05.09.2011 um 23:25 Uhr
Reif für die Dreierkette?
Spox hat seine Schnüffelnase mal wieder tief in die Innereien des Fußballs gesteckt und einen Trend gewittert, der vielleicht in fünf Jahren das Bild des internationalen Fußballs prägen könnte: Die Renessaince der Dreierabwehrkette. Ausgerechnet die derzeitige Übermacht Barcelona hat diese Variante (zugegebenermaßen nur testweise) übernommen und sofort einen beeindruckenden 5:0-Sieg gegen Villareal erzielen können.
Der Deutsche an sich muss sich fast ein wenig verschaukelt vorkommen. Jahrelang wurde er dafür beschimpft, dass er an seiner steinzeitlichen Dreierabwehr festhält und jetzt spielt er endlich erfolgreichen Fußball mit vier Verteidigern, da wollen die ersten Experten wieder zur alten Variante zurückkehren.
Ganz so einfach gestaltet sich die Sache natürlich nicht. Selbstverständlich würde es die Existenzgrundlage der Katalanen förmlich in die Luft sprengen, hätte man sich nun einfach so in das vergangene fußballerische Jahrhundert taktiert. Irgendwas ist anders. Nur was?
Nun, Pep Guardiola hat sein magisches Taktikheftchen leider noch nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, doch wir können ja mal einen kleinen Blick auf eine der ganz klassischen Grundfunktionen der Viererabwehrkette im modernen Fußball wagen.
"Ablenkung" des gegnerischen Angriffs auf die Außen - Viererabwehrkette
-- O
---- M ----------- X -----
---------6----X-----------
---A-----------------X----
------IV----X-------------
----------TOR------------
Der Angriff (Ball O) erfolgt über die linke Verteidigerseite. Die Defensive ist ballorientiert auf links verschoben. Der linke äußere Mittelfeldspieler (M) rückt auf die Halbposition und bildet zusammen mit seinem Sechser (6) und Außenverteidiger ein Dreieck. Die Überzahl ist Innen, so dass der Angriff auf die Außen gelenkt wird. Sollte M überwunden werden, ist sofort ein neues Dreieck etwas weiter außen vorhanden (A, 6 und IV). In diesem Dreieck ist A der stellende Verteidiger, IV ist der deckende ("doppelnde") Verteidiger und 6 stellt den zentralen Passweg zu. Der Angreifer O kann jetzt nur noch den Zweikampf mit zwei Gegenspielern auf Außen suchen oder den Angriff abbrechen.
Auch wenn die Darstellung oben vermutlich alles andere als übersichtlich ist, so werden doch die Grundzüge der modernen Verteidigungssituation deutlich: Angriffe sollen klassischerweise auf die Außen abgelenkt werden und im Idealfall sucht man immer nach Dreiecks-Formationen, in denen ein Spieler den Angreifer stellt, ein zweiter Spieler etwa 1,5 Meter hinter dem ersten Verteidiger deckt (doppelt) und ein dritter Spieler macht es sich zur Aufgabe, den zentralen Passweg zuzustellen.
Tatsächlich ist also der Libero, der klassische Inbegriff für eingestaubten Fußball, nie ausgestorben, nur dass man jetzt anstatt mit einem Matthias Sammer mit Sechsen davon spielt. Alle sechs Verteidiger (im Idealfall ja sogar alle elf) verschieben sich zum Ball hin und versuchen Überzahl-Situationen zu erzeugen.
So weit, so verwirrend. Wie gestaltet sich diese allzu klassische Szene aber bei der modernen Dreierabwehr. Einer Sache kann man sich sicher sein: Ein Barca das auf Überzahlen und ballorientiertes Verschieben verzichtet, wäre in etwa so wie Superman der sagt, dass er heute mal ohne seine Superkräfte auf Verbrecherjagd geht: Nur noch Clark Kent. Das kann nicht im Sinne von Guardiola sein. Also müssen wir versuchen, obige Situation einmal auf drei Verteidiger abzubilden. Das könnte in etwa so aussehen:
Gegnerischer Angriff bei Dreierabwehrkette
--- O --- X ---------------
-- M -------- X -----------
------- 6 --- 6 ------------
----- V --------- V -------
----------- V --------------
-----------TOR-----------
Der Angriff (Ball O) läuft erneut über die linke Verteidigerseite, die Verteidigung ist ballorientiert auf links verschoben. Der linke Verteidiger (V) agiert als Sechser und bewegt sich aktiv auf den Spielaufbau zu, dient als deckender Verteidiger hinter dem stellenden Verteidiger M. Linke 6 stellt den zentralen Passweg zu. Im Falle eines Flankenwechsels ist der rechte Verteidiger ebenfalls im Stile eines Sechsers vorgerückt und kann dort den ballempfangenden Angreifer stellen um dem rechten Sechser genug Zeit zu geben in die Verteidigerrolle zu schlüpfen und zu doppeln. Wieder ist die Überzahl Innen, es ist für die angreifende Mannschaft aber ungleich einfacher, beispielsweise zu hinterlaufen und von der Grundlinie aus ungedeckte Bahn nach Innen zu haben. (Ob M jetzt von einem Mittelfeldspieler oder auch einem (äußerst lauffreudigem) Außenstürmer belegt wird, macht keinen Unterschied)
Das Anforderungsprofil an die Spieler hat sich hier ein wenig verändert. Tatsächlich agieren die äußeren Verteidiger nun eher wie Sechser, was bedeutet, dass sie aktiv auf den ballführenden Spieler hinarbeiten (genau das, was ja auch bei Barcas Experiment aufgefallen ist). Doch die Lücke ist offensichtlich: Hinter dem Rücken der Verteidiger ist der Weg zur Grundlinie und von dort aus nach Innen schmerzlich frei - Thomas Müller würde Freudentränen vergießen.
