10.11.2009 um 15:29 Uhr
Vor 20 Jahren...
Es tut mir leid. Aber: Mir reicht's. Ich kann es nicht mehr hören. Überall nur Bayern. Lahms Manifest, Lucas Tonis senile Stadionflucht, van Gaals Konzeptlosigkeit – alles dreht sich in diesen Tagen nur um den gleichsam geliebten wie gehassten FC Hollywood. Und ja, als Bayern-Fan ist man es gewohnt, dass der eigene Verein nicht gerade unter einem Aufmerksamkeitsdefizit zu leiden hat. Aber das allgemeine Rumgebayer drückt mir schon schwer auf die Drüse. Ich bin es inzwischen schon so leid, dass ich nicht mal mehr meine eigene Meinung zu dem Thema hören will. Es hängt mir alles so dermaßen zum Hals raus. Und deshalb sag ich jetzt auch nichts mehr dazu. Schluss. Aus. Ich habe fertig.
Aber es gibt da noch etwas, dessen ich vollständig überdrüssig bin. Diese ganzen Rückblicke auf den 9. November '89, diese Einheitsfeierei, immer neue Mauerfall-Flashbacks, Galas, Reportagen, Zeitzeugenberichte… Ganz ehrlich, mir wird das alles zu viel. Und ich weiß, sowas darf man eigentlich nicht laut sagen. Das ist politisch unkorrekt, unpatriotisch, unverantwortlich, ja wahrscheinlich sogar undankbar. Deshalb an dieser Stelle der obligatorische History-Disclaimer: Ich bin froh, dass die Mauer gefallen ist und dass die Zeiten von Mauer, SED und Stasi der Vergangenheit angehören. Das war gut, ist gut und wird auch gut bleiben. Und es ist auch vollkommen in Ordnung, dass man an diesen Tag erinnert und das ein bisschen feiert. Und dennoch: Ich bin übersättigt. Ich kann es nicht mehr sehen und ich will es auch nicht mehr hören.
Und vielleicht resultiert mein Überdruss auch schlicht daher, dass man bei den ganzen Rückschauen – mutmaßlich vollkommen beabsichtigt – ein Thema außer Acht lässt. Oder hat jemand schon einmal die Frage beleuchtet, wie das damals vor 20 Jahren so war, mit der Nationalmannschaft, der Bundesliga und dem Fußball in Deutschland überhaupt? Wohl doch kaum. Aber das kann man ja ändern. Und deshalb wage ich jetzt den Blick zurück in den November 1989. Doch statt Mauer, Genscher und Schabowski geht es hier um Meisterschaft, Beckenbauer und Geyer.
Wer denkt heute denn noch daran, dass am Tag der nationalen Freude kollektive Trauer unter den FC-Fans herrschte? Denn just an jenem 9. November verloren die Kölner ihr DFB-Pokal-Achtelfinalspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern. Und während in Berlin die Mauer fiel, standen beim FC Bayern mal wieder Tür und Tor offen. Mit einer herben 0:3-Niederlage verabschiedete man sich an diesem Donnerstag aus dem Pokalwettbewerb – doch davon nahm die Wende-begeisterte Öffentlichkeit an diesem Abend wohl kaum Notiz.
In der Bundesliga war zu diesem Zeitpunkt bereits fast die gesamte Hinrunde absolviert. Allein der 17. Spieltag stand noch aus. Am 9.11.1989 wies die aktuelle Bundesliga-Tabelle den 1. FC Köln als Spitzenreiter aus. Durch einen 2:0-Erfolg beim Hamburger SV hatten sich die Geißböcke an die Spitze der Tabelle geschossen und den Meister aus München, der über ein 1:1 gegen Werder Bremen nicht hinaus gekommen war, auf den 2. Platz verwiesen.
Zu jener Zeit fanden sich in der ersten deutschen Spielklasse Mannschaften wieder, die inzwischen längst in den Niederungen der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind: FC Homburg, KFC Uerdingen, Waldhof Mannheim – sie alle waren 1989 Teil der deutschen Eliteliga, sind heute aber Lichtjahre vom Profitum entfernt. Ob es an den genannten Mannschaften oder einer allgemeinem Verdrießlichkeit lag, die Bundesliga klagte in der Spielzeit 1989/90 vermehrt über leere Stadien. Gerade einmal 21.000 Zuschauer besuchten im Schnitt eine Partie der höchsten deutschen Spielklasse. Nur zum Vergleich: In der laufenden Saison beträgt der Zuschauerschnitt exakt das Doppelte – derzeit kommen etwa 42.000 Zuschauer zu einem Bundesligamatch.
