02.02.2010 um 19:46 Uhr
Wege der Zukunft - Videoanalyse
und: Fußball als Spiel der Zahlen.
Videoanalyse
Richtig anerkannt ist die Videoanalyse in Deutschland erst seit 2006, genauer gesagt mit dem Erscheinen des Films "Deutschland, ein Sommermärchen". Beim Blick hinter die Kulissen wird gezeigt, wie Chefscout Urs Siegenthaler die deutschen Gegner analysiert, oder wie das Trainerteam versucht die beste Eckenzuteilung gegen Schweden anhand von Videomaterial zu finden.
Die Anfänge
Doch die Videoanalyse gibt es schon wesentlich länger, genauer gesagt seit 1972. Damals sollte ein junger Sportwissenschafter, Jürgen Buschmann, das Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei ihrem Sieg in Wembley unter die Lupe nehmen. Nach zwei Jahren war er mit seiner Arbeit fertig, der Nutzen allerdings war gering. Doch die Videoanalyse wurde immer ausgereifter, sodass die Analysen bald auch technischen Nutzen hatten.
Erster bekannter Trainer, der die Videoanalyse zu seinem Vorteil nutze, war Ottmar Hitzfeld. Schon zu Beginn seiner Trainerlaufbahn arbeitete er mit einem Videoanalytiker zusammen. Nach und nach setzte sie sich durch, immer mehr Trainer erkannten die Vorzüge eines gründlichen Studiums des Gegners und einer gezielten Analyse des eigenen Spiels.
Derzeitiger Stand
Heutzutage beschäftigt jeder Klub Videoanalytiker, die den Gegner scouten, aber auch das eigene Spiel beobachten. In der Nacht des Spieltags schneiden sie die Szenen des eigenen Spiels zusammen, und klären, welcher Spieler inwiefern seine taktischen Vorgaben erfüllt hat. So kann man Spieler leichter auf ihre Fehler hinweisen, denn Bilder sagen mehr aus als Worte. Auch kann man zu jeder Zeit überprüfen, ob die gesamte Mannschaft gut gearbeitet hat, ob die Abstände in den Ketten eingehalten wurden, ob die Spieler ihre Leute gedeckt haben und ihre Aufgaben erfüllt haben. Aber besonders gut kann man beim eigenen Angriff aufzeigen, welche Anspielstation, welcher Weg der Bessere gewesen wäre. So kann man das gesamte Spiel zerpflücken und auf Fehler hinweisen.
Die Spielanalyse hat sich enorm weiterentwickelt, inzwischen gibt es Programme, in denen man die Spielszenen katalogisieren kann. Videoanalytiker werden in Zukunft in Massen gebraucht, inzwischen wird bei manchen Teams sogar das Training aufgezeichnet, so kann die Spieler auf generelle oder spezielle Fehler hinweisen. Ein neues Highlight, welches sich in Zukunft mit Sicherheit durchsetzen wird, ist, einzelne Szenen der 1.Halbzeit schon in der Halbzeitansprache zu zeigen, um Fehler zu korrigieren.
Es entwickelt sich dadurch ein neuer Berufszweig, in London gibt es bereits einen eigenen Studienlehrgang, man soll mit allen gängigen Analyseprogrammen umgehen und arbeiten können.
Für die Videoanalyse werden nicht die normale Fernsehperspektive benutzt, sondern die Totale, sodass auch während eines Angriffs die Abwehrformation überprüft werden kann oder in der Verteidigung das Spiel der Stürmer.
Spiel der Zahlen
Darüber hinaus gibt es Datenbänke, die alle Spielsituationen aufzeichnen, Ballkontakte, Laufwege, Pässe speichern, sodass ewig lange Tabellen und Auswertungen zu jedem Spiel zur Verfügung stehen. Der Fachmann kann aufgrund dieser Tabellen den Spielverlauf rekonstruieren, kann einzelne Spielerleistungen bewerten und Spielweisen erkennen. Allerdings können die Daten nur in Zusammenhang mit dem Spieleindruck, niemals die einzige Informationsquelle sein.
Nutzen
Besonders interessant sind die Änderungen im taktischen Bereich bei einer Mannschaft in Rückstand. Oft kann man anhand der Statistiken taktische Korrekturen des Trainers erkennen.
Ebenfalls spannend ist es auch, anhand solcher Datenbänke über einen längeren Zeitraum Trends zu beobachten oder Fußballweisheiten zu überprüfen. Beim Elfmeter ist es statistisch egal, ob der Gefoulte schießt oder nicht, besonders erfolgsversprechend ist allerdings ein Schuss in die obere Hälfte. Bei Freistößen hat die Zahl der Tore in die Torwartecke zugenommen, die Zahl der Freistöße über die Mauer ist kleiner geworden. Das lässt sich damit erklären, dass die Torhüter immer weiter in der Mitte stehen, um einen Ball über die Mauer abzufangen, dabei vernachlässigen sie allerdings immer häufiger ihre eigentliche Ecke.