Nun, hier ist die Problemstellung. Ein Team wie Barca kann sie sicherlich lösen, weil es sich darauf verlassen kann, dass eine einzige Überzahlsituation ausreicht um den Ball zurückzugewinnen. Und es ist ja nicht so, dass der moderne Fußball (der ja nach jahrelanger Umstellung eigentlich eher ein 12-Mann-System geworden ist) mit Kusshand einen weiteren Mittelfeldspieler aufnehmen würde. Nur weil Barca in der Defensive aber eben nicht ausschließlich mit verkappten Liberos spielt und es sich zutraut, defensive 1 gegen 1-Zweikämpfe zu gewinnen, ist das aber noch kein Modell für die internationalen Taktik-Schulen.
Die Hoffnung auf eine verstärkte Offensive mit nur drei Verteidigern ist heute eigentlich eher ein Trugschluss. Schließlich generiert man nun eigentlich drei rein defensive Sechser und raubt sich die zwei Offensivkräfte auf den Außenverteidigerpositionen. Die oben beschriebenen Situationen sind nur ein Beispiel von vielen, die darauf hinweisen, dass der moderne Fußball noch nicht reif genug ist, um wieder zu einer Dreierabwehr-Variante zurückzukehren. Vorher müssen noch einige Dogmen erneut überdacht werden.
Aber wer weiß was Pep Guardiola und seine Trainerkollegen auf ihren magischen Taktikheftchen noch alles für Überraschungen eingezeichnet haben. Genau wegen solcher Dinge sind sie ja internationale Toptrainer und ich blogge nur ein bisschen bei Spox...
Der Deutsche an sich muss sich fast ein wenig verschaukelt vorkommen. Jahrelang wurde er dafür beschimpft, dass er an seiner steinzeitlichen Dreierabwehr festhält und jetzt spielt er endlich erfolgreichen Fußball mit vier Verteidigern, da wollen die ersten Experten wieder zur alten Variante zurückkehren.
Ganz so einfach gestaltet sich die Sache natürlich nicht. Selbstverständlich würde es die Existenzgrundlage der Katalanen förmlich in die Luft sprengen, hätte man sich nun einfach so in das vergangene fußballerische Jahrhundert taktiert. Irgendwas ist anders. Nur was?
Nun, Pep Guardiola hat sein magisches Taktikheftchen leider noch nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, doch wir können ja mal einen kleinen Blick auf eine der ganz klassischen Grundfunktionen der Viererabwehrkette im modernen Fußball wagen.
"Ablenkung" des gegnerischen Angriffs auf die Außen - Viererabwehrkette
-- O
---- M ----------- X -----
---------6----X-----------
---A-----------------X----
------IV----X-------------
----------TOR------------
Der Angriff (Ball O) erfolgt über die linke Verteidigerseite. Die Defensive ist ballorientiert auf links verschoben. Der linke äußere Mittelfeldspieler (M) rückt auf die Halbposition und bildet zusammen mit seinem Sechser (6) und Außenverteidiger ein Dreieck. Die Überzahl ist Innen, so dass der Angriff auf die Außen gelenkt wird. Sollte M überwunden werden, ist sofort ein neues Dreieck etwas weiter außen vorhanden (A, 6 und IV). In diesem Dreieck ist A der stellende Verteidiger, IV ist der deckende ("doppelnde") Verteidiger und 6 stellt den zentralen Passweg zu. Der Angreifer O kann jetzt nur noch den Zweikampf mit zwei Gegenspielern auf Außen suchen oder den Angriff abbrechen.
Auch wenn die Darstellung oben vermutlich alles andere als übersichtlich ist, so werden doch die Grundzüge der modernen Verteidigungssituation deutlich: Angriffe sollen klassischerweise auf die Außen abgelenkt werden und im Idealfall sucht man immer nach Dreiecks-Formationen, in denen ein Spieler den Angreifer stellt, ein zweiter Spieler etwa 1,5 Meter hinter dem ersten Verteidiger deckt (doppelt) und ein dritter Spieler macht es sich zur Aufgabe, den zentralen Passweg zuzustellen.
