Dies ist die Geschichte von einem Mann, nach dem in Amsterdam eine Brücke benannt ist. Einem Mann, der dreimal den Europapokals der Landesmeister gewann und insgesamt über zwölf Titel holte. Einem Mann, den Johann Cruyff einbürgern lassen wollte und besser fand als Franz Beckenbauer. Einem Mann, den Legende Weisweiler als den idealen Fußballertypus sah. Einem Mann, der an der Seite von Eúsebio in der Europaauswahl auflief. Dies ist die Geschichte von einem stillen Helden, einem der besten Liberos aller Zeiten. Dies ist die Geschichte von Horst Blankenburg, dem wahrscheinlich besten Spieler in der Geschichte des DFB, der nie das Trikot mit dem Adler tragen durfte.
"Ich bin nicht glücklich, aber zufrieden", sagt Horst Blankenburg heute über seine Karriere - es ist ein Satz, der die Laufbahn eines Fußballers beschreibt, der zum Kern der legendären Ajax-Mannschaft der 70er gehörte, und der doch stets von einem Hauch von Tragik umweht wird. Es ist die eine Frage, die sich Blankenburg immer wieder stellt, wenn er wieder einmal nachdenkt über die Vergangenheit. Das tut er oft. Still sitzt er dann da und denkt an die rauschenden Europapokalnächte, die großen Siege und an die Zeit mit dem vielleicht besten Fußballer aller Zeiten: Johan Cruyff. Doch mitten zwischen die schönen Erinnerungen drängt sich immer wieder diese bohrende Frage: Wie kann es sein, dass ich dreimal in Folge die Champions League gewonnen habe und einer der besten Fußballer Europas war und trotzdem keine Sekunde für Deutschland gespielt habe? Es ist eine Frage, die Blankenburg traurig macht und einen Schatten über sein sonst so frohes Gemüt liegt. Sie bildet das Fundament der Kluft zwischen Blankenburg und seiner Heimat. Er hatte immer lieber wo anders gelebt, in Holland natürlich, später in den USA, heute in Spanien. Dabei hatte es mit ihm in Deutschland so gut angefangen.
Es war eine kleine Sensation. Die Lokalpresse berichtete und beim 50-jährigen Jubiläum erschien ein Artikel in Heidenheims Gazetten. 1964 besiegten die A-Jugend des VfL Heidenheim den großen VfB Stuttgart im Finale der württembergischen Meisterschaft. Kopf, Seele und Hirn des Heidenheimer Spiels war ein 17-Jähriger: Horst Blankenburg. Ruhe am Ball, eine hervorragende Übersicht und eine einzigartige Eleganz - Attribute, mit denen zwei Jahre später bei der WM ein gewisser Franz Beckenbauer erstmals international auf sich aufmerksam machte.
"Der ist Durchschnitt." - "Den holen wir."
Bobby Harms
Der 1. FC Nürnberg griff 1967 zu und holte sich das Juwel Blankenburg. Nürnberg wurde Meister unter Merkel, Blankenburg kam zu keinem einzigen Einsatz und fühlt sich heute nicht als deutscher Meister. Als unfertig und zu filigran stempelte Merkel seinen ungeschliffenen Diamanten ab. Der wechselte für 45.000 Mark nach Österreich, wo er die Wertschätzung einheimsen wollte, die ihm in Franken verwehrt geblieben war. Sein Plan ging auf. Der Wiener Sportclub wurde Vizemeister und Blankenburg, der 27 Spiele absolvierte, zum Publikumsliebling.
Nördlich der Isar wurde man auf den spielstarken Verteidiger aufmerksam - für stolze 100.000 Mark wechselte Blankenburg zu den Löwen, die an ihr goldenes Meisterjahr von 1967 um die Vereinslegenden Heiß, Brunnenmeier und Co. anknüpfen wollten - ein Vorhaben, das gründlich misslang.