Zu erkennen war z.B., dass in England und Deutschland in den letzten Jahren immer häufiger der schnelle Weg zum Tor gesucht wird, der erste Ball wird meistens in die Tiefe gespielt, auch der lange Ball wird vor allem in England nicht verpönt, in Spanien dagegen wird häufig mit langen Ballstafetten gespielt. Spitzenmannschaften in Europa kann man einteilen in dominierendes Spiel, und schnelles Spiel in die Spitzen (teilweise Konterspiel).
Technik
Allerdings hat es lange gedauert, bis solche Datenbänke annehmbar funktionierten, denn es bedarf einer sehr fortschrittlichen Technologie um die einzelnen Spieler und deren Daten zu erfassen. Viele Vereine verwenden Wärmekameras unter dem Dach. Leider gibt es dabei ein Problem, nach Zweikämpfen werden die Spieler teilweise falsch zugeordnet, also musste die gesamte Datenmenge nachkontrolliert werden, sodass verlässliche Daten erst lange nach Spielschluss zur Verfügung standen/stehen. Dieses Problem wird in naher Zukunft gelöst werden, dann darf sich der gemeine Fernsehzuschauer auch auf ausführliche und detaillierte Live-Statistiken freuen.
Ein ausführliche Spielbericht umfasst dann ca.30-40 Seiten, aufgeführt sind sowohl Statistiken der Mannschaft als auch jedes einzelnen Spielers, dazu in Spielphasen eingeteilt.
Die Daten werden von den jeweils beauftragten Firmen gespeichert, im Moment noch nachkontrolliert, und dann auf mehreren DVDs oder als Dateien an die Vereine verschickt, welche sie dann für ihre Spielanalysen benutzen können.
Auswirkungen
Das Spiel wird berechenbarer, der Profifußball immer komplexer und die Zahl der zu beachtenden Komponenten immer größer. Der technische Fortschritt ist enorm, und bald werden die Spieldaten vollkommen automatisch innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung stehen, von den Trainern in der Halbzeitpause benutzt oder an die Fernsehzuschauer weitergegeben werden. Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht in Sicht, aber es ist nicht mehr allzu fern, denn sobald die Daten eines Spiels während und unmittelbar danach zur Verfügung stehen, und Spielanalysen innerhalb kürzester Zeit durchgeführt werden können, gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten des technischen Fortschritts in diesem Bereich.
Diese Entwicklungen nehmen meiner Meinung nach erschreckende Ausmaße an, das Fußballspiel selber sollte ohne technische Hilfsmittel bestritten werden, denn sonst verkommt das Spiel zu einem Wettrüsten der Klubs in Sachen Hightech.
So, das war's für heute. Nächste Woche:
Die Verwissenschaftlichung des Fußballs
Videoanalyse
Richtig anerkannt ist die Videoanalyse in Deutschland erst seit 2006, genauer gesagt mit dem Erscheinen des Films "Deutschland, ein Sommermärchen". Beim Blick hinter die Kulissen wird gezeigt, wie Chefscout Urs Siegenthaler die deutschen Gegner analysiert, oder wie das Trainerteam versucht die beste Eckenzuteilung gegen Schweden anhand von Videomaterial zu finden.
Die Anfänge
Doch die Videoanalyse gibt es schon wesentlich länger, genauer gesagt seit 1972. Damals sollte ein junger Sportwissenschafter, Jürgen Buschmann, das Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei ihrem Sieg in Wembley unter die Lupe nehmen. Nach zwei Jahren war er mit seiner Arbeit fertig, der Nutzen allerdings war gering. Doch die Videoanalyse wurde immer ausgereifter, sodass die Analysen bald auch technischen Nutzen hatten.
Erster bekannter Trainer, der die Videoanalyse zu seinem Vorteil nutze, war Ottmar Hitzfeld. Schon zu Beginn seiner Trainerlaufbahn arbeitete er mit einem Videoanalytiker zusammen. Nach und nach setzte sie sich durch, immer mehr Trainer erkannten die Vorzüge eines gründlichen Studiums des Gegners und einer gezielten Analyse des eigenen Spiels.
