01.03.2010 um 21:36 Uhr
Vier Monate danach
Es lief die zweite Minute der Nachspielzeit. Das Derby in Leverkusen war so gut wie beendet. Toni Kroos eilte noch einmal zur Eckfahne, um mit dem letzten Eckstoß des Spiels doch noch die Entscheidung herbeizuführen, als ein wilder Hagel an Feuerzeugen auf ihn niederprasselte. Losgeworfen aus der Kölner Fankurve, in der zeitgleich ein grell-loderndes Bengalo-Feuerwerk abgebrannt wurde. Ein nicht nur nervendes sondern auch höchst gefährliches Szenario, wie wir es aus Deutschlands Stadien so oder so ähnlich aber doch gewohnt sind, das SKY-Kommentator Marcel Reif gleichwohl zu einem moralischen Zwischenruf bewegte. Denn alles das, was man als Reaktion auf den Fall Enke an Besserung gelobt habe, sei, so Reif, offensichtlich längst wieder in Vergessenheit geraten.
Damit mag Reif in der Sache durchaus Recht haben. Es bleibt aber die Frage, was das Schmeißen von Wurfgeschossen mit der Tragödie um Robert Enke zu tun hat. Natürlich manifestiert sich in solchen Wurfattacken auch so etwas wie mangelnder menschlicher Respekt gegenüber Fußballprofis. Andererseits aber wird man den Eindruck nicht los, als werde der Fall Enke inzwischen als Mahnmal zur Geißelung jedweder Unsitten im Profisport herangezogen. Ob Trainentlassungen, Fair-Play-Verstöße oder Abzockermentalität – all dem, was uns als Fan im Fußballsport missfällt, müsse, so lehre uns der Tod Robert Enkes, der Garaus gemacht werden. Doch taugt der Verweis auf Robert Enkes Schicksal wirklich, um sämtliche Fehler im System Fußball mit moralischem Unterton anzuprangern?
Im Kern ging es in der Debatte, die sich an den Suizid des Nationaltorhüters anschloss, doch um etwas Anderes. Nämlich um die Frage, inwiefern Profisportler am öffentlichen Druck seelisch zerbrechen können. Wobei auch diese Fragestellung in Bezug auf Robert Enke nicht frei von Zweifeln ist. Schließlich litt Hannovers Torhüter unter einer psychischen Erkrankung, die eben nicht einfach nur mit den vermeintlich unmenschlichen Gesetzen des Geschäfts zu erklären wäre. Aber immerhin, die Tragödie im November bewirkte eine an sich längst überfällige Debatte über Werte und Menschlichkeit im Sport. Doch wie das so ist, wenn eine Diskussion im Lichte eines schockierenden Einzelfalles geführt wird, es bleibt vieles oberflächlich und aktionistisch. So wurden in der Hysterie des Augenblicks weitreichende Änderungen angekündigt. Änderungen, die dafür sorgen sollten, dass sich so etwas wie im Falle Enke nicht mehr wiederholen würde.
Nun da bald vier Monate seit Enkes Suizid vergangen sind und da der Fußball trotz des jüngsten Skandals im Schiedsrichterwesen mehr oder weniger wieder im Alltag angekommen ist, scheint es Zeit, die lauthals postulierten Reformen auf ihre Machbarkeit hin zu prüfen. Losgelöst von der Dramatik des Einzelfalls kann jetzt ohne Schaum vor dem Mund darüber gesprochen werden, was überhaupt an nachhaltigen Korrekturen möglich ist.
Da geht es zum einen darum, ob und in welcher Form der auf den Akteuren lastende Druck reduziert werden kann. Wobei erst einmal zu klären wäre, woraus sich dieser allseits heraufbeschworene Druck denn nun genau speist. Als weder körperlich fassbare noch physikalisch messbare Größe ist und bleibt der auf den Sportlern ruhende Leistungsdruck diffus. Klar ist allenfalls, dass er von außen (also von Trainern, Managern, Fans, Medien) und/oder von innen (also vom Athleten selbst) herrühren kann. Für den zweiten Fall dürfte es unmöglich sein, durch Systemveränderungen eine individuell spürbare Entlastung herbeizuführen. Aber auch wenn es um die von außen an den Sportler herangetragene Erwartungshaltung geht, sind grundlegende Umstellungen weit schwieriger zu realisieren, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn gerade der Druck, also das ständige Einfordern von Erfolg, macht den Leistungssport zu dem, was er ist. Er schafft Konkurrenz und Qualität und macht den Hochleistungssport im Endeffekt erst attraktiv. Für die Vereinsverantwortlichen gibt es, zumal die sportliche Erwartungshaltung auch mit erheblichen wirtschaftlichen Aspekten verbunden ist, praktisch keine Handhabe, um diesen Druck auf die Aktiven spürbar zu verringern.
