14.06.2010 um 14:14 Uhr
Geschrieben von eshkeeya
Der Tod einer Idee
Auch wenn es abgedroschen und eher nach abzockendem Fussballprofi klingt: Fussball ist ein sehr schnellliebiges Geschäft.
Ein Fussballspiel ist ein Ereignis, dass seit Jahrhunderten jeden Tag unzählige Male an unzähligen Orten der Welt ausgetragen wird. 90 Minuten, ein paar Tore, Abpfiff. Damit hat es sich meistens.
Danach fristet es im Normalfall ein Dasein als ein bloßes Ergebnis und ein Statistikeintrag: wie hat Bayern noch mal am 3. Spieltag 1974 gespielt? Ah, ok, 2-1. Weiter gehts.
Damit das Fussballvolk sich an ein Fussballspiel Jahre oder sogar Jahrzehnte danach noch erinnert, muss dieses also etwas Besonderes an sich gehabt haben. Das Duell Brasilien gegen Italien bei der WM 1982 ist eine solche, unvergessene Partie, über die immer wieder geredet wird, und die gemeinhin als bester Spiel der WM-Geschichte bzw. sogar als bestes Spiel aller Zeiten gilt. Warum eigentlich? Was war an diesem Spiel so besonders? Ein Blick zurück:
Die Konstellation vor dem Spiel
Bei der WM 1982 wurde zum ersten und einzigen Mal eine Zwischenrunde durchgeführt. Drei Mannschaften trafen in Gruppen aufeinander, der Erste der Gruppenphase war für das Halbfinale qualifiziert. Brasilien und Italien waren mit Argentinien in der Gruppe C, hatten beide jeweils Argentinien besiegt und trafen im letzten Spiel aufeinander. Der brasilianischen Elf lag zu diesem Zeitpunkt die Fussballwelt zu Füßen, das Team um die beiden Stars Socrates und Zico hatte sich zuvor durch überlegene Spielweise und hohe Siege durch das Turnier gezaubert und in vier Spielen 13 Tore erzielt. Aufgrund des besseren Torverhältnisses hätte den Brasilianern ein Unentschieden gegen Italien gereicht.
Italien hatte in der Gruppenphase dreimal nur Unentschieden gespielt und sich gerade so für die Zwischenrunde qualifiziert. Hinzu kamen einige Turbulenzen im Verlauf des Turniers: Es gab Gerüchte, dass der letzte Gruppengegner Kamerun mit 200.000 Dollar von italienischer Seite geschmiert worden sein soll. Aus Verärgerung darüber traten die Spieler in einen Interviewstreik. Stürmer Paolo Rossi war vor der WM nach einem Wettskandal zwei Jahre lang gesperrt, erzielte bis zu dieser Partie keinen einzigen Treffer und wurde heftig kritisiert, und nach den dürftigen Leistungen in den Gruppenspielen wurden die Spieler von dem mitgereisten Fans mit Dosen beworfen.
Italien stolperte sich demnach irgendwie durch das Turnier, Brasilien war in jedem Spiel überlegen und begeisterte mit attraktivem Fussball.
Brasilien war also haushoher Favorit in einem entscheidenden Spiel.
In der C-Jugend spielten wir mal als Tabellenführer am letzten Spieltag beim Vorletzten und vermasselten die Meisterschaft. Wir waren auch haushoher Favorit. Das Spiel hatte aber ansonsten nichts Besonderes oder Historisches. Das alleine reicht also noch nicht.
Brasilien anno 1982- das war ziemlich viel Party
Das Spiel an sich
Als Fussballrookie hat man es schon schwer. Da hört man als Fussballbegeisterter immer wieder von großen Spielern und Spielen der Vergangenheit und kann irgendwie nicht viel mit ihnen anfangen, da man selber zum Zeitpunkt des Geschehens nicht live dabei war. Der Vater erzählt von irgendwelchen Fussballmythen und Wunderspielen aus der Vergangenheit, und man denkt sich: "Hmm ja, ist ja ganz cool und so, aber gleich spielt Barca." Wer weiß denn von uns Jungspunden eigentlich, warum Franz Beckenbauer sich im Fernsehen über jedes Spiel unter Sonne auslassen darf, und warum wir immer und sofort über die neueste Schnecke von Lothar Matthäus informiert werden? Eben, die müssen irgendwann mal sehr guten Fussball gespielt haben. Haben wir Youngster aber nicht live gesehen.
Ach, der hat auch mal gekickt, der Zico?
Dasselbe Dilemma bietet sich nun bei der Partie Brasilien-Italien. Was macht also ein neugieriger Vertreter der Youtube-Generation? Genau. Er schmeißt Youtube an. Und siehe da, Youtube spuckt eine Zusammenfassung der Partie raus.