Derzeitiger Stand
Heutzutage beschäftigt jeder Klub Videoanalytiker, die den Gegner scouten, aber auch das eigene Spiel beobachten. In der Nacht des Spieltags schneiden sie die Szenen des eigenen Spiels zusammen, und klären, welcher Spieler inwiefern seine taktischen Vorgaben erfüllt hat. So kann man Spieler leichter auf ihre Fehler hinweisen, denn Bilder sagen mehr aus als Worte. Auch kann man zu jeder Zeit überprüfen, ob die gesamte Mannschaft gut gearbeitet hat, ob die Abstände in den Ketten eingehalten wurden, ob die Spieler ihre Leute gedeckt haben und ihre Aufgaben erfüllt haben. Aber besonders gut kann man beim eigenen Angriff aufzeigen, welche Anspielstation, welcher Weg der Bessere gewesen wäre. So kann man das gesamte Spiel zerpflücken und auf Fehler hinweisen.
Die Spielanalyse hat sich enorm weiterentwickelt, inzwischen gibt es Programme, in denen man die Spielszenen katalogisieren kann. Videoanalytiker werden in Zukunft in Massen gebraucht, inzwischen wird bei manchen Teams sogar das Training aufgezeichnet, so kann die Spieler auf generelle oder spezielle Fehler hinweisen. Ein neues Highlight, welches sich in Zukunft mit Sicherheit durchsetzen wird, ist, einzelne Szenen der 1.Halbzeit schon in der Halbzeitansprache zu zeigen, um Fehler zu korrigieren.
Es entwickelt sich dadurch ein neuer Berufszweig, in London gibt es bereits einen eigenen Studienlehrgang, man soll mit allen gängigen Analyseprogrammen umgehen und arbeiten können.
Für die Videoanalyse werden nicht die normale Fernsehperspektive benutzt, sondern die Totale, sodass auch während eines Angriffs die Abwehrformation überprüft werden kann oder in der Verteidigung das Spiel der Stürmer.
Spiel der Zahlen
Darüber hinaus gibt es Datenbänke, die alle Spielsituationen aufzeichnen, Ballkontakte, Laufwege, Pässe speichern, sodass ewig lange Tabellen und Auswertungen zu jedem Spiel zur Verfügung stehen. Der Fachmann kann aufgrund dieser Tabellen den Spielverlauf rekonstruieren, kann einzelne Spielerleistungen bewerten und Spielweisen erkennen. Allerdings können die Daten nur in Zusammenhang mit dem Spieleindruck, niemals die einzige Informationsquelle sein.
Nutzen
Besonders interessant sind die Änderungen im taktischen Bereich bei einer Mannschaft in Rückstand. Oft kann man anhand der Statistiken taktische Korrekturen des Trainers erkennen.
Ebenfalls spannend ist es auch, anhand solcher Datenbänke über einen längeren Zeitraum Trends zu beobachten oder Fußballweisheiten zu überprüfen. Beim Elfmeter ist es statistisch egal, ob der Gefoulte schießt oder nicht, besonders erfolgsversprechend ist allerdings ein Schuss in die obere Hälfte. Bei Freistößen hat die Zahl der Tore in die Torwartecke zugenommen, die Zahl der Freistöße über die Mauer ist kleiner geworden. Das lässt sich damit erklären, dass die Torhüter immer weiter in der Mitte stehen, um einen Ball über die Mauer abzufangen, dabei vernachlässigen sie allerdings immer häufiger ihre eigentliche Ecke.
Zu erkennen war z.B., dass in England und Deutschland in den letzten Jahren immer häufiger der schnelle Weg zum Tor gesucht wird, der erste Ball wird meistens in die Tiefe gespielt, auch der lange Ball wird vor allem in England nicht verpönt, in Spanien dagegen wird häufig mit langen Ballstafetten gespielt. Spitzenmannschaften in Europa kann man einteilen in dominierendes Spiel, und schnelles Spiel in die Spitzen (teilweise Konterspiel).
Technik
Allerdings hat es lange gedauert, bis solche Datenbänke annehmbar funktionierten, denn es bedarf einer sehr fortschrittlichen Technologie um die einzelnen Spieler und deren Daten zu erfassen. Viele Vereine verwenden Wärmekameras unter dem Dach. Leider gibt es dabei ein Problem, nach Zweikämpfen werden die Spieler teilweise falsch zugeordnet, also musste die gesamte Datenmenge nachkontrolliert werden, sodass verlässliche Daten erst lange nach Spielschluss zur Verfügung standen/stehen. Dieses Problem wird in naher Zukunft gelöst werden, dann darf sich der gemeine Fernsehzuschauer auch auf ausführliche und detaillierte Live-Statistiken freuen.
Ein ausführliche Spielbericht umfasst dann ca.30-40 Seiten, aufgeführt sind sowohl Statistiken der Mannschaft als auch jedes einzelnen Spielers, dazu in Spielphasen eingeteilt.