Am letzten Bundesligaspieltag vor der Maueröffnung besuchten so nur 200.000 Zuschauer die deutschen Stadion – davon allein 55.000 im Hamburger Volksparkstadion. Das spektakuläre 3:3 zwischen Uerdingen und Nürnberg sahen zur gleichen Zeit gerade einmal 8000 Zuschauer. Den letzten Bundesliga-Treffer im mauergeteilten Deutschland erlebten immerhin 32.000 Zuschauer live im Stadion mit. Bremens Karlheinz Riedle traf in München zum 1:1-Ausgleich.
Im anderen Teil Deutschlands lag zum Zeitpunkt jenes historischen Donnerstag Dynamo Dresden in Front. Die Mannschaft von Trainer Eduard Geyer hatte erst einen Tag zuvor dank eines 3:1-Heimsieges im Spitzenspiel gegen den FC Magdeburg vom Gegner die Tabellenführung erobert. Auch zum Ende der Saison sollten die Elbstädter vorne liegen und somit als vorletzter Meister der DDR-Oberliga in die Geschichtsbücher eingehen.
Am Wochenende, das auf den geschichtsträchtigen 9. November folgen sollte, fand übrigens keine Bundesliga statt. Die (west-)deutsche Nationalmannschaft nutzte das spielfreie Wochenende zur Vorbereitung auf eines der – aus heutiger Sicht – wohl wichtigsten Länderspiele der Verbandsgeschichte. Eine knappe Woche nach dem Mauerfall traf die deutsche Elf in Köln auf Wales und musste das Spiel unbedingt gewinnen, um sich als einer der besten Gruppenzweiten für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren. In einem hart umkämpften Match konnte die Beckenbauer-Elf den frühen Rückstand noch in einen 2:1-Sieg ummünzen. Thomas Häßler traf vor heimischer Kulisse in der 48. Minute zum 2:1 und ebnete so den Weg für die deutsche Teilnahme an der WM 1990. Das Weitere ist bekannt: Deutschland wurde im Juli 1990 mit einem 1:0-Sieg gegen Argentinien Weltmeister.
Während sich die westdeutsche Elf mit dem 2:1 gegen Wales für die WM qualifizierte, absolvierte die DDR-Auswahl zeitgleich in Österreich das letzte Qualifikationsländerspiel der Geschichte und kassierte eine deutliche 0:3-Klatsche. Dass ausgerechnet der spätere Kölner Toni Polster an diesem Abend alle drei Treffer gegen die DDR-Elf schoss, mutet dabei aus heutiger Sicht wie ein alberner Treppenwitz der Fußball-Geschichte an.
Das letzte Freundschaftsspiel ihrer Geschichte bestritt das DDR-Team indes am 12. September 1990 in Brüssel. Und es lag wohl nicht nur am 2:0-Sieg gegen die favorisierten Belgier, dass man in der Bundesrepublik davon ausging, mit den hinzukommenden EX-DDR-Spielern eine Mannschaft bilden zu können, die auf Jahre hinweg unschlagbar sein würde. Doch dies sollte sich wie so oft in der Geschichte als bitterer Irrtum erweisen.
Aber es gibt da noch etwas, dessen ich vollständig überdrüssig bin. Diese ganzen Rückblicke auf den 9. November '89, diese Einheitsfeierei, immer neue Mauerfall-Flashbacks, Galas, Reportagen, Zeitzeugenberichte… Ganz ehrlich, mir wird das alles zu viel. Und ich weiß, sowas darf man eigentlich nicht laut sagen. Das ist politisch unkorrekt, unpatriotisch, unverantwortlich, ja wahrscheinlich sogar undankbar. Deshalb an dieser Stelle der obligatorische History-Disclaimer: Ich bin froh, dass die Mauer gefallen ist und dass die Zeiten von Mauer, SED und Stasi der Vergangenheit angehören. Das war gut, ist gut und wird auch gut bleiben. Und es ist auch vollkommen in Ordnung, dass man an diesen Tag erinnert und das ein bisschen feiert. Und dennoch: Ich bin übersättigt. Ich kann es nicht mehr sehen und ich will es auch nicht mehr hören.
