30.12.2010 um 12:45 Uhr
Geschrieben von Voegi
Ein Jahr im Rausch
Die deutsche Fußballnationalmannschaft 2010
Glaubt man den nackten Zahlen, so scheint es um den deutschen Fußball derzeit nicht sonderlich gut bestellt zu sein. Seit sage und schreibe 14 Jahren hat die deutsche Nationalmannschaft nun keinen Titel mehr errungen. Der EM-Erfolg 1996 ist der bis dato letzte Triumph einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Eine Durststrecke, wie sie der deutsche Fußball zuletzt Ende der 60er Jahre zu beklagen hatte.
Muss man sich also Sorgen machen und einen Abstieg in das internationale Mittelmaß befürchten? Die Antwort lautet Nein – ein "Nein", das wohl noch nie so entschieden ausfiel wie zum Ende des Jahres 2010. Denn die Wirklichkeit sieht anders aus, als es die blanken Zahlen vorzugeben scheinen. Tatsächlich sind die Aussichten für den deutschen Fußball momentan durchaus rosig. Doch nicht nur die jüngsten Erfolge der Frauen-Nationalmannschaft und der Jugendteams machen Mut. Auch die Befindlichkeit des Aushängeschildes des deutschen Fußballs gibt Anlass zu Optimismus. Denn die (Herren)-Nationalmannschaft befindet sich trotz nicht enden wollender Titellosigkeit zum jetzigen Zeitpunkt in absolut prächtiger Verfassung.
Das Jahr 2010 war in dieser Hinsicht das zweifellos beste des noch jungen Jahrtausends. Nach einer zuweilen berauschenden Weltmeisterschaft, bei der man die Fans in aller Welt mit erfrischendem Offensiv-Fußball zur Verzückung brachte, legte man eine bis dato blitzsaubere EM-Qualifikation hin und kann jetzt der Zukunft entspannter denn je entgegenblicken.
Dass es so gekommen ist, ist erfreulich und überraschend zugleich. Denn zu Beginn des Jahres sah es noch ungleich trüber am deutschen Fußball-Horizont auf. Die anstehende Verlängerung der Verträge von Löw, Bierhoff & Co. entwickelte sich zu einem unwürdigen Medientheater, das Zweifel am Gelingen der Mission Südafrika nährte. Zwanziger gegen Löw, Bierhoff gegen Zwanziger – die Protagonisten duellierten sich in aller Öffentlichkeit und gaben dabei ein denkbar schlechtes Bild ab. Ein Fehlstart, der auch durch die nachfolgenden Beschwichtigungen der beteiligten Parteien kaum abgemildert wurde. Denn das Ergebnis blieb wenig erbaulich: Vertragsverlängerung aufgeschoben bis zum Ende der Weltmeisterschaft!
Die Vorzeichen für die WM in Südafrika waren somit schlecht. Hinzu kam, dass sich Kapitän Michael Ballack wenige Wochen vor Beginn eine schwere Fußverletzung zuzog (so neutral würde es zumindest Kevin-Prince Boateng formulieren) und für das gesamte Turnier ausfallen sollte. Eine Weltmeisterschaft ohne die große Führungspersönlichkeit – wie sollte das etwas werden? Die Skepsis wuchs, zumal man beim 0:1 gegen Argentinien in allen Belangen unterlegen war. Andererseits hatte Ballack der Nationalmannschaft bereits des öfteren gefehlt, ohne dass sich dies zwangsläufig negativ bemerkbar gemacht hätte.
Man kann aus heutiger Sicht nur spekulieren, wie die WM für Deutschland mit Ballack verlaufen wäre. Fest steht in jedem Fall, dass Schweinsteiger und Khedira als neue Doppelsechs ein perfekt harmonierendes Duo bildeten, das dem deutschen Spiel Kreativität und vor allem Stabilität verlieh. Mit einem frisch aufspielenden Thomas Müller, Shootingstar und Torschützenkönig des Turniers, einem Özil als Lenker (aber wohl doch nicht Denker) des Mittefeldspiels und einem wie verwandelt wirkenden Miroslav Klose bot Löw eine Offensivabteilung auf, die sich sehen lassen konnte. Die Abwehr um Interimskapitän Philipp Lahm und Per Mertesacker präsentierte sich zudem stabil und hatte in Manuel Neuer ihren sicheren Rückhalt.
