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Taktikecke


Gründer: Taktiker | Mitglieder: 190 | Beiträge: 21
13.02.2011 um 18:47 Uhr
Geschrieben von possessionplay
Defensive Offensive
Es war eine sehr wichtige Erkenntnis, die die letzte Dekade brachte, verdeutlicht bei WMs, EMs, in CL und EL, ebenfalls erkannt von Philipp Lahm: Verteidigen kann jeder

Teams, die sich mauernden Gegnern der Marke 100 % Reaktionsfußball gegenüber sahen, kamen durch die dichte Defensive meistens nicht durch. Dafür braucht man gute Abstimmung und Spieler, die glänzend ausgebildet wurden: Die Technik wird immer wichtiger. Urs Siegenthaler, DFB-Chefscout, erklärte einmal in einem Interview, dass es gegen solche Abwehrriegel nötig sei, mit mindestens 4 Stürmern zu agieren

Louis van Gaal ist ebenso ein Verfechter einer solchen Theorie und formte in seiner Karriere schon viele Talente, die als Offensivspieler begannen, zu Defensivkräften um, so etwa Reiziger oder Puyol. Von den derzeitigen Top-Trainern ist er da aber nicht der Einzige, Arsene Wenger hielt dies bei Arsenal auch lange so, wie z.B. bei den 2004er-Invicibles.

In der bisherigen Saisonphase gab es aber viele Beispiele, wo genau der umgekehrte Weg gegangen wurde, nämlich offensive Positionen mit eher defensiven Spielern zu besetzen, was schon von Football Further benannt wurde, aber nicht als Trend, sondern eher als Fußnote der Saison.

[Problematisch bei diesem Sachverhalt ist allerdings, dass – und das sollte auch hier angemerkt werden – eine Einteilung in defensive oder offensive Positionen aufgrund der Verschmelzung der einzelnen Positionen, aufgrund der neuen Positionen bzw. Spielern, die keiner Position zuzuordnen sind, aufgrund der Tatsache, dass die Dreigliederung Abwehr-Mittelfeld-Sturm dem vorausgesetzten Standard, dass jeder Spieler gewisse Offensiv- wie Defensivaufgaben hat, widerspricht, doch eine Vereinfachung ist. Dennoch soll diese hier dem Verständnis halber und der Anschaulichkeit wegen verwendet werden]

Die populärsten Beispiele der Premier League für dieses Phänomen wurden schon bei Football Further aufgeführt, und ebenso der große Erfolg, den sie in dieser Rolle alle haben: Gareth Bale von den Spurs, Seamus Coleman von Everton sowie Ronnie Stam von Wigan. Schaut man sich mal in der Bundesliga um, so fallen noch einige weitere Beispiele ins Auge: Patrick Ochs von Frankfurt, Boka von Stuttgart, Rausch von 96 oder auch mal Castro und Pander. Bei Mainz hat Tuchel schon Fuchs und Fathi als LM probiert, Letzerer spielt derzeit auf der 6. An diesem Spieltag waren es Nürnbergs Chandler und Marcell Jansen als AV im AM.

Vor allem gelernte Außenverteidiger spielen immer häufiger außen im Mittelfeld. Der Grund dafür liegt ganz einfach darin, dass solche Spieler meistens höhere Defensivqualitäten vorweisen als Offensivspieler und somit die eigene Mannschaft stabiler machen. Einen Spieler, der defensive Schwächen offenbart oder selten bis gar nicht mit nach hinten arbeitet, kann man sich heutzutage fast nicht mehr leisten.

Hier können wir auch den Bogen wieder zu den kleinen Teams schlagen, die gegen stärkere Gegner deren offensive Schokoladenseite mit einer defensivstarken Besetzung der Außenbahn kontern. Das populärste Beispiel ist wieder einmal das viel gelobte Barca (schon daran zu erkennen, dass es in jedem Blog von mir auftaucht), bei denen der Offensivdrang von D. Alves die meisten Gegner ängstigt. Inter platzierte Chivu im linken Mittelfeld, um Alves und Messi wirksamer bekämpfen zu können. Mittlerweile spielt vor allem Pedro RA, wobei diese Kombination nicht minder gefährlich ist, so dass weiterhin die meisten Teams auf eine doppelte Absicherung pochen, wie z.B. Valencia durch Jeremy Mathieu.