1860 stieg trotz eines soliden Blankenburgs ab. Ein Spiel der Chaos-Saison wurde wegweisend für den jungen Libero. Nach einem 3:0-Sieg über Dortmund tippte ihm am Spielfeldrand jemand auf die Schulter. Es war Bobby Harms, seines Zeichens Co-Trainer von Ajax Amsterdam. "Wir wollen dich", sagte der Assistent im Auftrag von Rinus Michels, der einen Nachfolger für seinen jugoslawischen Libero Valibor Vasovic suchte, der seine Karriere beendet hatte.
"Wir suchten keinen guten Libero oder einen mit Namen und Ruhm. Sondern einen, der zu unserer Idee des Fußballs passte. Als wir Horst sahen, der bei einem unterdurchschnittlichen Bundesligisten spielte, sagte unser Scout: Der ist wie 1860 - Durchschnitt. Ich sagte: Den nehmen wir", erzählte Harms später.
Ein halbes Jahr später, 1860 spielte inzwischen in der Regionalliga, ließ der TSV Blankenburg dann gehen. Mit Trainer Tillkowski hatte er Probleme und 1860s Kassen waren leer. 320.000 Mark überwies Ajax und die große Karriere von Blankenburg begann.
In Amsterdam traf Blankenburg auf zehn holländische Nationalspieler, darunter große Namen wie Keizer, Krol, Neeskens oder Haan. Und natürlich auf Johann Cruyff. Auf die Frage, was in all den Jahren bei Ajax das Größte gewesen sei, antwortete Blankenburg: "Es gab viele Titel und große Momente. Der Größte aber war, als ich Cruyff das erste Mal Fußball spielen sah. Er konnte alles. Ich habe sie alle gesehen: Beckenbauer, Eúsebio, Charlton, Best, Mazzola, Müller, Rivera. Keiner kommt an Johan heran."
Ajax und Blankenburg - eine große Liebe. Die Fans liebten den blonden Deutschen mit dem losen Mundwerk. Noch heute kennt man ihn in der Stadt mit den vielen Brücken, von denen eine sogar nach ihm benannt ist. 1971, 1972 und 1973 gewann der Libero gegen Panathinaikos Athen, Inter Mailand und Juventus Turin den Europapokal der Landesmeister. Außerdem holte er zwei Meistertitel, zwei Pokalsiege, den europäischen Supercup und den Weltpokal. Alleine 1972 waren es fünf Titel, die Blankenburg erringen konnte.
Blankenburgs bestes Jahr war sicherlich 1973. Im Viertelfinale wurde der große FC Bayern mit Breitner, Beckenbauer, Maier und Müller mit 4:0 und tollem Fußball deklassiert. Als Lohn wurde Blankenburg in die damals existierende Europaauswahl um Eúsebio berufen - ohne ein einziges Länderspiel für die BRD absolviert zu haben. Nach dem Spiel in Barcelona sagte Bundestrainer Schön zum Libero, er solle an die WM 74 im eigenen Land denken. Dies war der Moment, der in der Gedankenwelt Blankenburgs einen Traum heran wachsen ließ, der ihn bis heute nicht mehr los gelassen hat. Das Erfolgsjahr 73 krönte der Libero im Champions League Finale gegen Juve. Er spielt überragend und bereitet den 1:0-Siegtreffer durch Rep mit einer maßgenauen Flanke vor. Dennoch war da die Enttäuschung, weil Schön sich nicht mehr gemeldet hatte und er Blankenburg nicht einmal zu Freundschaftsspielen einlud.
"Schön kann mich am Arsch lecken!"
Horst Blankenburg
Nach dem Finale ging es mit der Mannschaft, einigen Journalisten und Helmut Haller ins Casino. Die Spieler leerten Bier um Bier, sie waren nach dem Titel-Triple Legenden. Auf die Frage, was denn mit den Ambitionen im Nationaldress sei, antwortete ein betrunkener Blankenburg, Schön könne ihn mal am Arsch lecken. Eine Antwort mit Folgen: Es blieb dabei: Blankenburg wurde nie zum Nationalspieler. Weil sein Platz vom einzigen Libero, der in diesen Tagen in Europa besser war als er, Franz Beckenbauer, besetzt war und wegen dieser Aussage im Sommer 73.