Tatsächlich ist also der Libero, der klassische Inbegriff für eingestaubten Fußball, nie ausgestorben, nur dass man jetzt anstatt mit einem Matthias Sammer mit Sechsen davon spielt. Alle sechs Verteidiger (im Idealfall ja sogar alle elf) verschieben sich zum Ball hin und versuchen Überzahl-Situationen zu erzeugen.
So weit, so verwirrend. Wie gestaltet sich diese allzu klassische Szene aber bei der modernen Dreierabwehr. Einer Sache kann man sich sicher sein: Ein Barca das auf Überzahlen und ballorientiertes Verschieben verzichtet, wäre in etwa so wie Superman der sagt, dass er heute mal ohne seine Superkräfte auf Verbrecherjagd geht: Nur noch Clark Kent. Das kann nicht im Sinne von Guardiola sein. Also müssen wir versuchen, obige Situation einmal auf drei Verteidiger abzubilden. Das könnte in etwa so aussehen:
Gegnerischer Angriff bei Dreierabwehrkette
--- O --- X ---------------
-- M -------- X -----------
------- 6 --- 6 ------------
----- V --------- V -------
----------- V --------------
-----------TOR-----------
Der Angriff (Ball O) läuft erneut über die linke Verteidigerseite, die Verteidigung ist ballorientiert auf links verschoben. Der linke Verteidiger (V) agiert als Sechser und bewegt sich aktiv auf den Spielaufbau zu, dient als deckender Verteidiger hinter dem stellenden Verteidiger M. Linke 6 stellt den zentralen Passweg zu. Im Falle eines Flankenwechsels ist der rechte Verteidiger ebenfalls im Stile eines Sechsers vorgerückt und kann dort den ballempfangenden Angreifer stellen um dem rechten Sechser genug Zeit zu geben in die Verteidigerrolle zu schlüpfen und zu doppeln. Wieder ist die Überzahl Innen, es ist für die angreifende Mannschaft aber ungleich einfacher, beispielsweise zu hinterlaufen und von der Grundlinie aus ungedeckte Bahn nach Innen zu haben. (Ob M jetzt von einem Mittelfeldspieler oder auch einem (äußerst lauffreudigem) Außenstürmer belegt wird, macht keinen Unterschied)
Das Anforderungsprofil an die Spieler hat sich hier ein wenig verändert. Tatsächlich agieren die äußeren Verteidiger nun eher wie Sechser, was bedeutet, dass sie aktiv auf den ballführenden Spieler hinarbeiten (genau das, was ja auch bei Barcas Experiment aufgefallen ist). Doch die Lücke ist offensichtlich: Hinter dem Rücken der Verteidiger ist der Weg zur Grundlinie und von dort aus nach Innen schmerzlich frei - Thomas Müller würde Freudentränen vergießen.
Nun, hier ist die Problemstellung. Ein Team wie Barca kann sie sicherlich lösen, weil es sich darauf verlassen kann, dass eine einzige Überzahlsituation ausreicht um den Ball zurückzugewinnen. Und es ist ja nicht so, dass der moderne Fußball (der ja nach jahrelanger Umstellung eigentlich eher ein 12-Mann-System geworden ist) mit Kusshand einen weiteren Mittelfeldspieler aufnehmen würde. Nur weil Barca in der Defensive aber eben nicht ausschließlich mit verkappten Liberos spielt und es sich zutraut, defensive 1 gegen 1-Zweikämpfe zu gewinnen, ist das aber noch kein Modell für die internationalen Taktik-Schulen.
Die Hoffnung auf eine verstärkte Offensive mit nur drei Verteidigern ist heute eigentlich eher ein Trugschluss. Schließlich generiert man nun eigentlich drei rein defensive Sechser und raubt sich die zwei Offensivkräfte auf den Außenverteidigerpositionen. Die oben beschriebenen Situationen sind nur ein Beispiel von vielen, die darauf hinweisen, dass der moderne Fußball noch nicht reif genug ist, um wieder zu einer Dreierabwehr-Variante zurückzukehren. Vorher müssen noch einige Dogmen erneut überdacht werden.
Aber wer weiß was Pep Guardiola und seine Trainerkollegen auf ihren magischen Taktikheftchen noch alles für Überraschungen eingezeichnet haben. Genau wegen solcher Dinge sind sie ja internationale Toptrainer und ich blogge nur ein bisschen bei Spox...
Aufrufe: 8506 | Kommentare: 13 | Bewertungen: 9 | Erstellt:05.09.2011
ø 6.7
KOMMENTARE
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12.09.2011 | 12:13 Uhr
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Drumania :
Davon habe ich bisher noch nicht gehört und ich hätte das auch nicht so gesehen. Dass man Angriffe immer bevorzugt nach Außen ablenkt ist eine Grundidee, einfach weil Angriffe über Außen weniger erfolgsversprechend sind als welche durch die Zentrale. Wo hast du das denn gehört und in welchem Zusammenhang?
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13.09.2011 | 19:15 Uhr
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Habe aber schon gehört, dass Barca bei einer Dreierkette wieder auf die Außen umlenken würde, da es anders nicht funktioniert.
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