Augenblicke XXIV
Eine Monotone Reise durch London
Ein Blick auf die Uhr. Die Uhr lügt nicht, es war inzwischen schon 23.00 Uhr nach Londoner Zeit und wahrscheinlich war ich einer der letzten, die das Innere der riesigen Schüssel verließen. Etwas Fantastisches ist hier vorher passiert - aber dazu später mehr. Ich macht mich also mit meinem Bruder auf den Weg Richtung Tube Station Wembley Park. Es dauerte, es dauerte sogar eine ganze Weile. Es ging vorbei an jubelnden und weinenden Fans. Die englischen Polizisten wiesen mir freundlich den Weg und zwar den Weg raus aus dem Gedränge. Über den Schleichweg ging es wesentlich schneller zur Tube Station. Dort begab ich mich mit dem Lift mal wieder wie so oft an diesem Tage in den Untergrund. Dort wo es kein Sonnenstrahl hin schafft. Dort wo es tagtäglich Millionen von Menschen wie ein Magnet hinzieht. Wir hatten Glück, wir schafften es gleich in den ersten Zug. Jeder, der ein Großereignis schon mal mit der U-Bahn besuchte, weiß, wovon ich rede. Und wieder ein Blick auf die Uhr. Es war jetzt inzwischen schon 23.30 Uhr. Warum ich das immer wieder erwähne? Meinem Naturell entsprechend war mein Tag in London straff durchorganisiert und ich wollte den letzten Zug an der London Bridge Station um 0:20 erreichen. Der Zug, der uns dann Richtung Flughafen bringt. Eine quieckende kaum wahrnehmbare Stimme ertönte. Irgendwas in einem ganz eigenen Londoner Slang erzählte sie von: Bitte zurücktreten, die Türen schließen.
Ich dachte schön, dann kann es ja endlich losegehen. Es war warm, ach was, es war heiß in der Tube. Körper rieben sich aneinander, ohne dass dies die jeweiligen Personen wollten. Ich hatte teilweise Körperteile in meinem Gesicht, auf die ich lieber nicht näher eingehen möchte. Es roch nach Schweiß, jener ganz besondere Duft unserer Hautporen. Körper nahmen Positionen ein, wo ich mir dachte, ist das jetzt das neue Tube Kamasutra? Stimmengewirr überall. Teils Freude, Emotionen und Gesang aber auch sich in den armen liegende und tröstenden Menschen. Dann setzte sich das Ungetüm aus Stahl in Bewegung und man war völlig ausgeliefert. Ausgeliefert war man auch ihrer Monotonie. Immer wieder dieselben Geräusche. Klack Klack Klack Klack. Sie ruckelte und wackelte immer schön im selben Takt.
Und hier begann meine Monotone Reise
Wembley Park
Eben jene Monotonie und der sinkende Adrenalinspiegel nach dem Spiel ließen trotz eines enormen Geräuschpegels meine Augenlider rasch schwerer werden. Hinzu kam, dass ich inzwischen schon bei 24 Stunden meines London Trips angelangt war. Ich fiel in Art REM-Schlaf. Meine Synapsen explodierten förmlich. Gedanken schossen durch meinen Kopf die ich nicht wahrhaben wollte. Anstoß im Wembley Stadion und schon kurze Zeit drauf gehen die Dortmunder durch Großkreutz in Führung. Ich wirkte paralysiert und dachte "Herr lass das nicht wahr sein, nicht schon wieder".
Neasden
Hier konnte ich kurz diesem Gedankenchaos entrinnen. Quietschende Bremsen und erneut drängelnde Menschenmassen, die sich in die Bahn drängten und Platz suchten, wo gar keiner ist, waren der Grund hierfür. Die Reise ging kurz darauf weiter, aber auch diese Gedanken, die ich nicht wollte, kamen wieder. Der BVB spielte super. Sollte Klopp doch Recht behalten und die Bayern auf ihr Niveau ziehen um eine Chance zu haben? Nein! Nein! Nein!. Das darf nicht sein, so schoss es durch meine Nervenbahnen.
Dollis Hill
Der nächste Interruptus. Grund mal wieder derselbe. Menschen gehen - Menschen kommen. Weiter ging diese monotone Fahrt. Monoton hingegen waren meine Gedanken nach wie vor nicht. Insgeheim wollte ich ja nun auch wissen, wie das weiterging, denn nichts ist unbefriedigender als ein abgebrochener Traum. Der Traum kam wieder und mit ihm auch die Gedanken, die ich nicht haben wollte. Es war immer dasselbe, der BVB drückte auf unser Tor. Meine Bayern fanden noch kein Gegenmittel, gegen dieses extreme Pressing. Das können sie nicht durchhalten, sagte ich mir immer wieder, nein das schaffen sie nicht.
