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Von: Zac
15.09.2016 | 20655 Aufrufe | 5 Kommentare | 3 Bewertungen Ø 10.0
Über die Reize des Amateurfußballs
Randgruppe: Fußballromantiker
Kreisklassenfußball boomt medial. Er bietet immer mehr Fans das, was sie im Profibereich mittlerweile vermissen: Identifikation.


von Joel Grandke (aka Spox-User "Zac", Foto)

Aus einer Welt von Bier, Bratwurst, Bäuchen und Blutgrätschen: Der Amateurfußball bewegt hierzulande Tausende Menschen. Es ist der Reiz des ehrlichen Fußballs, fernab von überbezahlten "Söldnern" und korrupten Verbänden. Weit weg von den großen Stadien und Ausnahmekönnern dieser Welt werden Spiele noch zu unchristlichen Zeiten am Sonntagvormittag angepfiffen, wird Fußball noch in seiner Reinform zelebriert. Eingeflogene Blutgrätschen auf Kniehöhe, Bratwurst als letzte Stärkung unmittelbar vor der Einwechslung und Promillewerte, die manchmal höher sind als die Rückennummer - die Reize der Kreisklasse sind unzählig und vor allem eines: zeitlos.

Wer mit offenen Augen in der Medienlandschaft unterwegs ist, wird recht schnell erkennen, dass der Kreisligafußball gerade boomt. Facebook-Seiten mit mehreren Hunderttausend Fans versorgen ihre Community mit lustigen Sprüchen, Bildern und Videos aus der Unterklasse. In den dazugehörigen Shops werden Shirts und Handyhüllen mit launigen Aufschriften wie "Schiri! Der hat schon Gelb!" umsatzstark unter das kickende Volk gebracht. Ex-Nationalspieler Christoph Metzelder wird in den sozialen Medien einhellig dafür gefeiert, dass er noch regelmäßig für seinen Heimatverein TuS Haltern auf dem Platz steht, während Kollege Hans Sarpei in seiner Sport1-Sendung jede Woche einem anderen Kreisklassen-Haufen versucht das Geradeauslaufen beizubringen. Auch der DFB pusht mit seiner Kampagne "Unsere Amateure. Echte Profis." den Fußball an der Basis schon seit Jahren. Im Mai dieses Jahr präsentierte unser Fußball-Bund stolz den "Finaltag der Amateure", an dem alle Pokalfinals der Landesverbände in den dritten Programmen der ARD live ausgestrahlt wurden. Die mediale Aufmerksamkeit für den unterklassigen Fußball ist derzeit - über die Berichterstattung der kleinen Lokalzeitungen hinaus - so hoch wie nie.

Warum ist das so? Profi- und Amateurfußball gehen für einen Großteil der Fans schließlich immer schon Hand in Hand: Im Verein um die Ecke wird zweimal die Woche trainiert, dazu am Sonntag das Punktspiel bestritten, während zwischendurch Bundesliga und Champions League ins Stadion oder vor den Fernseher locken. Frei nach dem Motto: Guten Fußball schaue ich mir gern passiv (grölend mit Bier) von außen an, geruppt wird aber immer noch selbst auf den heimischen Dorfsportplätzen.

Es steht außer Frage, dass der Profifußball uns alle überleben und weiß Gott nicht aussterben wird. Dennoch: Die kritischen Stimmen an dem gesamten Drumherum werden lauter. Und diese Stimmen kommen von verschiedensten Seiten: In erster Linie von den Fans, aber auch von Spielern, Trainern und Journalisten.

Korrupte Verbände und fehlende Verhältnisse

Eine lang anhaltende Kritik am Profigeschäft geht in Richtung korrupter Verbände, wobei die Posse rund um die FIFA natürlich an erster Stelle steht. Wer in die Führungspositionen des Weltverbands gewählt wird, ist für viele Fans so spannend wie die Frage nach dem Tour-de-France-Sieger: Ein Jahr später kommt sowieso raus, dass derjenige Dreck am Stecken hat - so wie sein Vorgänger und der Vorvorgänger auch schon. Dass mit unser aller Kaiser Franz jetzt sogar die deutsche Lichtgestalt des Weltfußballs in diesen Strudel zu rutschen scheint, wird wohl selbst dem letzten unverbesserlichen Optimisten den Zahn ziehen, was die Machenschaften rund um diese Organisation angeht.

