Und dann saß mir Michel Friedmann sehr nahe und blickte mir frech ins Gesicht. Ob ich denn nun darauf antworten könne, das war seine Frage. Und ob er mich dabei jetzt vielleicht auf dem falschen Bein erwischt hätte.
Hatte er natürlich nicht. Keine Ahnung, wieso ich in seiner Talkshow saß und die Frage beantworten musste, aber das tut hier nichts zur Sache. Akzeptiert diesen Sachverhalt bitte einfach. Danke. Jedenfalls saß ich Herrn Friedmann gegenüber, auf diesen Sesseln, die sich viel zu nahe kommen und klebte beinahe mit meinem Gesicht an seinem. Und dann, man wusste nicht, wie er darauf kam, aber Herr Friedmann bereitet sich offenbar sehr, sehr gut auf seine Gespräche vor, fragte mich Herr Friedmann also, ob ich denn überhaupt noch wüsste, wann ich das erste Mal im damaligen Müngersdorfer Stadion gewesen bin. Als ob das jetzt relevant gewesen wäre. Aber gut. Den Triumph wollte ich ihm jetzt nicht gönnen, wo er doch so siegessicher grinste, also führte ich aus:
"Das weiß ich sogar noch ganz genau, werter Herr Friedmann. Und zwar war das am 02. März 1979. Es war ein Winter, an dem unverhältnismäßig viel Schnee gefallen war, man sprach unter anderem auch von der Schneekatastrophe in Norddeutschland. Aber das interessiert Sie hier nicht, nicht wahr? Jedenfalls war es der 20. Spieltag der Saison, die der 1. FC Köln als Doublesieger bestritt. Man könnte mich also durchaus als Erfolgsfan beschimpfen.
Auch der 02. März war ziemlich kalt, so dass ich von meiner Mutter sehr, sehr dick eingewickelt wurde. Ich bekam noch etwas zu essen, was in einem Kochtopf aufgewärmt wurde. Dann nahm mich meine Mutter noch auf den Arm, aber nicht scherzhaft, also was ich meine: Sie veräppelte mich nicht. Also nahm sie mich nicht auf den Arm, obwohl sie mich auf den Arm nahm. Sie können mir folgen?
Der Weg zum Stadion war steinig und auch feucht, die Nässe des Bodens drang durch meinen Körper und meinen Brustkorb. Aber ich ließ mich nicht beirren und kämpfte mich durch. In der Straßenbahn wurde heftig gefeiert und geschunkelt, ich sah dabei vor lauter Beinen den Wald nicht mehr. Dann, endlich angekommen, wurde ich getragen. Von der Welle der Begeisterung, aber auch rein physisch, denn einer der Anhänger trug mich zum Stadion, das so schön glitzerte. Dort bestellte ich mir ein Ticket, es war deutlich reduziert. Ich war so froh, ein Spiel meines geliebten Vereins live sehen zu können, diese Liebe war mir offenbar bereits in die Wiege gelegt worden. Der FC spielte gegen die roten Teufel aus Kaiserslautern, doch ich konnte vor lauter Aufregung nichts von der Partie sehen. Zudem war es eng, überall Füße und Beine. Noch dazu Abendspiel. Da hätte ich längst im Bett liegen müssen, oh weh. Dann, schon in der 7. Minute, ging es plötzlich ab! Ich war ganz baff, denn der FC, in Person Dieter Müller, hatte soeben die Führung erzielt. Ich wurde von den Menschenmassen getragen, eben meinte ich noch, durch den Block gepfeffert zu werden.
Dann war Halbzeit und ich bekam zu trinken. Wie auch die anderen bekam ich meine Flasche. Nur dass meine anders aussah.
Dann: 2. Halbzeit. Der FC muss toll aufgespielt haben, raunten sich die Leute zumindest um mich herum zu. Litti erzielte dann auch folgerichtig das 2:0 und ich dachte: So kann es weitergehen! Schließlich war ich als Stadionbesucher noch ohne Gegentor geblieben. Doch, auch das musste ich kennenlernen, bereits 16 Minuten später erzielte der FCK erst den Anschluss, weitere sieben Minuten später dann sogar den Ausgleich durch den späteren Kneipenbesucher und -besitzer Toppmöller. Aber egal. Ich hatte zwar 0,0 gesehen, dafür war ich aber auf dem Stehplatz. Zudem war die Grundlage für meine innige Beziehung zum FC gelegt worden, die dann alles das beinhaltete, worauf ich mich später einstellen musste: Freude, Glück, Ernüchterung, Wucht und Wonne.
Schließlich kehrte ich zufrieden jauchzend zurück. Mein Vater musste mich in den Schlaf wiegen, so aufgeregt war ich".
Friedmann sah mich die ganze Zeit unbeeindruckt an. Dann kratzte er sich an der Locke und fragte nach: "Und wie alt waren Sie da?"
"Acht Monate. Wieso?"