08.07.2010 um 15:04 Uhr
Geschrieben von AndreasRenner
Ein Sandkorn namens Fernando
Bis gestern hatte mich die spanische Mannschaft bei dieser Weltmeisterschaft enttäuscht. Nicht, weil sie in ihrem ersten Spiel gegen die Schweiz verloren hatte. Auch nicht, weil sie sich mit Minimalerfolgen bis ins Finale gekämpft hat. Nein, vielmehr hatte man den Eindruck, als wäre in den hochgetunten Offensivmotor der Spanier ein Sandkorn geraten und die Mannschaft habe das Niveau vom EM-Sieg vor zwei Jahren nicht halten können.
Seit gestern verstärkt sich bei mir der Eindruck, dass dieses Sandkorn mit Vornamen Fernando und mit Nachnamen Torres heißt. Dabei geht es nicht mal so sehr darum, dass Torres nach seiner jüngsten Verletzung noch weit weg ist von der Form, die ihn zu einem der besten Stürmer der Welt gemacht hat. Ich denke eher, dass es ein Fehler von Vicente Del Bosque war, unbedingt mit Torres und Villa gemeinsam spielen zu wollen. Gestern hat er nun Torres draußen gelassen und dafür mit Pedro einen der offensiv vielseitig verwendbaren Mittelfeldspieler gebracht, die Spanien wie am Fließband produziert.
Damit hatten die Spanier eine Anspielstation weniger in vorderster Front und eine mehr in der Reihe dahinter. Und dieser Schachzug verhalf ihnen dazu, das Mittelfeld gegen Deutschland zu beherrschen. Zwar spielten beide Teams nominell im 4-2-3-1, wodurch sich im zentralen Mittelfeld eine 3 gegen 3-Pattsituation ergibt. Nur dass die Spanier Busquets für den direkten Kampf mit Özil praktisch offensiv opferten und das Duo Xabi Alonso/Xavi immer wieder im Wechsel von Pedro und/oder Iniesta unterstützt wurde und damit de facto Überzahl gegen Schweinsteiger/Khedira hatte. Und prompt lief der Ball durch die spanischen Reihen und die deutschen Spieler hechelten hinterher.
Klar ist aber auch, dass die Spanier den Spieler, mit dem sie die Mitte überladen, irgendwo anders abziehen müssen. Meist tun sie das auf dem rechten Flügel, wodurch der bei diesem Turnier typische Linksdrall von Del Bosques Team kommt. Die rechte Seite gehört nämlich Sergio Ramos meist ganz alleine, offensiv wie defensiv. Wenn man nur auf das Endresultat seiner Offensivbemühungen schaut, dann spielt Ramos eine mäßige WM: Kaum brauchbare Flanken, wenig gewonnene Eins-gegen-Eins-Situationen. Bis man irgendwann darauf kommt, dass solche Aktionen von ihm offensichtlich gar nicht gefordert werden. Ramos Anwesenheit am rechten Flügel erfüllt nämlich vor allem einen Zweck: Er zieht die Abwehr in die Breite und schafft dort Raum, wo die Spanier eigentlich spielen wollen. In der Mitte nämlich. Und so bleibt es das vielleicht größte Offensivversäumnis der deutschen Mannschaft, dass sie aus der unterbesetzten rechten Seite der Spanier null Kapital schlug. Boateng, Schweinsteiger und Podolski im Dreieck hätten dort eigentlich schalten und walten sollen, wie es ihnen passte. Kleines Trostpflaster: Die Ramos-Lücke auf rechts hat bislang zumindest kein spanischer Gegner ausnutzen können.
Einer der Gründe dafür: Pressing. Für mich war genau das übrigens der zweite entscheidende Faktor in der spanischen Dominanz. Während sich Deutschland zurückzog, den Spaniern das Mittelfeld überließ und sich damit begnügte, vor dem eigenen Tor alles dicht zu machen (was übrigens meist hervorragend funktionierte), attackierten die Spanier nach Ballverlust sofort ihre Gegenspieler. Frei nach dem alten Motto: Der beste Moment, den Ball zurück zu erobern, ist direkt nach dem Ballverlust. Weil der Gegner möglicherweise noch damit zu kämpfen hat, den Ball zu kontrollieren, sich (vor allem in der Feldmitte) zwangsläufig noch viele eigene Spieler in Ballnähe befinden und der Gegner einen Moment braucht, um seine Offensivordnung zu finden.