So spielte die deutsche Nationalmannschaft ein Turnier, wie es selbst die kühnsten Optimisten so wohl nicht vorhergesehen hatten. Nach dem überzeugenden 4:0 gegen schwache Australier und einer insgesamt unglücklichen 0:1-Niederlage gegen Serbien kam es zum Schlüsselspiel gegen Ghana. Heraussprang ein gequälter 1:0-Arbeitssieg, der nicht ansatzweise das zu verheißen vermochte, was in den folgenden Spiele geschehen sollte.
Im Achtelfinale traf man nun auf England. Das ewig junge Duell – oder wie Franz Beckenbauer sagen würde – a Klassiker. Das 4:1 gegen den Rivalen von der Insel war der letzte noch fehlende Baustein, um ganz Deutschland in einen kollektiven Fußballrausch zu versetzen. Dank eines perfektes Stellungsspiels, unbändigen Kampfes und spielerisch wunderbar ausgespielter Konter besiegte man die Briten verdient mit 4:1 und hatte am Ende die befriedige Erkenntnis, endlich für Wembley '66 Revanche genommen zu haben. Denn Frank Lampards Schuss prallte, wie GPS-Messungen ergeben haben, von der Latte weit hinter die südafrikanische Landesgrenze. Ein Tor, das (k)eines war und bei dessen Anerkennung das Spiel womöglich ganz anders weitergelaufen wäre.
Da Fußball aber bekanntlich nicht im Konjunktiv betrieben wird, ging es für die deutsche Mannschaft im Viertelfinale gegen Argentinien. Zur Würdigung des 4:0-Erfolgs sind jedoch sämtliche Superlative ungeeignet. Es war DAS Spiel der deutschen Mannschaft, die taktisch und spielerisch auf ihrem Zenit angekommen war und ganz Argentinien samt Diego Maradona auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Gipfel der Demütigung: Ein Tor von Arne Friedrich.
Auf den grandiosen Viertelfinal-Triumph folgte das ernüchternde 0:1 im Halbfinale gegen Spanien, das uns nun wieder zur Realität zurückfinden ließ. Die Löw-Elf blieb, bis auf eine Schussmöglichkeit für Toni Kroos, praktisch ohne Torchance und zeigte sich bei der Unterbindung des spanischen Kombinationsspiels überfordert. Umso bitterer, dass der entscheidende Treffer letztlich in Folge einer Standard-Situation fiel.
Wieder mal war es der deutschen Nationalmannschaft trotz mitunter berauschender Auftritte nicht gelungen, einen Titel einzufahren. Wieder einmal konnte man sich aber im abschließenden Spiel um Platz 3 zu einer starken Leistung aufraffen. Im kleinen Finale schlug man Uruguay mit 3:2 und belegte wie auch bei der WM im eigenen Land den 3. Platz.
Die Ernüchterung war dennoch groß. So sehr man die Fans auch mit den eigenen Darbietungen erfreut hatte, so tief saß doch der Stachel der Enttäuschung ob des vorzeitigen Scheiterns. Denn wenn man stets so nah dran ist, will man auch irgendwann einen Pokal in den Händen halten. Die nächste Chance dafür ergibt sich nun in zwei Jahren bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. Denn wir dürfen getrost von einer deutschen Teilnahme ausgehen. Aus den ersten vier Spielen der Qualifikation holte man die maximal möglichen 12 Punkte und präsentierte sich dabei (wie insbesondere beim 3:0 gegen die Türkei) in gewohnter starker Verfassung. Mit Jogi Löw als Spiritus Rector, der seinen Vertrag nun doch bis zum Jahre 2012 verlängert hat, darf man voller Optimismus in die Zukunft schauen.
Unser Überflieger des Jahres: Thomas Müller.
Glaubt man den nackten Zahlen, so scheint es um den deutschen Fußball derzeit nicht sonderlich gut bestellt zu sein. Seit sage und schreibe 14 Jahren hat die deutsche Nationalmannschaft nun keinen Titel mehr errungen. Der EM-Erfolg 1996 ist der bis dato letzte Triumph einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Eine Durststrecke, wie sie der deutsche Fußball zuletzt Ende der 60er Jahre zu beklagen hatte.
