14.06.2010 um 14:12 Uhr
Geschrieben von eshkeeya
Der Tod einer Idee 2
Fortsetzung von Teil 1
Die brasilianische Jahrhundertelf
Bestes Spiel ever ist nicht die einzige Superlative, mit der dieses Spiel aufwarten kann, denn die Elf um Socrates gilt bis heute neben der Auswahl von 1970 als die beste brasilianische Mannschaft aller Zeiten. Nachdem die Mannschaft zuvor durch das Turnier spaziert war, wurde Italien in Brasilien nur als lästiges Hindernis auf dem Weg zum großen Triumph gesehen. Der Staatspräsident hatte schon den Empfang der Kicker nach dem Weltmeistertitel geplant, die Sambakapellen in Rio probten schon mal für die Siegesfeier. Und dann der Schock. Als Rossi, der in Italien "Engelsgesicht" genannt wird, die Brasilianer aus dem Turnier schoss, stürzte er ein ganzes Land in die kollektive Depression. Die Enttäuschung war unendlich groß und nahm unglaubliche Formen an: Fernseher wurden aus den Fenstern geschmissen, eine junge Frau schnitt sich die Pulsadern auf, ein 20-jähriger beging sogar Selbstmord durch Kopfschuss. In Brasilien wird Rossi bis heute "Engel Luzifer" genannt.
Eine Jahrhundertauswahl, die in einem packenden Fight durch einen Hattrick eines zuvor erfolgslosen Stürmers besiegt wird und damit eine ganze Nation in riesiges Entsetzen und Trauer versetzt. Ich glaube, wir kommen dem ganzen auf die Spur.
In Italien Engel, in Brasilien Teufel
Der Kampf der Philosophien
Jackpot. Denn Brasilien gegen Italien, das war ein Duell der Gegensätze, die so krass waren, dass das Spiel und das Ergebnis die weitere Entwicklung des gesamten Fussballs beeinflussen sollten.
Seit den 50er Jahren, als der Catenaccio in Italien eingeführt wurde, stand aus italienischer Sicht die Defensive über allem. Der damalige Trainer Enzo Bearzot beschrieb die Spielweise seiner Mannschaft folgendermaßen: "Bei uns ist jedes Tor ein Weltwunder."
Auch damals schon standen italienische bzw. europäische Mannschaften für die Defensive und den schnörkellosen Fussball, mit dem Inter Mailand vor kurzem den FC Barcelona hinausverteidigte. Zuerst der Erfolg, dann die Schönheit - wenn überhaupt. Hauptsache Erfolg. Damit standen die Mannen um Altmeister Dino Zoff in der Partie gegen Brasilien stellvertretend für den ganzen europäischen Ergebnisfussball.
Die brasilianische Mannschaft von 82 aber definierte sich mehr als jede andere zuvor oder danach über schönen Fussball. Mit den Ausnahmekönnern Sócrates, Zico, Falção, Cerezo und Éder verfügte man über eine alles überragende Offensive, und mit Telé Santana hatte man den richtigen Trainer, um es nutzen zu können. Denn Santanas Wunschvorstellung von Fussball war, dass jedes Spiel für Spieler und Zuschauer eine Show sein sollte, immer mit dem höchsten Ziel, ein Tor zu erzielen.
Die Kombination aus Talent und offensivfreudigem Coach war die Grundlage für den begeisternden brasilianischen Fussball, den "futebol arte". Die Akteure hatten in der Offensive alle Freiheiten und wirbelten die Abwehrreihen mit schnellem Kurzpassspiel und herausragender Technik durcheinander. Mit der eigenen, schönen Spielweise wollte man sich zudem vom trockenen, ergebnisorientierten Fussball aus Europa abgrenzen und den Europäern die Stirn bieten. "Von taktischem Geplänkel halte ich gar nichts. Es lebe der schöne Fussball." so Kapitän Socrates.
Steht nicht so auf Geholze: Socrates
Die Tatsache, dass diese zwei so unterschiedlichen Spielphilosophien in einem entscheidenden WM-Spiel vor den Augen der Weltöffentlichkeit aufeinandertrafen, gab dem Spiel eine eigene, sehr große Bedeutung.
Es sollte die Antwort auf die Frage liefern, welches fussballerische Mittel denn nun das Beste für den Erfolg ist: Offensive oder Defensive? Schöner Fussball oder safety first? Brasilien oder Italien?