Und so sah das dann aus: Der erste deutsche Spieler gewinnt den Ball, steht sofort unter Druck, spielt überhastet einen etwas unpräzisen Pass, den der Mitspieler gerade noch so bekommt, aber ebenfalls unter Druck noch einmal ungenau abspielt, tja und dann ist er wieder weg, der Ball. Dieses Offensivpressing praktizieren die Spanier hervorragend. Seit Jahren im Nationalteam und auch beim FC Barcelona, wo die meisten Offensiven eben herkommen. Und das wäre dann die Antwort auf die logische nächste Frage, die da lautet: Warum macht es unser Team nicht einfach genauso und presst, was das Zeug hält? So wie die Chilenen, die Spanien im letzten Gruppenspiel der Vorrunde gerade zu Spielbeginn fast in den Wahnsinn trieben mit ihrem aggressiven Pressing, so dass den Iberern phasenweise nur noch hilflose, lange Bälle nach vorne einfielen. Die Antwort ist einfach: Das kann die deutsche Mannschaft nicht, weil sie es nicht trainiert. Und nein, drei Tage vor einem WM-Halbfinale kann man einen derartigen Philosophiewechsel auch nicht mehr durchführen. Bis ein solches Offensivpressing richtig sitzt, muss man Monate üben, die man einfach nicht hat.
So kann man auch sicher davon ausgehen, dass die Niederländer am Sonntag dieses Stilmittel ebenfalls nicht einsetzen werden. Auch bei denen gehört es nicht zum Programm. Hier gilt, wie so häufig im Systemfußball: Jedes Team ist in einem gewissen Rahmen variabel. Aber eben nur darin. Ansonsten heißt es: Man überlebt mit seinem System, oder man geht damit unter.
Im spanischen System mit jetzt nur noch einer Spitze fiel ansonsten auf, dass Dauertorschütze Villa als einziger Stürmer kaum Torgefahr ausstrahlte. Für seine persönliche Trefferquote wäre es sicher besser gewesen, wenn "Blitzableiter" Torres in der Mitte geblieben, und Villa von links gekommen wäre, wie meist in diesem Turnier. Ohne Torres erfreute sich Villa der intensiven Betreuung der deutschen Innenverteidigung und im Strafraum entstand insgesamt nur ganz selten Gefahr. Das ist die Kehrseite der Überzahl im Mittelfeld. Aber damit sind wir bei einer der großen Fragen dieser WM, für die auch die Spanier keine Antwort gefunden haben: Wie bringe ich meinen zentralen Stürmer gegen einen defensiv ausgerichteten Gegner in torgefährliche Situationen? Eine vorläufige These lautet: Gar nicht. Mehr dazu nach der WM.
Bis bald,
Andreas
Seit gestern verstärkt sich bei mir der Eindruck, dass dieses Sandkorn mit Vornamen Fernando und mit Nachnamen Torres heißt. Dabei geht es nicht mal so sehr darum, dass Torres nach seiner jüngsten Verletzung noch weit weg ist von der Form, die ihn zu einem der besten Stürmer der Welt gemacht hat. Ich denke eher, dass es ein Fehler von Vicente Del Bosque war, unbedingt mit Torres und Villa gemeinsam spielen zu wollen. Gestern hat er nun Torres draußen gelassen und dafür mit Pedro einen der offensiv vielseitig verwendbaren Mittelfeldspieler gebracht, die Spanien wie am Fließband produziert.
