29.11.2010 um 10:24 Uhr
Geschrieben von Bailey
Es passierte einfach...
- Nicht du suchst den Verein aus, der Verein sucht dich aus! -
Es ist einer dieser kalten Tage Anfang November.
Ich rutsche auf Knien auf dem Dachboden meines Elternhauses herum.
Warum?
Weil es ausgeräumt wird.
Verkauft, weils keiner mehr braucht.
Alles muss raus.
Wie beim Räumungsverkauf.
Und deshalb robbe ich dort durch den Staub von Jahrzehnten.
Ich wühle mich durch die Hinterlassenschaften meines jungen Lebens.
Was bleibt, was kann weg.
Schwere Entscheidung.
Mein Blick fällt auf eine vergilbte Schachtel, auf deren Deckel in der Handschrift meiner Mutter mein Name geschrieben steht.
Ich strecke mich und fische sie hervor.
Neugierig öffne ich den Karton.
Um überrascht zu sein, was er enthält.
Denn das, was mich anstrahlt ist nichts Geringeres als mein erstes VfB-Shirt.
Mittlerweile ein wenig zu klein und etwas aus der Mode, aber ansonsten noch völlig intakt.
Ich nehme es heraus und schaue es an.
Wow.
Und plötzlich schießt mir die Frage durch den Kopf: "Wann ist das eigentlich passiert?"
Wann bin ich eigentlich das geworden, was man als VfB-Fan bezeichnen kann?
Und während ich das Hemd so anschaue, schweifen meine Gedanken um mehr als 20 Jahre zurück.
Ob es auch im November war, das weiß ich nicht mehr.
Was ich noch weiß ist, dass das Wetter auch nicht das allerbeste war.
Es hat geschüttet wie aus Eimern, als mein Vater mich damals in jungen Jahren ins Auto gepackt hatte und Richtung Stuttgart gefahren ist. Ins Neckarstadion, so hieß das damals noch.
Und gespielt hat der VfB gegen Inter Mailand, letztere mit einem gewissen Jürgen Klinsmann in ihren Reihen.
Plätze hatten wir auf der Haupttribüne, erste Reihe direkt hinter den Trainerbänken.
Ein wirklicher Kracher also!
Aber zu meinem Leidwesen muss ich gestehen, dass der Funke damals noch nicht so wirklich übergesprungen ist.
Dachte ich zumindest.
Mir war kalt, es war nass und was die 22 da auf dem Feld veranstalteten interessierte mich nur am Rande. Ich weiß nicht mal mehr das Ergebnis.
Von einer Liebe auf den ersten Blick kann man daher kaum reden.
Völlig spurlos ging das Ganze aber auch nicht an mir vorbei.
Irgend etwas musste hängen geblieben sein, irgendein Virus musste sich in mein kindliches Gehirn eingenistet haben, denn zum einen erinnere ich mich bis heute daran, zum anderen konnte ich mit diesen komischen Leuten in ihren lustigen Hemdchen zumindest optisch etwas anfangen.
Aber was da vor sich ging, das verstand ich immer noch nicht.
Und trotzdem fing ich von diesem Zeitpunkt ab an, mich samstags mit meinem Vater zusammen vor den Fernseher zu setzen und die Sportschau mit anzuschauen. Und dort erkannt ich auch die Männer in den putzigen Hemdchen wieder.
Ziemlich zügig hatte ich dann auch begriffen, dass es gut ist, wenn die so Bekleideten jubelnd zusammenkommen und der Ball in diesem komischen Gestell liegt (Tor, wie ich damals oft belehrt wurde) und dass es noch besser ist, wenn das denen öfter gelingt als den anderen.
Ich hatte also gelernt, Sieg und Niederlage auseinanderzuhalten!
Und von dieser Erkenntnis ab ging es dann voll ziemlich schnell. Mit der Zeit lernte ich die Namen der Spieler und sogar die Abseitsregel kapierte ich irgendwann.
Ich fing an zu quengeln und nach und nach häuften sich auch die Stadionbesuche, ich bekam zu Geburtstag und Weihnachten nicht mehr länger einfach irgendwelche Sachen, die ein Kind dringend braucht, sondern innerhalb kürzester Zeit färbte sich alles Rot und Weiß.
