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20.05.2008 um 20:10 Uhr
Stürmer. Welche Stürmer?
Menschen werden mit steigendem Alter nicht unbedingt flexibler und unternehmungslustiger. Alles Neue wird rundheraus mit einem "Brauch ich nicht!" abgelehnt und eine Autofahrt in eine nahe gelegene größere Stadt gerät schon zum Abenteuer. Aber das muss nicht so sein. Gegenbeispiel gefällig? Wie wäre es mit Manchester United-Trainer Alex Ferguson. Der Mann ist mittlerweile immerhin 66 Jahre alt. Wenn es darum geht, seine Mannschaft fußballerisch weiter zu entwickeln, hat er keine Angst vor Neuerungen.

Die Kollegen der "Süddeutschen Zeitung" haben schon vor etwa vier Wochen thematisiert, dass sich Man United mittlerweile von einem wichtigen Bestandteil des klassischen Angriffsspiels, das wir über die Jahre (eher Jahrzehnte) lieb gewonnen haben, komplett verabschiedet hat. Dem klassischen Strafraumstürmer nämlich. Im System der Nord-Engländer ist kein Platz mehr für die Hrubeschs, Van Nistelrooys und, ja, auch für Luca Tonis dieser Welt. Stürmer also, die im Strafraum darauf lauern, dass von außen eine Flanke kommt, die sie zum Tor verwandeln können. Oder in Position gehen, um von ihrem Spielmacher per tödlichem Pass Richtung Tor geschickt zu werden.

Bei Fergusons Team macht inzwischen nämlich jeder Offensive alles. Cristiano Ronaldo, früher ein echter Rechtsaußen, taucht genauso oft links oder in der Mitte auf. Das Gleiche gilt für Wayne Rooney, Carlos Tevez und Ji-Sung Park (oder Ryan Giggs, Nani usw.). Permanentes Rochieren verwischt die Übergänge zwischen offensivem Mittelfeld und Sturm und macht die Angriffe der Red Devils immer unberechenbarer. Die Kollegen der "Süddeutschen" nannten das entstandene System 4-2-4-0 und interpretierten es als das Ende des echten Stürmers.

Und da folgt es dann konsequent auf die Entwicklung, die in den letzten Jahren immer mehr in Richtung eines vollgepackten Mittelfeldes und immer stärker isolierter Angreifer ging. Von 4-4-2 mit zwei Stürmern über das mittlerweile weit verbreitete 4-5-1 (mit einem Stürmer) nun also hin zum 4-2-4-0, ganz ohne Stürmer. Klingt logisch, ist es aber nur teilweise. Denn der Trend von zwei zu einem Stürmer war insgesamt (und Ausnahmen bestätigen die Regel) ein Trend zu mehr Defensive und Vorsicht. Manchester Uniteds "stürmerloses" Spiel ist dagegen extrem offensiv. Weshalb ich es für nahe liegender halte, das Ganze als 4-2-4 zu bezeichnen. Also nicht als System ohne Stürmer. Sondern als Formation mit 4 Stürmern.

Ein Problem dabei gibt es aber: 4-2-4 gab es schon einmal. Brasilien hat so zum Beispiel 1958 die WM gewonnen. Was damals anders war: Die Offensiven waren viel mehr an ihre Positionen gebunden als das heute der Fall ist. Und in ein weiteres klassisches Fußballschema passt das Manchester-System hinein. In die holländische Idee vom "totalen Fußball" nämlich. Vereinfacht gesagt sollte in diesem System jeder alles können. Und wenn man sich einen Cristiano Ronaldo anschaut, dann ist er nicht weit davon entfernt, "alles" zu können.

Am vorletzten Premier League-Spieltag durfte ich das Spiel Manchester United – West Ham United kommentieren. Zur Vorbereitung bekommen wir Kommentatoren von unserem Arbeitgeber eine Infomappe zur Verfügung gestellt, die Statistiken und Fakten enthält. Darin las sich die teaminterne Bilanz Ronaldos wie folgt: Die meisten Tore erzielt, die meisten Elfmeter verwandelt, die meisten Freistösse direkt verwandelt, die meisten Tore per Kopf erzielt, die meisten Treffer mit dem rechten Fuß geschossen, die meisten Tore mit links gemacht. Bleibt jedenfalls (offensiv) nicht mehr viel übrig, was er nicht kann.

Wer so jemand hat, der tut gut daran, offensiv so flexibel wie möglich zu spielen. Natürlich heißt das nicht zwangsläufig, dass Manchester das Champions League-Finale gegen den FC Chelsea auch gewinnen wird. Aber zusätzlich zu ihrer individuellen Qualität hat die Mannschaft eben noch eine taktische Variante im Köcher, die ihr vielleicht einen Vorteil einbringt. In jeden Fall bedeutet Man Uniteds Flexibilität viel Arbeit und Kopfzerbrechen für die gegnerischen Trainerstäbe.