Damit hatten die Spanier eine Anspielstation weniger in vorderster Front und eine mehr in der Reihe dahinter. Und dieser Schachzug verhalf ihnen dazu, das Mittelfeld gegen Deutschland zu beherrschen. Zwar spielten beide Teams nominell im 4-2-3-1, wodurch sich im zentralen Mittelfeld eine 3 gegen 3-Pattsituation ergibt. Nur dass die Spanier Busquets für den direkten Kampf mit Özil praktisch offensiv opferten und das Duo Xabi Alonso/Xavi immer wieder im Wechsel von Pedro und/oder Iniesta unterstützt wurde und damit de facto Überzahl gegen Schweinsteiger/Khedira hatte. Und prompt lief der Ball durch die spanischen Reihen und die deutschen Spieler hechelten hinterher.
Klar ist aber auch, dass die Spanier den Spieler, mit dem sie die Mitte überladen, irgendwo anders abziehen müssen. Meist tun sie das auf dem rechten Flügel, wodurch der bei diesem Turnier typische Linksdrall von Del Bosques Team kommt. Die rechte Seite gehört nämlich Sergio Ramos meist ganz alleine, offensiv wie defensiv. Wenn man nur auf das Endresultat seiner Offensivbemühungen schaut, dann spielt Ramos eine mäßige WM: Kaum brauchbare Flanken, wenig gewonnene Eins-gegen-Eins-Situationen. Bis man irgendwann darauf kommt, dass solche Aktionen von ihm offensichtlich gar nicht gefordert werden. Ramos Anwesenheit am rechten Flügel erfüllt nämlich vor allem einen Zweck: Er zieht die Abwehr in die Breite und schafft dort Raum, wo die Spanier eigentlich spielen wollen. In der Mitte nämlich. Und so bleibt es das vielleicht größte Offensivversäumnis der deutschen Mannschaft, dass sie aus der unterbesetzten rechten Seite der Spanier null Kapital schlug. Boateng, Schweinsteiger und Podolski im Dreieck hätten dort eigentlich schalten und walten sollen, wie es ihnen passte. Kleines Trostpflaster: Die Ramos-Lücke auf rechts hat bislang zumindest kein spanischer Gegner ausnutzen können.
Einer der Gründe dafür: Pressing. Für mich war genau das übrigens der zweite entscheidende Faktor in der spanischen Dominanz. Während sich Deutschland zurückzog, den Spaniern das Mittelfeld überließ und sich damit begnügte, vor dem eigenen Tor alles dicht zu machen (was übrigens meist hervorragend funktionierte), attackierten die Spanier nach Ballverlust sofort ihre Gegenspieler. Frei nach dem alten Motto: Der beste Moment, den Ball zurück zu erobern, ist direkt nach dem Ballverlust. Weil der Gegner möglicherweise noch damit zu kämpfen hat, den Ball zu kontrollieren, sich (vor allem in der Feldmitte) zwangsläufig noch viele eigene Spieler in Ballnähe befinden und der Gegner einen Moment braucht, um seine Offensivordnung zu finden.
Und so sah das dann aus: Der erste deutsche Spieler gewinnt den Ball, steht sofort unter Druck, spielt überhastet einen etwas unpräzisen Pass, den der Mitspieler gerade noch so bekommt, aber ebenfalls unter Druck noch einmal ungenau abspielt, tja und dann ist er wieder weg, der Ball. Dieses Offensivpressing praktizieren die Spanier hervorragend. Seit Jahren im Nationalteam und auch beim FC Barcelona, wo die meisten Offensiven eben herkommen. Und das wäre dann die Antwort auf die logische nächste Frage, die da lautet: Warum macht es unser Team nicht einfach genauso und presst, was das Zeug hält? So wie die Chilenen, die Spanien im letzten Gruppenspiel der Vorrunde gerade zu Spielbeginn fast in den Wahnsinn trieben mit ihrem aggressiven Pressing, so dass den Iberern phasenweise nur noch hilflose, lange Bälle nach vorne einfielen. Die Antwort ist einfach: Das kann die deutsche Mannschaft nicht, weil sie es nicht trainiert. Und nein, drei Tage vor einem WM-Halbfinale kann man einen derartigen Philosophiewechsel auch nicht mehr durchführen. Bis ein solches Offensivpressing richtig sitzt, muss man Monate üben, die man einfach nicht hat.