Zu sehen ist eine torreiche, umkämpfte Partie. Die Italiener schocken den Gegner durch ein frühes Tor durch Rossi in der fünften Minute, doch Brasilien antwortet kurz darauf mit einem wunderbar herausgespielten Tor durch Socrates, der einen schönen Pass von Zico vollendet. Rossi bringt Italien noch in der ersten Halbzeit durch einen Abwehrfehler Brasiliens erneut in Führung, auch diese wird aber erneut durch ein Traumtor ausgeglichen: Falcao lässt mit einem angetäuschten Pass drei Gegenspieler ins Leere laufen und vollendet dann mit einem Knaller unter die Latte.
WM-Held Rossi: Keine Spielpraxis, keine Lobby, kein Problem
Es steht nun 2-2, Brasilien steht mit diesem Ergebnis im Halbfinale. Kein Grund für die Sambakicker, einen Gang bzw. auf Defensive herunterzuschalten. Socrates sagte später: "Wir wollten weiterhin ein Spektakel bieten, auch wenn uns ein Unentschieden gelangt hätte. Man mag das dumm nennen, aber wir konnten nicht anders." Also wird auch nach dem Ausgleich weiter nach vorne gespielt und der Sieg gesucht. Paolo Rossi aber spielt nicht mit und bestraft den Offensivdrang mit der Vollendung seines Hattricks in der 74. Minute. Brasilien stürmt noch einmal heran und drängt auf einen dritten Ausgleich, findet aber im damals 40-jährigen Dino Zoff, seinen Meister. Italien siegt und holt sich später den Weltmeistertitel, Brasilien scheidet aus.
Es hatte also einiges zu bieten, dieses Duell in der Sommerhitze von Barcelona vor 28 Jahren, Dramatik, schöne Tore, eine (am Ende gescheiterte) Aufholjagd. Das ist schon mal ziemlich beeindruckend und überzeugend. Doch all das war in vielen anderen Spielen auch schon zu sehen. Warum gilt denn nicht die Aufholjagd der Türkei gegen Tschechien bei der EURO 2008, als ein 0-2 in 14 Minuten in ein 3-2 umgewandelt wurde, als bestes Spiel der Geschichte? Nee, sorry. Bestes Spiel aller Zeiten, das ist schon ne Hausmarke. Den Titel vergebe ich nicht so schnell, nicht so einfach. Da bin ich ganz der schwer-zu-begeisternde-Jungspund. Da muss mehr kommen. Auf zum nächsten Kriterium.
weiterlesen
Ein Fussballspiel ist ein Ereignis, dass seit Jahrhunderten jeden Tag unzählige Male an unzähligen Orten der Welt ausgetragen wird. 90 Minuten, ein paar Tore, Abpfiff. Damit hat es sich meistens.
Danach fristet es im Normalfall ein Dasein als ein bloßes Ergebnis und ein Statistikeintrag: wie hat Bayern noch mal am 3. Spieltag 1974 gespielt? Ah, ok, 2-1. Weiter gehts.
Damit das Fussballvolk sich an ein Fussballspiel Jahre oder sogar Jahrzehnte danach noch erinnert, muss dieses also etwas Besonderes an sich gehabt haben. Das Duell Brasilien gegen Italien bei der WM 1982 ist eine solche, unvergessene Partie, über die immer wieder geredet wird, und die gemeinhin als bester Spiel der WM-Geschichte bzw. sogar als bestes Spiel aller Zeiten gilt. Warum eigentlich? Was war an diesem Spiel so besonders? Ein Blick zurück:
Die Konstellation vor dem Spiel
Bei der WM 1982 wurde zum ersten und einzigen Mal eine Zwischenrunde durchgeführt. Drei Mannschaften trafen in Gruppen aufeinander, der Erste der Gruppenphase war für das Halbfinale qualifiziert. Brasilien und Italien waren mit Argentinien in der Gruppe C, hatten beide jeweils Argentinien besiegt und trafen im letzten Spiel aufeinander. Der brasilianischen Elf lag zu diesem Zeitpunkt die Fussballwelt zu Füßen, das Team um die beiden Stars Socrates und Zico hatte sich zuvor durch überlegene Spielweise und hohe Siege durch das Turnier gezaubert und in vier Spielen 13 Tore erzielt. Aufgrund des besseren Torverhältnisses hätte den Brasilianern ein Unentschieden gegen Italien gereicht.
Italien hatte in der Gruppenphase dreimal nur Unentschieden gespielt und sich gerade so für die Zwischenrunde qualifiziert. Hinzu kamen einige Turbulenzen im Verlauf des Turniers: Es gab Gerüchte, dass der letzte Gruppengegner Kamerun mit 200.000 Dollar von italienischer Seite geschmiert worden sein soll. Aus Verärgerung darüber traten die Spieler in einen Interviewstreik. Stürmer Paolo Rossi war vor der WM nach einem Wettskandal zwei Jahre lang gesperrt, erzielte bis zu dieser Partie keinen einzigen Treffer und wurde heftig kritisiert, und nach den dürftigen Leistungen in den Gruppenspielen wurden die Spieler von dem mitgereisten Fans mit Dosen beworfen.