Muss man sich also Sorgen machen und einen Abstieg in das internationale Mittelmaß befürchten? Die Antwort lautet Nein – ein "Nein", das wohl noch nie so entschieden ausfiel wie zum Ende des Jahres 2010. Denn die Wirklichkeit sieht anders aus, als es die blanken Zahlen vorzugeben scheinen. Tatsächlich sind die Aussichten für den deutschen Fußball momentan durchaus rosig. Doch nicht nur die jüngsten Erfolge der Frauen-Nationalmannschaft und der Jugendteams machen Mut. Auch die Befindlichkeit des Aushängeschildes des deutschen Fußballs gibt Anlass zu Optimismus. Denn die (Herren)-Nationalmannschaft befindet sich trotz nicht enden wollender Titellosigkeit zum jetzigen Zeitpunkt in absolut prächtiger Verfassung.
Das Jahr 2010 war in dieser Hinsicht das zweifellos beste des noch jungen Jahrtausends. Nach einer zuweilen berauschenden Weltmeisterschaft, bei der man die Fans in aller Welt mit erfrischendem Offensiv-Fußball zur Verzückung brachte, legte man eine bis dato blitzsaubere EM-Qualifikation hin und kann jetzt der Zukunft entspannter denn je entgegenblicken.
Dass es so gekommen ist, ist erfreulich und überraschend zugleich. Denn zu Beginn des Jahres sah es noch ungleich trüber am deutschen Fußball-Horizont auf. Die anstehende Verlängerung der Verträge von Löw, Bierhoff & Co. entwickelte sich zu einem unwürdigen Medientheater, das Zweifel am Gelingen der Mission Südafrika nährte. Zwanziger gegen Löw, Bierhoff gegen Zwanziger – die Protagonisten duellierten sich in aller Öffentlichkeit und gaben dabei ein denkbar schlechtes Bild ab. Ein Fehlstart, der auch durch die nachfolgenden Beschwichtigungen der beteiligten Parteien kaum abgemildert wurde. Denn das Ergebnis blieb wenig erbaulich: Vertragsverlängerung aufgeschoben bis zum Ende der Weltmeisterschaft!
Die Vorzeichen für die WM in Südafrika waren somit schlecht. Hinzu kam, dass sich Kapitän Michael Ballack wenige Wochen vor Beginn eine schwere Fußverletzung zuzog (so neutral würde es zumindest Kevin-Prince Boateng formulieren) und für das gesamte Turnier ausfallen sollte. Eine Weltmeisterschaft ohne die große Führungspersönlichkeit – wie sollte das etwas werden? Die Skepsis wuchs, zumal man beim 0:1 gegen Argentinien in allen Belangen unterlegen war. Andererseits hatte Ballack der Nationalmannschaft bereits des öfteren gefehlt, ohne dass sich dies zwangsläufig negativ bemerkbar gemacht hätte.
Man kann aus heutiger Sicht nur spekulieren, wie die WM für Deutschland mit Ballack verlaufen wäre. Fest steht in jedem Fall, dass Schweinsteiger und Khedira als neue Doppelsechs ein perfekt harmonierendes Duo bildeten, das dem deutschen Spiel Kreativität und vor allem Stabilität verlieh. Mit einem frisch aufspielenden Thomas Müller, Shootingstar und Torschützenkönig des Turniers, einem Özil als Lenker (aber wohl doch nicht Denker) des Mittefeldspiels und einem wie verwandelt wirkenden Miroslav Klose bot Löw eine Offensivabteilung auf, die sich sehen lassen konnte. Die Abwehr um Interimskapitän Philipp Lahm und Per Mertesacker präsentierte sich zudem stabil und hatte in Manuel Neuer ihren sicheren Rückhalt.
So spielte die deutsche Nationalmannschaft ein Turnier, wie es selbst die kühnsten Optimisten so wohl nicht vorhergesehen hatten. Nach dem überzeugenden 4:0 gegen schwache Australier und einer insgesamt unglücklichen 0:1-Niederlage gegen Serbien kam es zum Schlüsselspiel gegen Ghana. Heraussprang ein gequälter 1:0-Arbeitssieg, der nicht ansatzweise das zu verheißen vermochte, was in den folgenden Spiele geschehen sollte.