Näher liegt da schon die Überlegung, den menschlichen Umgang mit den Sportlern auf den Prüfstand zu stellen. Hier könnte man daran denken, die Fans, die zuweilen mit Schmähgesängen gegenüber den Akteuren nicht zimperlich sind, in eine Art moralische Haftung zu nehmen. Und in der Tat hat das, was aus manchen Fanblocks mitunter zu vernehmen ist, mit menschlichem Respekt nicht mehr viel zu tun. Andererseits aber darf man eben auch nicht übersehen, dass Stadionbesuche in unserer Gesellschaft wie ein emotionaler Katalysator wirken können, ob es einem nun gefällt oder nicht.
Am ehesten könnte dann noch bei den Medien der Hebel angelegt werden. Sie sind journalistischen Standards verpflichtet (oder besser gesagt: sie sollten sich ihnen verpflichtet fühlen) und müssen bei der Bewertung der Spieler schon aus Gründen des Berufsethos gewisse Respektsgrenzen einhalten. Gerade bei den Boulevardmedien ist dies bekanntlich aber anders. Dies zeigt im Übrigen auch die von der BILD-Zeitung angekündigte Zurückhaltung bei der Spielerbenotung, die wenige Wochen nach Enkes Tod doch wieder sehr schnell aufgegeben wurde. Veränderungen hin zu mehr Respekt gegenüber den Akteuren wären im Falle der Boulevardmedien also durchaus wünschenswert, dürften aber kaum zu erwarten sein. Wie das Beispiel der BILD-Zeitung beweist, die trotz BILDblog noch immer ihr höchst eigenes Verständnis von Journalismus pflegt.
Bliebe schließlich noch eine Frage, die wohl den stärksten Bezug zum Schicksal Robert Enkes besitzt: Inwiefern haben Profisportler die Möglichkeit, persönliche Schwächen, z.B. psychische Erkrankungen, der Öffentlichkeit gegenüber einzugestehen. Dabei geht es letztlich um einen Aspekt des gesellschaftlichen Klimas, der eben nur zum Teil mit dem Profisport zusammenhängt. Soziale Veränderungen aber kann man nicht herbeiführen, indem man an irgendeiner Stellschraube dreht. Sie ergeben sich vielmehr im Laufe der Zeit unter dem Eindruck veränderter Lebensverhältnisse. Deshalb mag sich hier manches verändern – aber es wird dauern.
Es bleibt das vielleicht ernüchternde Fazit, dass vieles dessen, was an Veränderungen in Aussicht gestellt wurde, praktisch nicht oder zumindest nicht in absehbarer Zeit umzusetzen ist. Man sollte auch deshalb endlich davon absehen, jeglichen Missstand im Profifußball mit einem moralischen Verweis auf den Fall Enke beantworten zu wollen. Robert Enkes Tod hat denn wohl auch nur eine Lehre mit sich gebracht: Dass hinter manch scheinbar hartem Profisportler eine zerbrechliche Seele stecken kann. Aber wer sich einen aufrichtigen Blick für die Dinge des Lebens bewahrt hat, wusste das auch schon vorher.
Damit mag Reif in der Sache durchaus Recht haben. Es bleibt aber die Frage, was das Schmeißen von Wurfgeschossen mit der Tragödie um Robert Enke zu tun hat. Natürlich manifestiert sich in solchen Wurfattacken auch so etwas wie mangelnder menschlicher Respekt gegenüber Fußballprofis. Andererseits aber wird man den Eindruck nicht los, als werde der Fall Enke inzwischen als Mahnmal zur Geißelung jedweder Unsitten im Profisport herangezogen. Ob Trainentlassungen, Fair-Play-Verstöße oder Abzockermentalität – all dem, was uns als Fan im Fußballsport missfällt, müsse, so lehre uns der Tod Robert Enkes, der Garaus gemacht werden. Doch taugt der Verweis auf Robert Enkes Schicksal wirklich, um sämtliche Fehler im System Fußball mit moralischem Unterton anzuprangern?