Und vielleicht resultiert mein Überdruss auch schlicht daher, dass man bei den ganzen Rückschauen – mutmaßlich vollkommen beabsichtigt – ein Thema außer Acht lässt. Oder hat jemand schon einmal die Frage beleuchtet, wie das damals vor 20 Jahren so war, mit der Nationalmannschaft, der Bundesliga und dem Fußball in Deutschland überhaupt? Wohl doch kaum. Aber das kann man ja ändern. Und deshalb wage ich jetzt den Blick zurück in den November 1989. Doch statt Mauer, Genscher und Schabowski geht es hier um Meisterschaft, Beckenbauer und Geyer.
Wer denkt heute denn noch daran, dass am Tag der nationalen Freude kollektive Trauer unter den FC-Fans herrschte? Denn just an jenem 9. November verloren die Kölner ihr DFB-Pokal-Achtelfinalspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern. Und während in Berlin die Mauer fiel, standen beim FC Bayern mal wieder Tür und Tor offen. Mit einer herben 0:3-Niederlage verabschiedete man sich an diesem Donnerstag aus dem Pokalwettbewerb – doch davon nahm die Wende-begeisterte Öffentlichkeit an diesem Abend wohl kaum Notiz.
In der Bundesliga war zu diesem Zeitpunkt bereits fast die gesamte Hinrunde absolviert. Allein der 17. Spieltag stand noch aus. Am 9.11.1989 wies die aktuelle Bundesliga-Tabelle den 1. FC Köln als Spitzenreiter aus. Durch einen 2:0-Erfolg beim Hamburger SV hatten sich die Geißböcke an die Spitze der Tabelle geschossen und den Meister aus München, der über ein 1:1 gegen Werder Bremen nicht hinaus gekommen war, auf den 2. Platz verwiesen.
Zu jener Zeit fanden sich in der ersten deutschen Spielklasse Mannschaften wieder, die inzwischen längst in den Niederungen der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind: FC Homburg, KFC Uerdingen, Waldhof Mannheim – sie alle waren 1989 Teil der deutschen Eliteliga, sind heute aber Lichtjahre vom Profitum entfernt. Ob es an den genannten Mannschaften oder einer allgemeinem Verdrießlichkeit lag, die Bundesliga klagte in der Spielzeit 1989/90 vermehrt über leere Stadien. Gerade einmal 21.000 Zuschauer besuchten im Schnitt eine Partie der höchsten deutschen Spielklasse. Nur zum Vergleich: In der laufenden Saison beträgt der Zuschauerschnitt exakt das Doppelte – derzeit kommen etwa 42.000 Zuschauer zu einem Bundesligamatch.
Am letzten Bundesligaspieltag vor der Maueröffnung besuchten so nur 200.000 Zuschauer die deutschen Stadion – davon allein 55.000 im Hamburger Volksparkstadion. Das spektakuläre 3:3 zwischen Uerdingen und Nürnberg sahen zur gleichen Zeit gerade einmal 8000 Zuschauer. Den letzten Bundesliga-Treffer im mauergeteilten Deutschland erlebten immerhin 32.000 Zuschauer live im Stadion mit. Bremens Karlheinz Riedle traf in München zum 1:1-Ausgleich.
Im anderen Teil Deutschlands lag zum Zeitpunkt jenes historischen Donnerstag Dynamo Dresden in Front. Die Mannschaft von Trainer Eduard Geyer hatte erst einen Tag zuvor dank eines 3:1-Heimsieges im Spitzenspiel gegen den FC Magdeburg vom Gegner die Tabellenführung erobert. Auch zum Ende der Saison sollten die Elbstädter vorne liegen und somit als vorletzter Meister der DDR-Oberliga in die Geschichtsbücher eingehen.
