Wenn der VfL Wolfsburg kein Fußballwunder gestaltet, wird der FC Bayern 2015 zum dritten Mal in Folge deutscher Meister. Das ist in der an Erfolgen nicht armen 115 Jahre alten Geschichte des Clubs erst drei Mal gelungen, das letzte Mal vor fast 15 Jahren. Der emotionale Schlusspunkt in Hamburg 2001 verdeckte dabei übrigens, dass die Mannschaft in der dritten Meistersaison durch die Bundesliga irrlichterte und grauenhafte Darbietungen in Dauerschleife anbot. Köln, Cottbus oder Unterhaching feiern sich nur deshalb nicht als Weltpokalsiegerbesieger, weil sie rund ein Jahr zu früh dran waren. Im Unterschied dazu kreuzt der FC Bayern in dieser Saison souverän und weitgehend künstlerisch wertvoll zum Meisterschaftstriple.
Kann jeder
Diesen Erfolg als unausweichlich und selbstverständlich kleinzureden, verbietet sich - vom biblischen Verletzungspech abgesehen - schon mit Blick auf den letzten Sommer. In den letzten vierzig Jahren ist der FC Bayern nur drei Mal im Jahr nach einer WM deutscher Meister geworden. Eine mit 2014/2015 nur annähernd vergleichbare "Sättigung" mit Vereinstiteln in den vorhergehenden Jahren gab es nur 1987, in dem ebenfalls die dritte Meisterschaft ensuite in einem post-WM-Jahr gefeiert wurde. Auch wenn Porto und Dortmund in den Pokalwettbewerben Endstation sein sollten, wird der Rekordmeister eine historisch erfolgreiche Saison gespielt haben.
Mit dem Trainer hat das - natürlich - nichts zu tun. Es ist ein beliebtes Narrativ, dass jeder Drittelschimpanse dank der stets der Konkurrenz überlegenen Qualität des Kaders des FC Bayern den Meistertitel holen würde. Das ist nachweislich Unfug. Louis van Gaal hatte 2011 den besten Kader der Bundesliga zur Verfügung genau wie Otto Rehagel 1996, Jupp Heynckes 2012 oder Giovanni Trapattoni 1998, um mal eine willkürliche Auswahl von roten Nichtmeistermannschaften und mehr als mediokren Trainern der letzten 20 Jahre zu benennen. Wenn jemals ein Trainer eine (attraktive) Handschrift mit maximal möglicher taktischer Flexibilität und Erfolg verbunden hat, dann ist das Pep Guardiola. Der ist kein Messias und gewiss kein Heiliger, er hat aber die Meisterschale auch nicht im Rabattpaket mit Flügen nach Qatar nachgeworfen bekommen.
Den auf der Felge absolvierten, zugegeben mit peinlichen Momenten garnierten Auftritt von Porto zum Weltuntergangsszenario zu stilisieren, ist weit überzogen. Bei allen individuellen Fehlern hatte Porto eine Chance aus dem Spiel heraus kreiert, wie der Tulpengeneral sagen würde. Eine große Leistung war das nicht, der Gipfel des Niedergangs einer epochalen Mannschaft genauso wenig. Robbery sind nicht zu ersetzen, Alonso ist nicht "pressingresistent" und Dante immer für einen Bock gut. Nichts davon ist neu, es trat nur kumuliert in einem Spiel auf. Legt Euch wieder hin, einen Untergang gibt es hier nicht zu sehen.
Mullbinde
Zur (zum Teil von Fans des Vereins verstärkten) Schnappatmung führte dieser Tage aber nicht die zur Blamage stilisierte Niederlage von Porto, sondern der Rücktritt der einzigen bayerischen Vereinsikone mit Doktortitel. Und natürlich deren Kommunikation. Die Frage, warum Müller-Wohlfahrt den Doktorhut nahm, ob Rummenigge oder Guardiola den besten Sportarzt des Universums zur Portokasse bat, war nur der Humus, auf dem die Anti-Guardiola-Stilblüten wuchsen.
