30.08.2012 um 08:16 Uhr
Sachlichkeit? Watt is dat denn?
Markus Babbel gehört nicht gerade zu den Trainern, die mir besonders sympathisch sind. Auf mich wirkt er irgendwie immer arrogant und überheblich, so als wüsste er alles und vor allen Dingen alles besser. Seine Äußerungen zur Ausmusterung von Tim Wiese etwa, die er kürzlich über den Äther schickte, wirkten auf mich eher trotzig und unangemessen als souverän. Noch dazu trainiert er die SAP-Betriebssportgemeinschaft in Sinsheim, die bundesligaweit nicht zu den Vertretern gehört, bei denen es traditionsbewussten Fußballfans warm ums Herz wird. Aber seine gestrige Aussage, dass der Hamburger SV beispielsweise laut vielen Medien schon abgestiegen sei, und dass es an Sachlichkeit fehle, hat mich dann doch zum Nachdenken angeregt. Vielleicht sieht er nur seine eigenen „Felle schwimmen", nachdem Hoffenheim zunächst gegen den unterklassigen AK Berlin und danach auch noch gegen die Gladbacher chancenlos war. Ich glaube aber, dass viele Trainer und Funktionäre im Allgemeinen ohnehin einem ganz massiven Irrglauben unterliegen: dass es in der Bundesliga in erster Linie um Sport und Leistungen geht.
Ich bin ganz anders sozialisiert worden. Mein erster Stadionbesuch, an den ich mich erinnern kann, war im altehrwürdigen Parkstadion in Gelsenkirchen. Mama und Papa waren beide glühende Fans und nahmen den kleinen Dötz mit ins Stadion. Am Kassenhäuschen angekommen, riss die nette Dame hinter der Glasscheibe drei Sitzplatzkarten vom Block, gab zwei davon an meine Eltern weiter und packte die dritte unter den Tisch. Dann nahm sie den Block mit den Kinderkarten, riss eine davon runter (die kosteten damals fünf Mark, glaube ich) und legte sie zu den beiden Sitzplatzkarten. Und so konnte ich mit meinen Eltern auf der Tribüne sitzen, obwohl ich eigentlich eine Kinder-Stehplatzkarte hatte. Bei meinem ersten Auswärtsspiel wurde ich durch zupackende Schalker Hände vor dem Niedertrampeln gerettet - weil die Stadiontore erst viel zu spät aufgemacht wurden, wurde ich von der Hand meiner Mama weggerissen, dann aber flugs auf ein paar bierselige Schultern gehievt, die mich sicher in den Gästeblock trugen.
„Mein Schalke" ist eine Gemeinschaft von Leuten, die aufeinander aufpassen. Ich glaube, dass dieser Gemeinschaftsgedanke etwas ist, das viele Leute am Wochenende in die Stadien treibt, und dass ich mit meinen Erinnerungen und Erfahrungen nicht allein bin. Gemeinsam zum Spiel anzureisen, dabei ein Bierchen zu trinken und eine Wurst am Stadion zu essen, gemeinsames Singen und Klatschen und die Vorfreude auf die Atmosphäre im Stadion: das sind fußballkulturelle Besonderheiten, die es so in dieser Form nirgendwo anders gibt. Nicht beim Handball, nicht beim Eishockey, nicht bei irgendeiner anderen Mannschaftssportart in Deutschland. Erst in zweiter Linie geht’s dann auch um den Sport. Also - nicht generell um den Sport. Sondern natürlich vor allem darum, dass „wir" gewinnen. Möglichst nicht acht zu null, sondern gerne knapp. Emotional, aufregend, mit dem besseren Ende für uns. Am liebsten mit einem Rückstand am Anfang und dem heldenhaften Comeback mit dem entscheidenden Treffer kurz vor dem Ende, dann gehen wir alle mit einem Strahlen auf dem Gesicht nach Hause.