Das die Brasilianer an Italien scheiterten und damit der berechnende Fussball über den begeisternden triumphierte, führte zu einem radikalen Umdenken in der Fussballwelt.
Zico sagt heute über die Bedeutung der großen Niederlage: "Wir waren die beste Mannschaft des Turniers und hatten den Sieg verdient. Unsere Niederlage war schlecht für den Weltfussball, denn wenn Brasilien 1982 gewonnen hätte, hätte sich der Fussball zum Positiven geändert." Die Elf von 82 wurde und wird zwar für ihre spektakuläre Spielweise gefeiert von gilt bis heute zwar als die beste Mannschaft, die den Titel nicht holen konnte, wird für ihre Naivität aber belächelt. Italien hingegen hatte mit seiner Spielweise den Titel geholt und der italienische Konzeptfussball galt von nun an als modern und der Weg zum Erfolg. Selbst der brasilianische Fussballverband kam nach dem Turnier zum Entschluss, dass der "futebol arte" gescheitert sei. Also passte man die Spielphilosophie und gewann den nächsten Weltmeistertitel 1994, erneut gegen Italien, durch unspektakulären Fussball und ein Elfmeterschießen nach einem torlosen Finale. Derselbe Socrates, der eben in einer Aussage noch den schönen Fussball feierte, sagte Jahre nach der Trägodie von Barcelona: "Unser Ausscheiden war das Ende einer Idee."
Taktik (hinten, jubelnd) triumphiert über Eleganz (vorne, trauernd)
So, jetzt haben wir so ziemlich alle Kriterien durch, die für die Beantwortung der Frage, ob das Spiel zwischen Brasilien und Italien wirklich das beste Fussballspiel aller Zeiten ist, in Frage kommen. Und wenn man alle gemeinsam betrachtet, wenn man das Spiel als Ganzes, seinen dramatischen Verlauf, seine immense Bedeutung für beide Seiten und vor allem seinen Einfluss auf die Entwicklung des Fussballs sieht, dann muss man, auch als verwöhnter Jungspund, der mit den fernen Ereignissen aus der Vergangenheit meistens nicht viel anfangen kann, einfach sagen: das Spiel war ein Besonderes.
Schade, dass wir nicht dabei waren.
Die brasilianische Jahrhundertelf
Bestes Spiel ever ist nicht die einzige Superlative, mit der dieses Spiel aufwarten kann, denn die Elf um Socrates gilt bis heute neben der Auswahl von 1970 als die beste brasilianische Mannschaft aller Zeiten. Nachdem die Mannschaft zuvor durch das Turnier spaziert war, wurde Italien in Brasilien nur als lästiges Hindernis auf dem Weg zum großen Triumph gesehen. Der Staatspräsident hatte schon den Empfang der Kicker nach dem Weltmeistertitel geplant, die Sambakapellen in Rio probten schon mal für die Siegesfeier. Und dann der Schock. Als Rossi, der in Italien "Engelsgesicht" genannt wird, die Brasilianer aus dem Turnier schoss, stürzte er ein ganzes Land in die kollektive Depression. Die Enttäuschung war unendlich groß und nahm unglaubliche Formen an: Fernseher wurden aus den Fenstern geschmissen, eine junge Frau schnitt sich die Pulsadern auf, ein 20-jähriger beging sogar Selbstmord durch Kopfschuss. In Brasilien wird Rossi bis heute "Engel Luzifer" genannt.
Eine Jahrhundertauswahl, die in einem packenden Fight durch einen Hattrick eines zuvor erfolgslosen Stürmers besiegt wird und damit eine ganze Nation in riesiges Entsetzen und Trauer versetzt. Ich glaube, wir kommen dem ganzen auf die Spur.
In Italien Engel, in Brasilien Teufel
Der Kampf der Philosophien
Jackpot. Denn Brasilien gegen Italien, das war ein Duell der Gegensätze, die so krass waren, dass das Spiel und das Ergebnis die weitere Entwicklung des gesamten Fussballs beeinflussen sollten.
Seit den 50er Jahren, als der Catenaccio in Italien eingeführt wurde, stand aus italienischer Sicht die Defensive über allem. Der damalige Trainer Enzo Bearzot beschrieb die Spielweise seiner Mannschaft folgendermaßen: "Bei uns ist jedes Tor ein Weltwunder."
