24.09.2012 um 18:48 Uhr
Geschrieben von Ecko
Zeit der Entbehrung
„Früher war alles besser." So lautet eine weit verbreitete Phrase mit der man an einschlägigen Stammtischen die unangefochtene Meinungshoheit besitzt. „Damals" war auch im Fußball vieles besser. Den Linksverteidiger kannte man noch aus der Parallelklasse der Gesamtschule, die „Stadionwurst" kostete nur ein paar Groschen und der Trainer gab die meisten „Faninterviews" in der Kneipe um die Ecke. Und in dieser längst vergangenen Zeit existierte auch die Informationsquelle World Wide Web noch nicht. Nachrichtenmagazine wie Spox waren nicht einmal in Planung. Kein Fan konnte über den RSS-Feed die neuesten Presseerklärungen in wenigen Sekunden abrufen oder während der Sommerpause den Transferticker unaufhörlich verfolgen.
Dem wird man sich aber erst bewusst, wenn von jetzt auf gleich keine Verbindung mehr herstellbar ist, so wie mir vergangene Woche widerfahren. Ich schreibe euch heute aus einem verruchten Internetcafé, wo die anderen Nerds links und rechts neben mir gerade CS 1.5 zocken.
Nachdem ich eine Woche außer Landes war, musste ich bei meiner Ankunft in heimischen Gefilden feststellen, dass mein Browser keine Seite anzeigt. Damit war der Sonntag schnell gelaufen und ich habe mich nach dem Guten Morgen-Bier wieder ins Bett gelegt. Montagfrüh ging der erste Griff zum Mobiltelefon, ab in die Hotline des börsennotierten Telekommunikationsunternehmens, dessen Namen ich an dieser Stelle nicht nennen möchte. (Ist auf den Leibchen einer Millionärs-Truppe aus dem Süden zu sehen.) Doch wer glaubt, er würde schnell zu einer freundlichen, verständnisvollen Stimme vordringen, die meine Leiden lindert, der hat weit gefehlt. Ab in die Warteschleife und kommunizieren mit einem Sprachcomputer, so sieht der Service bei dem Anbieter meines Vertrauens aus. Die in Aussicht gestellte Wartezeit wuchs rasant an wie der deutsche Schuldenhaushalt. Erst zehn Minuten, dann zwanzig, später dreißig, besetzt. Ich fühlte mich wie in der Karten-Hotline von Greuther Fürth, würden die Kleeblättler irgendwann einmal gegen Barcelona in der Champions-League spielen. Apropos Königsklasse. Auf dem Smartphone mit 3G wirken die Tempodribblings von Ronaldo gar nicht mehr schnell, deshalb bleibt für mich das Tor gegen City auch unverständlich.
Was macht man sonst so mit der Zeit? Man holt das verstaubte Kicker-Sonderheft von 1994 aus dem Wandregal. Das war wohl noch die gute alte Zeit? Stielike und Briegel mit Mannheim und Wattenscheid im Unterhaus, keine Spur von Greuther Fürth – aber 1994 fungierte Erich Ribbeck als „Experte". So durfte sich also schon damals jeder nennen. Insgesamt wirkt eine internetlose Zeit besonders auf Körper und Geist. Am Kiosk um die Ecke wollte ich mir doch glatt die „SPOX" kaufen. Klarer Fall von Mangelerscheinung.
Aber zurück zur Hotline. Bei gefühlten hundert Anrufen hatte ich leider eine Ausbeute von Arnautovic’schen Ausmaßes. Langsam riss mir der Geduldsfaden, meine Pulsader schwellte bedenklich an. Auf Mitmenschen wirkte ich mittlerweile wie Rudi Völler im Studio von Waldi irgendwo im Nordmeer oder wie Stefan Effenberg bei so mancher Pressekonferenz. Liebe Freunde der Sonne, es reicht. Die gute, alte Zeit ist vorbei und ich bin abhängig. Ich brauche das World Wide Web zum Überleben. Du kannst doch einem Süchtigen nicht einfach seinen Stoff wegnehmen. Oder nimmt jemand Ronaldo das Gleit…äh…Haargel weg. Nein, ich ertrage weder ruckelndes Sky auf dem Smartphone, noch eine weitere Ausgabe der Sportschau oder die ZDF-Übertragungen mit dem übergewichtigen Titan und seiner GEZ-Domina. Sollte ich auch beim Blog-Pokal ausscheiden, werde ich noch Mitglied bei den Ultras von Sandhausen oder irgendeinem anderen Spaßverein.
So, der Typ neben mir hat in der letzten halbe Stunde bestimmt noch fünf Kilo zugenommen und ist jetzt auf WoW umgestiegen. Ich gehe dann mal wieder Offline…
P.S.: Hier noch eine Botschaft an die Mitarbeiter meines Internetanbieters. So kann es auch euch ergehen!