Bei den schwindelerregenden Summen, die Spieler heutzutage als Gehälter einstreichen, kommt Otto Normalverbraucher mit seiner mühsam zusammengesparten Dauerkarte im Stehblock auch schon lange nicht mehr mit. Über die Verdienste der Kicker lässt sich vortrefflich diskutieren. Ein Sandro Wagner (TSG Hoffenheim) sagt Sachen, die man ja wohl mal sagen dürfen muss, und hält Fußballprofis für unterbezahlt. Ein Juan Mata (Manchester United) sieht das Ganze etwas geerdeter: "Wenn wir die Welt des Profi-Fußballs als Maßstab nehmen, verdiene ich ein normales Gehalt. Aber verglichen mit 99,9 Prozent der spanischen Gesellschaft und dem Rest der Welt ist es ein unanständiger Lohn." Und weiter: "Das echte Leben ist das, was meine Freunde leben. (...) Mein Leben als Fußballer ist nicht normal."

Bei den Ablösesummen, die für Profis hin- und hergeschoben werden als wäre es Monopoly-Geld, sucht man ebenfalls vergeblich nach Verhältnismäßigkeiten zur Welt des kleinen Mannes. Marcel Reif lenkte kürzlich im Doppelpass den Fokus auf dieses Problem: "Für Kasperlspieler werden Summen hingelegt, das ist Wahnsinn. Das ist den normalen Menschen sehr, sehr schwer zu vermitteln." Ein Pogba kostet über 100 Millionen, ein Sané mit nicht mal 50 Bundeliga-Spielen stolze 50 Millionen. Solche Summen werden darüber hinaus von Vereinen gezahlt, die über Hunderte Millionen Euro verschuldet sind. Reifs Befürchtung: "Die Identifikation mit dem Verein, mit den einzelnen Spielern findet nicht mehr statt. Ich glaube, in diesem Bereich bekommt der Fußball ein Problem." Auch BVB-Coach Thomas Tuchel betonte zuletzt auf einer PK, dass die Transfersummen außer Kontrolle geraten seien. Sie stünden "in keinem Verhältnis mehr zu den Leuten, die ins Stadion kommen, um sich ein Spiel anzuschauen."

Das Stichwort bei all diesen Kritikpunkten ist am Ende die Identifikation der Zuschauer zu ihren Vereinen und Spielern. Die Zuschauer machen den Fußball schließlich erst zu dem, was er ist. Damit nähern wir uns auch dem steigenden Zuspruch zum Amateurfußball. Dort spielen der Elektriker gegen den Bankkaufmann und der Landwirt gegen den Polizeikommissar - ob in Ostfriesland, im Spreewald oder im Bayerischen Wald. Der Amateurbereich bietet den bodenständigen Kontrast zu dem Millionengeschäft der Profiklubs und stellt für immer mehr Fans eine greifbare Alternative dar.

Fans, die sich besonders kritisch mit dem Geschäft auseinandersetzen - sei es gegen Anstoßzeiten, Montagsspiele oder natürlich Retortenvereine-, werden gern als "Fußballromantiker" belächelt. Ein extremes, aber symbolisches Beispiel liefert der Hamburger Amateurverein HFC Falke. Ehemalige HSV-Ultras gründeten diesen Club im Jahr 2015 neu, nachdem sie sich vom HSV abgewendet hatten. Den Grund für die Abkehr vom Profi-Geschäft und Neuanfang im Amateurbereich: "Angefangen mit dem Verkauf von Stadionnamen über Änderungen von Vereinsnamen und dem Verkauf von Vereinsanteilen bis hin zu Politikern, die den Fußball als Wahlplattform nutzen, hat sich der moderne Profifußball immer mehr entfremdet und entwickelt sich zu einem Event- und Kapitalmonster." Mit dem neuen Klub wolle man eine neue "emotionale Heimat" schaffen.