Auch damals schon standen italienische bzw. europäische Mannschaften für die Defensive und den schnörkellosen Fussball, mit dem Inter Mailand vor kurzem den FC Barcelona hinausverteidigte. Zuerst der Erfolg, dann die Schönheit - wenn überhaupt. Hauptsache Erfolg. Damit standen die Mannen um Altmeister Dino Zoff in der Partie gegen Brasilien stellvertretend für den ganzen europäischen Ergebnisfussball.
Die brasilianische Mannschaft von 82 aber definierte sich mehr als jede andere zuvor oder danach über schönen Fussball. Mit den Ausnahmekönnern Sócrates, Zico, Falção, Cerezo und Éder verfügte man über eine alles überragende Offensive, und mit Telé Santana hatte man den richtigen Trainer, um es nutzen zu können. Denn Santanas Wunschvorstellung von Fussball war, dass jedes Spiel für Spieler und Zuschauer eine Show sein sollte, immer mit dem höchsten Ziel, ein Tor zu erzielen.
Die Kombination aus Talent und offensivfreudigem Coach war die Grundlage für den begeisternden brasilianischen Fussball, den "futebol arte". Die Akteure hatten in der Offensive alle Freiheiten und wirbelten die Abwehrreihen mit schnellem Kurzpassspiel und herausragender Technik durcheinander. Mit der eigenen, schönen Spielweise wollte man sich zudem vom trockenen, ergebnisorientierten Fussball aus Europa abgrenzen und den Europäern die Stirn bieten. "Von taktischem Geplänkel halte ich gar nichts. Es lebe der schöne Fussball." so Kapitän Socrates.
Steht nicht so auf Geholze: Socrates
Die Tatsache, dass diese zwei so unterschiedlichen Spielphilosophien in einem entscheidenden WM-Spiel vor den Augen der Weltöffentlichkeit aufeinandertrafen, gab dem Spiel eine eigene, sehr große Bedeutung.
Es sollte die Antwort auf die Frage liefern, welches fussballerische Mittel denn nun das Beste für den Erfolg ist: Offensive oder Defensive? Schöner Fussball oder safety first? Brasilien oder Italien?
Das die Brasilianer an Italien scheiterten und damit der berechnende Fussball über den begeisternden triumphierte, führte zu einem radikalen Umdenken in der Fussballwelt.
Zico sagt heute über die Bedeutung der großen Niederlage: "Wir waren die beste Mannschaft des Turniers und hatten den Sieg verdient. Unsere Niederlage war schlecht für den Weltfussball, denn wenn Brasilien 1982 gewonnen hätte, hätte sich der Fussball zum Positiven geändert." Die Elf von 82 wurde und wird zwar für ihre spektakuläre Spielweise gefeiert von gilt bis heute zwar als die beste Mannschaft, die den Titel nicht holen konnte, wird für ihre Naivität aber belächelt. Italien hingegen hatte mit seiner Spielweise den Titel geholt und der italienische Konzeptfussball galt von nun an als modern und der Weg zum Erfolg. Selbst der brasilianische Fussballverband kam nach dem Turnier zum Entschluss, dass der "futebol arte" gescheitert sei. Also passte man die Spielphilosophie und gewann den nächsten Weltmeistertitel 1994, erneut gegen Italien, durch unspektakulären Fussball und ein Elfmeterschießen nach einem torlosen Finale. Derselbe Socrates, der eben in einer Aussage noch den schönen Fussball feierte, sagte Jahre nach der Trägodie von Barcelona: "Unser Ausscheiden war das Ende einer Idee."
Taktik (hinten, jubelnd) triumphiert über Eleganz (vorne, trauernd)
So, jetzt haben wir so ziemlich alle Kriterien durch, die für die Beantwortung der Frage, ob das Spiel zwischen Brasilien und Italien wirklich das beste Fussballspiel aller Zeiten ist, in Frage kommen. Und wenn man alle gemeinsam betrachtet, wenn man das Spiel als Ganzes, seinen dramatischen Verlauf, seine immense Bedeutung für beide Seiten und vor allem seinen Einfluss auf die Entwicklung des Fussballs sieht, dann muss man, auch als verwöhnter Jungspund, der mit den fernen Ereignissen aus der Vergangenheit meistens nicht viel anfangen kann, einfach sagen: das Spiel war ein Besonderes.
