Damals... - Erinnerungen@Spox
18.01.2011 um 18:38 Uhr
Geschrieben von Voegi
Er konnte nur auf Pressspan
oder: Damals… im Januar '94
Der letzte Ferientag war mir immer ein Graus. Er stürzte mich jedes Mal in eine seltsame Art von Melancholie, eine kindliche Traurigkeit, wie ich sie in abgeschwächter Form eigentlich von jedem Sonntag kannte. So blickte ich zurück auf die hinter mir liegende Ferienzeit und verzweifelte an der Frage, ob ich die freie Zeit denn auch wirklich richtig ausgekostet hatte. Denn nun, da der Schulanfang unmittelbar bevorstand, wusste ich plötzlich zu schätzen, was es hieß, morgens im Bett bleiben und mir den Tag selbst einteilen zu können.
Jener Trübsinn befiel mich auch am Ende der Weihnachtsferien zu Beginn des Jahres 1994. Wieder einmal beschlich mich das ungute Gefühl, etwas versäumt zu haben – und wenn es auch nur die Freude am täglichen Gammeln war. Doch der letzte Tag dieser Weihnachtsferien hielt für mich noch ein kleines Bonbon parat, das mir den Abschiedsschmerz (und irgendwie ist ein Ferienende ja nichts als ein bitterer Abschied vom Müßigang) versüßen sollte: Ein Besuch des Kölner Hallenfußballturniers in der legendären Deutzer Sporthalle.
In der Tat betrachtete ich es damals als echtes Highlight, bei einem Hallenturnier live dabei sein zu können. Denn Mitte der 90er Jahren vermochten Hallenturniere Deutschlands Fußballfans noch in den Bann zu ziehen. Was das DSF seinerzeit auch dazu veranlasste, etwa 90% des Januar-Programms mit Indoor-Fußball zu füllen – vom hochkarätig besetzten Hasseröder-Cup von Riesa bis zum Altherrenturnier in Oldenburg. Hallenfußball war irgendwie in, wenngleich aus heutiger Sicht niemand so recht weiß, wieso.
Entsprechend groß war also meine Freude, als mir meine Eltern zu Weihnachten Eintrittskarten für das Kölner Hallenturnier schenkten. Dass der DFB das Turnier wegen der spartanischen Rahmenbedingungen in die niedrigste Kategorie C einordnete und es so aus dem Qualifikationswettbewerb für das Hallenmasters herausnahm, tat meiner Begeisterung keinen Abbruch. Fußball war immer gut. Ob draußen oder drinnen, ob wichtig oder unwichtig – Hauptsache dabei sein.
Spartanisch waren die Bedingungen übrigens nicht zuletzt wegen der unorthodoxen Spielfläche. Denn während man bei anderen Turnieren mit feinstem Kunstrasen aufwartete, holte man in Köln lieber die alten Pressspanplatten aus den Katakomben und suggerierte dem Fernsehzuschauer mit der grünen Lackierung, dass es sich theoretisch um so etwas Ähnliches wie Rasen handeln könnte. Man musste nur die Fantasie spielen lassen. Doch mir konnte man nichts vormachen. Ich saß unmittelbar hinter dem rechten Tor und konnte die aus dem Spielfeld herausragenden Platten auf ihre Zusammensetzung untersuchen: Ziemlich billig – aber war ja eben auch nur ein C-Turnier.
Welche Teams sich an jenem Sonntagnachmittag auf dem grünen Pressspan die Ehre gaben, kann ich aus heutiger Sicht nur mutmaßen. Denn einmal vom Hallenturnier-Virus befallen, besuchte ich auch in den Folgejahren das Indoor-Event in der Deutzer Sporthalle, deren 60er-Charme mir noch heute ein verzücktes Lächeln entlockt, und würde die Besetzungen der verschiedenen Jahre wohl durcheinander bringen. Wie auch immer, wer damals dabei war, weiß ich nicht. Es könnten Duisburg, Wattenscheid, und Düsseldorf gewesen sein. Neben den beiden obligatorischen Teilnehmern aus der Gastgeberstadt. An den sechsten Teilnehmer kann ich mich dagegen sehr gut erinnern: Es war der georgische Meister Dinamo Tiflis, der die Fans in der Halle mit bestem Pressspan-Hallenfußball verzauberte.