Diesen "Fußballromantikern" wird meist etwas von "Angebot und Nachfrage" erklärt. Davon, dass man halt hinnehmen müsse, dass Profivereine wie Wirtschaftsunternehmen geführt werden. Es fällt vielen Fans jedoch schwer, das Spiel, das sie so sehr lieben, derart nüchtern zu betrachten. Wenn der umjubelte Topstürmer auf seinem Zenit plötzlich zum Konkurrenten wechselt, stellen sie sich die sicher etwas naive Frage: "Wie konnte der Junge nach einem Tor unser Logo küssen und zwei Monate später zum verhassten Reviernachbarn wechseln? Er war doch einer von uns!" Für manche Fans ist dieser Verlust schmerzhafter als die laufende Scheidung von der eigenen Frau. Man möchte diesen Leuten gern eine Decke über die Schulter legen, eine Tasse Tee bringen und sagen: "Es ist doch nur Fußball. Die Welt dreht sich weiter." Das tut sie zweifellos. Aber diese Emotionalität und bedingungslose Liebe der Fans sorgen dafür, dass der Fußball über all die Jahrzehnte nicht an Reiz verliert und nach wie vor so viele Anhänger in der Sache vereint. Wenn auch auf verschiedenen Ebenen. Denn auch hundert Selfies, auf denen Profikicker ihre Anhänger grüßen und ein Peace-Zeichen in die Handykamera formen, machen sie nicht so nahbar wie jemanden, mit dem man gemeinsam auf dem Dorffest zuhause die Tassen hebt. Diese Augenhöhe erzeugt kein soziales Medium der Welt. Profis leben größtenteils in einer Blase, Kreisklassenfußballer direkt unter uns.

Fader Beigeschmack: Vom Fan zum Kunden?

Es geht um Authentizität, das normale Leben, auf das Sportsfreund Mata in seinem Interview hingewiesen hatte. Im Amateurbereich ist ein "Ehrenamt" noch ein Ehrenamt - und wird nicht mit Unsummen entlohnt wie beim Kaiser Franzl. Auch der bereits erwähnte "Finaltag der Amateure" des DFB, der ja prinzipiell ein tolles Zeichen darstellte, bekam spätestens dann einen faden Beigeschmack, als der DFB-Vizepräsi Peter Frymuth vor laufender Kamera euphorisch von einem "tollen Produkt" sprach, dass der Fußball-Bund sich mit der ARD ausgedacht habe. Mit solchen Aussagen nährt sich das Gefühl der Anhänger, mittlerweile nicht mehr Fan, sondern Kunde zu sein.

Ich persönlich habe dem Profi-Geschäft nicht abgeschworen, wie im Beispiel der Ex-HSV-Ultras, und werde diesen Schritt wohl auch nie gehen. Ja, Profivereine werden unter wirtschaftlichen Aspekten geführt. Das kann man den Verantwortlichen aber nur schwer verübeln, was wiederum keinesfalls heißt, dass die Fankultur keinen Platz bei dem Vorgehen der Clubs haben sollte. Ja, bei WM-Vergaben und vielen anderen wichtigen Entscheidungen verschiedenster Fußballverbände wird unheimlich viel im Hintergrund geschoben. Dennoch schaue ich mir die Turniere noch immer mit Begeisterung an. Und ja, die wenigsten Profis entscheiden sich dazu, ihre gesamte Karriere bei ihrem Herzensverein zu spielen und wechseln aus karriere-perspektivischen, aber eben auch aus finanziellen Gründen die Vereine. Dafür muss man schlichtweg Verständnis aufbringen. Als Fan bleibt man einem Verein meist treu, aber als Profi ist es nun mal auch ein Job. Sogar einer, der auf rund 15 Jahre begrenzt ist und stark von der Gesundheit abhängt.

Am Ende muss jeder Fan für sich abwägen, womit er sich identifizieren kann und muss, um den Spaß an seinem Lieblingssport nicht zu verlieren. Ohne den besten Fußballern der Welt zuzuschauen, ohne das Durch-Höhen-und-Tiefen-Gehen mit dem eigenen Lieblingsverein und ohne die Atmosphäre der großen Stadien würde mir schlicht viel zu viel fehlen.

