26.02.2011 um 10:11 Uhr
Geschrieben von Moritz_Tschermak
"Schiri, geh doch kochen!"
Jeden Samstag tanzen 22 Männer nach der Pfeife einer Frau. Den Fußballern das Abseits anzusagen, ist Kathrin Heimanns Job. Sie ist Schiedsrichterin in der Verbandsliga und will eines Tages in der Bundesliga pfeifen. Von den Spielern wird sie akzeptiert. Gerade weil sie eine Frau ist: "Statt zu pöbeln, schlucken die Männer bei mir vieles runter." Doch das war nicht schon immer so...
Heimann und ihr Gespann pfeifen in der Verbandsliga. Foto: Thomas Terhorst
Ein Text von Thomas Terhorst und Matti Hesse
Die Tür der Schiedsrichterkabine öffnet sich. Die Drei in Gelb treten gemeinsam aus dem Raum, während beide Mannschaften ungeduldig auf den Anstoß warten. Es ist ein Freundschaftsspiel, das Kathrin Heimann heute pfeifen wird. Viktioria Resse gegen den DSC Wanne-Eickel. Westfalenliga gegen Bezirksliga, nichts Turbulentes. "Nur der Klassenunterschied der beiden Teams könnte zum Problem werden", befürchtet Heimann, "jede Liga pfeift sich einfach anders. Die goldene Mitte zu finden, ist heute meine Aufgabe."
Besonders in den ersten Minuten will die 24-Jährige präsent sein. "Das sind immer die entscheidenden Minuten", sagt sie. In diesen wird nicht nur das Verhalten der Gegner abgetastet, sondern vor allem auch das der Schiedsrichter. Bis zur ersten Gelben Karte ist die Anspannung am höchsten. Die junge Schiedsrichterin aus Zweckel: "Alles Weitere wird nur mit dieser einen Karte verglichen." Doch heute ist ein Sonderfall, sie muss keinem Spieler eine Karte zeigen.
Seit rund neun Jahren steht die Biologiestudentin regelmäßig auf dem Fußballplatz und leitet Spiele der Herren bis in die Verbandsliga. Für eine Frau ist das ungewöhnlich. Im Fußballkreis von Gelsenkirchen, Gladbeck und Kirchhellen ist Kathrin Heimann die einzige weibliche Unparteiische, die in diesen Ligen pfeifen darf. Landesweit gibt es über ihr nur Marina Wozniak, die eine Lizenz für die NRW-Liga besitzt.
Harte Sprüche gehörten früher zur Tagesordnung
Von den Spielern wird Heimann akzeptiert. Kein Murren und keine dummen Sprüche. "Gerade weil ich eine Frau bin, gehen die Männer mit mir anders um. Statt zu pöbeln, schlucken sie bei mir vieles runter", sagt die Studentin. Das ist auch heute so. Nicht ansatzweise gibt es Diskussionen zu den Entscheidungen der jungen Schiedsrichterin. Nur von der Tribüne kommen hier und da mal ein paar Sprüche der Vereinsanhänger. "Doch wer so etwas nicht abkann, der ist auf dem Rasen fehl am Platz", sagt sie. So dachte sie allerdings nicht immer. Gerade zu Beginn ihrer Schiedsrichterkarriere hatte sie enorm zu kämpfen. Ursprünglich wollte sie ihrem Vater nur einen Gefallen tun, half hier und da bei Jugendspielen aus. "Zu Beginn war ich immer ziemlich ängstlich, das haben die Spieler natürlich gleich gemerkt und nutzten es aus. Sprüche wie 'Schiri, geh doch kochen!' oder 'Schiri, wir spielen kein Frauenfußball' gehörten zur Tagesordnung", erinnert sich Heilmann. Doch mit der wachsenden Autorität kamen die Leidenschaft und Respekt ins Spiel.
Heute fallen kaum Sprüche. Autorität beweisen muss Heimann nur in einer Szene. Und das nach einem Abseitspfiff. Resses Stürmer will nicht glauben, dass er bei seinem Angriff ins Abseits lief. Er beschwert sich lautstark bei dem Linienrichter, der in Sekundenschnelle seine Fahne oben hatte. Doch sofort ist Kathrin Heimnann da, holt sich den Pöbelnden heran und meint ganz ernst zu ihm: "Überlege es dir gut, du kannst auch duschen gehen". Resses Spieler hat verstanden. Mit gesenktem Kopf läuft er davon.
Große Chancen auf die Oberliga
Dass Kathrin Heimann auf dem Platz mehr Autorität besitzt als so manch anderer männlicher Kollege findet auch Frank Kaczmarczik. Er ist Schiedsrichterbeobachter und sitzt heute auf der Tribüne. Allerdings nur aus sportlichem Interesse. Offiziell bewerten darf er Kathrin Heimann nicht, das dürfen nur seine Kollegen aus den anderen Fußballkreisen. Kaczmarcziks Bewertung wäre zu parteiisch.
