„Und, freust du dich schon auf Sonntag?", grinst mich meine Freundin an. Sie weiß genau: das erste Pflichtspiel der Saison ist für mich der Punkt, an dem ich wieder „heiß" bin auf Fußball. Die Vorbereitung ist vorbei, die Testspiele absolviert, die Transferbemühungen abgeschlossen - jetzt zählt zumindest bis zur Winterpause wieder „nur noch" die Leistung auf dem Platz. Dabei hatten wir die ruhigste Sommerpause seit gefühlten zehn Jahren. Ohne Trainerwechsel, ohne Skandale, ohne Transferhämmer, ohne Maulwürfe, ohne Zieldiskussionen, ohne Meisterschaftsträumereien. „Datt iss nich mehr mein Schalke", schmettere ich ihr entgegen, bevor ich heimlich im Internet über die vermeintliche Aufstellung fürs Pokalspiel recherchiere.

Okay, Saarbrücken mag nicht der Gradmesser für das Leistungsniveau der Königsblauen sein, die am Sonntag ohne Stammspieler wie Huntelaar, Jones, Farfán oder Metzelder antreten werden. Aber Pokalspiele gegen unterklassige Mannschaften haben gerade für uns Schalker in den letzten Jahren so manche Überraschung parat gehabt (etwa gegen Eintracht Trier), und abgesehen von den zwei Euro, die ich für den Spruch „der Pokal hat seine eigenen Gesetze" jetzt nicht ins Sparschwein stecken muss, ist die Ersatzbank mittlerweile trotz fehlender Stareinkäufe gut besetzt. Bei aller Emotionalität darf man also ruhig bleiben auf Schalke, hoffen auf einen gefahrlosen Sieg gegen die „Molschder" aus der dritten Liga, sich genüsslich zurücklehnen und auf das eine oder andere Kabinettstückchen der Knappen hoffen.

Und dennoch will sich die große Euphorie zumindest bei mir noch nicht so richtig einstellen. Zu schwer wiegt der Abgang von Raul, zu unsicher scheint das Füllen der Lücke durch Eigengewächse wie Draxler oder Holtby, zu abhängig scheint die Mannschaft von Huntelaars Vollstreckerqualitäten. Dazu noch mehr Unsicherheiten - bei mir herrscht deshalb bis zum Bundesligastart Baustellenalarm. Heute: Baustelle 1: das Tor.

Timo Hildebrand, Lars Unnerstall, Ralf Fährmann. In den kicker-Ranglisten für die letzte Saison fehlten alle drei Namen aus den verschiedensten Gründen. Ist das ein Zeichen für mangelnde Qualität, lag es an den - zum Teil schweren - Verletzungen, oder muss man sich ernsthaft um den Schalker Kasten sorgen, wenn es in der Champions League gegen Real oder Juventus geht? Eins ist klar: eine leichte Entscheidung wird das für Torwarttrainer Holger Gehrke und Chefcoach Huub Stevens nicht gewesen sein.

Und die Frage ist zudem, wie dauerhaft diese Entscheidung sein wird. Torhüter gehören traditionell eher zur sensiblen Klientel, die vor allem im mentalen Bereich gut aufgestellt sein müssen - denn es geht für den Keeper nicht nur um körperliche Voraussetzungen und Schnellkraft, sondern vor allem um den ruhigen Kopf. Ein mögliches Szenario: der Trainerstab wählt einen der Kandidaten aus, dieser patzt gleich zum Auftakt gegen Saarbrücken und wird dementsprechend vom bekannt kritischen Schalker Publikum als Keeper nicht mehr unterstützt. Besonders schwierig würde dies für den Ex-Stuttgarter Timo Hildebrand, weil dieser als einziger der drei Konkurrenten keinen „Stallgeruch" mitbringt.

Aber auch Fährmann und Unnerstall könnten sich nicht darauf verlassen, dass sie eine ruhige Saison unabhängig von ihrem Leistungsniveau verleben. Die Dreifachbelastung mit Ligabetrieb, Pokalspielen und Auftritten in der europäischen Königsklasse geht an die Nerven, gar keine Frage, und wer sich nicht als robust und nervenstark erweist, wird möglicherweise nicht die benötigte Leistung abrufen können. Ohne Frage waren die Erfolge in der Champions League auch Manuel Neuers Weltklasseleistungen zu verdanken; sein Nachfolger im Kasten der Knappen wird ebenfalls gute Leistungen bringen müssen, wenn der S04 die Gruppenphase überstehen will. Und als Torwart hast du eben ein Problem - machst du einen Fehler, dann führt dieser meist direkt zum Gegentor. Jeder andere Feldspieler hat dieses Problem nicht.

Pessimisten sagen: Schalke hat ein Torwartproblem. Optimisten sagen: Schalke hat drei Klasseleute im Kader, darunter U19- und U-21-Nationalspieler wie Fährmann oder Unnerstall sowie mit Hildebrand den ehemaligen Keeper der A-Nationalmannschaft. Ich sage: Qualität wird sich durchsetzen, und die drei Fragezeichen im blauweißen Tor haben genug davon, um der Abwehr Ruhe und Sicherheit zu geben. Jeder der Kandidaten hat seine Stärken und Schwächen - Hildebrand punktet mit Erfahrung und der Nervenstärke im direkten Duell gegen die gegnerischen Angreifer, beherrscht die „Box" dagegen nicht und hat sich so schon manchen Gegentreffer gefangen. Zudem haftet ihm - wie schon unter „Stallgeruch" beschrieben - nach unseligen Episoden in Spanien, Portugal und Sinsheim das Image des „Wandervogels" an, was beim traditionsbewussten Schalker Anhang mitunter zum Problem werden kann. Unnerstall hat gerade in der letzten Saison mit seinen guten Reflexen auf sich aufmerksam gemacht (gerade bei Standardsituationen), ist aber von den drei Keepern der jüngste und hat dementsprechend die wenigste Erfahrung auf dem Buckel. Und Ralf Fährmann wurde zwar durch seine Blitzreflexe im letztjährigen Supercup gegen den Erzfeind aus der verbotenen Stadt kurzfristig zum Fanhelden, stank dann aber wegen der mangelnden Strafraumbeherrschung und dusseligen Fehlern (etwa gegen Frankfurt, als ihm der gegnerische Stürmer beim Abschlag den Ball mopste) ziemlich ab.

So ist es auf Schalke immer auch eine emotionale Entscheidung, wer den Vorzug auf dem Platz bekommt. Huub Stevens und Holger Gehrke wissen das, weil sie die Schalker Seele kennen, und so werden sie sicher keine reine Kopfentscheidung treffen, sondern auch eine, die sich auf ihr Bauchgefühl und ihre Erfahrung gründet. Bleibt nur zu hoffen, dass der Start in die Saison glatt und ohne Torwartdiskussion verläuft.

Damit ich mich auf die Bundesligaspiele wieder freuen kann. Und auf meinen S04 in der nächsten Pokalrunde!