Schade, dass wir nicht dabei waren.
Aufrufe: 2464 | Kommentare: 10 | Bewertungen: 14 | Erstellt:14.06.2010
ø 7.8
KOMMENTARE
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16.06.2010 | 12:09 Uhr
0
Du musst unbedingt etwas an Deiner Öffentlichkeitsarbeit verbessern....
200 Aufrufe sind für einen Blog dieser Qualität ein Witz!
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15.06.2010 | 13:26 Uhr
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Voegi :
ganz tolles blog. großartig geschrieben.hatte das spiel bislang nicht auf dem schirm. aber jetzt. danke dafür.
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14.06.2010 | 23:23 Uhr
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Romni : eshkeeya
muito obrigada!
Ein sehr schöner und gelungener Blog. Noch immer ist Telê Santana bei uns geliebt auch wenn er uns den Titel nicht bringen konnte. Dafür hat jedoch er und seine Jungs unsere Seelen einen Schauplatz gegeben.
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14.06.2010 | 23:08 Uhr
0
ich bin auch einer derjenigen die damals noch längst nicht das Licht der Welt erblickten, doch solche Spiele muss man kennen.
Ich hatte mir das Spiel sogar nocheinmal angeguckt, war auf ner DVD im Kicker. Frag mich aber bloß nicht wann^^
Auf jeden Fall ein ganz besonders Spiel.
Das beste aller Zeiten?
Gibts nicht.
Ist genauso wie der beste Spieler aller Zeiten oder das schönste Tor aller Zeiten. Es war ein enorm wichtiges und denkwürdiges Spiel aber für mich als Deutscher z.B. ist das WM Finale 54 mit Sicherheit wichtiger als Brazil : Italia. Kommt halt immer auf die Sichtweise drauf an etc.
10/10
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14.06.2010 | 17:09 Uhr
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tstone1 :
habe das Spiel nicht gesehen, bin erst 86 geboren, deshalb kann ich das auch nicht beurteilen. Was ich beurteilen kann ist den Blog, und der ist stark, die bewertung zur Zeit ( 4,6) ne frechheit. 9 punkte
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14.06.2010 | 15:21 Uhr
-1
Es war ein Ereignis!
Ob es das beste Spiel der Geschichte war mag ich dann doch nicht behaupten, dafür war ich damals (18-jährig) nicht mit der nötigen Emotion dabei.
Deinen Blog kann ich heute mit der nötigen Abgeklärtheit beurteilen
und er ist wie immer saustark!
1
14.06.2010 | 14:30 Uhr
-1
xxlhonk :
@eshIch habe das Spiel gesehen.
Ganz und in Farbe.
Vor der Glotze.
Und es war in der Tat eines dieser Spiele, die meine enge Beziehung zum Fußball intensiviert haben.
Denn es war ganz großes Kino.
Und es war auch, ein wenig, die Rache Italiens für 70.
Aber ob es das beste Spiel aller Zeit warm, kann und will ich nicht beurteilen, denn da waren einige Spiele, die dieses Attribut verdient hätten.
Aber es war in der Tat der Tod einer super Idee.
Und das bedauern nicht nur brasilianische Fußball-Fans auf der ganzen Welt.
Sehr!
Aber Dir ein Lob (wie immer).
Starkes Ding!
1
14.06.2010 | 14:13 Uhr
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eshkeeya :
Falls ihr es bis hierhin gepackt habt, ein kleiner Hinweis in eigener Sache:vor kurzem habe ich meinen eigenen Fussballblog gestartet, indem ich regelmäßig über alle möglichen Themen schreibe. Würde mich freuen, wenn ihr ab und zu mal reinschauen würdet:
www.el-futbol.de
Ansonsten freue ich mich natürlich über Kommentare und Feedback, wie immer.
Gruß esh
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Dachte anfangs auch, dass vielleicht vergessen wurde, den Blog anzuteasern, war aber nicht der Fall. Der Blog steht zwar nicht auf der Startseite dafür aber auf der MySpox-WM-Seite. 200 Klicks sind aber leider schon ziemlich wenig da hast du Recht..
Dann appelliere ich hier mal an die Spox-Gemeinde:
Hab mir den Arsch aufgerissen, lest das Ding!!