Dem wird man sich aber erst bewusst, wenn von jetzt auf gleich keine Verbindung mehr herstellbar ist, so wie mir vergangene Woche widerfahren. Ich schreibe euch heute aus einem verruchten Internetcafé, wo die anderen Nerds links und rechts neben mir gerade CS 1.5 zocken.
Nachdem ich eine Woche außer Landes war, musste ich bei meiner Ankunft in heimischen Gefilden feststellen, dass mein Browser keine Seite anzeigt. Damit war der Sonntag schnell gelaufen und ich habe mich nach dem Guten Morgen-Bier wieder ins Bett gelegt. Montagfrüh ging der erste Griff zum Mobiltelefon, ab in die Hotline des börsennotierten Telekommunikationsunternehmens, dessen Namen ich an dieser Stelle nicht nennen möchte. (Ist auf den Leibchen einer Millionärs-Truppe aus dem Süden zu sehen.) Doch wer glaubt, er würde schnell zu einer freundlichen, verständnisvollen Stimme vordringen, die meine Leiden lindert, der hat weit gefehlt. Ab in die Warteschleife und kommunizieren mit einem Sprachcomputer, so sieht der Service bei dem Anbieter meines Vertrauens aus. Die in Aussicht gestellte Wartezeit wuchs rasant an wie der deutsche Schuldenhaushalt. Erst zehn Minuten, dann zwanzig, später dreißig, besetzt. Ich fühlte mich wie in der Karten-Hotline von Greuther Fürth, würden die Kleeblättler irgendwann einmal gegen Barcelona in der Champions-League spielen. Apropos Königsklasse. Auf dem Smartphone mit 3G wirken die Tempodribblings von Ronaldo gar nicht mehr schnell, deshalb bleibt für mich das Tor gegen City auch unverständlich.
Was macht man sonst so mit der Zeit? Man holt das verstaubte Kicker-Sonderheft von 1994 aus dem Wandregal. Das war wohl noch die gute alte Zeit? Stielike und Briegel mit Mannheim und Wattenscheid im Unterhaus, keine Spur von Greuther Fürth – aber 1994 fungierte Erich Ribbeck als „Experte". So durfte sich also schon damals jeder nennen. Insgesamt wirkt eine internetlose Zeit besonders auf Körper und Geist. Am Kiosk um die Ecke wollte ich mir doch glatt die „SPOX" kaufen. Klarer Fall von Mangelerscheinung.
Aber zurück zur Hotline. Bei gefühlten hundert Anrufen hatte ich leider eine Ausbeute von Arnautovic’schen Ausmaßes. Langsam riss mir der Geduldsfaden, meine Pulsader schwellte bedenklich an. Auf Mitmenschen wirkte ich mittlerweile wie Rudi Völler im Studio von Waldi irgendwo im Nordmeer oder wie Stefan Effenberg bei so mancher Pressekonferenz. Liebe Freunde der Sonne, es reicht. Die gute, alte Zeit ist vorbei und ich bin abhängig. Ich brauche das World Wide Web zum Überleben. Du kannst doch einem Süchtigen nicht einfach seinen Stoff wegnehmen. Oder nimmt jemand Ronaldo das Gleit…äh…Haargel weg. Nein, ich ertrage weder ruckelndes Sky auf dem Smartphone, noch eine weitere Ausgabe der Sportschau oder die ZDF-Übertragungen mit dem übergewichtigen Titan und seiner GEZ-Domina. Sollte ich auch beim Blog-Pokal ausscheiden, werde ich noch Mitglied bei den Ultras von Sandhausen oder irgendeinem anderen Spaßverein.
So, der Typ neben mir hat in der letzten halbe Stunde bestimmt noch fünf Kilo zugenommen und ist jetzt auf WoW umgestiegen. Ich gehe dann mal wieder Offline…
P.S.: Hier noch eine Botschaft an die Mitarbeiter meines Internetanbieters. So kann es auch euch ergehen!
Aufrufe: 4321 | Kommentare: 23 | Bewertungen: 7 | Erstellt:24.09.2012
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KOMMENTARE
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24.09.2012 | 18:56 Uhr
-1
Gefällt mir sehr gut, genau mein Humor
Wer kann heute schon noch von sich behaupten ohne Internet auszukommen, von denen, die es gewohnt sind.
Meine Stimme hast du, da mich dein Blog mehr angesprochen hat, als der deines Konkurrenten. Und mal ehrlich, keiner will Ultra bei Sandhausen werden
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Dann finde ich weiterhin richtig gut, dass Du Dich trotz der Verfügbarkeit von 99 Prozent Deines Telefon- und Webdienstes in ein Intenetcafé begeben hast, um am Blogpokal teilzunehmen.
Aus gegebenem Anlass musste ich über das Guten-Morgen-Bier schmunzeln, ein paar weitere gelungene Punkte kamen auf die Haben-Seite hinzu.
Ich finde aber maschemist´s Blogidee und Umsetzung besser, weshalb ich ihm meine Stimme gebe.