Italien stolperte sich demnach irgendwie durch das Turnier, Brasilien war in jedem Spiel überlegen und begeisterte mit attraktivem Fussball.
Brasilien war also haushoher Favorit in einem entscheidenden Spiel.
In der C-Jugend spielten wir mal als Tabellenführer am letzten Spieltag beim Vorletzten und vermasselten die Meisterschaft. Wir waren auch haushoher Favorit. Das Spiel hatte aber ansonsten nichts Besonderes oder Historisches. Das alleine reicht also noch nicht.
Brasilien anno 1982- das war ziemlich viel Party
Das Spiel an sich
Als Fussballrookie hat man es schon schwer. Da hört man als Fussballbegeisterter immer wieder von großen Spielern und Spielen der Vergangenheit und kann irgendwie nicht viel mit ihnen anfangen, da man selber zum Zeitpunkt des Geschehens nicht live dabei war. Der Vater erzählt von irgendwelchen Fussballmythen und Wunderspielen aus der Vergangenheit, und man denkt sich: "Hmm ja, ist ja ganz cool und so, aber gleich spielt Barca." Wer weiß denn von uns Jungspunden eigentlich, warum Franz Beckenbauer sich im Fernsehen über jedes Spiel unter Sonne auslassen darf, und warum wir immer und sofort über die neueste Schnecke von Lothar Matthäus informiert werden? Eben, die müssen irgendwann mal sehr guten Fussball gespielt haben. Haben wir Youngster aber nicht live gesehen.
Ach, der hat auch mal gekickt, der Zico?
Dasselbe Dilemma bietet sich nun bei der Partie Brasilien-Italien. Was macht also ein neugieriger Vertreter der Youtube-Generation? Genau. Er schmeißt Youtube an. Und siehe da, Youtube spuckt eine Zusammenfassung der Partie raus.
Zu sehen ist eine torreiche, umkämpfte Partie. Die Italiener schocken den Gegner durch ein frühes Tor durch Rossi in der fünften Minute, doch Brasilien antwortet kurz darauf mit einem wunderbar herausgespielten Tor durch Socrates, der einen schönen Pass von Zico vollendet. Rossi bringt Italien noch in der ersten Halbzeit durch einen Abwehrfehler Brasiliens erneut in Führung, auch diese wird aber erneut durch ein Traumtor ausgeglichen: Falcao lässt mit einem angetäuschten Pass drei Gegenspieler ins Leere laufen und vollendet dann mit einem Knaller unter die Latte.
WM-Held Rossi: Keine Spielpraxis, keine Lobby, kein Problem
Es steht nun 2-2, Brasilien steht mit diesem Ergebnis im Halbfinale. Kein Grund für die Sambakicker, einen Gang bzw. auf Defensive herunterzuschalten. Socrates sagte später: "Wir wollten weiterhin ein Spektakel bieten, auch wenn uns ein Unentschieden gelangt hätte. Man mag das dumm nennen, aber wir konnten nicht anders." Also wird auch nach dem Ausgleich weiter nach vorne gespielt und der Sieg gesucht. Paolo Rossi aber spielt nicht mit und bestraft den Offensivdrang mit der Vollendung seines Hattricks in der 74. Minute. Brasilien stürmt noch einmal heran und drängt auf einen dritten Ausgleich, findet aber im damals 40-jährigen Dino Zoff, seinen Meister. Italien siegt und holt sich später den Weltmeistertitel, Brasilien scheidet aus.
Es hatte also einiges zu bieten, dieses Duell in der Sommerhitze von Barcelona vor 28 Jahren, Dramatik, schöne Tore, eine (am Ende gescheiterte) Aufholjagd. Das ist schon mal ziemlich beeindruckend und überzeugend. Doch all das war in vielen anderen Spielen auch schon zu sehen. Warum gilt denn nicht die Aufholjagd der Türkei gegen Tschechien bei der EURO 2008, als ein 0-2 in 14 Minuten in ein 3-2 umgewandelt wurde, als bestes Spiel der Geschichte? Nee, sorry. Bestes Spiel aller Zeiten, das ist schon ne Hausmarke. Den Titel vergebe ich nicht so schnell, nicht so einfach. Da bin ich ganz der schwer-zu-begeisternde-Jungspund. Da muss mehr kommen. Auf zum nächsten Kriterium.
weiterlesen
Aufrufe: 9803 | Kommentare: 1 | Bewertungen: 7 | Erstellt:14.06.2010
ø 6.1
KOMMENTARE
Um bewerten und sortieren zu können, loggen Sie sich bitte ein.
14.06.2010 | 14:15 Uhr
0
eshkeeya :
Der obligatorische Hinweis bei Zweiteilern: bitte unter dem zweiten Teil kommentieren, Danke.
0
COMMUNITY LOGIN
Statistik