Und es ist ja noch gar nicht gesagt, dass Sir Alex seine Mannschaft mit dieser 4-2-4 Marschrichtung ins Spiel schickt. Als er in Barcelona ein 0:0 ermauern wollte, da zog er bis auf Ronaldo alle Offensiven ins Mittelfeld zurück und nahm dem Gegner so den Raum zu kombinieren. Hat auch funktioniert.

Alex Ferguson, so viel steht jedenfalls fest, hat seinen Finger am Puls der Fußballwelt. Der Erfinder der Offensivrochaden ist er allerdings nicht. Ich habe ein ähnliches System in der Vorsaison in Deutschland gesehen. Beim SC Freiburg nämlich, unter Volker Finke. Auch da gab es keine "klassischen" Stürmer mehr, die sich praktisch nur im und um den Strafraum herum aufhielten. Stattdessen waren alle permanent in Bewegung und jeder tauchte mal links, mal rechts und mal vor dem Tor auf. Finke selbst sprach übrigens auch eher von "Offensiven" als von "Stürmern". Schaut man sich dann noch an, was die TSG Hoffenheim unter Ralf Rangnick spielt, dann sieht man, dass auch der Bundesliga-Neuling nicht weit von einem 4-2-4 entfernt ist. Demba Ba bietet sich aufgrund seiner Größe zwar als zentraler Stürmer an. Trotzdem weiß der Gegner vorher kaum, wo der Senegalese oder seine Mitstreiter Obasi, Carlos Eduardo oder Francisco Copado auftauchen werden.

Bleibt nur noch eine Frage: Werden wir diesen Trend auch bei der kommenden EM bewundern dürfen? Eher nicht, schließlich haben Nationalteams gegenüber Klubmannschaften einen großen Nachteil. Denn sie spielen und trainieren nicht so viel zusammen und es fehlt deshalb das blinde Verständnis, das für permanente Offensivrochaden nötig wäre. Aber wer weiß, vielleicht lässt sich Joachim Löw ja inspirieren. Mit Klose, Podolski, Schweinsteiger und Borowski (um nur ein paar zu nennen) hat er jedenfalls ausreichend Spieler, die flexibel genug wären. In jedem Fall ist dieser Offensivtrend für den Bundestrainer kein Neuland. Schließlich saß er in der Vorsaison in seiner Heimatstadt Freiburg oft genug auf der Tribüne.

Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 14099 | Kommentare: 19 | Bewertungen: 10 | Erstellt:20.05.2008
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KOMMENTARE
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el_tüte
20.05.2008 | 20:34 Uhr
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el_tüte : 
20.05.2008 | 20:34 Uhr
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el_tüte : 
Guter blog sehr intressant
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nemanja
21.05.2008 | 06:03 Uhr
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nemanja : 
21.05.2008 | 06:03 Uhr
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nemanja : 
Klasse Blog. Interessante Beobachtung!

Allerdings wird United dieses System nächste Saison aller Voraussicht nach nicht mehr spielen, denn dann kommt mindestens ein neuer Stürmer und einer davon wird höchstwahrscheinlich entweder auf den Namen Jan Klaas Huntelaar oder Dimitar Berbatov hören, beides klassische Strafraumstürmer!

Uniteds Offensivspiel gehört sicherlich zum besten was der Fussball zu bieten hat, jedoch fehlt eine sehr wichtige Komponente, die man nächses Jahr hoffentlich mit einem wuchtigen Mittelstürmer erreichen kann: Das Spiel in der Luft.

Denn Uniteds Spiel spielt sich viel zu sehr am Boden ab. Flanken eines ManUtd Spielers sieht man heutzutage sehr selten. Diese Komponente hat man bei den nicht gerade als Kopfballungeheuern bekannten Rooney und Tevez verständlicherweise aufgegeben. Man ist in der Luft größtenteils nur noch bei Standards mit Ronaldo, Tevez, Vidic, Ferdinand und Brown gefährlich.