Kacrmarczik ist sich ganz sicher, dass Heimann große Chancen auf die Oberliga hat. Geprüft wird das nach verschiedenen Kriterien: Etwa anhand der Beliebtheit bei den Spielern, Richtigkeit der Entscheidungen oder des Durchsetzungsvermögens. Erfüllt Kathrin Heimann all diese Faktoren, wird sie für die nächste Liga nominiert. Dann wartet noch ein kleiner Test, den sie bei den Frauen für die Zweite Liga bereits bestanden hat. Kathrin Heimanns größtes Ziel ist natürlich die Bundesliga. Im Moment pfeift dort Bibiana Steinhaus (als einzige weibliche Schiedsrichterin). Um Geld geht es Kathrin Heimann aber nicht, Pfeifen ist ihr Hobby und ihre Leidenschaft. Derzeit bekommt sie 40 Euro für ein Ligaspiel. Das reicht gerade mal für die Anfahrt.
Respekt - die schönste Form der Bestätigung
Das Spiel an diesem Samstag ist aus Schiri-Perspektive betrachtet wirklich harmlos. Bis kurz vor Schluss hat Kaczmarczik knapp dreißig Fouls gezählt: "In der Fachsprache nennt man das hier eine Normalpartie", so der Schiedsrichterbeobachter. SV Resse hat schon lange aufgegeben. Kurz nach der zweiten Hälfte sind die Bezirksligisten eingebrochen. 5:1 steht es für den Verbandsligisten, dann ertönt der Schlusspfiff. Für Kathrin Heimann ist das Spiel optimal gelaufen. Keine Mätzchen und keine großen Unterbrechungen. Gerade als sie den Rasenplatz verlassen will, hält Resses Nummer 10 die Schiedsrichterin auf und schüttelt ihr fest die Hand: "Wirklich gut gepfiffen", so das Lob des Verlierers an die Unparteiische. Respekt und keine Ironie - für Heimann die schönste Form der Bestätigung.
Mehr Bilder zu diesem Artikel und weitere Texte gibt's bei der sonntagsschicht.
Wir freuen uns über Traffic und Kommentare.
Heimann und ihr Gespann pfeifen in der Verbandsliga. Foto: Thomas Terhorst
Ein Text von Thomas Terhorst und Matti Hesse
Die Tür der Schiedsrichterkabine öffnet sich. Die Drei in Gelb treten gemeinsam aus dem Raum, während beide Mannschaften ungeduldig auf den Anstoß warten. Es ist ein Freundschaftsspiel, das Kathrin Heimann heute pfeifen wird. Viktioria Resse gegen den DSC Wanne-Eickel. Westfalenliga gegen Bezirksliga, nichts Turbulentes. "Nur der Klassenunterschied der beiden Teams könnte zum Problem werden", befürchtet Heimann, "jede Liga pfeift sich einfach anders. Die goldene Mitte zu finden, ist heute meine Aufgabe."
Besonders in den ersten Minuten will die 24-Jährige präsent sein. "Das sind immer die entscheidenden Minuten", sagt sie. In diesen wird nicht nur das Verhalten der Gegner abgetastet, sondern vor allem auch das der Schiedsrichter. Bis zur ersten Gelben Karte ist die Anspannung am höchsten. Die junge Schiedsrichterin aus Zweckel: "Alles Weitere wird nur mit dieser einen Karte verglichen." Doch heute ist ein Sonderfall, sie muss keinem Spieler eine Karte zeigen.
Seit rund neun Jahren steht die Biologiestudentin regelmäßig auf dem Fußballplatz und leitet Spiele der Herren bis in die Verbandsliga. Für eine Frau ist das ungewöhnlich. Im Fußballkreis von Gelsenkirchen, Gladbeck und Kirchhellen ist Kathrin Heimann die einzige weibliche Unparteiische, die in diesen Ligen pfeifen darf. Landesweit gibt es über ihr nur Marina Wozniak, die eine Lizenz für die NRW-Liga besitzt.
Harte Sprüche gehörten früher zur Tagesordnung
Von den Spielern wird Heimann akzeptiert. Kein Murren und keine dummen Sprüche. "Gerade weil ich eine Frau bin, gehen die Männer mit mir anders um. Statt zu pöbeln, schlucken sie bei mir vieles runter", sagt die Studentin. Das ist auch heute so. Nicht ansatzweise gibt es Diskussionen zu den Entscheidungen der jungen Schiedsrichterin. Nur von der Tribüne kommen hier und da mal ein paar Sprüche der Vereinsanhänger. "Doch wer so etwas nicht abkann, der ist auf dem Rasen fehl am Platz", sagt sie. So dachte sie allerdings nicht immer. Gerade zu Beginn ihrer Schiedsrichterkarriere hatte sie enorm zu kämpfen. Ursprünglich wollte sie ihrem Vater nur einen Gefallen tun, half hier und da bei Jugendspielen aus. "Zu Beginn war ich immer ziemlich ängstlich, das haben die Spieler natürlich gleich gemerkt und nutzten es aus. Sprüche wie 'Schiri, geh doch kochen!' oder 'Schiri, wir spielen kein Frauenfußball' gehörten zur Tagesordnung", erinnert sich Heilmann. Doch mit der wachsenden Autorität kamen die Leidenschaft und Respekt ins Spiel.