Willesden Green
Och Nöööö, nicht schon wieder Pause wegen einer so unbedeutenden Station. Gerade als Lewandowski auf unser Tor schoss. War er drin? Oder konnte Neuer parieren? Mir wurde immer wärmer und als mich die Monotonie der Gleisgeräusche wieder einholte war ich auch schon wieder mittendrin im Traum, den ich eigentlich nicht wollte. Puuhh Glück gehabt, Neuer hat gehalten und ich war froh, dass er von Beginn an auf Betriebstemperatur war.
Kilburn
Diese Station nahm ich nur irgendwie verschwommen war.
West Hampstead
Leicht verschwitzt aufgewacht, besser gesagt mein Bruder hat mich geweckt und fragte, warum ich schlafe. Ich schaute ihn nichtssagend an, denn gerade hat Lewandowski das 2:0 für die Schwarzgelben gemacht. Ausgerechnet jener Lewandowski, der zum FC Bayern wechseln will. Scheiß Kerl dachte ich. Bleib wo der Pfeffer wächst. Gleichzeitig aber auch Respekt für einen Top Spieler.
Finchley Road
Die Tube wurde und wurde einfach nicht leerer. Die kurze Sauerstoffzufuhr an den Bahnhöfen ist nicht wirklich eine Erlösung. Sobald sich die Türen wieder schließen derselbe Mief wie seit Beginn der Fahrt. Und genau mit den gleichen schlechten Gedanken ging es weiter. Inzwischen bekam der FC Bayern zwar etwas Zugriff auf das Spiel aber was Zwingendes, außer ein paar Chancen, sprang nicht heraus.
Swiss Cottage
Ja Wahnsinn, kurzes Durchatmen, die Bahn leerte sich etwas. Ich hatte für kurze Zeit die Gelegenheit, mich zu bewegen. Ich schaute in die Gesichter der mitfahrenden Menschen. Auch hier hat sich nichts geändert. Freude auf der einen Seite, Enttäuschung auf der anderen Seite.
St. Johns Wood
Endlich Halbzeit, nicht nur streckentechnisch, nein auch in meinem ganz eigenen Film und nach wie vor liegen wir 0:2 zurück und irgendwie hatte ich keinerlei Hoffnung, dass sich daran was ändern sollte. Hälfte. Und die Bahn und meine Gedanken fuhren unbeirrt weiter. Weiter mit der Monotonie, die ich schon seit gut 15 Minuten ertragen musste.
Baker Street
Ein Knotenpunkt auf meiner Reise. Hier hätte ich die Chance gehabt, die Bahn zu wechseln und meinen Traum vielleicht in die richtige Bahn zu lenken oder besser gesagt den schrecklichen Trip, auf dem ich mich befand, selber zu beenden, aber ich setzte die Reise fort in der Hoffnung, dass sich der Traum noch zu etwas positiven umwandelt.
Bond Street
Nach wie vor hat sich an der Monotonie meiner Reise nichts geändert, auch an der Bond Street galt, Leute raus - Leute rein und Leute die von außen drückten, damit die anderen drinnen bleiben bis die Tür zu ist. Irgendwie schaffte ich nicht den Schalter in meinem Gehirn umzulegen
Green Park
Endlich es war soweit, Müller schafft den Anschluss. Das virtuelle Stadion in meinem Kopf bebte. Es war noch etwas Zeit, um die Wende zu schaffen. Ich sagte mir immer wieder das wird noch. Ein drittes Finale verlieren wir nicht, nicht mein FC Bayern. Herzrasen, kalter Schweiß an den Händen
Westminster
An diese Station erinnere ich mich nur schemenhaft. Vielleicht auch gut so. Der nächste Rückschlag ließ nicht lange auf sich warten. Hummels der Ex-Bayer versetzte uns nach einer Ecke, was auch sonst, den Todesstoß. Trauer, Wut, völlige Apathie machten sich breit. Gedanklich schaute ich ins Leere. Es zupfte jemand an mir. Ich wollte das aber nicht, ich wollte allein sein, meine Ruhe haben, gedanklich versuchen abzuschalten und mit meiner Trauer einfach alleine sein. Nicht schon wieder ein Finale verlieren und ausgerechnet gegen den BVB. Es zupfte weiter, intensiver und mit bestimmender Stimme.