Allen voran ein drahtiger Flügelflitzer namens Rewas Arweladse, der wie ein junger Hüpfer kreuz und quer über das (für DFB-Maßstäbe etwas zu klein geratene) Spielfeld sprintete und dabei eine Bude nach der anderen schoss. Dauernd schlug es vor meiner Nase ein und wehte mir das nur lose befestigte Netz um die Ohren. Und immer wieder hieß der Torschütze Rewas Arweladse. Es war ein grandioser Auftritt eines offensichtlich hochbegabten Fußballers, von dem man bis dato in unseren Breiten aber noch rein gar nichts gehört hatte. Doch Rewas Arweladse hatte mich verzaubert und mit seinen gefühlten 100 Toren ein wenig von der tristen Melancholie des letzten Ferientags abgelenkt.
So habe ich das damals erlebt. Und so oder so ähnlich dürfte es vielleicht auch manch anderen jungen Fußballfans in der Sporthalle ergangen sein. Beim eingefleischten Effzeh-Fan indes bewirkte das unwirkliche Treiben hingegen eine andere, für seine Mentalität aber doch so typische Reaktion. Denn der Rheinländer, und der Kölsche im Besonderen, neigt zu emotionalen Kurzschlusshandlungen und ist wie kein anderer empfänglich für die Euphorie des Augenblicks. Nicht ganz zu Unrecht attestiert man Effezh-Fans für gewöhnlich nach einem Sieg insgeheim schon wieder von der Champions League zu träumen.
Wie dem auch sei: Arweladses Gala-Auftritt in Köln löste bei den Anhängern des Effzeh nun die einzig mentalitätsgetreue und somit nachvollziehbare Reaktion aus: Den müsse mer hann! Richtig, denn wer bei einem Hallenfußballturnier auf grüngefärbtem Pressspan brilliert, der muss auch bei einem Bundesligaspiel auf Rasen überzeugen. Und auch wenn hier und da leise Zweifel angemeldet wurden, ob man von den Leistungen in der Halle wirklich auf die Klasse eines Fußballspielers zurückschließen könnte, war allen doch klar, dass der 1. FC Köln Rewas Arweladse würde verpflichten müssen. Und wenn es auch nur ein Tribut an das Schicksal wäre, das diesen Mann im Januar 1994 nach Köln geführt hatte.
Wie gewünscht, so getan. Rewas Arweladse wechselte nach Köln und spielte eine Halbserie beim Effzeh, in der er sage und schreibe sieben Bundesliga-Einsätze absolvierte. Eine Leistung wie beim Hallenturnier wollte ihm dabei nicht mehr glücken. Immerhin ein Tor stand für ihn zu Buche: Am 13. März traf er gegen den VfB Stuttgart zum 3:1-Endergebnis. Im Sommer verließ er den Effzeh dann wieder – sechs Monate vor dem nächsten Hallenturnier in Köln.
Sein weiterer Weg führte Arweladse von Tennis Borussia Berlin über Homburg bis schließlich nach Oberhausen. Große Sprünge gelangen ihm dabei nicht mehr. Irgendetwas fehlte ihm. Vielleicht war es auch nur eine Pressspanplatte…
P.S.: Die Internetquellen (allen voran wikipedia) sprechen davon, dass Arweladse bereits beim Hallenturnier 1993 seinen großen Auftritt gehabt hätte. Dem widerspreche ich. Nicht nur aufgrund meiner eigenen Erinnerungen, sondern weil man beim Effzeh so rallig war, dass man auf Arweladse unmöglich ein Jahr hätte warten können. Seine sieben Spiele für den Effzeh absolvierte er nämlich nachweislich im Frühjahr 1994.
