20.05.2010 um 17:04 Uhr
Too Close To Call
Wie konnte das eigentlich passieren? Ein Champions League Finale zwischen dem FC Bayern München und Inter Mailand. Vor der Saison hätte ich ein solches Szenario für praktisch unmöglich gehalten. Aber dann kommt die Realität, überholt einen mal ganz locker rechts und zack, schon ist es passiert.
Dass beide zu Recht in diesem Finale stehen, weil sie die anstehenden Aufgaben jeweils erfolgreich gelöst haben, steht für mich fest. Natürlich hatten beide auch gehörig Glück. Bayerns Auf-und Ab in dieser Saison ist hinreichend dokumentiert. Und dass es gerade gegen Manchester United auch anders ausgehen konnte haben wir alle gesehen. Von Inters Dusel im Halbfinale mit zwei krassen Schiedsrichter-Fehlentscheidungen will ich gar nicht erst anfangen. Aber auch das sei gesagt: Bei allen verdienten Lobpreisungen des FC Barcelona und seiner Errungenschaften aus der Vorsaison wird nur selten erwähnt, wie viel Glück die Katalanen im Halbfinale an der Stamford Bridge hatten. Ohne Glück, das ist nämlich die Wahrheit, hat noch nie irgendeiner einen großen Pokalwettbewerb gewonnen. Die Abenteuer der deutschen Nationalmannschaft bei diversen Weltmeisterschaften sind Beweis genug.
Trotzdem: Dass beide das Finale verdient erreicht haben, heißt natürlich nicht, dass es sich um die zwei unbestritten besten Klubs in ganz Europa handelt. Ob Bayern tatsächlich „besser" ist als Man Utd halte ich für genauso fragwürdig wie die Behauptung Inter sei stärker als Barca. Wenn diese vier auf neutralem Platz je 10 Spiele gegeneinander bestreiten würden, glaube ich schon, das Ganze würde anders ausgehen. Aber gut: Als es in der Champions League darauf ankam, da waren die Münchner und die Mailänder erfolgreicher. Und glücklicher. Und das gehört zusammen.
Jedenfalls ist es bemerkenswert, dass sich keine Vertreter der fraglos stärksten Ligen aus England und Spanien für dieses Finale qualifiziert haben, sondern Vertreter der Bundesliga und der Serie A, die sich ja gerade um Platz drei in der UEFA-Fünfjahreswertung streiten. Und da kommen wir zur Eingangsfrage zurück: Wie konnte das passieren? Nun, beide Mannschaften werden vor hervorragenden Trainern gecoacht. Es sind „Trainermannschaften" in dem Sinn, dass man an der Spielweise die Spielidee des Trainers erkennen und ablesen kann. Die berüchtigte „Handschrift" des Übungsleiters ist unübersehbar.
Und das ist gerade in Deutschland bemerkenswert. Noch dazu beim FC Bayern! Dessen damaliger Manager ja noch vor dem Spiel gegen Hoffenheim vor 18 Monaten predigte, es komme nicht auf die bessere Taktik an, sondern auf die besseren Spieler. Und die habe sein Klub. Eine Aussage, auf die ich in meinen Blogeinträgen so oft zurückkomme, dass ich sie an dieser Stelle einfach mal zum unsinnigsten Statement der vergangenen drei Jahre küre. Denn jetzt, wo die Bayern einen Trainer mit Plan geholt haben, da sieht man: Prompt läuft es international besser. Und der frühere Manager verkündet währenddessen in Interviews, dass sein ex-Trainer Jürgen Klinsmann kein guter Trainer sei. Mag sein, nur wer hat den eigentlich zu Bayern geholt? Und Bonusfrage: Wer stand noch vor ein paar Monaten angeblich knapp davor, den Trainer mit Plan zu feuern, weil es nicht sofort rund lief?
Im Zuge der holländischen Revolution in München hat der FC Bayern plötzlich einen Faktor Wert schätzen lernt, der im deutschen Fußball allgemein eher abschätzig belächelt wurde. Ballbesitz nämlich. Bayern lernt in den letzten Monaten, dass Ballbesitz einerseits den Gegner zermürben kann, wenn er ständig hinterher laufen muss. Und dass er, wenn er in der gegnerischen Hälfte stattfindet, das Spielgeschehen vom eigenen Tor fernhält. Und damit ein wichtiger Teil der eigenen Defensivarbeit ist. Zugegeben, wenn es um das Toreschiessen geht, dann braucht man auch geradlinige Aktionen und herausragende Einzelspieler. Aber ohne die Ballsicherheit der Münchner und ihre Geduld dabei, sich den Gegner zurecht zu legen, hätten die Bayern in beiden Spielen gegen Manchester kaum das passende Ergebnis erreicht.