Und eines der ersten Stücke halte ich gerade tatsächlich in Händen. Nach all der Zeit gibt es das wirklich noch.
Das kleine T-Shirt mit dem noch alten VfB-Wappen vorne drauf.
So war es also passiert.
So wurde ich zum VfB-Fan, mit allen Vor- und Nachteilen.
Aber warum?
Warum ging mir der erste Stadionbesuch nicht einfach komplett am Hinterteil vorbei?
Warum interessierte ich mich danach plötzlich für eine Sportart, die ich damals nicht mal richtig verstanden habe?
Und warum blieb es beim VfB?
Bei anderen Mannschaften hätte man sicherlich mehr zum Freuen gehabt. Warum war es nicht der FC Bayern, warum nicht…wasweißich…Eintracht Frankfurt?
Man könnte jetzt sagen, das liegt daran, dass ich nur 30 Kilometer von Stuttgart entfernt geboren und aufgewachsen bin.
Aber kann das wirklich die Erklärung sein, geographische Nähe?
Für mich war Stuttgart in diesem Alter in ungefähr so vielsagend wie Tokio, und das hab ich nichtmals gekannt.
Warum also?
Und warum gelingt es einem selbst eigentlich nie, sich zu sagen: "Ich find jetzt die und die toll. Beschlossen und verkündet!"
Muss man selbst mal versuchen, klappt nicht!
Die Antwort ist denk ich so einfach wie komplex.
Man kann sich seinen Verein nicht selbst aussuchen.
Jeder von uns trägt den Keim schon in sich.
Den Keim, der, wenn er geweckt wird, uns ein Leben lang an einen Verein bindet.
Und uns auch nicht mehr loslässt.
Bei mir war dieser Auslöser ein Spiel gegen Inter Mailand an einem Regentag irgendwann vor über 20 Jahren.
Deshalb darf ich mich heute noch zu den Fans des VfB Stuttgart zählen.
Deshalb durfte ich in den folgenden Jahren große Siege und große Niederlagen erleben.
Nicht ich habe mir den VfB ausgesucht, der VfB hat mich ausgesucht.
Meine Gedanken kehren ins hier und jetzt zurück.
Von unten ruft meine Mutter, was ich da oben denn so lange machen würde.
Ich antworte, ich habe noch ein paar alte Sachen von mir gefunden.
Ob die weg können, will sie wissen.
Ich schauen nochmal auf das Shirt.
Lächle.
Nein, flüstere ich, auf gar keinen Fall kann das weg.
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Unserer Gruppe: VfB-Fans der Zukunft
Aufrufe: 5880 | Kommentare: 39 | Bewertungen: 25 | Erstellt:29.11.2010
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KOMMENTARE
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29.11.2010 | 18:56 Uhr
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fcbm007 :
starkes Teil Bailey, war eigentlich über so einen Blog von Dir auch nicht verwundert... absolut klasse zu lesen und man kann sich bei deiner Schreibe immer alles bildlich vorstellen starke 10 Punkte
1
29.11.2010 | 18:29 Uhr
0
UliFan :
Hervorragender Blog über eine nette GeschichteMein Bayernfan-Dasein kam eher schleichend. Ich kann jetzt nicht wirklich ein besonderes Erlebnis oder einen Stadionbesuch daür verantwortlich machen.
Wenn jemand "schuld" ist dann mein Vater, der ist/war ein Wahnsinniger und was anderes als Bayernfans kommt uns eh nicht ins Haus
Mein Bruder und ich mussten/durften schon als Kleinkinder jeden Samstag mit ihm Sportschau anschauen. Und wehe man hat ihn gestört dann gab´s erst mal einen Tobsuchtsanfall
Mein "Durchbruch" war dann die WM 90, danach habe ich mich dann richtig und mit allem drum und dran begonnen für Fußball zu interessieren.
- Nicht du suchst den Verein aus, der Verein sucht dich aus!
Wie wahr! Zum damaligen Zeitpunkt wusste ich noch nicht mal dass es noch andere Vereine gibt bzw. dass ich bei einem besonders erfolgreichen Exemplar gelandet bin. Das wurde mir alles erst später richtig bewusst.