Es war die Taktik, die Ajax zur atemberaubendsten und besten Mannschaft Europas und zu einer der besten aller Zeiten machte. Rinus Michels kreierte den Totaal Voetbal, sein Nachfolger, der Rumäne Stefan Kovacs, erweiterte und verfeinerte ihn.
Das legendäre Team 73 unter Kovacs stand für den bis dato modernsten Fußball der Geschichte.
Torwart Stuy gilt als einer der ersten Antizipationskeeper und als Abfangjäger hinter der hoch stehenden Abwehr. Diese wurde neben dem antizipierenden und gestaltenden Blankenburg aus dem technisch begnadeten Hulshoff, dem Lahm der 70er Krol und dem dynamischen Suurbier gebildet. Davor wurde Stratege Neeskens von Mühlen und Haan flankiert ein flexibles Dreigestirn und die Kommandozentrale im Ajax-Spiel. Der Sturm gilt als einer der besten aller Zeiten. Cruyff natürlich, dazu Keizer und Swart. Die heute fast vergessenen Keizer und Swart zählen zu den Besten ihrer Zeit. Keizer gilt heimlich als das größere Genie als Cruyff und Mr. Ajax, Sjak Swart, der sehr konstant spielte und dessen Flanken als Prototyp der Bananenflanke gelten.
Dieses Teamkonstrukt, angereichter mit Weltklasse von Cruyff, Neeskens oder Haan, wurde mit der Michels-Taktik rund um Pressing und Abseitsfalle zur Weltmacht.
Weil eine genaue Beschreibung der Abläufe und Taktik von Gloria Ajax den Rahmen nicht nur sprengen, sondern Kilometer weit übertreten würde, sei an dieser Stelle auf einen brillanten Artikel von spielverlagerung.de verwiesen.
Cruyff hatte eine Idee. Es war mehr ein Gedanke, eine Vision. Der Mann, den er brillant fand, den er als besseren Libero als den großen Beckenbauer einstufte, sollte eingebürgert werden: Horst Blankenburg sollte Holländer werden. Cruyff und Haan persönlich wurden bei der Königin vorstellig, um ihren Ajax-Libero auch in der Nationalelf nicht missen zu müssen. Diese gab den Antrag an das zuständige Amt weiter, das Blankenburg noch vor der WM 74 einbestellte. Kurz zuvor sagte er, dass es sein großer Traum, die WM in Deutschland für Holland zu spielen, ein wohl auch von Enttäuschung geleiteter Satz. Bravourös und in fließendem Holländisch beantwortete er die Fragen der Prüfer Er wusste Geschichtliches und Kulturelles von dem Land, dessen Landsmann er werden wollte. Ausgerechnet die Frage zur Hymne wurde ihm zum Verhängnis, er wusste sie nicht auswendig und fiel durch. Traurig fuhr er nach Hause zu seiner Familie, die im Reihenhaus in Stadionnähe ebenfalls längst heimisch geworden war.
Mit seinem guten Freund, dem Juden Swert, führte Blankenburg lange Diskussionen über ihren Fußball. Sie lachten sich darüber kaputt, dass Intellektuelle und Studenten, den Fußball in ihr linkes Gedankengut transportierten: "Wenn Intellektuelle in diese Mannschaft hineinprojizieren, dass wir Künstler gewesen seien, kann ich nur sagen: In unserer Kabine haben wir keine hochtrabenden Diskussionen geführt. Wir wollten Erfolg haben - unbedingt! Und im Gegensatz zu vielen anderen niederländischen Teams, die in Schönheit gestorben sind, haben wir diesen Erfolg auch tatsächlich gehabt." Es war die glücklichste Zeit seines Lebens in Amsterdam, seine große Liebe, während er sich von seiner alten Liebe Deutschland verraten fühlte.
"Und sie hatten diesen anderen Weltklasse-Spieler."
