29.12.2010 um 00:29 Uhr
Wolfsburg liegt in Argentinien
Der VfL Wolfsburg hat Trainer Steve McClaren also doch nicht entlassen. Wer hier öfter nachliest, was ich an dieser Stelle von mir gebe, der kennt ja schon meine These, dass 80% der Trainerentlassungen unnötig sind. Weil sie nur Ausdruck von Ratlosigkeit oder Panik in der Vereinsführung sind. Und meist das wahre Problem nicht lösen. Ich denke, McClaren in die Wüste zu schicken, hätte genau diesen Effekt gehabt.
Reden wir doch mal über die Wolfsburger Mannschaft, die noch vor gut 18 Monaten den deutschen Meistertitel feierte. Nun fällt es mir schwer, Vergleiche zum Meisterjahr anzustellen. Aber in dieser Saison habe ich den VfL mehrfach gesehen und bin beinahe erschrocken, vor allem über das Defensivverhalten der Mannschaft. Nein, das Defensivverhalten der Offensivspieler. Nehmen wir doch das Pokalspiel gegen Cottbus. McClaren wollte (musste) unbedingt gewinnen und schickte mit Dzeko, Mandzukic, Grafite und Diego 4 Offensivkräfte auf das Feld, in einer 4-2-3-1/4-3-3 Formation. Die Übergänge sind fließend, doch Grafite und Mandzukic sind für mich eher Stürmer als Flügelspieler.
Dahinter setzte McClaren auf eine Viererkette und zwei Sechser. Und genau diese sechs Spieler waren es auch, die bei gegnerischen Angriffen das eigene Tor verteidigten. Sonst niemand. Dzeko, Diego, Grafite, Mandzukic, alle blieben sie nach Ballverlust vorne stehen und betrachteten interessiert, was die anderen da hinten so anstellten. Spontan fühlte ich mich erinnert an die Vorstellungen des argentinischen Nationalteams bei der WM, als das Team auch in zwei Hälften auseinander fiel und die wichtigste Prämisse des modernen Fußballs ignoriert wurde. Nämlich die, dass alle verteidigen und alle stürmen. Gemeinsam. Bis Wolfsburg hat sich das offenbar auch nicht herumgesprochen.
Die strikte Trennung von Offensive und Defensive wie sie von den Argentiniern und dem VfL praktiziert wurde reicht nicht, um auf internationalem Topniveau zu bestehen. Und sie reicht auch nicht, um einen Zweitligisten aus dem Pokal zu werfen. Die Cottbuser freuten sich jedenfalls darüber, dass sie mit viel Schwung und gänzlich ungebremst auf die Wolfsburger Außenverteidiger zustürmen durften. Sascha Riether und Marcel Schäfer waren jedenfalls ziemlich einsam da draußen, weil die Sechser Josué und Kahlenberg mehr als genug Mühe hatten, die Mitte dicht zu halten.
Um nur mal ein Beispiel zu geben, wie man das macht, schauen wir doch einfach nach England. Wo Roberto Mancinis Manchester City am Sonntag in Newcastle 3:1 gewann. Im 4-3-3 mit Yaya Touré als Spielmacher hinter Silva, Tevez und Milner. Praktisch die gleiche Formation also wie die des VfL gegen Cottbus. Und James Milner, in dieser Partie als rechter Flügelstürmer aufgestellt, verteidigte regelmäßig an der eigenen Strafraumkante, unterstützte seinen Außenverteidiger Jerome Boateng und grätschte sogar an der eigenen Torauslinie noch Bälle ab. Und war trotzdem noch in der Lage, in der Offensive Akzente zu setzen. Die Flanke zum 0:2 kam z.B. von Milner. So machen das richtig gute Spieler. Wer nur Offensive oder Defensive kann, der ist eben nicht richtig gut. Und da darf sich nun die gesamte VfL-Offensive angesprochen fühlen.
Warum bringe ich als Beispiel Manchester City. Nun, das ist schließlich der Verein, zu dem Edin Dzeko wechseln will/soll. Der einzige Klub , der sich die Ablöse, die der VfL für Dzeko gerne hätte, halbwegs leisten kann. Eins muss Dzeko aber verstehen, bevor er nach Manchester geht: Die Stehgeigernummer vom Cottbusspiel kann er in England kaum bringen. Dann landet er nämlich auf der Bank.
Fragt sich nur, ob diese Defensivschwäche der Wolfsburger nicht auch und vor allem die Schuld des Trainers ist. Im Gespräch mit mir sagte McClaren folgenden Satz: „Das Verteidigen als Mannschaft üben wir jeden Tag im Training." Ob das nun bedeutet, dass McClaren seine Thesen zum Defensivverhalten nicht richtig rüberbringt, oder dass seine Mannschaft ihm nicht zuhört, oder sie die Vorgaben des Trainers nicht umsetzen kann oder will, kann ich Euch nicht sagen. Fest steht nur, dass sie es nicht tut. Die Tatsache, dass Dieter Hoeneß am Trainer festhält, spricht allerdings eine klare Sprache. Er glaubt offenbar nicht, dass es am Engländer liegt.
Und so scheint es unabdingbar, dass die Wolfsburger Mannschaft in ihrer derzeitigen Besetzung keine Zukunft hat. Da man das weiß, wäre es vielleicht doch an der Zeit, Dzeko endlich ziehen zu lassen und dafür etwa 30 Millionen Euro von Manchester City zu kassieren. Einen Teil der Kohle könnte man in neue Flügelspieler re-investieren, die dem VfL erlauben würden, das vom Trainer favorisierte 4-2-3-1 System zu spielen. Grundvoraussetzung: Die Neuen müssten ab und zu auch mal in der Defensive mithelfen.
Ich weiß, einige werden nun sagen, im Abstiegskampf (in dem befindet sich der VfL nämlich) verkauft man doch nicht seinen besten Torjäger. Ich sage: Tore schießen ist nicht alles. Dzeko ist Teil des Problems in Wolfsburg. Einen Defensivverweigerer (Diego) kann man vielleicht noch durchschleppen, der zweite ist schon einer zu viel und vier (wie gegen Cottbus) sichern nur eins: Den Abstieg nämlich.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 18399 | Kommentare: 32 | Bewertungen: 32 | Erstellt:29.12.2010
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Nehmen wir mal unseren alten Freund Lucio als Beispiel. Bei Bayern sorgte er mit seinen Sololäufen, bis in die gegnerische Hälfte, oft für erzürnte Gemüter bei den Verantwortlichen. Nach seinem Wechsel zu Inter Mailand war es José Mourinho der im diesen Spielstil ausgetrieben hat.
Solange ein Spieler bereit ist zu lernen, ist es immer möglich seine Spielweise dem Spielstil der Mannschaft, anzupassen...