14.09.2010 um 18:41 Uhr
Geschrieben von Josh9
Eine Stadt im Wandel der Zeit
Graue Nebelschleier legten sich, an diesem frühen Morgen eines kalten Winters, über die karge Landschaft, die den historischen Umbruch mitten in Berlin beispiellos veranschaulichte. Ein Freund von mir und ich stiegen am Gleisdreieck aus der U-Bahn und schlugen einen staubigen Pfad in Richtung Grenzgebiet ein.
Nach einigen Metern konnten wir schon die bunte, hohe und wahrlich steinharte Mauer erkennen, die fast 30 Jahre lang unsere Stadt und ein Land teilte. Als wir näher kamen erkannten wir die Spuren der Ereignisse aus den letzten Wochen und Monaten mehr als deutlich. Löcher von tausenden Meisseln und Vorschlaghämmer säumten den Granit. Herausgebrochene meterbreite Stücke, die einem nicht mehr die Sicht auf das, was dahinterlag, verhindern konnten und den Menschen auf der anderen Seite nicht mehr ihrer Freiheit beraubten.
Den größten Durchbruch durschritten wir zügig. Absperrgitter leiteten uns den Weg durch dieses Nichts(heute Potsdamer Platz), das lange genug Schauplatz von menschlichem Verbrechen war.
Schemenhafte, dunkelgrüne und trostlose Gestalten am Wegesrand blieb nichts anderes übrig als uns beim Übergang zu beobachten.
An einem provisorisch errichteten Häuschen kam einer von denen auf uns zu. Mit der üblichen unfreundlichen Art und dieser nasalen Befehlsstimme sprach er uns an. "Wo wollt ihr Piepels denn so früh überhaupt hin?"
In seiner Stimme und seinem Auftreten schwang Hilflosigkeit und Ungewissheit mit. Von einem Tag auf den anderen ist das marode Kartenhaus DDR zusammengefallen und selbst Jugendliche latschen nun ungehindert durch seinen ehemaligen Autoritätsbereich.
Mit überschäumenden Euphorie, endlich den anderen Stadtteil erkunden zu können ohne Volljährigkeit, Tauschzwang oder Visa, antworteten
wir deutlich: "Wir wollen zu Union".
Dieser Verein, den wir nur aus unseren Liedern kannten und mit denen wir vor einigen Wochen noch zusammen in unserem Stadion die Einheit feierten, den wollten wir jetzt mal in seinem zu Hause besuchen.
Dass, gerade gegenüber eines VoPos, diese Antwort genau die Falsche gewesen war, bemerkten wir in unserer jugendlichen Unbekümmertheit erst gar nicht. Wahrscheinlich hätte er uns am liebsten aufgehalten, für einen Tag in den Knast gesteckt oder gleich nach Hohenschönhausen gefahren, doch für ihn blieb nur noch Ressignation übrig.
Also gingen wir einfach locker weiter und suchten die nächste Straßenbahn auf, die uns irgendwie zum Alexanderplatz bringt und von dort aus nach Köpenick zum Stadion an der alten Försterei, in der der 1.FC Union an diesem Tage ein Heimspiel austragen sollte.
In der Straßenbahn hing an der Seite eine ganze Rolle mit Fahrtickets in einem Blechkasten mit der Aufschrift: 20Pf. Die konnte man da reinwerfen oder auch nicht. Einen Fahrschein abreissen oder die ganze Rolle mitnehmen, das blieb dir selbst überlassen.
Da würde man sich halt die Frage stellen müssen, wozu brauch ich eigentlich die Rolle. Eigentlich eine sehr soziale Sache den öffentlichen Nahverkehr für die Bevölkerung gratis bereitzustellen oder sagen wir auf Spenden basierend, doch wohin es am Ende geführt hatte, konnte man beim blossen Blick aus dem Fenster ersehen.
Nach einer guten Fahrtzeit kamen wir endlich am S-Bahnhof Köpenick an und mischten uns auf dem Weg zum Stadion unter die Leute. Man begrüsste uns äusserst freundlich und viele Unioner freuten sich, dass jetzt auch oft blau-weiss die Tribünen der alten Försterei säumten.
Die alten Steintribünen sehnten sich zwar nach Erneuerung wie so vieles in Berlin, jedoch gefiel uns der Charme dieses kleinen Fussballstadions sehr. Zusammen feierten wir einen erkämpften Heimsieg von Union und verbrachten den restlichen Tag in Ost-Berlin mit einem Unioner, den wir einige Wochen zuvor beim Hallenturnier vor der Seelenbinder-Halle kennenlernten.