Das ist das, was den Erfolg der Bundesliga ausmacht - nicht die sportlich hervorragenden Leistungen einzelner Spieler oder Mannschaften, so herausragend und bewundernswert diese auch sein mögen. Liga- und Verbandsfunktionäre blenden dies gern zwischendurch aus, besonders während emotional aufgeladener Diskussionen wie etwa der ewigen Pyro- oder Randalediskussion. Vielleicht gibt es diese Diskussion auch momentan überhaupt nur in dieser Schärfe, weil viele Funktionäre und viele Unbeteiligte die Bundesliga nicht in ihrer ganzen Dimension begreifen, sondern immer nur die sportliche Komponente betrachten. Fußballspiele sehen sie von gepolsterten Sitzplätzen aus, für sie sind die bunten Fankurven mit ihren Choreografien, Doppelhaltern, Gesängen und den verhassten Bengalos nur schmückendes Beiwerk. Aber warum sind die VIPs dieser Tage in den Stadien, weshalb wird es mittlerweile als „schick" angesehen, sich im Stadion sehen zu lassen? Wegen der Prollos in der Kurve, die so schön und originell singen. Wären nur VIPs im Stadion, würde die Sportart - mit Verlaub - keine Sau interessieren.
So viel zum Thema Sachlichkeit. Das ist im übrigen auch mit ein Grund dafür, dass Hoffenheims Erfolg in der Bundesliga eher mäßig bleibt. Es ist schwer vorstellbar, dass Hoffenheim binnen zwei oder drei Jahren zu einer Bundesligaspitzenmannschaft wächst, weil die Infrastruktur dafür nicht gegeben ist. Und damit meine ich nicht Straßen, Trainingsplätze oder Geschäftsstellenausbauten. Sondern das Herz des Vereins, die gewachsene Kultur, die Unterstützung einer Stadt oder Region, die positive Emotion, die mitschwingt. Plastik- und Retortenvereine wie RB Leipzig oder die besagten Hoffenheimer haben allein aus diesem Grund schon keine Chance, den Erfolg kurzfristig einzukaufen. So etwas braucht Zeit, Liebe, Geduld und vor allem den Verzicht auf Sachlichkeit.
Übrigens finde ich: der HSV ist ein Abstiegskandidat. Und zwar unabhängig davon, ob sie van der Vaart noch kriegen oder nicht. Eat this, Markus.
Ich bin ganz anders sozialisiert worden. Mein erster Stadionbesuch, an den ich mich erinnern kann, war im altehrwürdigen Parkstadion in Gelsenkirchen. Mama und Papa waren beide glühende Fans und nahmen den kleinen Dötz mit ins Stadion. Am Kassenhäuschen angekommen, riss die nette Dame hinter der Glasscheibe drei Sitzplatzkarten vom Block, gab zwei davon an meine Eltern weiter und packte die dritte unter den Tisch. Dann nahm sie den Block mit den Kinderkarten, riss eine davon runter (die kosteten damals fünf Mark, glaube ich) und legte sie zu den beiden Sitzplatzkarten. Und so konnte ich mit meinen Eltern auf der Tribüne sitzen, obwohl ich eigentlich eine Kinder-Stehplatzkarte hatte. Bei meinem ersten Auswärtsspiel wurde ich durch zupackende Schalker Hände vor dem Niedertrampeln gerettet - weil die Stadiontore erst viel zu spät aufgemacht wurden, wurde ich von der Hand meiner Mama weggerissen, dann aber flugs auf ein paar bierselige Schultern gehievt, die mich sicher in den Gästeblock trugen.
„Mein Schalke" ist eine Gemeinschaft von Leuten, die aufeinander aufpassen. Ich glaube, dass dieser Gemeinschaftsgedanke etwas ist, das viele Leute am Wochenende in die Stadien treibt, und dass ich mit meinen Erinnerungen und Erfahrungen nicht allein bin. Gemeinsam zum Spiel anzureisen, dabei ein Bierchen zu trinken und eine Wurst am Stadion zu essen, gemeinsames Singen und Klatschen und die Vorfreude auf die Atmosphäre im Stadion: das sind fußballkulturelle Besonderheiten, die es so in dieser Form nirgendwo anders gibt. Nicht beim Handball, nicht beim Eishockey, nicht bei irgendeiner anderen Mannschaftssportart in Deutschland. Erst in zweiter Linie geht’s dann auch um den Sport. Also - nicht generell um den Sport. Sondern natürlich vor allem darum, dass „wir" gewinnen. Möglichst nicht acht zu null, sondern gerne knapp. Emotional, aufregend, mit dem besseren Ende für uns. Am liebsten mit einem Rückstand am Anfang und dem heldenhaften Comeback mit dem entscheidenden Treffer kurz vor dem Ende, dann gehen wir alle mit einem Strahlen auf dem Gesicht nach Hause.