Heute fallen kaum Sprüche. Autorität beweisen muss Heimann nur in einer Szene. Und das nach einem Abseitspfiff. Resses Stürmer will nicht glauben, dass er bei seinem Angriff ins Abseits lief. Er beschwert sich lautstark bei dem Linienrichter, der in Sekundenschnelle seine Fahne oben hatte. Doch sofort ist Kathrin Heimnann da, holt sich den Pöbelnden heran und meint ganz ernst zu ihm: "Überlege es dir gut, du kannst auch duschen gehen". Resses Spieler hat verstanden. Mit gesenktem Kopf läuft er davon.
Große Chancen auf die Oberliga
Dass Kathrin Heimann auf dem Platz mehr Autorität besitzt als so manch anderer männlicher Kollege findet auch Frank Kaczmarczik. Er ist Schiedsrichterbeobachter und sitzt heute auf der Tribüne. Allerdings nur aus sportlichem Interesse. Offiziell bewerten darf er Kathrin Heimann nicht, das dürfen nur seine Kollegen aus den anderen Fußballkreisen. Kaczmarcziks Bewertung wäre zu parteiisch.
Kacrmarczik ist sich ganz sicher, dass Heimann große Chancen auf die Oberliga hat. Geprüft wird das nach verschiedenen Kriterien: Etwa anhand der Beliebtheit bei den Spielern, Richtigkeit der Entscheidungen oder des Durchsetzungsvermögens. Erfüllt Kathrin Heimann all diese Faktoren, wird sie für die nächste Liga nominiert. Dann wartet noch ein kleiner Test, den sie bei den Frauen für die Zweite Liga bereits bestanden hat. Kathrin Heimanns größtes Ziel ist natürlich die Bundesliga. Im Moment pfeift dort Bibiana Steinhaus (als einzige weibliche Schiedsrichterin). Um Geld geht es Kathrin Heimann aber nicht, Pfeifen ist ihr Hobby und ihre Leidenschaft. Derzeit bekommt sie 40 Euro für ein Ligaspiel. Das reicht gerade mal für die Anfahrt.
Respekt - die schönste Form der Bestätigung
Das Spiel an diesem Samstag ist aus Schiri-Perspektive betrachtet wirklich harmlos. Bis kurz vor Schluss hat Kaczmarczik knapp dreißig Fouls gezählt: "In der Fachsprache nennt man das hier eine Normalpartie", so der Schiedsrichterbeobachter. SV Resse hat schon lange aufgegeben. Kurz nach der zweiten Hälfte sind die Bezirksligisten eingebrochen. 5:1 steht es für den Verbandsligisten, dann ertönt der Schlusspfiff. Für Kathrin Heimann ist das Spiel optimal gelaufen. Keine Mätzchen und keine großen Unterbrechungen. Gerade als sie den Rasenplatz verlassen will, hält Resses Nummer 10 die Schiedsrichterin auf und schüttelt ihr fest die Hand: "Wirklich gut gepfiffen", so das Lob des Verlierers an die Unparteiische. Respekt und keine Ironie - für Heimann die schönste Form der Bestätigung.
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Aufrufe: 16142 | Kommentare: 15 | Bewertungen: 26 | Erstellt:26.02.2011
ø 9.8
KOMMENTARE
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02.03.2011 | 09:27 Uhr
-1
Clough :
Wirklich ein richtig guter Artikel. Diese Qualität bekommt man hier leider viel zu selten.
2
02.03.2011 | 09:17 Uhr
-2
Warum pfeift eigentlich mit Frau Steinhaus nur eine Frau im Profibereich? Sind die anderen nicht gut genug? Oder ist Bibiana die "Quotenfrau"?
3
26.02.2011 | 14:15 Uhr
-1
2
26.02.2011 | 13:28 Uhr
-1
Voegi :
top geschriebener artikel. sehr interessant.finde das ja immer super, wenn die unparteiischen in den fokus genommen werden!
4
26.02.2011 | 12:06 Uhr
-1
mamö99 :
Schöne Geschichte. Kann man gut nachvollziehen, wie schwer die Anfänge einer solchen Karriere doch manchmal sind. Ich spiele selbst auch Fußball (Männerbereich) und bei uns in der Liga ist auch bereits ein 16-jähriger Schiedsrichter. Von den Rängen hört man zwar ab und zu mal was, aber auf dem Platz ist Ruhe. Ich halte ihn für talentierter als die meisten älteren Referees, die bei uns so pfeifen.
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