Alten Kram hebe ich übrigens auch gerne auf. Ich habe über 10 Jahre jede Ausgabe vom Stadionheft aufgehoben. Bei meinem Umzug wurde ich dann doch vernünftig und hab´s rausgehauen. AUßerdem hebe ich sämtliche Eintritttskarten auf
Und mein Prunkstück: ein Poster vom CL-Finale 2001, ist mittlerweile uralt, völlig vergilbt aber es wird an der Wand hängen bis es von alleine zu Staub zerfällt
0
29.11.2010 | 18:29 Uhr
0
vfb4Life :
ich wurde VfB Fan nach einer der vielen Niederlage gegen Bayern wenn ich mich recht erinnere.Dafür danke ich vor allem meinen Großeltern!
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29.11.2010 | 17:31 Uhr
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Bei mir wars sehr einfach: Erfolgsfan aufgrund des Meistertitels 91/92 und dann dabei geblieben. Zudem gefiel ich mir in der Aussenseiterrolle. Hier oben in NRW gibts so viele Fans verschiedenster Clubs - aber VfB-Fans eben nur sehr selten.
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29.11.2010 | 17:03 Uhr
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riesery :
@bailey
wieder mal ein Meisterwerk du alter geschichten Erzähler.10 er
"Man könnte jetzt sagen, das liegt daran, dass ich nur 30 Kilometer von Stuttgart entfernt geboren und aufgewachsen bin.
Aber kann das wirklich die Erklärung sein, geographische Nähe?"
Denke schon dass das ein wichtiger Punkt ist.Wenn man in oder in der Nähe einer Stadt lebt mit einem großen Fußballverein dann bekommt man auch die Begeisterung dafür viel besser mit als irgendwo anders
.
In Nürberg ist der Club Gesprächsthema in Frankfurt die Eintracht und in München eben die Bayern oder auch 60.
Die ganze Kultur und Begeisterung rund um den Verein bekommt man einfach mit.Dazu kommt wie bei dir dass dein Vater dich zum VFB gebracht hat .jedes Kind hat zuminderst in jungen Jahren die Eltern als Vorbild und Begeisterungen und Hobbys lássen sich leicht übertragen.
Somit behaupte ich wenn dein Vater aus Karlsruhe gekommen wäre und dich zum KSC mitgenommen hätte wärst du jetzt KSC Fan
Klar es gibt auch Beispiele von leuten die komplett sich ihren eigenen Verein suchen unabhängig von den Eltern aber das sind dann eher die Ausnahmefälle.
1
29.11.2010 | 16:50 Uhr
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xxlhonk :
@BaileyIch freue mich schon auf Mittwoch.
Das schon länger, denn dann habe ich einen sehr schönen Businesstermin.
Mal sehen, ob ich da überhaupt zum lesen kommen werde.
Aber der Teaser ist schon mal angekommen
.-G
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29.11.2010 | 16:39 Uhr
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Tja, wie wuchs meine Leidenschaft. Mein Vater war schuld. Er hatte mich (damals gerade 6 Jahre alt) das Finale der WM '74 schauen lassen. War wohl ganz interessant (die älteren werden sich erinnern ). War übrigens das erste Fussballspiel das ich im TV gesehen habe.
Da fragte ich ihn in welcher Liga diese Mannschaft den sonst spielen würde. Er erklärte mir dann wie sich ein Nationalteam zusammensetzt. Da er oft den Namen FC Bayern München erwähnt hatte, habe ich wohl zu mir gesagt, das ein Club mit so vielen Nationalspielern wert sein müsste von mir als Favorit auserwählt zu werden.
Damit bin ich wohl ein sogenannter Erfolgsfan.
Ich stehe aber dazu. Bin aber mittlerweile schon 17 Jahre Mitglied dieses Vereins, habe unzählige Spiele gesehen und liebe ihn immer noch.
Übrigens ist mein Vater FCK - Fan und nimmt mir das heute noch übel das ich nicht auch ein "Betze-Jünger geworden bin...
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29.11.2010 | 16:28 Uhr
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Bailey :
@HonkBuffy Ettmayer?
Ich will nicht zuviel leaken, aber dann freu dich schonmal auf Mittwoch!
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Und irgendwo findet man sich ja selbst wieder, da jeder viele "Phasen" selbst durchlebt (hat).