Im Kern ging es in der Debatte, die sich an den Suizid des Nationaltorhüters anschloss, doch um etwas Anderes. Nämlich um die Frage, inwiefern Profisportler am öffentlichen Druck seelisch zerbrechen können. Wobei auch diese Fragestellung in Bezug auf Robert Enke nicht frei von Zweifeln ist. Schließlich litt Hannovers Torhüter unter einer psychischen Erkrankung, die eben nicht einfach nur mit den vermeintlich unmenschlichen Gesetzen des Geschäfts zu erklären wäre. Aber immerhin, die Tragödie im November bewirkte eine an sich längst überfällige Debatte über Werte und Menschlichkeit im Sport. Doch wie das so ist, wenn eine Diskussion im Lichte eines schockierenden Einzelfalles geführt wird, es bleibt vieles oberflächlich und aktionistisch. So wurden in der Hysterie des Augenblicks weitreichende Änderungen angekündigt. Änderungen, die dafür sorgen sollten, dass sich so etwas wie im Falle Enke nicht mehr wiederholen würde.
Nun da bald vier Monate seit Enkes Suizid vergangen sind und da der Fußball trotz des jüngsten Skandals im Schiedsrichterwesen mehr oder weniger wieder im Alltag angekommen ist, scheint es Zeit, die lauthals postulierten Reformen auf ihre Machbarkeit hin zu prüfen. Losgelöst von der Dramatik des Einzelfalls kann jetzt ohne Schaum vor dem Mund darüber gesprochen werden, was überhaupt an nachhaltigen Korrekturen möglich ist.
Da geht es zum einen darum, ob und in welcher Form der auf den Akteuren lastende Druck reduziert werden kann. Wobei erst einmal zu klären wäre, woraus sich dieser allseits heraufbeschworene Druck denn nun genau speist. Als weder körperlich fassbare noch physikalisch messbare Größe ist und bleibt der auf den Sportlern ruhende Leistungsdruck diffus. Klar ist allenfalls, dass er von außen (also von Trainern, Managern, Fans, Medien) und/oder von innen (also vom Athleten selbst) herrühren kann. Für den zweiten Fall dürfte es unmöglich sein, durch Systemveränderungen eine individuell spürbare Entlastung herbeizuführen. Aber auch wenn es um die von außen an den Sportler herangetragene Erwartungshaltung geht, sind grundlegende Umstellungen weit schwieriger zu realisieren, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn gerade der Druck, also das ständige Einfordern von Erfolg, macht den Leistungssport zu dem, was er ist. Er schafft Konkurrenz und Qualität und macht den Hochleistungssport im Endeffekt erst attraktiv. Für die Vereinsverantwortlichen gibt es, zumal die sportliche Erwartungshaltung auch mit erheblichen wirtschaftlichen Aspekten verbunden ist, praktisch keine Handhabe, um diesen Druck auf die Aktiven spürbar zu verringern.
Näher liegt da schon die Überlegung, den menschlichen Umgang mit den Sportlern auf den Prüfstand zu stellen. Hier könnte man daran denken, die Fans, die zuweilen mit Schmähgesängen gegenüber den Akteuren nicht zimperlich sind, in eine Art moralische Haftung zu nehmen. Und in der Tat hat das, was aus manchen Fanblocks mitunter zu vernehmen ist, mit menschlichem Respekt nicht mehr viel zu tun. Andererseits aber darf man eben auch nicht übersehen, dass Stadionbesuche in unserer Gesellschaft wie ein emotionaler Katalysator wirken können, ob es einem nun gefällt oder nicht.
Am ehesten könnte dann noch bei den Medien der Hebel angelegt werden. Sie sind journalistischen Standards verpflichtet (oder besser gesagt: sie sollten sich ihnen verpflichtet fühlen) und müssen bei der Bewertung der Spieler schon aus Gründen des Berufsethos gewisse Respektsgrenzen einhalten. Gerade bei den Boulevardmedien ist dies bekanntlich aber anders. Dies zeigt im Übrigen auch die von der BILD-Zeitung angekündigte Zurückhaltung bei der Spielerbenotung, die wenige Wochen nach Enkes Tod doch wieder sehr schnell aufgegeben wurde. Veränderungen hin zu mehr Respekt gegenüber den Akteuren wären im Falle der Boulevardmedien also durchaus wünschenswert, dürften aber kaum zu erwarten sein. Wie das Beispiel der BILD-Zeitung beweist, die trotz BILDblog noch immer ihr höchst eigenes Verständnis von Journalismus pflegt.