Das ist das, was den Erfolg der Bundesliga ausmacht - nicht die sportlich hervorragenden Leistungen einzelner Spieler oder Mannschaften, so herausragend und bewundernswert diese auch sein mögen. Liga- und Verbandsfunktionäre blenden dies gern zwischendurch aus, besonders während emotional aufgeladener Diskussionen wie etwa der ewigen Pyro- oder Randalediskussion. Vielleicht gibt es diese Diskussion auch momentan überhaupt nur in dieser Schärfe, weil viele Funktionäre und viele Unbeteiligte die Bundesliga nicht in ihrer ganzen Dimension begreifen, sondern immer nur die sportliche Komponente betrachten. Fußballspiele sehen sie von gepolsterten Sitzplätzen aus, für sie sind die bunten Fankurven mit ihren Choreografien, Doppelhaltern, Gesängen und den verhassten Bengalos nur schmückendes Beiwerk. Aber warum sind die VIPs dieser Tage in den Stadien, weshalb wird es mittlerweile als „schick" angesehen, sich im Stadion sehen zu lassen? Wegen der Prollos in der Kurve, die so schön und originell singen. Wären nur VIPs im Stadion, würde die Sportart - mit Verlaub - keine Sau interessieren.
So viel zum Thema Sachlichkeit. Das ist im übrigen auch mit ein Grund dafür, dass Hoffenheims Erfolg in der Bundesliga eher mäßig bleibt. Es ist schwer vorstellbar, dass Hoffenheim binnen zwei oder drei Jahren zu einer Bundesligaspitzenmannschaft wächst, weil die Infrastruktur dafür nicht gegeben ist. Und damit meine ich nicht Straßen, Trainingsplätze oder Geschäftsstellenausbauten. Sondern das Herz des Vereins, die gewachsene Kultur, die Unterstützung einer Stadt oder Region, die positive Emotion, die mitschwingt. Plastik- und Retortenvereine wie RB Leipzig oder die besagten Hoffenheimer haben allein aus diesem Grund schon keine Chance, den Erfolg kurzfristig einzukaufen. So etwas braucht Zeit, Liebe, Geduld und vor allem den Verzicht auf Sachlichkeit.
Übrigens finde ich: der HSV ist ein Abstiegskandidat. Und zwar unabhängig davon, ob sie van der Vaart noch kriegen oder nicht. Eat this, Markus.
Aufrufe: 2165 | Kommentare: 6 | Bewertungen: 13 | Erstellt:30.08.2012
ø 6.3
KOMMENTARE
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30.08.2012 | 14:23 Uhr
-2
ohLsen :
Wahre Worte 3
30.08.2012 | 14:44 Uhr
-4
es langweilt so langsam..
der rest ist klasse.
0
02.09.2012 | 10:11 Uhr
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Das ist mit Fankultur und Sozialisierung überhaupt nicht vergleichbar, denn das findet auf einer ganz anderen Ebene statt und ist logischerweise überhaupt nicht neutral sondern sehr persönlich und damit eine Frage des Blickwinkels; das hindert einen zwar nicht daran, sich um Objektivität zu bemühen, wenn man mit anderen diskutiert, aber dabei handelt es sich um Diskussionen unter Fans und nicht um Journalismus.
Und im Journalismus sollte es tatsächlich um Sport und Leistung gehen. Denn auch wenn der Journalist selbst Fan sein sollte, erfüllt er im Amt eine öffentliche Aufgabe, hinter der die Privatperson zurückzustehen hat - privat sein kann er, wie wir alle, nach Feierabend. Die Privatperson kann hoffen, wünschen, dass dieser oder jener absteigen werde, schon am ersten Spieltag, wenn er oder sie mag. Der Journalist sollte dagegen besser wissen, dass Absteiger nur ganz selten am ersten oder zweiten Spieltag schon zu 100 Prozent feststehen.
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