Am Wochenende, das auf den geschichtsträchtigen 9. November folgen sollte, fand übrigens keine Bundesliga statt. Die (west-)deutsche Nationalmannschaft nutzte das spielfreie Wochenende zur Vorbereitung auf eines der – aus heutiger Sicht – wohl wichtigsten Länderspiele der Verbandsgeschichte. Eine knappe Woche nach dem Mauerfall traf die deutsche Elf in Köln auf Wales und musste das Spiel unbedingt gewinnen, um sich als einer der besten Gruppenzweiten für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren. In einem hart umkämpften Match konnte die Beckenbauer-Elf den frühen Rückstand noch in einen 2:1-Sieg ummünzen. Thomas Häßler traf vor heimischer Kulisse in der 48. Minute zum 2:1 und ebnete so den Weg für die deutsche Teilnahme an der WM 1990. Das Weitere ist bekannt: Deutschland wurde im Juli 1990 mit einem 1:0-Sieg gegen Argentinien Weltmeister.
Während sich die westdeutsche Elf mit dem 2:1 gegen Wales für die WM qualifizierte, absolvierte die DDR-Auswahl zeitgleich in Österreich das letzte Qualifikationsländerspiel der Geschichte und kassierte eine deutliche 0:3-Klatsche. Dass ausgerechnet der spätere Kölner Toni Polster an diesem Abend alle drei Treffer gegen die DDR-Elf schoss, mutet dabei aus heutiger Sicht wie ein alberner Treppenwitz der Fußball-Geschichte an.
Das letzte Freundschaftsspiel ihrer Geschichte bestritt das DDR-Team indes am 12. September 1990 in Brüssel. Und es lag wohl nicht nur am 2:0-Sieg gegen die favorisierten Belgier, dass man in der Bundesrepublik davon ausging, mit den hinzukommenden EX-DDR-Spielern eine Mannschaft bilden zu können, die auf Jahre hinweg unschlagbar sein würde. Doch dies sollte sich wie so oft in der Geschichte als bitterer Irrtum erweisen.
Aufrufe: 2456 | Kommentare: 15 | Bewertungen: 13 | Erstellt:10.11.2009
ø 9.3
KOMMENTARE
Um bewerten und sortieren zu können, loggen Sie sich bitte ein.
11.11.2009 | 15:40 Uhr
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auch wenn ich ihn nur halbherzig gelesen habe
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11.11.2009 | 15:45 Uhr
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Danke.
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11.11.2009 | 15:49 Uhr
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Voegi :
mich interessiert mein blog an diesem tag ehrlich gesagt auch herzlich wenig...
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11.11.2009 | 15:56 Uhr
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Meinen Kommtar hätte ich mir auch schenken können......
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11.11.2009 | 16:07 Uhr
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Fave :
Gott sei dank, mal etwas anderes! Bei allem Respekt aber diese Sensationsgeilheit nervt! Michael Jackson wurde ja schon wochenlang behandelt auf jeder titelseite, gut und schön, ist man auf sportseiten ausgewischen! Dann fing es an, ständig Bayern Bayern Bayern! Aktuell ist es Enke, was verständlich ist, aber bitte übertreibt es damit nicht schon wieder! Bei allem Respekt, aber der Mann hatte 30 Jahre wenig bis gar keine Aufmerksamkeit von und innerhalb der Medien, wieso kriegt er sie jetzt plötzlich? Klar es ist tragisch, ohne zweifel und es ist auch okay ihm ein Tag zu widmen, da jeder wissen will, was sache ist, aber nicht wieder überziehen!Ich bin vom Thema abgekommt, aber irgendwo musste das raus, ein guter blog...10
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11.11.2009 | 20:29 Uhr
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xredfredx : 10/10
schönes ding!hab's direkt vor mir gesehen. das spiel und die drei polster tore. bei meinem opa auf der couch. mit dem warmen kachelofen daneben.
war (k)ein schöner abend...
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Davon abgesehen: JA! Du hast vollkommen Recht! Schluss mit der Einheitsfeierbelästigung und Schluss mit aus allen Spox-Poren sprießenden FCB-Blogs!
Ich sage Ja zu Beiträgen, die die Zeit des mode- und frisurentechnischen Grauens beleuchten. Ja zu Homburg, Ja zu Bayer Uerdingen!
Schöner Blog, Voegi!