Und so gehört der FC Bayern unter Van Gaal tatsächlich „spielphilosophisch" gesehen in eine Reihe mit dem FC Arsenal und dem FC Barcelona: Mannschaften, die den Ball und damit das Spiel kontrollieren wollen und versuchen, sich den Gegner über lange Kombinationen zurecht zu legen. Und dann im richtigen Moment zuschlagen. Die Bayern sind eine deutsche Mannschaft, die den „schönen" Fußball zelebriert. Das ist für deutsche Fans gewöhnungsbedürftig. Und für die Fußballanhänger in Resteuropa ein echter Schock.
Inter dagegen wählt unter Mourinho einen anderen Weg. Effektiv, an der Spielweise des Gegners orientiert, defensiver. Aber mit genügend herausragenden Einzelkönnern um auch attraktiv spielen zu können. Wenn es denn gewünscht ist. Und genau darauf bin ich gespannt. Gegen Barca ließ Mourinho sein Team im Rückspiel mit Mann und Maus verteidigen. Nun hat er diesmal keinen Vorsprung, den er verteidigen kann. Und die Frage ist auch, ob er vor Bayerns Kombinationsspiel so viel Respekt hat wie vor dem des FC Barcelona. Ich vermute, eher nein.
Ich erwarte, dass Bayern wie immer versuchen wird, die Spielkontrolle zu übernehmen. Wie offen Inter das Ganze gestalten will, ist aus meiner Sicht die interessanteste Frage im Vorfeld. Jedenfalls verspricht das Duell dieser Mannschaften und dieser Trainer hochinteressant zu werden. Und ganz ehrlich: Für eine Prognose finde ich diese Ansetzung zu ausgeglichen. Gerade am Ende einer internationalen Saison, in der ohnehin alles anders lief als gewohnt. Wie sagen die Amerikaner immer in ihrem Wahlnächten, wenn es eng zugeht: Too close to call.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 12755 | Kommentare: 42 | Bewertungen: 51 | Erstellt:20.05.2010
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KOMMENTARE
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21.05.2010 | 13:43 Uhr
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tm1416 :
Wie einige immer wieder behaupten können, van Gaal wäre vom 4-3-3 auf ein 4-4-2 gegangen, weil der Vorstand da interveniert hat, werd ich wohl nie verstehen können. Eher hätte er seinen Job an den Nagel gehängt, das sollte doch langsam klar sein. Da Müller auch keinen echten Stürmer gibt, sondern hängende Spitze spielt und damit eher mit Ribéry und Robben auf einer Linie spielt, ist das Ganze eher ein 4-3-3 mit Doppelsechs und einem offensiven Mittelfeldspieler bzw. halt dann ein 4-2-3-1, aber im Leben kein echtes 4-4-2, als das es von vielen verstanden wird.Zudem wird sich gerade hier viel zu sehr auf solch starre Systeme beschränkt, aber Fußball ist so viel mehr als das. Und genau das ist der Unterschied zwischen einem Klinsmann, der seine Mannschaft in ein 3-5-2 zwängen wollte und einem van Gaal, der diese Formation auf seine Mannschaft angepasst hat. Bei Ballbesitz eher ein 4-2-4, in der Defensive mittlerweile ein 4-5-1. Papier ist geduldig... Auf dem Platz sieht das Ganze schon immer anders aus.
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21.05.2010 | 14:04 Uhr
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etsocaL :
Ich kann auch nicht nachvollziehen, wo manche hier ein 4-4-2 sehen?Kann mir mal einer bitte die 4 Mittelfeldspieler aufzählen?
Es ist ein ganz klares 4-2-3-1 oder halt auch ein 4-3-3 mit einem Müller hinter/auf gleicher Linie mit den beiden Außenstürmern.
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21.05.2010 | 14:08 Uhr
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jarlaxle_baenre : Immer fröhlich Kritik üben an UH
Für mich ist das "unsinnigste Statement der letzten drei Jahre" Ihre völlig absurde Kritik an der Bayerntransferpolitik der letzten Transferperiode.
Ze Roberto ziehen lassen, Lucio gehen lassen, keinen RV geholt, hab ich was vergessen? Bestimmt auch noch irgendwo vdV hineingepackt, weil es ja gerade schick war, auf den FcB einzudreschen.