Bobby Charlton
Die Heim-WM 74 verfolgte Blankenburg als Fernsehexperte neben Seeler und anderen Größen. Während er im Fernsehen oberflächlich die Spiele analysierte, war er tief in sich traurig: Denn er wusste, dass er dabei sein hätte können. "Mir hätte ja auch ein Platz auf der Bank gereicht", sagt er heute und man merkt ihm an, wie nah ihm das Ganze geht.
1975 ging es wieder nach Deutschland, für den HSV spielte Blankenburg noch 45 Mal Bundesliga, den Europapokalsieg der Pokalsieger 1977 erlebte er von der Bank aus. Es zog ihn schnell wieder in die Ferne. Nach einem Jahr bei Xamax Neuchatel in der Schweiz ging es nach Übersee. Von Amerika hatte er immer geträumt. 1978 erfüllte er sich seinen Traum und wechselte zu Chicago, das er in der aufstrebenden US-Liga zum Gewinn der Central Division führte.
Bobby Charlton hält inne und überlegt. Dann antwortet er langsam und besonnen auf die Frage, nach dem Ajax der 70er. Der englische Weltmeister steht in einem modernen Fernsehstudio, junge Taktikexperten flankieren ihn. Sie reden über Swansea, das ein bisschen so spielt wie Barcelona und eben so wie Gloria Ajax Anfang der 70er.
"Ajax hatte natürlich Cruyff. Der war sensationell. Er war der König, der Beste seiner Zeit und vielleicht aller Zeiten", sagt Charlton langsam, er ist immerhin 75, "und sie hatten diesen anderen Weltklassespieler: Horst Blankenburg." Verwirrung im Studio. Hektische Blicke zwischen den geschniegelten Moderatoren. Blankenburg? Sie kennen diesen Namen nicht. Nach der Werbung geht es weiter, ohne dass Ajax noch einmal zur Sprache kommt.
Diese Szene hätte so auch in einem Studio von Sky ablaufen können. Denn - und das ist die Tragik des Horst Blankenburg - auch in Deutschland ist er fast vergessen. Der Mann, der das Kunststück schaffte dreimal nacheinander die Königsklasse zu gewinnen und nach dem eine Brücke in Amsterdam benannt ist. Der Mann, der in Amsterdam Ehrengast war bei der Hundertjahrfeier von Ajax und dem in seinem Heimatland die Anerkennung stets verwehrt wird.
Der Kaiser von Holland - ein echter stiller Held!
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In meinen unzähligen Fußballbüchern, die sich allerdings hauptsächlich allerdings auf EM's/WM's und Bundesliga fokussieren, ist Blankenburg tatsächlich nur eine Randnotiz (wenn überhaupt).
Wohl, von denen die ihn nicht live gesehen/erlebt haben, 80-90% kennen ihn überhaupt nicht; Die restlichen Prozent sind so wie ich: Man wusste dass er damals ein Weltklasse-Libero bei Ajax war und man kannte das angesprochene Schön-Zitat.
Viee Sachen wie mit der holländischen Nationalmannschaft waren mir auch unbekannt!
"Wie wohl das Finale ausgegangen wäre? "
Das fragst du wirklich? Kann Bayer Leverkusen Deutscher meister werden?
Besser kann ein Wochenende nicht beginnen
Wunderbar geschrieben, toll recherchiert. Danke.
Der Blog ist schlicht brillant!
Stiller Held?
Für mich ein unbekannter Held!
Vielleicht liegt es daran, daß ich jenseits der Mauer aufgewachsen bin, aber Horst Blankenburg sagt(e) mir gar nix!!
Bis jetzt. Bis zu Deinen Blog. Danke!
Was für eine Geschichte! Nur weil er die Hymne nicht kannte, wurde er nicht eingebürgert und durfte nicht für Holland spielen?!
Wie wohl das Finale ausgegangen wäre?
Großartiger Blog Broich!!
Und ganz starke Themenwoche!!
Tatsächlich auch noch nie gehört. Wahnsinn!!