Das Wort Fußballromantiker zu einem Schimpfwort zu stilisieren, finde ich ungerecht. Wem der Fußball am Herzen liegt, der darf auch ruhig mal ein wenig träumen. Und wenn es am Ende der Amateurfußball ist, der einem bietet, was man im Millionengeschäft der Profis vermisst, kann man diesen ja ohne Probleme als Ergänzung oder gar Alternative für sich nutzen und darin seinen Frieden finden. Es ist ja nur Fußball, nech?

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Und zum Abschluss in eigener Sache: Die Reize des Kreisliga-Alltags habe ich vor drei Jahren in dem SPOX-Blog "An jedem verdammten Sonntag" aufs Korn genommen. (Damals waren die "Kreisklasse ist,..."-Sprüche tatsächlich eine Neuheit!) Mittlerweile hat sich aus diesem SPOX-Projekt ein humoristisches Fußballbuch ergeben, in dem ich dieses Thema deutlich lustiger angehe als hier im Blog. Das Buch möchte ich euch (ganz objektiv natürlich!) wärmstens ans Herz legen möchte: "Nimm du ihn, ich hab ihn sicher". Es handelt sich dabei um die Vereinschronik des fiktiven Kreisklassenvereins Vorwärts Benenbröök (- deren Trikot trage ich auch auf dem Foto oben). Von der schleppenden Vorbereitung über das berüchtigte Derby bis zur feucht-fröhlichen Saisonabsch(l)ussfahrt umfasst diese Chronik all die typischen Stationen, die auch jede andere Amateurmannschaft so oder zumindest in ähnlicher Form bereits durchlaufen hat. Eine humorvolle Typologie unseres geliebten Unterklassenfußballs, die das Geschehen im Amateurverein augenzwinkernd aufs Korn nimmt. Ich finde: An trainingsfreien Tagen kann man ruhig mal das Flutlicht gegen die Leselampe eintauschen...

Ab jetzt überall im Buchhandel und bei Amazon:

"Nimm du ihn, ich hab ihn sicher: Bäuche, Bier und Blutgrätschen - Die fiktive Vereinschronik von Vorwärts Benenbröök" (riva-Verlag)

von Joel Grandke (aka SPOX-User "Zac")

KOMMENTARE
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Voegi
MODERATOR
15.09.2016 | 18:13 Uhr
2
0
Voegi : 
15.09.2016 | 18:13 Uhr
0
Voegi : 
toller blog, tolles buch, tolle sache.
ganz große geschichte. und toll, dass myspox da ein bisschen steigbügelhalter spielen konnte. viel erfolg weiterhin, zac!
2
ausLE
MODERATOR
15.09.2016 | 18:49 Uhr
1
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ausLE : 
15.09.2016 | 18:49 Uhr
0
ausLE : 
Wieder mal ein klasse Blog Zac!!
Und das alles ohne Eisspray!
10/10

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Zac
15.09.2016 | 19:38 Uhr
2
0
Zac : @ausLE
15.09.2016 | 19:38 Uhr
0
Zac : @ausLE
Tatsächlich, bin dieses Mal ohne das "Feenstaub" ausgekommen. Verdammt, dabei habe ich mich gerade der Mission verschrieben, den Hashtag #eissprayregelt in der Welt zu verbreiten...
2
Schnumbi
16.09.2016 | 09:10 Uhr
2
0
Schnumbi : 
16.09.2016 | 09:10 Uhr
0
Schnumbi : 
Einfach nur top lieber Joel.
2
balrog666
23.09.2016 | 10:03 Uhr
1
0
balrog666 : Klasse Blog / geniales Buch
23.09.2016 | 10:03 Uhr
0
balrog666 : Klasse Blog / geniales Buch
Schreibe normal nie Kommentare obwohl ich schon seit 2007 hier immer wieder mal rumhänge.
Habe gestern das Buch bekommen und direkt gelesen. Hab so of laut lachen müssen weil ich immer dachte: " das könntest Du gewesen sein". Hat mich sehr an meine aktive Zeit beim mächtigen SV Niedererbach erinnert
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