Die Daten werden von den jeweils beauftragten Firmen gespeichert, im Moment noch nachkontrolliert, und dann auf mehreren DVDs oder als Dateien an die Vereine verschickt, welche sie dann für ihre Spielanalysen benutzen können.
Auswirkungen
Das Spiel wird berechenbarer, der Profifußball immer komplexer und die Zahl der zu beachtenden Komponenten immer größer. Der technische Fortschritt ist enorm, und bald werden die Spieldaten vollkommen automatisch innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung stehen, von den Trainern in der Halbzeitpause benutzt oder an die Fernsehzuschauer weitergegeben werden. Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht in Sicht, aber es ist nicht mehr allzu fern, denn sobald die Daten eines Spiels während und unmittelbar danach zur Verfügung stehen, und Spielanalysen innerhalb kürzester Zeit durchgeführt werden können, gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten des technischen Fortschritts in diesem Bereich.
Diese Entwicklungen nehmen meiner Meinung nach erschreckende Ausmaße an, das Fußballspiel selber sollte ohne technische Hilfsmittel bestritten werden, denn sonst verkommt das Spiel zu einem Wettrüsten der Klubs in Sachen Hightech.
So, das war's für heute. Nächste Woche:
Die Verwissenschaftlichung des Fußballs
Aufrufe: 11997 | Kommentare: 21 | Bewertungen: 20 | Erstellt:02.02.2010
ø 9.9
KOMMENTARE
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02.02.2010 | 20:33 Uhr
0
daywalka :
Wirklich ne interessante Reihe.Da fällt mir gerade speziell Jürgen Klopp ein, der bei Mainz ja schon Videoanalysen in der Halbzeit gebracht hat.
1
02.02.2010 | 21:43 Uhr
0
JonnyR :
Gibt auch ne 10 von mir.Video ist ein super Hilfsmittel, setzen wir z.B. auch schon in der Talentförderung auf individueller Ebene ein, um technische Mängel aufzudecken, Bewegungsabläufe festzuhalten und zu optimieren, etc.
Macht einfach Sinn, die gängigen Möglichkeiten zu nutzen.
Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten der taktischen Verbesserung. Schön, dass du dich mit solchen Themen auch beschäftigst.
1
02.02.2010 | 21:51 Uhr
0
ramsey16 :
sehr,sehr gut!Sowas mag man doch bei Spox sehen!
Danke dafür 10P
1
03.02.2010 | 16:38 Uhr
0
Scandal :
nice nicesowas interessiert mich, gerne mehr davon ;) (taktik usw...)
schön geschrieben und gutes thema - 10 punkte :)
0
03.02.2010 | 17:20 Uhr
-1
10 Punkte selbstredend. Danke :)
0
03.02.2010 | 17:41 Uhr
0
Isnogood : Weitere Infos dazu im Web...
Hallo,
wer weitere Infos dazu haben will, schaut sich mal die Webseite des Marktführers dazu an, nebenbei der Firma, mit der Ottmar Hitzfeld - siehe oben - damals begann.
Hier die Links: http://www.sports-analytics.de/
Details zur Software der Sports Analytics inkl. Screenshots von Magath und Co.: http://www.diggi4sports.de/
Viel Spaß damit.
2
03.02.2010 | 18:51 Uhr
0
Zyrock :
War es nicht die Kinder- und Jugendfernsehserie "Kickers", in der das Team gegen einen Gegner spielte, der während des Spiels alle Spielzüge analysierte und per Knopf im Ohr angesagt bekam, wie er sich zu verhalten hat?Aber das ist vermutlich der Stand bei 110%, die 100% (also fast ohne Zeitverlust die Ergebnisse der Spielanalyse) hingegen sind die Zukunft des Profifußballs. Man kann viel optimierter Arbeiten, sowohl im Training als auch im Spiel. Für interessierte Zuschauer kommen neue Informationen ins Blickfeld, sobald die Fernsehanstalten entsprechende Einblendungen für sich entdecken. Das hat ja mit den "gelaufenen Kilometern" bei der letzten EM schon seinen Anfang genommen.
Alles in allem ein sehr interessantes Thema, sehr gut und informativ dargestellt: 10 Punkte.
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Statistik
Hast dir dieses Mal wirklich ein interessantes Thema herausgesucht. Grundsätzlich stehe ich dem Thema positiv gegenüber, aber vor allem die Entwicklung, dass die Technik schon in der Halbzeit angewendet wird, halte ich für bedenklick. Schlussendlich sollte man das Spiel doch noch auf dem Platz entscheiden. Gern nehme ich da die Floskel: Schlussendlich setzt sich Qualität trotzdem durch !
Alles in allem der beste Blog deiner Serie.
10/10