Im Achtelfinale traf man nun auf England. Das ewig junge Duell – oder wie Franz Beckenbauer sagen würde – a Klassiker. Das 4:1 gegen den Rivalen von der Insel war der letzte noch fehlende Baustein, um ganz Deutschland in einen kollektiven Fußballrausch zu versetzen. Dank eines perfektes Stellungsspiels, unbändigen Kampfes und spielerisch wunderbar ausgespielter Konter besiegte man die Briten verdient mit 4:1 und hatte am Ende die befriedige Erkenntnis, endlich für Wembley '66 Revanche genommen zu haben. Denn Frank Lampards Schuss prallte, wie GPS-Messungen ergeben haben, von der Latte weit hinter die südafrikanische Landesgrenze. Ein Tor, das (k)eines war und bei dessen Anerkennung das Spiel womöglich ganz anders weitergelaufen wäre.
Da Fußball aber bekanntlich nicht im Konjunktiv betrieben wird, ging es für die deutsche Mannschaft im Viertelfinale gegen Argentinien. Zur Würdigung des 4:0-Erfolgs sind jedoch sämtliche Superlative ungeeignet. Es war DAS Spiel der deutschen Mannschaft, die taktisch und spielerisch auf ihrem Zenit angekommen war und ganz Argentinien samt Diego Maradona auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Gipfel der Demütigung: Ein Tor von Arne Friedrich.
Auf den grandiosen Viertelfinal-Triumph folgte das ernüchternde 0:1 im Halbfinale gegen Spanien, das uns nun wieder zur Realität zurückfinden ließ. Die Löw-Elf blieb, bis auf eine Schussmöglichkeit für Toni Kroos, praktisch ohne Torchance und zeigte sich bei der Unterbindung des spanischen Kombinationsspiels überfordert. Umso bitterer, dass der entscheidende Treffer letztlich in Folge einer Standard-Situation fiel.
Wieder mal war es der deutschen Nationalmannschaft trotz mitunter berauschender Auftritte nicht gelungen, einen Titel einzufahren. Wieder einmal konnte man sich aber im abschließenden Spiel um Platz 3 zu einer starken Leistung aufraffen. Im kleinen Finale schlug man Uruguay mit 3:2 und belegte wie auch bei der WM im eigenen Land den 3. Platz.
Die Ernüchterung war dennoch groß. So sehr man die Fans auch mit den eigenen Darbietungen erfreut hatte, so tief saß doch der Stachel der Enttäuschung ob des vorzeitigen Scheiterns. Denn wenn man stets so nah dran ist, will man auch irgendwann einen Pokal in den Händen halten. Die nächste Chance dafür ergibt sich nun in zwei Jahren bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. Denn wir dürfen getrost von einer deutschen Teilnahme ausgehen. Aus den ersten vier Spielen der Qualifikation holte man die maximal möglichen 12 Punkte und präsentierte sich dabei (wie insbesondere beim 3:0 gegen die Türkei) in gewohnter starker Verfassung. Mit Jogi Löw als Spiritus Rector, der seinen Vertrag nun doch bis zum Jahre 2012 verlängert hat, darf man voller Optimismus in die Zukunft schauen.
Unser Überflieger des Jahres: Thomas Müller.
Aufrufe: 4392 | Kommentare: 16 | Bewertungen: 14 | Erstellt:30.12.2010
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KOMMENTARE
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30.12.2010 | 13:17 Uhr
-2
wenn man noch überlegt, was dem Jogi (auch von mir) alles an den Kopf geworfen wurde, als er sehr süddeutsch nominierte....
Sein Auftreten mag ich bis heute nicht, sportlich hat er mich schön lange überzeugt.
Und das ist ja auch wichtiger.
1
30.12.2010 | 13:00 Uhr
0
1HSV1 :
Die deutsche Nationalmannschaft hat einfach nur Spaß gemacht. Dank ihr gab's immer gute Stimmung auf den Fanmeilen, war einfach eine geile Zeit! Schade, das man im Halbfinale ausschied...
Schön zusammengefasst und top geschrieben...10 Punkte!
1
30.12.2010 | 12:59 Uhr
0
xxlhonk :
Ich mag deine Blogs.Sie sin ein wenig Vorbild für uns alle, sind sie doch fehlerfrei.
Inhaltlich und auch sonst.
Das einzige was ich an ihnen nicht mag:
ich weiss langsam nicht mehr, was ich da noch kommentieren soll..!?!
also sag ich es in Kurzform:
Stark!
Ein würdiger Blog für die Mannschaft des Jahres!
@kimosch
Sag mal Bescheid, wie das Spiel ausgegangen ist.
Ode guckst Du das 86er Finale??
Dann nicht...
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ansonsten wie gewohnt 10 er für eine Blog
der nix offen lässt !!!