Karten dafür gab es nur noch auf dem Schwarzmarkt und als wir unsere extra eingetauschte Pappkohle rauholten sagte der doch zu uns: "Kannste stecken lassen, hier zählen nur Bunte"
Der Spruch brachte uns, trotz der ausweglosen Lage, zum lachen denn Union und Hertha spielten dort drinnen und wir mussten unbedingt dabei sein. Die hatten ihr Währungssystem auch sichtlich schneller angepasst.
Wir waren ihm sympathisch und so liess er uns am Seiteneingang rein um an diesem denkwürdigen Hallenturnier teilzuhaben.
Im Finale besiegte Union den verhassten Stasi-Club BFC Dynamo in einer wahrlich aufgeheizten Atmosphäre und zu unserer Freude kamen wir der lebendigen Fussballkultur aus dem Ostteil der Stadt immer näher.
Seit dieser Zeit trennten sich die Wege von Union und Hertha immer mehr.
Während Union genau wie Hertha immer wieder mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatte, etablierte sich die Hertha im Jahre 1997 im deutschen Fussballoberhaus und Union entging gleichzeitig nur knapp dem finanziellen Konkurs.
Die Ungleichheit der Vorraussetzungen in den ehemalig getrennten Stadtteilen stellt doch immer wieder die einstige Freundschaft vor eine ernste Zerreissprobe.
Und wenn wir mal ehrlich sind, so kann man nach den versprochenen blühenden Landschaften, 20 Jahre danach, noch lange suchen wenn man sich einige Regionen mal genauer anschaut.
Am Freitag trifft man zum ersten mal in einem Punktspiel aufeinander und für mich wird es eine Rückkehr zur alten Försterei nach langer Zeit sein.
Auch wenn aus der Freundschaft eine gesunde Rivalität entwächst, so wünsche ich mir doch, dass man nie vergisst wo wir eigentlich herkommen. Dass wir zusammen die bedeutende Geschichte dieser aufregenden Stadt lebten und uns dabei nicht mal Mauer und Stacheldraht aufhalten konnte.
Aufrufe: 4553 | Kommentare: 37 | Bewertungen: 37 | Erstellt:14.09.2010
ø 9.5
KOMMENTARE
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17.09.2010 | 00:24 Uhr
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fcbm007 :
jep josh, hammer Blog haste da rausgehauen... bleibt nur noch eins zu sagen: Hut ab ! und das zweite, wären 10 Punkte...
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16.09.2010 | 23:41 Uhr
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10 Points.
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16.09.2010 | 22:54 Uhr
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Josh9 :
@Aliaks: äh ja, sag ich doch "fast" 40 Jahre. ;))ne stimmt, du hast recht. kleiner Fehler drinne. DDR war 40
korrigiere ich mal. danke
@Römer: wir sind ab alex mit der S-Bahn. aber frag jetzt nicht nach Details,das ist 20 Jahre her. ;)
puh, ich bin grad schon heiss wie Frittenfett auf das Spiel morgen
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16.09.2010 | 18:32 Uhr
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Römer :
Ich finde deinen Blog ganz nett geschrieben. Aber warum seid ihr denn mit der Straßenbahn bis Köpenick gefahren? Wie meinst du den Absatz: "Und wenn wir mal ehrlich sind, so kann man nach den versprochenen blühenden Landschaften, 20 Jahre danach, noch lange suchen wenn man sich einige Regionen mal genauer anschaut."?
Schade das von der Fanfreundschaft zw. Union und Hertha nicht mehr viel übrig ist. Und schade das gerade die die die Zeit die Du im Blog beschrieben nicht einmal miterlebt haben den größten Hass auf den jeweils anderen Club haben.
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16.09.2010 | 16:35 Uhr
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16.09.2010 | 15:57 Uhr
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werwer :
@OstkurveHBSCbin ich ganz deiner meinung, habe selber 80 euro für die karten hinblättern müssen
besonders dreist wird es ja wenn man bedenkt, das von unioner seite nur mitglieder und dauerkarteninhaber die chance hatten karten zu kaufen
und diese "Fans" haben sie dann für horrende preise ins internet gestellt
traurig...
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16.09.2010 | 15:12 Uhr
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Amiro92 :
manoman ist der blog GEIL!!!
bin leider erst 92 geboren und konnte mri nur von meinen eltern geschichten anhören.... sehe auch immerwieder reportagen etc.
einfach unglaublich! also für mich hat dieses derby einfach mal viel viel mehr bedeutung und ausstrahlung als schalke und dortmund oder auch st pauli hsv...
ich meine es ist das hauptstadtderby.... west-ostderby....... blau-weiß gegen rotweiß derby nenn es wie du willst!!! es ist einfach nur geil!
10 punkte von mir
lg aus berlin-kreuzberg ^^
und morgen ist es endlich so weit
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ne ne ne.
das wird nen 1:3 für die Alte Dame.
u.n.v.s.u. :P