23.12.2010 um 12:08 Uhr
Geschrieben von Voegi
Blogduell: VfB-FCB Part 3
Selbstreflexionen in fcb-dur
Mit Selbstanalysen ist es ja so eine Sache. Sie sind aller Regel nicht sonderlich objektiv, da man dem zu untersuchenden Subjekt ja irgendwie doch ein wenig nahe steht. Ich habe es daher aufgegeben, mich auf die eigene virtuelle Couch zu legen, um mit mir selbst in einen analytischen Dialog zu treten. Mit einer Ausnahme: Wenn's um Fußball geht, fallen alle Hemmungen. Plötzlich verschwinden sämtliche Bedenken und ich finde sogar eine gewisse Freude daran, das eigene Seelenleben preiszugeben. Wenngleich dies bei meiner Leidenschaft für Fußball einen Blick in kratertiefe Abgründe bedeutet.
Weshalb ich beispielsweise ein besonderes inneres Wohlgefühl verspüre, wenn meine Bayern in der wunderbaren, weil höchst runden und damit ästhetischen 28. Minute (und nicht in der furchtbar krummen 31. Minute) in Führung gehen, wird mir wohl ein ewiges Rätsel bleiben. Vielleicht will es auch gar nicht so wissen. So wenig, wie ich ergründen mag, warum ich Woche für Woche eine unbändige Lust verspüre, wenn ich die Schiedsrichter-Ansetzungen für den kommenden Bundesligaspieltag tippe. Ich weiß nur eines: Es ist ganz gewiss nicht normal. Und ja: Man darf sich Sorgen um mich machen.
Ein gleichsam unerklärliches und womöglich besorgniserregendes Unbehagen beschlich mich nun Ende Oktober, als die Spiele des DFB-Pokal-Achtelfinales ausgelost wurden. Denn meine Bayern zogen ein Auswärtsspiel in Stuttgart. Und ich registrierte schnell, dass man innerhalb weniger Tage zweimal an gleicher Stelle gegen denselben Gegner würde antreten müssen. Was mir ganz und gar nicht behagte. Warum? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich aber fand ich irgendetwas Unästhetisches bei dem Gedanken, eine Mannschaft innerhalb kurzer Zeit gleich zweimal besiegen zu müssen. Einmal siegen, muss doch genügen. Wozu dann ein zweites Spiel. Das bringt nichts, das ist überflüssig, das stört.
Womöglich aber war es auch der schlichte Zweifel, dass es uns gelingen würde, beide Spiele siegreich zu gestalten. Und ein Pokal-Aus konnte man in dieser Saison, wo die Titelchancen in Meisterschaft und Champions League gegen Null tendieren, nun mal nicht gebrauchen. Dabei hätte ich mich doch so einfach beruhigen können. Schließlich ging es doch nur gegen den VfB aus Stuttgart, einem Verein, der in dieser Saison so viel mit sich selbst zu tun hat, dass er für Gegner weder Zeit noch Lust hat. Zu meiner Ehrenrettung sei jedoch gesagt, dass ich zum Zeitpunkt der Auslosung ja noch nichts von der Verpflichtung Bruno Labbadias ahnen konnte, der vom Trainergeschäft bekanntlich so viel versteht wie Fredi Bobic von einer durchdachten Personalplanung. Andererseits hatten meine Bayern ihre letzte Pokal-Niederlage im April 2009 gegen Leverkusen erlitten, dessen Trainer damals niemand anders war als der gescheitelte Problembär.
So sah es also aus, mein (fußballerisches) Seelenleben vor Anpfiff des Pokalmatchs. Und es war verhältnismäßig geordnet, verglichen mit den emotionalen Schwankungen, denen ich während der 90 Minuten ausgesetzt war. Alles begann mit verhaltener Freude. Ja, meine Begeisterung nach der frühen 2:0-Führung hielt sich in Grenzen. Schließlich ist man als Bayern-Fan in dieser Saison ein gebranntes Kind, das eine ernüchternde Erkenntnis hat verinnerlichen müssen: Jedes Tor für uns bedeutet im Grunde genommen nichts anderes, als hinten einen mehr kassieren zu können. Nach Ottls (haltbarem) Weitschuss und Gomez' Abstauber waren es also zwei Buden, die wir uns einschenken lassen konnten und würden. Und so kam es dann auch. Nach 25 Minuten begann man die Zweite Halbzeit und agierte fortan mit dem gewohnten Nach-Pausen-Laissez-Faire. Das klappte dann auch gleich ganz prima. Dank Kloses Einwechslung ging der Offensivesprit in Richtung Winterstarre, während das Abwehrhalten den chaotischen Zuständen auf dem Frankfurter Flughafen glich. Zugegeben, der VfB zeigte Moral und biss sich regelrecht ins Spiel zurück, wurde jedoch begünstigt durch den bewährten Dilettantismus unserer "Abwehr". Ottls eingesprungener Zwergenaufstand und Brenos passiver Widerstand waren in jedem Falle absolut assistwürdig.