Oft sollen dann diese auch durch schnelle Gegenstöße in den Raum gelangen, den der jeweils aufgerückte Verteidiger freilässt. Barcelona erfuhr durch ebenjenen Mathieu wie gefährlich und effektiv solche Konter sind. Jedenfalls wird dieser taktische Kniff immer verbreiteter, oft wird auch einfach der defensivstärkste Mittelfeldspieler auf die betreffende Position gestellt, wie es gegen Barca Atletico, Espanyol oder Sevilla machten.

Diese Entwicklung bezieht sich aber – wie schon gesagt – ja eben nicht nur auf einzelne Spiele, sondern auch auf die Allgemeinheit. Von der Offensivstärke geht bei solchen Aufstellungen meistens nicht viel verloren, die Spieler werden in der Jugend immer flexibler ausgebildet und die meisten Außenverteidiger sind konsequente Offensivarbeit ohnehin gewohnt.

Umgekehrt gilt das nicht unbedingt. Wenn im Mittelfeld die Defensivspieler spielen müssen – entweder als Normalfall oder um einem besonders starken Gegner zu begegnen – dann müssen wir wohl daraus schließen, dass bei vielen Offensivspielern die defensive Arbeit bzw. die defensiven Qualitäten doch sehr zu wünschen übrig lässt/lassen – ob das durch fehlende Motivation, fehlende Fähigkeiten und/oder sogar durch die Ausbildung verursacht ist, sei dahingestellt.

Diese Erkenntnis ist sicher alarmierend. Aber dennoch wird jetzt niemand sie als Offenbarung sehen, es ist nicht die große Neuheit, keine große Überraschung. Unterbewusst hatten wir dieses Gefühl aber schon (man lese sich den Text noch einmal durch, das Problem klang schon einmal an, aber eben nur das). Die offensichtliche Erklärung für dieses Phänomen fällt sofort auf – eben die größere Stabilität durch die AV im AM.

Aber man denkt in diese Richtung, man hebt die Qualitäten der Defensivspieler hervor, obwohl es grundsätzlich um die fehlenden Defensivqualitäten der Offensivspieler geht. Das ist fast genauso erschreckend, wie der Makel selbst. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, aber mir kommt die Sachlage etwas paradox vor, man lässt sich bei der Betrachtung einer solchen Begebenheit immer dadurch leiten, dass eine Sache besser sei, und nicht dadurch, dass die andere es eben nicht sei.

Die Notwendigkeit für den modernen Zukunftsfußball geht zu offensivstarken Defensivspielern und defensivstarken Offensivspielern, wobei der Fokus eher auf der Offensive liegt. Doch selbst wenn es so selbstverständlich klingt, ist man da noch lange nicht angelangt.

Damit will ich jetzt nicht andeuten, dass die gegenwärtige Lage des Fußballs falsch eingeschätzt wird, aber es ist sicherlich etwas, worüber man nachdenken kann und sollte.

Weitergehend wird es für einige Teams zum Problem, wenn Spieler schlecht oder gar nicht defensiv arbeiten. Die anderen Spieler müssen für sie mitarbeiten, was sich auf die komplette Leistung des Teams in allen Bereichen erheblich schmälern kann, da es einfach an der nötigen Balance fehlt: Hier noch ein schöner Artikel über defensivfaule Offensivakteure

Ursprünglich wollte ich Bale und Co. auf etwas anderes beziehen, nämlich die doppelte Richtigfüßigkeit. Auch bei diesem Thema kann man von der "Fußnote der Saison" noch einiges lernen...
Aufrufe: 4474 | Kommentare: 4 | Bewertungen: 12 | Erstellt:13.02.2011
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KOMMENTARE
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possessionplay
14.02.2011 | 14:25 Uhr
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possessionplay : @meister der milzen
14.02.2011 | 14:25 Uhr
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possessionplay : @meister der milzen
Stimmt, Verteidigen ist nicht unbedingt = Zweikampf.

