"Entscheidend ist, dass ich den Spielern den Eindruck vermittle, ich würde alle genau gleich behandeln. Jogi wird mir recht geben, dass dies in Tat und Wahrheit aber nicht der Fall ist, gar nicht möglich ist. Jeder Akteur muss wieder anderes angepackt werden. Die Spieler müssen das Gefühl haben, der Trainer sei fair." - Roberto di Matteo in einem Zeitungsinterview Anfang 2014
Kellers Demission
Nun also Roberto di Matteo. Vorbei sind die Zeiten, an denen Jens Keller den Journalisten vor der Stabgitterzaunwand mit den Sponsorenlogos am Parkstadion Rede und Antwort stand. Vorbei auch die Pressekonferenzen, in denen der gebürtige Stuttgarter mit geradezu stoischer Ruhe Auskunft über Personalfragen gab. Vorbei das Stehen am Spielfeldrand mit leicht herausgeschobener Hüfte und gekräuselten Augenbrauen, beide Hände an der Taille. Vorbei die Extrawürste für den Twitterprinz und die Floskeln in den Gesprächen, die allzu oft die Vokabeln "überragend" und "Verletzte" enthielten.
Nein, Jens Keller hat bestimmt nicht alles falsch gemacht, und ihm gebührt für die geleistete Arbeit Dank, denn der Trainerstuhl bei den Königsblauen hat eine verflucht heiße Sitzfläche. Zweiundzwanzig lange Monate lang hat er die schleichende Demontage und das fehlende Vertrauen seitens Vorstand und Aufsichtsrat mit dem ihm eigenen Gleichmut ertragen. Dass ihm mit Tuchel und Schaaf zwei Konkurrenten aufgezeigt wurden. Dass in der Kabine das Wort von Clemens Tönnies lauter schallte als sein eigenes. Auch in seinem Trainerstab, so munkelt man, seien die Trainingsmethodik und die Personalauswahl nicht immer unumstritten gewesen. Dass beispielsweise Sven Hübscher weiter unter Vertrag bleibt, Peter Hermann und Holger Gehrke aber gehen müssen, ist ein deutliches Indiz.
Und doch hat sich Keller die Demission bei den Knappen zu einem nicht unerheblichen Teil selbst zuzuschreiben. Zu introvertiert hat sich "der Jens" präsentiert, zu leise war sein öffentliches Auftreten, zu unwahrscheinlich empfanden es die Fans und das Umfeld, dass sich der ehemalige Jugendcoach gegen die weltgewandten Stars wie Huntelaar, Boateng oder Höwedes durchsetzen könnte. Hinzu kamen taktische Fehler, Undiszipliniertheiten und fehlende Konsequenzen in seinem Spielerkader und nicht zuletzt auch die Unzufriedenheit der sportlichen Leitung mit der Performance der Mannschaft - acht Punkte in der Bundesliga nach sieben Spielen, die peinliche Pokalpleite in Dresden, der Punktverlust gegen Maribor in der Königsklasse.
Mäuse, Menschen und Marionetten
Keller gefiel sich oft in der Rolle des unverstandenen und unbeteiligten Pragmatikers, dem der Presserummel und die Emotionalität des gesamten Umfelds beinahe unheimlich erschienen. In den Pressekonferenzen mit Sportvorstand Horst Heldt und Mediendirektor Thomas Spiegel wirkte er gelegentlich sogar deplatziert, speziell bei kritischen Nachfragen zu seinem Spielsystem oder den taktischen Defiziten gegen defensiv eingestellte Gegner. Was von ihm bleibt, ist die Erinnerung an einen sympathischen Mann, dessen fachliche Qualitäten sicher nicht mit dem korrespondierten, was er nach außen zu transportieren wusste. Doch genau das gehört heutzutage eben zu einem modernen, erfolgreichen Spitzentrainer in der Bundesliga dazu.
Und doch bleiben nach der Trennung von Keller eine Reihe von Fragen offen. Welche Rolle etwa nimmt Clemens Tönnies mittlerweile "auf Schalke" ein? Der mächtige Fleischmagnat, in dessen Privathaus sich Heldt und di Matteo schon in der letzten Woche eingefunden haben sollen, ist nicht nur Vorsitzender des Aufsichtsrats, sondern auch Fädenzieher hinter den Kulissen. Wie viel Macht hat der Vorstand tatsächlich, wenn viele Entscheidungen vom Aufsichtsrat abgesegnet werden müssen, und selbst ein vermeintlich simpler Trainerwechsel nicht ohne Tönnies' Eingriff zu Stande kommt? Welche Gestaltungsmöglichkeiten besitzen Heldt, Peters und Jobst als Vorstandsmitglieder tatsächlich?
Das hochemotionalisierte Umfeld des FC Schalke 04, das seit den verpassten Meisterschaften zu Anfang des letzten Jahrzehnts den Schalen hinterhertrauert, wird spätestens bei der nächsten Jahreshauptversammlung die eine oder andere kritische Frage stellen. Das betrifft dann ohne Zweifel auch die Strukturen im Verein, deren demokratische Grundausrichtung immer wieder von den Alleingängen des Rheda-Wiedenbrücker Großunternehmers Tönnies konterkariert werden. Aber vielleicht kann Roberto di Matteo bis dahin in Ruhe arbeiten. Es wäre ihm zu wünschen.
Auftritt: "Röb" di Matteo
Denn Roberto di Matteo ist bei weitem nicht der erste Trainer, der am S04 scheitern könnte. Alte Knochen wie Jupp Heynckes, der zum Zeitpunkt seines Engagements schon die Champions League mit Real Madrid gewonnen hatte, junge Talente wie Frank Neubarth, ja selbst der Jahrhunderttrainer Huub Stevens oder Konzeptcoach Ralf Rangnick Schalke hat sie alle schon verschlissen. Mit besonderem Genuss skandiert die Kurve regelmäßig einen ihrer liebsten Gesänge:
Tausend Trainer schon verschlissen, Spieler kommen, Spieler gehen
Di Matteo gehört nicht in die Kategorie "Lautsprecher", hat keinen ausufernden Erfahrungsschatz aufzuweisen, profiliert sich üblicherweise nicht in den Medien. Bis auf die Episode als Chefcoach beim FC Chelsea, die den Gewinn des FA-Cups und der Champions League beinhaltete, ist er kaum in Erscheinung getreten dafür aber während dieses Dreivierteljahres umso deutlicher. Das "Finale dahoam" machte aus ihm einen vermeintlichen Defensivfanatiker, denn das "schöne Spiel" des FC Bayern ließ er in erster Linie mit konsequentem Pressing unterbinden. Dass er trotzdem mit Offensivkräften wie Eden Hazard, Oscar oder Fernando Torres richtig guten Fußball zeigen ließ, wird in diesem Zusammenhang gern unterschlagen.
Es ist dem Italiener zu gönnen, dass er die Chance zu einer wahren "Mission Impossible" erhält. Nichts weniger ist der Job beim S04 nämlich. Die "eierlegende Wollmilchsau", die man als Cheftrainer der Gelsenkirchener zu sein hat, kann es eigentlich dem Umfeld überhaupt nicht recht machen. Selbst bei gleichzeitigem Gewinn von Meisterschaft, Pokal und Europacup mit schönstem Fußball und härtester Maloche auf dem Platz würden wir Schalker wohl noch etwas am Trainer finden, was uns missfällt. Und sei es der Name, die Haarfarbe, die Krawatte oder der Akzent.
Bloß gut, dass di Matteo sechs Sprachen fließend spricht. Hoffentlich ist eine davon die der Spieler.