Mir persönlich ist völlig egal, warum Müller-Wohlfahrt ging. Eine "Übersprungshandlung war es wohl nicht", wie das Sportstudio zu Recht konstatierte. Was nur den Eindruck verstärkt, dass Mull es auf den größtmöglichen (PR-) Schaden anlegte, als er die Pressemitteilung absetzte, mit der er seinen Abgang mit sofortiger Wirkung verkündete. Er ist weg, er wird das irgendwann erklären.
Aber nun kamen die Kritikaster aus dem Loch, in das sie sich seit der königlichen Demontage vor einem Jahr verzogen hatten. "Pep hat zu viel Macht. Pep ist beratungsresistent. Der stolze bayerische Club liefert sich dem katalanischen Schönwetterphilosophen aus. Pep duldet keinen Gott neben sich. Kritik an Pep ist blasphemisch. Pep macht Bayern kaputt!" Woher kommen diese willkürlich ausgewählten Eindrücke aus dem (sozialen) Medienuniversum eigentlich?
Die Macht ist mit ihm
Zu viel Macht? Weil er bei Transfers mitreden will? Ja, wirklich unverschämt, dass ein Trainer die Spieler mit auswählen will, für deren Leistung er den Kopf hinhalten muss. Pranjic und Braafheid waren Hoeneß-Transfers, nehme ich an?!? Donovan war Rummenigges Idee, oder wie? Martinez war nicht der Wunschspieler von Heynckes, nein? Rehhagel und Herzog wechselten zufällig im selben Jahr von Bremen nach München? Als wäre Guardiola der erste Trainer, der Transferwünsche erfüllt bekommt. Nur nebenbei: Thiago und Alonso waren kolossale Flops, nä.
Weil er die Bayern abschottet, wie er es aus Spanien kennt? Es ist die Art, mit der er zu arbeiten gewohnt ist. Die darf er in München fortsetzen. Zulasten der Zugänglichkeit des Vereins bei Trainingseinheiten. Ja, Wahnsinn! Mia san Geheimtraining. Oh mein Gott! Wirklich grauenhaft, wie er dem Verein die Identität nimmt, weil Mädchenschülerreisegruppen nicht dazwischen kreischen können, wenn Alaba im 11 gegen 11-Trainingsspiel eine Ecke ausführt.
Weil er seinen Trainerstab mitbringen durfte? Das. Kann. Nicht. Euer. Ernst. Sein. Bruno Labbadias Büchsenspanner immer bei ihm wie die Ausgesperrten bei den Ultras. Und der Sportskamerad HSV-Trainer hat zwei knapp verlorene Pokalfinals als Vita-Höhepunkte. Jeder Trainer zieht mit seinem Team karawanengleich von Station zu Station. Was für ein Unfug.
Du sollst keinen Gott haben außer Pep!
...ist das neue Gebot 0,5 der zehn Miasanmia-Gebote. Woher wissen eigentlich alle so genau, das Guardiola mittlerweile selbst an den Hashtag #PepKnowsBest glaubt? Wenn Guardiola öffentlich auftritt, vermittelt er mir eher den Eindruck von Zurückhaltung, geradezu Schüchternheit. Das ist vermutlich nicht der wahre Guardiola. Anhaltspunkte dafür, dass er ein machtverssener Autoerotiker ist, ergeben sich für mich trotzdem nicht.
Der Katalane ist im Übrigen nicht der erste Trainer, mit dem Müller-Wohlfahrt aneinandergerät. Klinsmann mag ein schlechter Kronzeuge gegen Mull sein. Aber die Indizien sprechen in Sachen Schuldfrage nicht einwandfrei für ihn.
Dass Kritik an Guardiola verboten sei, ist mir neu. Der Entrüstungssturm über den fehlenden Plan B von 2014 scheint völlig vergessen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sämtliche deutsche Medien in ehrfurchtsvoller Starre verblieben sind, als er Schiedsrichterinnen umarmte oder seine Coaching-Zone verließ. Im Gegenteil: Beides hat mehr Klicks und Werbung verkauft als ein HSV-Trainerwechsel (gut, letzteres ist Tagesgeschäft). Wer verbietet Kritik an Pep Guardiola? Wer? Hat jemand "Lügenpresse" gesagt?