Einen angreifenden Spieler absichern, den eigenen Raum kontrollieren, oder auch versuchen, gegnerische Spieler hinten zu halten: Das ist alles Verteidigen.

Wenn beim Gegner dauernd der AV den Flügelspieler unterstützt, und der eigene AV dauernd in der Unterzahl ist, weil der eigene AM/AS einfach vorne rumsteht, dann ist es natürlich nicht so gut
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meister_der_milzen
14.02.2011 | 14:06 Uhr
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14.02.2011 | 14:06 Uhr
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Schöner Blog. 10 P von mir.

Was ich mich nur gerade frage: Kann wirklich nicht jeder verteidigen oder wollen manche einfach nicht?"

Jetzt am WE ist mir nämlich mal wieder aufgefallen, dass ein Robbery sehr wohl gut (mit)verteidigen kann, wenn sie denn nur wollen, obwohl sie nicht die besten Defensivzweikämpfe bestreiten.

Manchmal ist gutes verteidigen ja auch nicht nur auf den Zweikampf beschränkt, sondern auf "dabei sein ist alles", nur um dem Gegner einfach etwas Raum zu nehmen, oder wie seht ihr Taktikexperten das?

Ich für meinen Teil bin ja froh, wenn ich die Hälfte von der Blogs aus der Taktik-Ecke verstehe (dieser war gut verständlich für mich )
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mrpink27
13.02.2011 | 19:19 Uhr
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mrpink27 : 
13.02.2011 | 19:19 Uhr
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mrpink27 : 
Tja, das ist garnicht so einfach.

Zum Einen hast du recht, Spieler sind heute wahrscheinlich sehr flexibel ausgebildet.

Ich kann aber nicht sagen wie viel lokale Fußballkultur mit im Spiel ist. In Italien verlangt man von Stürmern vielleicht wenig Defensivarbeit. Was auch daran liegen kann, dass die vom Stiefel mit 7 Spielern problemlos verteidigen können.

Andrerseits will ein Trainer nicht unbedingt, dass sich sein Angreifer in der Defensive verausgabt, bzw. beim Spielaufbau tief steht.

Beim Inter - Barca Spiel könnte man anmerken, dass im Hinspiel Pandev links spielte. Also doch offensiver (und rechts Eto'o mit Maicon).

Dazu frag ich mich wo die klassischen RM und LM geblieben sind. Da kaum einer klassisch 4-4-2 spielt fallen diese Kategorien etwas raus. Jansen wäre vielleicht so einer. Zu offensiv als LV aber zu sehr Verteidiger für LA, Konsequenz LM (bzw. das was die Engländer Wing back nennen).

Wie sich der Fußball weiter entwickelt will ich nicht prognostizieren. Zum ienen sind Trainer vom Spielermaterial abhängig. Und nicht jede Mannschaft hat die freie Wahl. Es wird also immer Platz für den Mittelstürmer, den Spielmacher, den Eisenfuß usw. geben. Sicher nicht bei Barca, aber bei einem Mittelfeldverein. Und wenn dieser Verein dann gegen andere Teams spielt, oder gegen Barca, dann greifen die zu einer passenden Taktik. Mal mit allen Leuten Mauern, mal einen Mann Vorne auf Konter lauern lassen, mal klassisch über Außen, mal mit Spielmacher, mal schnell, mal verschleppend....
Ich denke es wird alles geben.
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possessionplay
13.02.2011 | 18:51 Uhr
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13.02.2011 | 18:51 Uhr
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Tjaja, Verteidigen kann eben doch nicht jeder...

So: Nun könnt ihr gerne Eure Kommentare und Meinungen hier posten.

Eine Frage hätte ich noch:
Kann man die Beispiele wohl als Defensivstürmer bezeichnen, oder bezieht sich der Begriff nur auf defensivstarke Spieler, deren Hauptposition auch wirklich im Sturm oder offensiv ausgerichteten Mittelfeld liegt (Park, Stankovic, Kuyt)?
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