Spätestens seit dem Abgang von Mario Gomez und der Verpflichtung von Mario Götze muss beim FC Bayern eine Frage gestellt werden. Neigt sich die Zeit der Strafraumstürmer in München dem Ende entgegen? Nach etwas mehr als zwei Wochen Pep Guardiola kann diese Frage zunächst nur mit einem "Jein" beantwortet werden. Mit Mario Mandzukic und Claudio Pizarro stehen aktuell noch zwei klassische Stürmertypen im Münchener Kader. Pep Guardiola hat bei seiner Auftakt-PK zum Trainingslager im Trentino lediglich auf die zusätzliche Variabilität im Offensivspiel verwiesen. Ich kann mit diesem Kader mit einem echten oder einem falschen Stürmer spielen, sagte Guardiola mit dem typisch verschmitzen Lächeln im Gesicht. Es spricht also viel dafür, dass der Katalane ein System ohne echten Stürmer zumindest ernsthaft antesten wird.
Erste Eindrücke aus den Testspielen
Wer den FC Bayern am Dienstag im Testspiel gegen Brescia Calcio in der ersten Hälfte sah, bekommt durchaus einen Eindruck davon wie Bayerns Spiel mit einer falschen 9 namens Götze, Ribéry oder Müller aussehen könnte. Guardiola ließ seine Offensiven bedingungslos rotieren. Shaqiri, Müller, Ribéry und der nachstoßende Kroos tauschten immer wieder die Positionen und besetzten wechselseitig die freiwerdende Räume. Auch wenn die Ballzirkulation unter diesen Spielern noch längst nicht rund lief, wirkte Mario Mandzukic im Sturmzentrum bei dieser Spielweise fast überflüssig. Würde man ihn durch einen falschen Neuner ersetzen gäbe es einen weiteren Spieler, der sich fallen lassen und die gegnerische Defensive so auseinanderziehen, aufreißen und schlussendlich auskombinieren könnte.
So weit die Theorie. Ob diese taktische Veränderung dem FC Bayern tatsächlich gut tun würde, muss die Zukunft zeigen. Ich habe da einige Zweifel und ich will auch begründen warum. Es geht nicht um Tradition. Bayern hatte gewiss große Mittelstürmer wie Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge, Dieter Hoeneß, Giovane Elber, Roy Makaay oder eben Mario Gomez. Bayern hatte aber auch großartige Liberos wie Franz Beckenbauer, Klaus Augenthaler oder Lothar Matthäus eine Position, die heute trotzdem überflüssig ist. Aber Pep Guardiola sollte wissen, dass eine Abkehr von einem klassischen Zielspieler im Strafraum Bayerns erfolgreiches Offensivspiel in der Triple-Saison 2012/2013 grundsätzlich in Frage stellt.
Flanken führen häufig zum 1:0
Es geht nicht nur um die 53 Tore, die Mario Mandzukic, Mario Gomez und Claudio Pizarro als klassische Mittelstürmer im Vorjahr wettbewerbsübergreifend erzielt haben. Trotz aller Anpassungen im System von Jupp Heynckes im Pressing oder in der offensiven Fluidität, blieb Bayerns Spiel extrem flügellastig. Die Pärchen Ribéry/Alaba beziehungsweise Robben/Lahm auf den Flügeln schafften es immer wieder im Zusammenspiel bis auf die Grundlinie vorzudringen und von dort Torchancen vorzubereiten. Zahlen? 36 Bayern-Tore fielen in der Bundesliga nach einer Flanke oder Hereingabe von Außen. Darunter 15 Mal das so wichtige erste Tor. Dies erscheint logisch, da es den Bayern gegen zu Beginn tiefstehende Gegner häufig schwer fällt mit Kombinationen durch die Mitte zum Erfolg zu kommen. Flanken von Außen sind gerade beim Stand von 0:0 ein willkommenes Mittel für den FCB. Auch in der Champions League bestätigte sich dieser Einruck. 15 der insgesamt 31 Bayern-Tore im Wettbewerb fielen nach Flanken oder Hereingaben von Außen. Zudem erzielte Bayern die meisten Kopfball-Tore (6) aller Champions League-Teams.
Flanken und scharfe Hereingaben brauchen einen Spieler im Zentrum, der diese gegen robuste Innenverteidiger in der Luft oder am Boden verwerten kann. Einen echten Mittelstürmer eben. Selbst wenn dieser nicht an den Ball kommt, kann er im Strafraum allein durch seine Präsenz Gegenspieler binden und damit nachrückenden Spielern Freiräume ermöglichen. Mario Mandzukic hat diese Rolle als ständiger Unruheherd und herausragender Kopfballspieler im Vorjahr exzellent ausgefüllt.
Der eigenen Stärke berauben?
Wenn also Flanken, insbesondere hohe Flanken in den Strafraum ein wesentlicher Teil des Bayern-Erfolgs in der Saison 2012/2013 waren, wäre es ein geradezu fahrlässiger Schritt, sich dieser Stärke durch einen Verzicht auf einen echten Mittelstürmer zu berauben. Gerade der FC Bayern, der es in fast in jedem Spiel mit einem sehr tiefstehenden Gegner zu tun hat, wird in der ein oder anderen Situation zwangsläufig auf Flanken von der Grundlinie oder aus dem Halbfeld zurückgreifen müssen.
Natürlich ist es möglich ohne echten Mittelstürmer international erfolgreichen Fußball zu spielen. Das hat Guardiola selbst mit einem gewissen Lionel Messi als falscher 9 in Barcelona bewiesen. Trotzdem bedeutet eine Abkehr von einem echten Zielspieler im Zentrum einen radikalen Systemwechsel für den FC Bayern. Guardiola, der angekündigt hat, das erfolgreiche System von Jupp Heynckes nur behutsam anpassen zu wollen, sollte sich dessen bewusst sein.
Der Bayern Blog beleuchtet Hintergründe und taktische Fragen rund um den FC Bayern München.