Nordkorea
So kommen wir denn zur "Kommunikation". "Keine Fragen zu Mull!" Zitat Markus Hörwick von der Pressekonferenz einen Tag später. Punkt. Ein absurdes Verständnis von Pressefreiheit, mäandern die Tickerer und schalten sich entrüstet aus. Bayern verbietet Fragen und weigert sich strikt, Interna in der Öffentlichkeit zu erörtern. Ist ja widerlich. Spricht der Bartschattenneid aus Euch? War Milch im Lack zum Frühstück? Gehts noch?
Zunächst mal, weil ich nicht anders kann: Grundrechte sind Abwehr- und Teilhaberechte gegen den Staat. DEN STAAT! Nicht den FC Bayern. Der FC Bayern verletzt keine Grundrechte und er gewährt auch keine Grundrechte. Wäre ja auch noch schöner.
Im Übrigen rufe ich der freien Presse zu: You had one job! Ihr wollt Interna? Ihr wollt die ganze schmuddelige Geschichte von Pep, Kalle, Mull und den sieben Schuldzuweisungen? Dann recherchiert gefälligst! Zapft Eure Quellen an, die unter der wohlig warmen Decke der Anonymität Details aus dem Innenleben des Rekordmeisters preiszugeben bereit sind. Geht die Sprechstundehilfe von Müller-Wohlfahrt, den Berater von Thiago oder sonst wen an. Sucht in Eurem Telefonbuch nach Leuten, die was wissen können. Und wenn Ihr nichts findet, arbeitet Euch an der für einen nach 40 Jahren verabschiedeten, führenden Ex-Mitarbeiter extrem dürren Abschiedspressemitteilung des Vereins ab und interpretiert daran herum, bis Mull zu einem bestenfalls geduldeten Semiheilpraktiker runtergeschrieben ist. Aber verschont mich mit der Heulboje!
Nur am Rande: Ich gucke wegen des Unterhaltungswertes regelmäßig die Prä-Spiel-Pressekonferenzen des BVB. Es vergeht kaum eine Woche, in der Herr Fligge die Fragerunde nicht auf sportliche Themen, also das nächste Spiel eingrenzt. Und nein ich rede nicht von letztem Donnerstag. Egal, ob es um das letzte Aki-Interview, den nächsten Transfer oder den Nachfolger von Klopp geht: "Fragen bitte nur zum Spiel!" Ich will kein Schlammwrestling gegen den BVB. Das ist völlig in Ordnung. Meine Pressekonferenz, meine Regeln.
Das hat keinen Informationswert? Dann geht nicht hin und schreibt Storys über schlechte Pressearbeit! Aber nochmal: Verschont mich dem Pressefreiheitsgeseier!
Ende einer Woche
Es gab den FC Bayern 113 Jahre, bevor Hoeneß nach New York flog, es wird ihn nach Pep Guardiola geben. Nur am Rande: für Müller-Wohlfahrt gilt das mit der Zahl 75 in gleichem Maße. Wenn Guaridola am Saisonende gehen sollte, waren es sportlich zwei der besten von dann 115 Jahren. Das hätte keineswegs jeder geschafft. Das schließt Kritik nicht aus, nur ein wenig mehr Substanz wäre wünschenswert. Vor allem von den begnadeten Autoren, die unter dem Rubrum "Pep-Kritik" über Kritikverbote jaulen und unter Nutzung der Pressefreiheit öffentlich die Verletzung der Pressefreiheit beklagen.
Starkes Teil mit klarer Kante! Gefällt mir
im hinblick auf mull sehe ich es etwas anders. mag sein, dass dessen reaktion dünnhäutig und provokativ war. aber es hätte einfach nicht dazu kommen dürfen. und da müssen sich sowohl khr als auch pep nach ihrer verantwortung fragen lassen. eines scheint mir sicher: unter uli hoeneß hätte es einen solchen eklat und ein solches kommunikatives desaster nicht gegeben.