Waterloo
Inzwischen eine Station weiter hörte ich: Marco, werde wach, wir müssen gleich raus. Wie? Was? Raus? Wo den raus? Hallo, werde doch mal wach. Ich bin wach ich döse nur, schrie ich ihn an. Die Gesichter um uns herum schauten verschreckt weg. Jetzt war mir erst mal bewusst, was hier ablief. Auch wenn wir inzwischen an der Waterloo Station angelangt sind, erlebten wir nicht selbiges. Was war los, fragte mein Bruder, warum schaust du so traurig, freu dich wir sind EUROPAPOKALSIEGER. Hallo Alter, wir sind EURPOAPOKALSIEGER die Champions, wir haben den BVB mal so richtig abgefiedelt.
Southwark
Jetzt fiel der Groschen. Grinsen machte sich breit. Mit einem Taschentuch wischte ich mir die Schweißperlen von der Stirn. Vereinzelte Gesänge, EUROPAPOKAL EUROPAPOKAL EUROPAPOKAL, drangen durch die unterirdische Röhre, durch die die monotone Fahrt nach wie vor bestand hatte.
London Bridge
Dann endlich, Endstation und inzwischen war ich auch richtig wach aber nach wie vor geflasht vom Erlebten. Die Gedanken, die ich während der 30-minütigen eintönigen Fahrt hatte, waren verflogen. Die Erinnerungen an das real Erlebte kehrten zurück. Die Synapsen tanzen im Freudentaumel und ich wollte jetzt nur noch eins. Rein in den Zug der uns zum Flughafen bringen würde. Wir verließen den Ort der Tristesse und Monotonie und stiegen empor wie Lemminge.
Puuuh, auf dem Bahnsteig erst mal Ernüchterung, der Zug war rappelvoll, keine Chance mehr reinzukommen und es war 0:20 Uhr und die Uhr lügt nicht. Die Stimmung war fürs erste wieder im Eimer. Laut meines Planes den ich als gut organisierter Bürger zu Hause ausdruckte, war dies der letzte Zug für lange Zeit. Ein freundlicher Stewart erklärte uns aber mit einem Lächeln im Gesicht, dass 0:40 Uhr noch ein allerletzter Zug kam. Ich hätte ihn umarmen können vor Freude.
Die Eröffnungsfeier im Wembley Stadion
Auf der Fahrt nach Gatwick, ließ ich das heute erlebte Revue passieren. Den Flug, die Fahrt mit der Tube, das Stadion. Dieses absolut geile Fußball-Spiel, welches endlich wieder mal Werbung für diesen Sport war. Die Stimmung, die friedlichen Fans. Natürlich war ich total erleichtert, dass wir diesen verdammten Henkelpott endlich wieder nach München holen konnten. Es war ein Spiel auf Messers Schneide. Am Ende waren wir das eine Tor besser. Es war sicher ein glücklicher aber nicht unverdienter Sieg. Natürlich die Krönung des Spieles, dass ausgerechnet Arjen das Siegtor schoss. Was musste der Kerl in den letzten Jahren alles über sich ergehen lassen. Er hat nie aufgesteckt, hat sich immer fair verhalten und war an diesem Abend der Held, ein Szenario, welches er sichtlich genossen hat.
Die Stimmung war einfach Klasse.
Am Ende des Abends kamen wir in Gatwick an. Sahen fröhliche und traurige Fans. Egal eines kann diesen Fans keiner nehmen. Den Augenblick, die Erinnerung dabei gewesen zu sein. Ich versuchte etwas zu schlafen, ich war müde, es war ein anstrengender Tag. Ich murmelte so vor mich hin: Danke FCB für den Erfolg und euren unbändigen Willen aber auch Danke BVB ohne euch wäre ich wohl nicht in London gewesen.
ø 9.1
KOMMENTARE
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29.05.2013 | 20:51 Uhr
0
ausLE :
ich dachte DU bist Sicherheit und Presse in einer Person 2
29.05.2013 | 20:32 Uhr
-1
Schnumbi :
@ ausLe: okay die security und presse und und und waren auch noch da das licht habe ich nicht aus gemacht
3
29.05.2013 | 20:28 Uhr
0
ausLE :
Was soll ich sagen schnum.Bin da ganz bei Voegi und lasse ein paar beineidete Punkte hier
Aber das Bild, Du als Letzter in Wembley, hätte ich gerne gesehen
2
29.05.2013 | 19:49 Uhr
-1
Schnumbi :
Mein Augenblick beschäftigt sich heute, wie könnte es anders sein mit dem finale in london.aber irgendwie anders. hoffe ihr habt spaß beim lesen
2
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