Das zeugte für mich von absolut fehlendem Fußballverstand, etwas, das auch dieser Blog wieder eindeutig zeigt, der meiner Meinung nach nur von einem gewissen Thomas Herrmann noch weiter übertroffen wird, der oben auf diese an sich schon schwachsinnige Kritk auch noch den Trainer-Rauswurf forderte.
Respekt, mit was für Journalisten man sich in Deutschland als Fußballfan alles herumschlagen muss, die bedenkenlos und ungestraft die Arbeit eines so erfolgreichen und guten Managers wie UH in den Dreck ziehen können und selbst beim CL-Einzug von dessen Mannschaft nicht die "Eier" haben, ihre alten Fehler mal einzugestehen!
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21.05.2010 | 14:15 Uhr
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21.05.2010 | 14:34 Uhr
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AndreasRenner : @jarlaxle baenre
Ganz ehrlich: Fühle mich absolut nicht angesprochen. Vielleicht solltest Du nicht alle Journalisten über einen Kamm scheren.
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21.05.2010 | 14:36 Uhr
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oh ein hoeneß jünger . nicht jede kritik an hoeneß ist gotteslästerung. ich lese immer gerne blogs von asboluten fachleuten, also freue ich mich schon auf deinen blog mit deiner zu 100% richtigen analyse.
bitte ne PM an mich wenns soweit ist
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21.05.2010 | 15:21 Uhr
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Julinho :
IIch hoffe Inter zeigt der Bundesliga mal wie ein Robben in die Bande getreten wird und schon vor der Ballannahme ordentlichwas auf die Socken kriegt....Wenn ich noch daran denke wie z.B. Wes Brown Robben in England bearbeitet hat...da hat ein Robben keine Sonne gesehen....und hier erstarren alle in Ehrfurcht....
Immer dieser von Hoeness inszenierte Artenschutz bei so hässlichen Vögeln wie Robben und Ribery-und ein sympathischer Spieler wie Diego wird hierzulande durch die Arenen getrieben,provoziert und zusammmengetreten...
Mein Wunschregebnis : Inter siegt im Elfmeterschießen !!!!
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21.05.2010 | 16:11 Uhr
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jarlaxle_baenre : Kritik
Nein, ich schere nicht alle Journalisten über einen Kamm.
Nur eben solche, die in Phasen, in denen es schlecht läuft, den Kritikhammer auspacken und mit der Welle mitschwimmen.
Das ist mE absolut simpel und billig.
@löwengrätsche, ja, vielleicht bin ich sogar ein UH-Jünger. Dennoch betrachte ich viele seiner Entscheidungen kritisch. Aber was damals im Herbst im Internet, in den Printmedien und im Fernsehen abging, wo jeder halbgare Pressefuzzi meinte, er müsste es besser wissen, das war einfach zu viel des Guten.
Hinter den meisten Entscheidungen auch dieses Sommers standen durchaus nachvollziehbare Überlegungen, die vor allem absolut notwendige Schritte einleiteten. Dabei spielt es für mich keinerlei Rolle, dass der Verein im Endeffekt so erfolgreich ist. Ich hätte die ganzen Entscheidungen genauso verteidigt, wenn der FcB in den Loser-Cup gemusst hätte.
Denn Leute wie Ze abzugeben (einer der Hauptkritikpunkte, wenn ich mich richtig erinnere) war einfach nur logisch. Die Mannschaft musste verjüngt werden und die Leistungen der Vorsaison waren auch einfach nicht gut genug.
Genauso war es absolut richtig einen Mario Gomez zu verpflichten. Obwohl man LT noch unter Vertrag hatte.
Der Lucio-Abgang (den ich damals nicht nachvollziehen konnte, weil ich Badstuber nicht kannte) war auch einfach nur logisch und im Endeffekt nachvollziehbar.
Ich wünschte mir einfach, dass ein bisschen mehr Ruhe einkehren würde im Sportjournalismus und nicht nach dem ersten Unentschieden direkt wieder die Kritiker aus allen Löchern krabbeln.
Aber in Zeiten von DSF (oh, sry, Sport1), Spox und Sky ist das vermutlich Wunschdenken.
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21.05.2010 | 16:27 Uhr
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AndreasRenner : @jarlaxle baenre
Fühle mich immer noch nicht angesprochen.
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Statistik
Dass er in München quasi eine sakrosankte Stamm-Elf hat liegt aber auch daran, dass er den Kader größtenteils übernommen und nicht zusammengestellt hat. Ich vermute, dass nächste Saison noch zwei oder drei Optionen dazukommen (Nr.1 ist mit Kroos ja schon sicher).