Bliebe schließlich noch eine Frage, die wohl den stärksten Bezug zum Schicksal Robert Enkes besitzt: Inwiefern haben Profisportler die Möglichkeit, persönliche Schwächen, z.B. psychische Erkrankungen, der Öffentlichkeit gegenüber einzugestehen. Dabei geht es letztlich um einen Aspekt des gesellschaftlichen Klimas, der eben nur zum Teil mit dem Profisport zusammenhängt. Soziale Veränderungen aber kann man nicht herbeiführen, indem man an irgendeiner Stellschraube dreht. Sie ergeben sich vielmehr im Laufe der Zeit unter dem Eindruck veränderter Lebensverhältnisse. Deshalb mag sich hier manches verändern – aber es wird dauern.
Es bleibt das vielleicht ernüchternde Fazit, dass vieles dessen, was an Veränderungen in Aussicht gestellt wurde, praktisch nicht oder zumindest nicht in absehbarer Zeit umzusetzen ist. Man sollte auch deshalb endlich davon absehen, jeglichen Missstand im Profifußball mit einem moralischen Verweis auf den Fall Enke beantworten zu wollen. Robert Enkes Tod hat denn wohl auch nur eine Lehre mit sich gebracht: Dass hinter manch scheinbar hartem Profisportler eine zerbrechliche Seele stecken kann. Aber wer sich einen aufrichtigen Blick für die Dinge des Lebens bewahrt hat, wusste das auch schon vorher.
Aufrufe: 2655 | Kommentare: 15 | Bewertungen: 13 | Erstellt:01.03.2010
ø 9.3
KOMMENTARE
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02.03.2010 | 10:36 Uhr
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Rheodred : Ganz großartig geschrieben!
Ansosnten möchte ich mich in eine Diskussion gar nicht einklinken, weil es doch nur im Austausch von Lippenbekenntnissen und dem gehobenen Zeigerfinger zu enden, um bei nächster Gelegenheit vergessen zu werden.
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02.03.2010 | 14:26 Uhr
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donluka :
Großartiger Blog, lieber Voegi! Auch ich habe mich über Herrn Reif aufgeregt. Schließlich widert mich dieser Reflexhinweis auf die Tragödie Enke (wobei diese Formulierung an sich auch schon eine plakative Reduzierung darstellt) wahnsinnig an! Sie spricht für eine unfassbare Oberflächlichkeit, mit der diesem heiklen Thema begegnet wird. Schnell "Enke!" schreien und sich sonst nicht weiter mit Missständen auseinander setzen, ist für mich einfach nur eklig.
Daher: Toll, dass Du diesen schwierigen Umstand angepackt hast und noch toller, wie Du es gemacht hast! Hut ab!
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02.03.2010 | 15:27 Uhr
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Mein komplettes Statement zu dem Thema habe ich in GNetzers(Hair) ersten Blog letzte Seite gegeben.
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02.03.2010 | 20:55 Uhr
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BubiRoni :
Guter Blog Voegi. Den selben Gedanken wie du hatte ich die letzte Zeit auch schon öfters. Denn der beste Komentator Deutschlands, der Gebrüder Grimm Preisträger Marcel Reif hat die Enke Karte schon öfters zu unpassenden Situationen gezogen. Er findet es eben Populär.....Genau so ist mir auch aufgefallen, dass die ganzen Lippenbekenntnisse sehr schnell verflogen sind. Die Bild war hier wie immer Vorreiter im negativen Sinne.
Dann sind da noch die Fan´s. Schmähgesänge und ähnliches gehört einfach auch mal dazu. Man sollte eben auch die Genzen kennen und keinen Spieler persönlich beleidigen.
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02.03.2010 | 21:01 Uhr
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Wie Recht du hast!!
Das ist mir schon mehrmals aufgefallen und meiner Meinung nach eine rießige Frechheit gegenüber Robert Enke und seinen Hinterbliebenen...
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