So kann man auch sicher davon ausgehen, dass die Niederländer am Sonntag dieses Stilmittel ebenfalls nicht einsetzen werden. Auch bei denen gehört es nicht zum Programm. Hier gilt, wie so häufig im Systemfußball: Jedes Team ist in einem gewissen Rahmen variabel. Aber eben nur darin. Ansonsten heißt es: Man überlebt mit seinem System, oder man geht damit unter.
Im spanischen System mit jetzt nur noch einer Spitze fiel ansonsten auf, dass Dauertorschütze Villa als einziger Stürmer kaum Torgefahr ausstrahlte. Für seine persönliche Trefferquote wäre es sicher besser gewesen, wenn "Blitzableiter" Torres in der Mitte geblieben, und Villa von links gekommen wäre, wie meist in diesem Turnier. Ohne Torres erfreute sich Villa der intensiven Betreuung der deutschen Innenverteidigung und im Strafraum entstand insgesamt nur ganz selten Gefahr. Das ist die Kehrseite der Überzahl im Mittelfeld. Aber damit sind wir bei einer der großen Fragen dieser WM, für die auch die Spanier keine Antwort gefunden haben: Wie bringe ich meinen zentralen Stürmer gegen einen defensiv ausgerichteten Gegner in torgefährliche Situationen? Eine vorläufige These lautet: Gar nicht. Mehr dazu nach der WM.
Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 11736 | Kommentare: 34 | Bewertungen: 34 | Erstellt:08.07.2010
ø 8.0
KOMMENTARE
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08.07.2010 | 15:23 Uhr
-1
riesery :
Rundum gelungene Analyse bei der es nicht viel hinzuzufügen gibt.Auch ich bin der Meinung dass die Tatsache dass Del Bosque einen nicht fitten Torres übers ganze Turnier mitgeschleppt hat der Grund war für das bisher unspektakuläre Auftreten der Spanier.Torres war wie ein Fremdkörper im spanischen Spiel sobald er an den Ball kam war es vorbei mit dem Spielfluss.
Ärgerlich dass Del Bosque das ausgerechnet pünktlich zum Deutschland Spiel erkannt hat so hatte Deutschland plötzlich wieder das Spanien als Gegener das die letzten 2 Jahre im Weltfußball dominiert hat und nicht mehr dieses Spanien das bei der WM bisher aufgetreten ist und unterschätzt wurde von einigen.
Und dieses Spanien aus den letzten 2 Jahren ist mit ihren Automatismen im Spiel einfach die beste Mannschaft der Welt gegen die ein Deutschland in der Entwicklung an diesem Tage einfach ein wenig Lehrgeld bezahlt hat.
10 P für den Blog.
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08.07.2010 | 15:10 Uhr
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xxlhonk :
Wieder einmal supergut analysiert.Auf den Punkt.
Und sehr anschaulich.
Hier wird das Ganze gerade aus deutscher Sicht bebloogt und umfänglichst kommentiert. .
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Ich finde es nur schade um ihn, da ein Bild enstand und von vielen Ahnungslosen vermittelt wurde, was so überhaupt nicht der Realität entspricht. Genau wie bei einem Rooney oder Ronaldo, wobei die vorher nicht so lang verletzt waren.
Fakt ist: Ihnen wurde häufig Unrecht getan
Spanien war vorne wie hinten fast immer ein Mann mehr. Verschoben überragend und waren ständig in Bewegung
Gerade in der ersten Hälfte war das mordsgefährlich und weltklasse!
------------Xabi----Busqutes-------
------------------Xavi-------------------
--<<<-Pedro-->>--<<-Iniesta-->>
Ständige Positionswechsel zwischen, Pedro und Iniesta. Dazu wechselten sich auch Xabi Alonso und Xavi immer wieder ab und besetzten die Räume
Es war einfach überragend, in welcher Art und weise sie das gemacht haben.
Nach Ballverlust waren immer genügend Spieler hinter dem Ball und sorgten für klare numerische Überlegenheit
Man muss da einfach anerkennen, dass es bis zu so einem Fußball noch ein weiter Weg ist und sich einiges entwickeln muss.
Auf der anderen Seite muss man sagen:
Spanien hat eine Ausnahmestellung auf der Welt. So stark spielt kein anderes Team.