Der letzte Ferientag war mir immer ein Graus. Er stürzte mich jedes Mal in eine seltsame Art von Melancholie, eine kindliche Traurigkeit, wie ich sie in abgeschwächter Form eigentlich von jedem Sonntag kannte. So blickte ich zurück auf die hinter mir liegende Ferienzeit und verzweifelte an der Frage, ob ich die freie Zeit denn auch wirklich richtig ausgekostet hatte. Denn nun, da der Schulanfang unmittelbar bevorstand, wusste ich plötzlich zu schätzen, was es hieß, morgens im Bett bleiben und mir den Tag selbst einteilen zu können.
Jener Trübsinn befiel mich auch am Ende der Weihnachtsferien zu Beginn des Jahres 1994. Wieder einmal beschlich mich das ungute Gefühl, etwas versäumt zu haben – und wenn es auch nur die Freude am täglichen Gammeln war. Doch der letzte Tag dieser Weihnachtsferien hielt für mich noch ein kleines Bonbon parat, das mir den Abschiedsschmerz (und irgendwie ist ein Ferienende ja nichts als ein bitterer Abschied vom Müßigang) versüßen sollte: Ein Besuch des Kölner Hallenfußballturniers in der legendären Deutzer Sporthalle.
In der Tat betrachtete ich es damals als echtes Highlight, bei einem Hallenturnier live dabei sein zu können. Denn Mitte der 90er Jahren vermochten Hallenturniere Deutschlands Fußballfans noch in den Bann zu ziehen. Was das DSF seinerzeit auch dazu veranlasste, etwa 90% des Januar-Programms mit Indoor-Fußball zu füllen – vom hochkarätig besetzten Hasseröder-Cup von Riesa bis zum Altherrenturnier in Oldenburg. Hallenfußball war irgendwie in, wenngleich aus heutiger Sicht niemand so recht weiß, wieso.
Entsprechend groß war also meine Freude, als mir meine Eltern zu Weihnachten Eintrittskarten für das Kölner Hallenturnier schenkten. Dass der DFB das Turnier wegen der spartanischen Rahmenbedingungen in die niedrigste Kategorie C einordnete und es so aus dem Qualifikationswettbewerb für das Hallenmasters herausnahm, tat meiner Begeisterung keinen Abbruch. Fußball war immer gut. Ob draußen oder drinnen, ob wichtig oder unwichtig – Hauptsache dabei sein.
Spartanisch waren die Bedingungen übrigens nicht zuletzt wegen der unorthodoxen Spielfläche. Denn während man bei anderen Turnieren mit feinstem Kunstrasen aufwartete, holte man in Köln lieber die alten Pressspanplatten aus den Katakomben und suggerierte dem Fernsehzuschauer mit der grünen Lackierung, dass es sich theoretisch um so etwas Ähnliches wie Rasen handeln könnte. Man musste nur die Fantasie spielen lassen. Doch mir konnte man nichts vormachen. Ich saß unmittelbar hinter dem rechten Tor und konnte die aus dem Spielfeld herausragenden Platten auf ihre Zusammensetzung untersuchen: Ziemlich billig – aber war ja eben auch nur ein C-Turnier.
Welche Teams sich an jenem Sonntagnachmittag auf dem grünen Pressspan die Ehre gaben, kann ich aus heutiger Sicht nur mutmaßen. Denn einmal vom Hallenturnier-Virus befallen, besuchte ich auch in den Folgejahren das Indoor-Event in der Deutzer Sporthalle, deren 60er-Charme mir noch heute ein verzücktes Lächeln entlockt, und würde die Besetzungen der verschiedenen Jahre wohl durcheinander bringen. Wie auch immer, wer damals dabei war, weiß ich nicht. Es könnten Duisburg, Wattenscheid, und Düsseldorf gewesen sein. Neben den beiden obligatorischen Teilnehmern aus der Gastgeberstadt. An den sechsten Teilnehmer kann ich mich dagegen sehr gut erinnern: Es war der georgische Meister Dinamo Tiflis, der die Fans in der Halle mit bestem Pressspan-Hallenfußball verzauberte.