Ausserdem hat dieses 4-2-4 der Red Devils auch schön öfters in dieser Saison genau das Gegenteil von Offensivstärke bewiesen, denn Rooney und Tevez lassen sich in manchen Spielen viel zu weit fallen, sodass Entlastungsangriffe Fehlanzeige sind. Auch das wird hoffentlich bald der Vergangenheit angehören.
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Mourinho
21.05.2008 | 14:32 Uhr
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Mourinho : 
21.05.2008 | 14:32 Uhr
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Mourinho : 
herausragender beitrag! schön, dass mal so fundiert und analytisch über fußball geschrieben wird. eine echte wohltat!
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bebi222
21.05.2008 | 14:45 Uhr
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bebi222 : stimmt aber....
21.05.2008 | 14:45 Uhr
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bebi222 : stimmt aber....
....ich würde die verwirklichung dieses systems dem fc barcelona zuschreiben. in den letzten jahren - vor allem beim titelgewinn in der cl 2006 - hat genau dieses unberechenbare "kreuz und quer laufen" und dabei trotzdem nicht die ordnung verlieren ihre große stärke ausgemacht. eto'o war zwar als zentraler stürmer aufgstellt, hat das aber auch meistens ähnlich wie jetzt rooney bei man u gespielt.
ps: eins steht fest, ronaldo ist für dieses "system" geboren worden....
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Immenhof
21.05.2008 | 14:50 Uhr
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Immenhof : 
21.05.2008 | 14:50 Uhr
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Immenhof : 
Danke Rafael Honigstein, um den "Kollegen" der Sueddeutschen mal zu wuerdigen ihm gebuehrt der Dank!
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giovane
21.05.2008 | 14:58 Uhr
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giovane : 
21.05.2008 | 14:58 Uhr
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giovane : 
da hat nemanja meinen beitrag geschrieben - stimme zu 100% zu!
bei barca ists doch ähnlich, die spielen auch fast ausschließlich flachpässe (in die spitze), weil die kopfballstarken fehlen. mir persönlich fehlt da was.........
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zecke
21.05.2008 | 15:12 Uhr
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zecke : sehr schön
21.05.2008 | 15:12 Uhr
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zecke : sehr schön
erstmal gratulation zu dem blog - zeigt das es in deutschland durchaus kommentatoren gibt die ahnung vom fussball haben...

@nemanja:
selbst wenn sie nen neuen stürmer holen - warum sollten sie das system umstellen - der rooney war in früher in everton auch nur als strafraumstürmer eingesetzt... von spieler dieser klasse kann ferguson doch erwarten das sie seine taktischen forderungen umsetzen...
ansonsten geb ich dir vollkommen recht...!
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AndreasRenner
21.05.2008 | 15:40 Uhr
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AndreasRenner : @nemanja, @bebi222
21.05.2008 | 15:40 Uhr
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AndreasRenner : @nemanja, @bebi222
Zum Thema neue Stürmer bei Man Utd.: Lasst uns doch erst einmal abwarten, wer da wirklich kommt. Huntelaar ist jedenfalls mittlerweile zu fast jedem europäischen Spitzenklub gewechselt, aber bisher immer nur in der Theorie. Berbatov dagegen würde mit seinen Qualitäten gut in das 4-2-4 Schema passen.
Richtig ist, dass Man Utd. mit diesem System in der Luft nicht so gefährlich ist. Trotzdem hatte man in der abgelaufenen Saison den besten Angriff der Liga und den Torschützenkönig. Klingt also nicht so, als ob man ein Problem hätte. Wahr ist doch vielmehr Folgendes: Jedes System hat Vor- und Nachteile. Keins ist grundsätzlich richtig oder falsch. Wichtig ist, dass es zu den Spielern passt.
Bebi, Barcelonas System war ein ziemlich klares 4-3-3 mit Ronaldinho links, Eto'o in der Mitte und Messi rechts. Klar gab es da auch mal ein paar Varianten und Rochaden, aber die Spieler klebten doch wesentlich mehr an ihren Positionen als Man Utd. heute.
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Essien
21.05.2008 | 17:33 Uhr
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Essien : Gebe Namanja recht
21.05.2008 | 17:33 Uhr
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Essien : Gebe Namanja recht
ManU hat mit diesem System spielen MÜSSEN weil sie keinen richtig guten MS wie zB. Drogba, Van Nistelrooy gehabt haben, für solche Positionen ist das Kopfballspiel besonders wichtig. Rooney und Tevez lassen sich viel zu oft fallen und deshalb ist kein Stürmer immer im Zentrum der was für Torgefahr sorgt, aber im Nach hinein gibt der Erfolg ihnen recht. Doch mit einem klass ischen MS würde das ManU Spiel noch gefährlicher werden. Wie Nemanja schon sagte dann werden die Standards noch besser. Das beste System ist meiner Meinung das 433 von Chelsea und Barca. Als Mourinho zu Chelsea gekommen ist da hat sich das System so richtig durchgesetzt und gleich 2 Meistertitel sind rausgesprungen.
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AndreasRenner
21.05.2008 | 17:47 Uhr
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AndreasRenner : @Essien
21.05.2008 | 17:47 Uhr
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AndreasRenner : @Essien
Man Utd. hat mit diesem System spielen müssen, weil sie keinen guten Mittelstürmer wie Van Nistelrooy hatten? Äh, wie bitte? Darf ich kurz daran erinnern, dass Sir Alex Van Nistelrooy aussortiert hat, weil er ihn nicht mehr haben wollte.
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