Mario Balotelli polarisiert. Er ist kein Fußballprofi von der Stange. Über ihn kursieren so viele Geschichten, dass er sich verfolgt fühlt. "Why always me?" ist zum geflügelten Wort in Manchester geworden. Vor allem aber taucht sein Name ungewollt immer wieder im Zusammenhang mit einer Volkskrankheit auf, die eigentlich leicht auszurotten sein sollte: Rassismus. In Italien haben jetzt Fans ein T-Shirt mit dem schier unaussprechlichen Satz bedrucken lassen, Balotelli würde auch dann noch stinken, wenn man ihn mit Bleiche waschen würde. Man fragt sich, ob das überhaupt meine oder der Blogleser Aufmerksamkeit verdient. Natürlich nicht. Aber der Frust muss raus.
Man fragt sich, ob das noch witzig sein soll. Fehlgeleitete Kreativität? Hätte man das in konstruktive Bahnen lenken können? Hätte man Choreographien aus dem Einfallsreichtum stricken können, über die wir noch in Jahren gesprochen hätten? Nein. Es ist nicht witzig, nicht kreativ. Es ist nicht mal arm. Es macht betroffen und wütend, mich jedenfalls. Affenlaute oder das N-Wort aus tausenden Kehlen sind schlimm genug. Die Art von homo non sapiens, die sich in der Anonymität der Masse in einem Fußballstadion versteckend aus voller Kehle imitiert, was sie für Primatenschreie hält, wird man wohl nie ganz loswerden. Seine Inhumanität orange auf blau auf Baumwolle zu perpetuieren und in aller Öffentlichkeit gegen Bares feilzubieten, hat eine andere Qualität. Mich hat es schockiert.
Den "Erfindern" sollte man zurufen: Ihr erbärmlichen Wichte. Euretwegen denke ich manchmal, man müsste manche Dinge unbezahlbar machen. Dinge wie Slogans auf T-Shirts drucken zu lassen. Seine beschränkten Vorurteile potentiell Millionen von Menschen zugänglich machen zu können. Früher hätte man dafür einen Fernsehsender kaufen müssen. Heute reicht ein Facebook-Account oder ein Copyshop. Früher hätte man wenigstens seine Identität preisgeben müssen, um unsagbar dumme Stereotypen zu verbreiten. Neger sind nur pigmentgestörte Arier? Schwarze Menschen stinken? Auch nach Behandlung mit Bleichmittel? Habt Ihr mal einen dieser "Untermenschen" persönlich getroffen? Wo seid Ihr zur Schule gegangen? Wie viele synthetische Drogen muss man konsumieren, um so einen Schwachsinn von sich zu geben? Wie wenige Hobbys muss man haben, bevor man in einen Copyshop geht und ein T-Shirt mit so einem geistigen Dünnpfiff bedrucken lässt? Ihr macht mich krank.
Und komme mir keiner mit gesellschaftlichen Fehlentwicklungen oder irgendeinem Soziologengeschwurbel. Keine üble Kindheit, keine Jugendarbeitslosigkeitsquote, keine Fehlerziehung kann das erklären. Ich weiß, dass der Bruder von Berlusconi abfällig über Mario B. gesprochen hat. Das ist aber keine Rechtfertigung. Das ist zu verurteilen und nicht nachzumachen. Jede totalitäre Ideologie ist eine geistige Krücke für Schwache und Schwachsinnige. Rassismus ist der Gipfel der Schwäche. Wie viel intellektuelle Verwesung braucht es, bis man sich seiner eigenen armseligen Existenz versichern muss, indem man Farbige pseudodarwinistisch degradiert? Ihr könntet einem den Spaß am Fußball verleiden. Wenn ich nicht wüsste, dass Ihr auch in Italien immer noch eine Minderheit seid.
Richtig ist: Rassismus ist ein gesellschaftliches, geistiges Krebsgeschwür. Ich halte nichts davon, undifferenziert zu behaupten, es wachse. Ich halte gar nichts davon zu insinuieren, früher habe es das im Fußball nicht gegeben. Das Gegenteil ist richtig. Früher war es noch schlimmer. Affenlaute gegen Anthony Yeboah, Jay-Jay Okocha und Co waren gang und gäbe. "Ajax ist ein Judenclub" hat jeder gehört, der in den 90ern mehr als zehn Spiele im Stadion gesehen hat. Was mich fertig macht, ist, dass das Geschwür unbesiegbar scheint. Dass ausgerechnet im Fußball, dem Spiel, das wie kaum ein anderes Menschen verschiedener sozialer Schichten, Kulturen und Herkunftsländer vereinen kann, solcher Hass verbreitet wird.
All die MRTs in Form von Kampagnen. "Mein Freund ist Ausländer" in den 90ern oder das schlichte, aber ehrenwerte "No to racism" von der UEFA bzw. noch schlichter "Respect" in der Gegenwart scheinen als Frühwarnsystem nicht genug zu sein. All die Berichte über Kevin-Prince Boateng und seinen Auszug aus einem Stadion mitten in einem Testspiel scheinen nicht genug Wind unter die Flügel der geistigen Tiefflieger gepfiffen zu haben.
Krebs kann man besiegen, wenn er früh genug erkannt wird. Gegen Rassismus scheint es keine Chemotherapie zu geben. Eigentlich habe ich das immer gewusst, aber ich habe es verdrängt, habe gehofft, dass die Kampagnen und die Wachsamkeit irgendwann nicht mehr notwendig sein würden. Dass man Spieler auspfeift, weil sie schlecht spielen, Fouls begehen oder Schwalben produzieren. Dass man sie von mir aus beschimpft. Meinetwegen mit nicht druckreifen Worten. Vielleicht nur weil sie das falsche Trikot anhaben oder einfach besser sind als der beste Spieler des eigenen Lieblingsclubs. Aber nicht weil sie schwarz sind, rot, pink oder grün. Sport, vor allem Fußball kann ein Ventil sein, auch für negative Emotionen. Aber ich dachte, er wird nie mehr Plattform für dummdreiste, pseudowissenschaftliche Ideologie.
Ich habe mich getäuscht. Ich bin fassungslos über so viel Ignoranz, Dummheit, Verdorbenheit. So fassungslos, dass ich es mir von der Seele schreiben musste. Den Brüllaffen, die das "Uh, uh" auf den Lippen führen, vor allem den Initiatoren der dämlichsten T-Shirt-Aktion der Fußballgeschichte sage ich, weil ich es nicht besser wissen will: Kehrt um! Lasst es sein! Kratzt den kümmerlichen Rest an grauer Masse zusammen und denkt kurz nach! Nur ganz kurz. Mehr braucht es nicht. Bekennt Euch und widerruft! Nehmt die paar Gramm verbliebenen Anstand und das Herz in beide Hände und spendet die Einnahmen aus dem T-Hemd-Verkauf einem karitativen Zweck. Schwerter werden Pflugscharen. Saulus wird Paulus. Rassisten werden menschlich. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man. Vielleicht sieht sie sogar den Rassismus auf dem Sterbebett, bevor sie abtritt. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Auf dass wir einst im Zusammenhang mit Mario Balotelli über Böller im Badezimmer, als Navi missbrauchte Taxis oder Rauchen auf der Zugtoilette sprechen. Vielleicht sogar über Sport und das EM-Halbfinale 2012, auch wenn es wehtut. Aber nicht mehr über Hautfarbe. Und schon gar nicht über solche T-Shirts.