Allen voran ein drahtiger Flügelflitzer namens Rewas Arweladse, der wie ein junger Hüpfer kreuz und quer über das (für DFB-Maßstäbe etwas zu klein geratene) Spielfeld sprintete und dabei eine Bude nach der anderen schoss. Dauernd schlug es vor meiner Nase ein und wehte mir das nur lose befestigte Netz um die Ohren. Und immer wieder hieß der Torschütze Rewas Arweladse. Es war ein grandioser Auftritt eines offensichtlich hochbegabten Fußballers, von dem man bis dato in unseren Breiten aber noch rein gar nichts gehört hatte. Doch Rewas Arweladse hatte mich verzaubert und mit seinen gefühlten 100 Toren ein wenig von der tristen Melancholie des letzten Ferientags abgelenkt.
So habe ich das damals erlebt. Und so oder so ähnlich dürfte es vielleicht auch manch anderen jungen Fußballfans in der Sporthalle ergangen sein. Beim eingefleischten Effzeh-Fan indes bewirkte das unwirkliche Treiben hingegen eine andere, für seine Mentalität aber doch so typische Reaktion. Denn der Rheinländer, und der Kölsche im Besonderen, neigt zu emotionalen Kurzschlusshandlungen und ist wie kein anderer empfänglich für die Euphorie des Augenblicks. Nicht ganz zu Unrecht attestiert man Effezh-Fans für gewöhnlich nach einem Sieg insgeheim schon wieder von der Champions League zu träumen.
Wie dem auch sei: Arweladses Gala-Auftritt in Köln löste bei den Anhängern des Effzeh nun die einzig mentalitätsgetreue und somit nachvollziehbare Reaktion aus: Den müsse mer hann! Richtig, denn wer bei einem Hallenfußballturnier auf grüngefärbtem Pressspan brilliert, der muss auch bei einem Bundesligaspiel auf Rasen überzeugen. Und auch wenn hier und da leise Zweifel angemeldet wurden, ob man von den Leistungen in der Halle wirklich auf die Klasse eines Fußballspielers zurückschließen könnte, war allen doch klar, dass der 1. FC Köln Rewas Arweladse würde verpflichten müssen. Und wenn es auch nur ein Tribut an das Schicksal wäre, das diesen Mann im Januar 1994 nach Köln geführt hatte.
Wie gewünscht, so getan. Rewas Arweladse wechselte nach Köln und spielte eine Halbserie beim Effzeh, in der er sage und schreibe sieben Bundesliga-Einsätze absolvierte. Eine Leistung wie beim Hallenturnier wollte ihm dabei nicht mehr glücken. Immerhin ein Tor stand für ihn zu Buche: Am 13. März traf er gegen den VfB Stuttgart zum 3:1-Endergebnis. Im Sommer verließ er den Effzeh dann wieder – sechs Monate vor dem nächsten Hallenturnier in Köln.
Sein weiterer Weg führte Arweladse von Tennis Borussia Berlin über Homburg bis schließlich nach Oberhausen. Große Sprünge gelangen ihm dabei nicht mehr. Irgendetwas fehlte ihm. Vielleicht war es auch nur eine Pressspanplatte…
P.S.: Die Internetquellen (allen voran wikipedia) sprechen davon, dass Arweladse bereits beim Hallenturnier 1993 seinen großen Auftritt gehabt hätte. Dem widerspreche ich. Nicht nur aufgrund meiner eigenen Erinnerungen, sondern weil man beim Effzeh so rallig war, dass man auf Arweladse unmöglich ein Jahr hätte warten können. Seine sieben Spiele für den Effzeh absolvierte er nämlich nachweislich im Frühjahr 1994.
Aufrufe: 4299 | Kommentare: 14 | Bewertungen: 19 | Erstellt:18.01.2011
ø 9.4
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Ich bin ja immer wieder beeindruckt wo Du immer Deine Texte herholst...
Ob LL, Bloggen, KdW etc... Chapeau!
..und weiter so!