Doch zum Glück bewies auch der VfB, dass Abwehr nicht unbedingt zum schwäbischen Kerngeschäft gehört. Was sich Delpierre bei seiner Statistenrolle beim 2:3 dachte, weiß wahrscheinlich nicht mal er selbst. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich meine verhaltene Freude übrigens längst in bitteren Sarkasmus verwandelt, der kaum echte Zufriedenheit aufkommen ließ. Wie auch, wusste ich doch, dass wir uns noch den einen oder anderen gepflegten Bock leisten würden. Denn selbst als Khalid Moulin Rouge die gelb-rote Biege gemacht hatte, stürmte der VfB unentwegt weiter. Der Elfmeter entsprang gleichwohl weniger defensiver Unordnung denn Butt'schen Unsinns. Zum Glück jedoch bewies Gentner Fring'sche Zielsicherheit, so dass wir darüber einfach mal den Mantel des Schweigens ausbreiten. Dass drei Minuten später dann doch der Ausgleich fiel, überraschte mich wenig. Mein Sarkasmus war inzwischen in einer seltsamen Mischung aus Pessimismus und Frust aufgegangen.
Aber wie das so ist: Pessimismus und Optimismus liegen eben doch manchmal ganz nah beieinander. Denn als der gut aufgelegte Müller die pennende VfB-Abwehr düpierte und die Kugel unweit der Ulreich'schen Kronjuwelen ins Netz setzte, glaube auch ich, dass es irgendwie reichen würde. Irgendwie wurde dann auch rasch zu definitiv – Kloses Abstäuberchen sei Dank. 3:5! Wie am Sonntag! Und da war sie wieder, die unbegreifliche Paradoxie meines Seelenlebens. Denn ab jetzt hoffte ich, dass kein Tor mehr fallen würde. Es sollte unbedingt beim 3:5 bleiben. Aus ästhetischen Gründen. Natürlich wäre die Wiederholung des Sonntagresultates der unerschütterliche Beweis für meinen Argwohn gewesen. Denn dann hätte man sich das Pokalspiel auch sparen können. Aber irgendwie wäre es auch unheimlich ästhetisch gewesen. So symmetrisch eben. Richtig sexy. Ribéry sah's bekanntlich anders und schaffte das, was eben nur gegen den VfB möglich ist: Ein Kopfballtor!
Der kurze Ärger wich schnell – der Zufriedenheit. Weniger wegen des Spiels, das einen als Bayern-Fan eben doch nur bedingt zufrieden stellen konnte, denn der Erkenntnis, weiterhin im Pokal dabei zu sein. Womit sich all meine diffusen Befürchtungen, meine fragwürdige Paranoia, mein mehr oder minder leises Zweifeln mit einem Schlag erledigt hatten.
Apropos Paranoia: Aus einem gewissen Zweckpessimismus hatte ich mir vor dem Spiel eines vorgenommen: Sollte Bayern verlieren, würde ich mir aus Protest in diesem Jahr kein Bayern-Spiel mehr anschauen. Ich bleibe dabei – trotz des Sieges.
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Aufrufe: 2400 | Kommentare: 6 | Bewertungen: 7 | Erstellt:23.12.2010
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KOMMENTARE
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23.12.2010 | 13:49 Uhr
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GNetzer :
Schönes Ding, Voegi! Und irgendwie glaube ich, beim 6:3 ging es mehr Leuten so.
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23.12.2010 | 13:40 Uhr
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Nember :
Genial umschrieben, aber woher weißt du von meinem Seelenleben, deine Schilderungen entsprechen 1:1 meinen Empfindungen während des Spiels, aber wirklich überall...ich hab sogar was gegen die 31. Minute.
Allerdings hast du den immer größer werdenden Hass auf Bela Rethy vergessen, der alle 24 Sekunden erzählte, wie geil das Spiel doch sei und einem sowieso in jedem zweiten Satz seine Meinung aufdrückt...
aber auch egal, klasse Voegi ;)
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23.12.2010 | 13:19 Uhr
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Skim :
Ich sag so wies is: Für mich hat gute 60 Minuten lang nur der VFB gespielt. Leider haben sie scheinbar gegen sich selbst gespielt, weil ich mir anders die drückenden Abwehrfehler nicht erklären kann. Und wenn ihr VFB'ler unsere Geschenke, wie einen Elfmeter, schon nich annehmt, können wir euch eig auch nicht mehr weiterhelfen. 2 Siege, in einer Nacht, denn voegis Blog ist einfach nur voegi
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23.12.2010 | 13:01 Uhr
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Bailey :
Sehr schönes Blog und genialer Abschluss unseres kleinen Intermezzos!Und freilich verdiente 10 Punkte!
Vielleicht ist uns das Losglück nächstes Jahr ja wieder hold. Wenn wir in der Liga bleiben, könnte es vielleicht sogar wieder 2 Spiele gegeneinander geben...aber das ist ja alles Zukunftsmusik!
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23.12.2010 | 12:48 Uhr
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fcbm007 :
wow... Einblicke in Voegi`s Seelenleben, das ich sowas dieses Jahr noch erleben durfte, stark! stark, war auch wieder mal dieser Blog, ach was sage ich hier stark...eher Voegi! 17 Tore innherhalb von 90 Minuten bekommt man bestimmt nicht jedes Jahr geboten, stark! nicht so stark aber die Erkenntnis, das wir in diesen 90 Minuten auch 6 Tore kassierten!Den VfB haben wir nun zwei mal auf dem Rasen geschlagen, doch bei unserem Blog-Duell sehe ich den Ausgang mit einem 2:1 Sieg der Stuttgarter für verdient, stark!
Hat echt Spass gemacht dieses Blogduell und ich hoffe das dies nicht das erste und letzte Duell war
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Im Vergleich mit Bailey würde ich mal unentschieden sagen
Natürlich kein schnödes 0:0, nö nö nicht mit unseren Abwehrreihen, eher so ein spektakuläres 10:10
Insgesamt fand ich die Blogs der VfBler einen Tick gelungener