glaube nachbetrachtung einiger Interviews mit ihm, dass es weitaus mehr als Depressionen waren. Posttraumatisches Stressyndrom kommt in den Sinn, Zwangsstörungen, eventuell Borderline vielleicht sogar dissoziative Themen Aber das ist ein anderes Thema.
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taneu
07.09.2011 | 20:38 Uhr
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taneu : 
07.09.2011 | 20:38 Uhr
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taneu : 
Hervorragend. Auf den Punkt. Herausragend, wie du es verstehst die Worte so exakt und treffend zu benutzen. Diesen Blog und Voegis Kommentar möchte ich zu hundert Prozent unterschreiben.

Bei Bodden hatte ich auch PDF auf dem Zettel. Burnout war mir neu. Danke fuer die Info.

Dieses Thema muss wesentlich offensiver dargestellt werden. Ich glaube leider nicht daran, dass es fuer Miller jemals möglich ist wider in der Buli zu spielen. Ich wünsche es ihm dennoch.
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donluka
07.09.2011 | 20:39 Uhr
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donluka : 
07.09.2011 | 20:39 Uhr
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donluka : 
@Rodnox: nun sollten wir aber auch nicht in Ferndiagnosen abdriften...

Mit einer Sache gebe ich Dir, Rodnox, völlig recht: Es gibt keinen perfekten Weg, mit einer solch sensiblen Thematik umzugehen.

und @midget: Danke für diesen interessanten Einwurf!
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